nach der ersten Akteneinsicht vorläufige Bilanz, Stand: August 2003.
Goldene Hakenkralle und politische Verfolgung
die §129a-Verfahren und mehrere Radikal-Verfahren sind eingestellt worden.
die Krümmel-Verfahren sind an das Oberlandesgericht Lübeck abgegeben worden.
Die Herkunft des Namens “Goldene Hakenkralle”, unter dem die BKA-Ermittlungen lief, ergibt sich nach Aktenlage aus einem abgehörten Telefongespräch (§ 100a-Maßnahme). Anläßlich des Geburtstages eines “Beschuldigten” sollen sich zwei weitere “Beschuldigte” über ein mögliches Geschenk unterhalten haben. Der Vorschlag soll eine vergoldete Hakenkralle gewesen sein. Und die Bemerkung eines “Beschuldigten”, noch einen ganzen Kasten davon bei sich zu haben, sei Auslöser für die bundesweiten Hausdurchsuchungen gewesen.
Im Übrigen wurde versucht, die zu dieser Geburtstagsparty eintreffenden Gäste zu filmen, was wohl zumindest teilweise unterbunden werden konnte.
Rückblick
Es war am 6.Juli 1999 - also inzwischen vor vier Jahren - als das Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt 10 Wohnungen in Berlin, Bremen, Hamburg, im Landkreis Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Lüneburg, einen Taxi-Betrieb in Berlin Kreuzberg und ein Umweltinstitut in Bremen durchsuchte.
Der Vorwurf lautet: “Verdacht eines Verbrechens nach §129a (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) und gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr durch Mitglieder "Autonomer Gruppen"!
Nach der Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes (vom 6.7.1999) waren 9 StaatsanwältInnen, 100 BKA-BeamtInnen und weitere 200 PolizistInnen der Länder beteiligt.
Die Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt, teilweise wurden noch zusätzlich Speichelproben und Haarproben (aus Haarbürsten) für DNA-Analysen entnommen.[1] In eine Wohnung in Berlin drangen vermummte SEK-BeamtInnen mit Stahlhelm und gezogenem Revolver ein. Ein Mensch wurde von der Arbeit in seine Wohnung "verbracht".
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gingen der Durchsuchungsaktion “intensive Ermittlungen der “Arbeitsgruppe Energie” beim Bundeskriminalamt” voraus (sie wurde im Januar 97 eingerichtet). Diese Ermittlungen hätten ergeben, daß die Hakenkrallen-Aktionen auf eine Personengruppe aus dem militanten Widerstand gegen die CASTOR-Transporte und auf eine, die aus dem Widerstand gegen die Olympischen Spiele in Berlin (AOK, Anti-Olympia-Komitee) stammt, zurückzuführen sind.
Das AOK wurde schon vorher durch den Verfassungsschutz (VS) observiert.
Begründet wurde der Vorwurf mit den Hakenkrallenaktionen gegen die Deutsche Bahn 2 , die laut Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes
am 7. Oktober 1996 an 12 Orten im Bundesgebiet und
am 25. Februar 1997 an 8 weiteren Orten in Norddeutschland stattfanden,
sowie einem “Kommuniqué autonomer Gruppen” zu diesen Aktionen und weiteren BekennerInnenschreiben.
In dem breit veröffentlichten Kommuniqué heißt es dazu:
“Ziel der Anschläge war es, die Deutsche Bahn AG unter Druck zu setzen, um die CASTOR-Transporte auf dem Schienennetz einzustellen."
Aus der Zeitgleichheit der Aktionsserien und gemeinsamer Erklärungen schloß die Generalbundesanwaltschaft auf die Existenz einer Organisation “Autonome Gruppen”, deren “Führungskader” sie in den Beschuldigten gefunden zu haben glaubt. Die "Führungskader" brauchen dann nicht selbst praktisch an den Aktionen teilgenommen zu haben, sondern müssen nur der "terroristischen Vereinigung" angehören, um nach §129a verurteilt werden zu können.
Es gab elf sog. “Beschuldigte” und neun weitere sog. “Betroffene”. Wobei “Betroffene” Personen sind, die mit den “Beschuldigten” in Kontakt stehen und zu den Räumen der “Beschuldigten” Zugang haben sollen.
Gegen vier (inzwischen fünf, dazu s. später) “Beschuldigte” wurde und wird weiterhin zusätzlich wegen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr im Rahmen des Widerstandes gegen das AKW Krümmel ermittelt.
Es soll sich hierbei um das “Durchtrennen der Schienenstränge der Bahnstrecke Geesthacht-Bergedorf” handeln. Gemeint ist das Anschlußgleis, das das AKW-Krümmel an das öffentliche Bahnnetz anschließt.
Im Fall der Hakenkrallenaktionen unterstellte die Staatsanwaltschaft, daß durch die reißenden Oberleitungen Gefahr für Leib und Leben von LokomotivführerInnen und Reisenden entstanden war.
Dagegen geht aus den Diskussionen der Anti -AKW-Bewegung ganz klar hervor, daß solche Aktionen so angelegt sind, daß keine Menschen gefährdet werden.
Die Durchsuchungen – zumindest bei den “Beschuldigten” – fanden in allen Räumen statt, zu denen sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Zugang hatten.
Das betraf auch Keller, Dachböden, Schuppen, Ställe, Autos, Gärten und landwirtschaftliche Flächen.
Die Durchsuchungen begannen zeitgleich etwa um 8 Uhr morgens und dauerten bis zu 13 Stunden. Es wurde zugelassen, jeweils eine AnwältIn zu benachrichtigen, dann aber konnten, bis auf eine Ausnahme, keine weiteren Telefongespräche geführt oder empfangen werden.
In Bremen gehörte ein Mitarbeiter der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.) zu den Beschuldigten.
Sein Arbeitsplatz, aber auch die Räume der Meßstelle und das gesamte Haus - d.h. mehrere Wohneinheiten -, in dem sich die Meßstelle befindet, einschließlich einer Kunstgalerie, wurden durchsucht. Geschäfts- und Arbeitsunterlagen wurden in einem Ausmaß beschlagnahmt, daß ein Weiterbetrieb nur notdürftig möglich war.
Hier wurde vor Ort eine weitere Beschuldigung erhoben: “Anfangsverdacht des Betruges durch unzweckmäßig verwendete Fördergelder” (aus der Anlage zum Durchsuchungsprotokoll des BKA vom 6.7.99). Da es diesen Vorwurf juristisch gar nicht gibt, wurde er in “Subventionsbetrug u.a.” (Schreiben der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.7.99) umgeändert.
Daß dieser Vorwurf ausschließlich politisch motiviert ist zeigt sich auch daran, daß die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens und die Beschlagnahme der Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft Bremen allein auf Anordnung der Staatsanwältin der Generalbundesanwaltschaft erfolgte[3]. Wohl auch, um alle Unterlagen in Ruhe sichten zu können.
Das geschah sicher nicht zufällig: Die MAUS gehört seit ihrer Gründung 1984 zu den entschiedenen KritikerInnen von Atomtechnologie und deren Verwertung im militärisch-wirtschaftlichen Sektor. Dies hat sich niedergeschlagen in diversen Veröffentlichungen und Durchführungen von Seminaren zu diesem Thema, in der Beteiligung an unzähligen Veranstaltungen, Kundgebungen, Demonstrationen, in GutachterInnentätigkeit und wissenschaftlicher Beratung. Nicht zuletzt hat die Meßstelle auch die Kampagne gegen Atomtransporte durch Bremen und Bremerhaven (’97,’98) wissenschaftlich begleitet und politisch unterstützt. Diese Kampagne bekam durch den “CASTOR-Skandal” im Früjahr 1998 eine zusätzliche Bestätigung.
Der MAUS sind sämtliche öffentliche Mittel gestrichen worden, sie mußte daraufhin alle Beschäftigten entlassen und kann auch nicht mehr die Bearbeitung spezieller Aufgaben durch Werkverträge absichern. Sie versucht zur Zeit ihr Überleben notdürftig durch Spenden und verstärktem ehrenamtlichen Einsatz zu gewährleisten.
Das Projekt “Opferperspektive” aus Brandenburg (kümmert sich um Opfer rechter Gewalt) mußte anfänglich seine Arbeit einstellen, da die weitere Förderung durch das Land Brandenburg gestoppt wurde. Schon vor den Durchsuchungen am 6.7. wurde den MitarbeiterInnen im Mai `99 aus dem Justizministerium eröffnet, daß die Namen von zwei ProjektmitarbeiterInnen in Ermittlungsakten der BAW genannt wurden, und zwar im Zusammenhang mit Anschlägen im Bereich “Anti-Olympia” und “Hakenkrallen gegen CASTOR-Transporte”.
Es gab eine schriftliche Aussage aus dem Brandenburger Justizministerium, daß eine weitere Finanzierung möglich sei, wenn “ein Mitarbeiter” aufhört.
Die KTG (Kreuzberger Taxigenossenschaft), der bei der Durchsuchung Werkzeuge beschlagnahmt wurden, ist inzwischen wieder arbeitsfähig und repariert auch ihre Autos wieder.
Bei den Durchsuchungen wurden beschlagnahmt (wobei bei den verschiedenen Durchsuchungen sehr unterschiedlich vorgegangen wurde): PCs und Datenträger (Disketten, CDs), Videofilme, Fotos, Kalender, Adress-, Notiz- und Tagebücher, Material, an dem gerade gearbeitet wurde (unter anderem Artikel und weitere Texte, unabhängig vom konkreten Tatvorwurf), Krankenunterlagen und Therapieunterlagen über die eigene Behandlung, PatientInnenunterlagen, Strategiediskussionen zu Uran-, CASTOR-Transporten und AKW-Widerstand, Unterlagen zu Bankkonten, Quittungen, Verträge usw., Schraubstöcke, Rohrzangen, Bolzenschneider, Schraubschlüssel, Eisenbahnschienen, Funkscanner, Signalwesten, Landkarten, Schreibmaschinen, Typenrad, Handschriften- und Schreibmaschinenproben, Haarbürsten und Hanfpflanzen. Außerdem wurden Zigarrettenkippen beschlagnahmt, da laut eines Durchsuchungsbeschlusses eine Zigarette (Marke Juwel) auf einer Betonschwelle im Gleisbett ausgedrückt worden sei. Sie soll 13,20 m von der Stelle gelegen haben, an der eine Hakenkralle bei Potsdam eingehängt worden sein soll.
Erfahrungsgemäß kann es als Folge der Auswertung von beschlagnahmtem Material zu weiteren Durchsuchungen kommen. Darauf sollten wir immer vorbereitet sein! Das ist dann auch geschehen. Dazu später.
Observationen und Zeugenverhöre
Aus Begründungen der Bundesanwaltschaft zu den Ermittlungen, aus Vernehmungen von Zeugen und jetzt zuletzt aus der Akteneinsicht ergibt sich, daß über längere Zeiträume Telefongespräche abgehört, Wohnungen und Treffen observiert wurden (s. unten).
Das BKA und BAW (Karsruhe) hatten verschiedene Zeugen vorgeladen:
So wurde z.B. einem Zeugen Fotos und auch ein Wortprotokoll von einem Treffen in einem Cafe mit einer “Beschuldigten” vorgehalten.
Oder es wurde ein Handwerker vorgeladen, der an dem Haus eines Beschuldigten Reparaturarbeiten durchgeführt hatte und der sich mit dem Eigentümer über die Beschaffung von Werkzeugen telefonisch unterhalten haben soll.
Oder es wurde ein Beschuldigter bei einem Treffen mit einem Bekannten in einer Kneipe abgehört. Zu diesem Treffen sollen sie sich vorher telefonisch verabredet haben. Dieser Bekannte wurde als Zeuge vorgeladen. Über vorgelegte Abhörprotokolle im Zuge der Vernehmung wurde auch bekannt, daß in Berlin Telefongespräche vom Verfassungsschutz abgehört und diese Abhörprotokolle dem BKA zu Verfügung gestellt wurden.
Es sei hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Vorladungen zur Polizei oder zum BKA nicht befolgt werden müssen und auch nicht sollten und Vorladungen zur Staatsanwaltschaft nie ohne anwältliche Begleitung nachgekommen werden sollten!
Bekannt wurde auch - und das scheint uns in diesem Ausmaß neu zu sein -, daß das BKA unmittelbar mit Sozialamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Verkehrsamt, Katasteramt, Ordnungsamt, Bauamt, Versicherungen, Ausländerbehörde und Banken zusammenarbeitete.
Die Ermittlungsbefugnisse bei § 129a-Verfahren [4] entsprechen denen bei Verfahren gegen "organisierter Kriminalität" (z.B.: Geldwäsche, Mafia). D.h. es gibt keinen Datenschutz, kein Bankgeheimnis - auch nicht für Verwandte, FreundInnen, MitbewohnerInnen usw. Der § 129a öffnet der polizeilichen Willkür Tür und Tor!
So wurden z.B. die Vermögenslage, Konten (über mehrjährige zurückliegende Zeiträume), Immobilienbesitz, Baumaßnahmen oder Urlaubszeiten überprüft. Es wird vermutet, daß bei Aufenthalt in anderen Ländern das BKA und die BAW mit den jeweiligen Geheimdiensten zusammengearbeitet haben.
Das führte in einem Fall dazu, daß die Arbeitslosenhilfe gestrichen wurde und finanzielle Rückforderungen gestellt werden.
Juristische Verteidigung
Die AnwältInnen (etwa 20 an der Zahl, denn jede(r) “Beschuldigte” oder “Betroffene” kann sich ja nur unabhängig von den anderen vertreten lassen) haben sofort Widerspruch gegen die Durchsuchungen und gegen die Beschlagnahmungen eingelegt, Akteneinsicht gefordert, spezielle beschlagnahmte Gegenstände oder Papiere (oder deren Kopien) zurückgefordert.
Akteneinsicht (teilweise) wurde erst etwa 4 Jahre nach den Hausdurchsuchungen genehmigt, vorher wurde sie abgelehnt, um angeblich “die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden”.
Ablehnungen der Rückgabe von Beschlagnahmungen oder auch die Anfertigung von bestimmten Kopien wurden lange u.a. vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes (BGH) in unterschiedlichen Schriftsätzen inhaltlich begründet z.B. mit:
>> Der Beschuldigte steht im Verdacht, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung zu beteiligen, die bestrebt ist, die “Castor”-Transporte der Deutschen Bahn durch militante Aktionen (Hakenkrallenanschläge, Schienensägereien und andere Aktionsformen des militanten Widerstandes) zu unterbinden und dadurch auch die Gesellschaft als solche revolutionär zu erschüttern. Die Mitglieder der Vereinigung stehen untereinander in regem Kontakt, arbeiten dabei aber äußerst konspirativ. ...
Sie (gemeint sind: die schriftlichen Unterlagen) können Aufschluß geben über die Art und Weise der Begehung der Straftaten sowie deren Vorbereitung, über die Kommunikationswege der Gruppenmitglieder untereinander, die Konzeption der terroristischen Vereinigung und die Einbindung des Beschuldigten in die Führungsstrukturen der “Autonomen Gruppen” ...
Ihr militanter Widerstand wendet sich nicht allein gegen die CASTOR-Transporte, sondern steht in einem viel größeren Zusammenhang, nämlich dem Kampf gegen den Staat. ...
Der Beschuldigte ... steht nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen im Verdacht, sich insbesondere am Versand der Selbstbezichtigungsschreiben zu der Anschlagsserie vom 7. Okt. 1996 beteiligt zu haben. Der Verdacht wird bestärkt durch den während der Durchsuchung am 6. Juli 1999 im Zimmer des Beschuldigten ... in einem Stahlschrank aufgefundenen vollständigen Block von zehn Postwertzeichen zu je 1,00 DM mit dem Motiv “Luise Henriette von Oranien”. Briefmarken der gleichen Art fanden sich auf dem bei den Presseagenturen “ADN” und “AP” in Magdeburg eingegangenen Selbstbezichtigungsschreiben, dem “Kommunique autonomer Gruppen”. Nach Auskunft der Post AG wurden Briefmarken mit diesem Motiv nur bis Oktober 1997 verkauft. <<
In einem Beschlagnahmebeschluß gegen den Einspruch eines Anwalts wird die Herausgabe einer Haarbürste von einem Richter am BGH wie folgt abgelehnt:
>> Ob es im Hinblick auf die Beweissicherung sachgerecht erscheint, das Asservat Nr. 1.4.9.3.1 (=Haarbürste) nach evtl. Entfernung der Haare herauszugeben, bedarf noch der näheren Prüfung. Im Interesse einer möglichst weitgehenden Sachaufklärung kann dem Beschuldigten zugemutet werden, eine Haarbürste bei seinen Mitbewohnern vorübergehend zu entleihen, bzw. eine neue Bürste zu erwerben, damit sein individuelles, schutzwürdiges Interesse an einer geordneten Haartracht befriedet werden kann. <<
Die Ermittlungsakten umfassen eine ungeheuere Menge Papier. Schätzungsweise an die 100 Aktenordner mit an die 25.000 Seiten (läßt sich so genau noch nicht sagen, da sich manches überschneidet). Dennoch ist uns nur ein Bruchteil der Akten zugänglich gemacht worden. So sollen z.B. die Mitschnitte von Lauschangriffen nach der Einstellung des Verfahrens zu unserem eigenen Schutz (Datenschutz!) vernichtet worden sein (s. unten). Wir waren bisher noch nicht in der Lage, das ganze Material vernünftig zu sichten.
zum weiteren Ablauf
Von
dem beschlagnahmten Material ist bisher fast allen alles
zurückgegeben worden - außer das, das für das
Krümmel-Verfahren weiter benutzt werden soll. Einige aus dem
Krümmel-Verfahren haben noch fast nicht zurückbekommen.
In Berlin wurde im März 2000 ein Schließfach bei einer Bank durchsucht. Auf das Schließfach kamen sie über beschlagnahmte Kontoauszüge. Der Inhalt bestand aus geerbtem Familienschmuck.
Mitte
2000 wurde 6 von 7 BewohnerInnen einer Kreuzberger WG - in der
mehrere Beschuldigte und Betroffene leben - vom LKA mitgeteilt, daß
gegen sie ein neues Ermittlungsverfahren nach § 129a -
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - eingeleitet
worden ist.
Die WG wurde beschuldigt, an der Herstellung der
letzten Ausgabe der Zeitschrift "radikal" Nr. 153 (oder
156) beteiligt gewesen zu sein. Dabei soll die WG "arbeitsteilig
zusammenwirkend und in gegenseitigem Wissen und Wollen" (so die
Ermittlungsrichter) für die Erstellung der "radikal"
verantwortlich sein.
Als Beweis führt die BAW Dateien auf
einem in der WG beheimateten PC - der auch beschlagnahmt war -
auf.
Aus den Untersuchungen des BKA soll hervorgehen, daß
auf der Festplatte zwei Artikel der "Radikal" Nr. 156
"Gedanken zum Krieg gegen Jugoslawien" und "Militant
ins nächste Jahrtausend! Anleitung für einen Brandsatz als
militantes Mittel" abgespeichert und darauf bearbeitet worden
sind.
Da das Haus videoüberwacht und das Telefon abgehört
wurde meint das BKA zu wissen, wer sich zum fraglichen Zeitpunkt,
als an den Artikeln gearbeitet worden sein sollte, in der Wohnung
aufhielt. Einer der sieben BewohnerInnen der WG war die ganze
Zeit nicht anwesend. Dieser war dann einer von zwei Zeugen, die in
dem neuen "Radikal"-Verfahren als erste vernommen werden
sollten.
Die Word8 Dateien aus dem Verzeichnis
c:\windows\temp waren mit einem sechs Monate zurückliegenden
Datum versehen gewesen. Der PC-Besitzer war zum Zeitpunkt der
Dateierstellung nicht anwesend gewesen. Auch keinem anderen Anwohner
konnte die Erstellung der Dateien nachgewiesen werden. Zu guter
Letzt mußte auch das BKA einräumen, das auch das Datum
hätte manipuliert sein können. Damit brach die
Beweislast zusammen. Somit wurde aus der "Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung" - gemeint ist damit die
Radikal-Redaktion - eine weitere Verfahrenseinstellung.
Der
zweite Zeuge wohnt auch in Berlin. Er wurde im Zusammenhang mit
Unterlagen gebracht, die der "Radikal" zugeordnet werden
und die das BKA bei der Durchsuchungswelle im Rahmen der
Hakenkrallenermittlungen in einem anderen Projekt in Berlin gefunden
hat.
Ebenfalls aus den Ermittlungsakten geht hervor, daß
eine "Beschuldigte einem Personenkreis zugerechnet wurde,
der für die finanzielle Koordination der linksextremistischen
Szene in Berlin verantwortlich ist." Diese Aussage sowie
die Behauptung, daß die gleiche Beschuldigte "sowohl an
der Herstellung der bis zum Jahr 1984 offen erstellten RADIKAL als
auch in der Folgezeit an der verdeckt erstellten RADIKAL beteiligt
war", stammen vermutlich von dem im Verfahren gegen die RZ
(REVOLUTIONÄRE ZELLEN) verhafteten Kronzeugen Tarek Mousli.
Bei
der Durchsuchung des Hauses, in dem die MAUS sich befindet, waren in
einem Zimmer 3 Tabakdosen mit angeblich "Cannabiskraut mit
unbekannten Wirkstoffen" (4,65g, 44,15g, 5,03g) gefunden
worden. Als BenutzerInnen dieses Zimmer wurden zwei Personen
festgelegt. Diese erhielten Strafbefehle von 30 Tagessätzen
a DM 30. - und von 30 Tagessätzen a DM 40.- plus der Kosten
des Verfahrens. Nachdem sie Einspruch gegen den Strafbefehl
eingelegt hatten, wurden beide für den 5. Sept. 2000 zu einer
Gerichtsverhandlung vor das Amtsgericht Bremen "wegen
Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz"
vorgeladen.
Das Verfahren wurde eingestellt. Die
AnwätInnenkosten liegen in Höhe der Strafbefehle.
Am 6. 6. 2000 wurde der MAUS mitgeteilt, daß das Verfahren wegen "Subventionsbetrug" gegen sie eingestellt worden ist - und das ohne weitere Begründung. Die Akteneinsicht hat keinen Aufschluß über Absicht und Ablauf des Verfahrens geliefert.
Gegen
einen Beschuldigten aus Hamburg wurde ein neues Ermittlungsverfahren
wegen Verdacht der Unterstützung einer kriminellen
Vereinigung “Radikal-Redaktion” (§129 Abs. 1
StGB) eröffnet. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft
wurden anläßlich der Durchsuchung seiner Wohnung und
seines Arbeitsplatzes im Rahmen der Goldenen Hakenkrallen
Ermittlungen u.a. Disketten beschlagnahmt. Auf zwei der
Disketten sollen sich gelöschte Dateien befunden haben, die das
BKA angeblich wiederhergestellt hat. Die Staatsanwaltschaft dazu:
»Die Auswertung des Inhalts dieser Dateien und der
sichergestellten Aufzeichnungen begründet einen Anfangsverdacht
dahin, daß der Beschuldigte zu einem nicht näher
bekannten Zeitpunkt im August 1995 die für die Herausgabe der
Druckschrift “radikal” verantwortliche Organisation -
eine kriminelle Vereinigung gem. § 129 Abs. 1 StGB –
unterstützt hat, indem er einer zu dieser Organisation
gehörenden abgetauchten Person, deren Identität bislang
nicht bekannt ist, zunächst Unterschlupf gewährt und ihr
bei einer anschließenden Flucht in die Niederlande Hilfe
geleistet sowie bei der Verteilung der inkriminierten
Druckschrift geholfen hat. «
Da die Tat nahezu 4,5
Jahre zurücklag, das Verfahren gegen die Radikal-Angeklagten
gegen Zahlung von Geldbußen eingestellt war und weiter
Ermittlungen wenig erfolgversprechend erschienen, wurde das
Ermittlungsverfahren am 23. 02. 2000 eingestellt.
Der Opferperspektive Brandenburg, die Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt, war versucht worden mit dem Argument Verbindung zu Terroristen zu haben - gemeint sind AtomkraftgegenerInnen - den Geldhahn zuzudrehen. Die Opferperspektive erhielt Gelder aus dem brandenburger Staatshaushalt, wogegen nicht nur die CDU polemisierte. Nach der Durchsuchung vom Juli 1999 waren die Geldmittel eingefroren worden und einem atomkritischen Mitglied wurde öffentliches Redeverbot erteilt. Nach den Nazi-Angriffen auf Synagogen und dem darauffolgenden "Aufstand der Anständigen" gelang es der Opferperspektive neue Gelder aufzutun. Sie arbeitet somit nicht nur wieder voll weiter, sondern nun auch unabhängiger vom CDU-Innenminister Brandenburgs.
Im
Februar 2001 wurde ein weiteres Haus im Wendland durchsucht.
Der betroffenen Person wird gefährlicher Eingriff in den
Bahnverkehr vorgeworfen (§315 Abs.1 Nr. 1 StGB). Sie soll
daran beteiligt gewesen sein, die Gleise, die zum AKW-Krümmel
führen, an 4 benachbarte Stellen durchgetrennt zu haben,
angeblich, um das Aktionswochenende (19. – 21. Sept. 1997) am
AKW-Krümmel vorzubereiten. In dieser Sache wurde bisher gegen
vier Personen ermittelt (s. o.). Drei Beschuldigte sollten auch als
Führungskader “Autonomer Gruppen” (Goldene
Hakenkralle) und als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung,
zwei nicht als Führungskader beteiligt gewesen sein. Nach
weiteren wird anscheinend noch gefahndet.
Die im
Hakenkrallen-Verfahren beschlagnahmte Gegenstände werden auf
Antrag der BAW jetzt auch im Krümmel-Verfahren verwendet.
Die
neuerliche Hausdurchsuchung wurde angeblich durch die Auswertung von
bei der ersten Durchsuchungswelle (06.07.99) sichergestellten
“Beweismittel” und aus “Erkenntnissen” der
Telefonüberwachung angeordnet.
Inzwischen ist das
Krümmel-Verfahren an das Oberlandesgericht Lübeck
abgegeben worden.
Die
Ermittlungen gegen das AOK in Berlin:
Besonders interessant
in dem Ermittlungsverfahren “Goldene Hakenkralle” für
die Staatsschützer schien das ehemalige Berliner
Anti-Olympia-Komitee (AOK) zu sein. Hier vermutete die
Bundesanwaltschaft (BAW) und das BKA die Berliner “Kader
der Autonomen Gruppen”, die für zwei Anschlagsserien auf
die Deutsche Bahn (s. BekennerInnenschreiben vom Oktober 1996 und
Februar 1997) mit verantwortlich sein sollen.
Der VS erstellte
offenbar 1995/96 über das AOK eine umfangreiche bis heute
geheimgehaltene Expertise. Daraus ist bisher nur ein kurzer Satz
bekannt geworden. Das “AOK ist eine terroristische
Vereinigung”.
Das ist zumindest ungewöhnlich, da das
AOK eine öffentlich arbeitende Gruppe war. Das AOK arbeitete
seit 1991 gegen die Bewerbung Berlins für die Olympiade 2000
und trug wohl mit dazu bei, daß Berlin im September 1993 mit
nur 9 Stimmen weit abgeschlagen bei dem IOC durchfiel. Das AOK
arbeitete nach dem Olympiadesaster für den Berliner Senat vor
allem auf dem Sektor des Anti-Militarismus weiter und mobilisierte
zusammen z.B. auch mit linken Abgeordneten der Grünen und der
PDS gegen die Bundeswehraufmärsche in der neuen Hauptstadt. Da
sich das AOK nie von militanten Aktionen gegen die Olympiasponsoren
distanzierte, sondern Sachbeschädigungen als einen
“integralen Bestandteil des Widerstandes” einstufte - so
formulierte es einmal ein AOK-Mitglied auf einer Pressekonferenz -,
geriet es wohl in das Fadenkreuz der Staatsschützer oder auch
durch Aufrufe und Mobilisierungen zur revolutionären 1.
Mai-Demonstration.
Hier
eine kleine Auswahl der Palette der Observationsangriffe:
-
Es wurden von 1997-2000 alle wichtigen überregionalen Treffen
der Anti-AKW-Bewegung (Göttingen, Erfurt, Marburg, Heidelberg,
Berlin) observiert, alle Autokennzeichen aufgeschrieben und die
Anwesenheit bestimmter Personen festgestellt.
- Telefone von
sämtlichen Beschuldigten und deren Freundeskreis wurden
abgehört (und das teilweise kontinuierlich über 3
Jahre!). Der Personenkreis, gegen den der Staatschutz ermittelt,
umfasst die dem VS und BKA bekannten Mitglieder des Berliner
Atomplenums, des AOK und der Dahlenburger Anti-CASTOR-Gruppe sowie
Personen aus Berlin, Hamburg, Bremen und dem Wendland.
-
Unterhaltungen von Beschuldigten in Kneipen wurden mitgeschnitten,
Fotos wurden gemacht.
- Der VS drang in das Berliner ‚Haus
der Demokratie’ ein, um sich von dem Kopierer des
“Anti-Atom-Plenums” Vergleichskopien zu beschaffen.
-
Privatautos wurden mit Peilsendern und Abhöranlagen versehen.
In Berlin mindestens in drei Fällen - bis zu neun Monaten -, im
Landkreis Lünenburg mindestens in einem Fall.
-Die Zahl der
abgehörten Telefongespräche kann nur geschätzt
werden. In einer Kreuzberger WG wohnen vier Beschuldigte und drei
sogenannte “Betroffene”. Allein in dieser WG werden pro
Jahr mehr als 5000 Telefonate geführt. In den abgehörten
Betrieben waren nicht nur die Beschuldigten sondern alle
MitarbeiterInnen davon betroffen. Die Anzahl der gesamt abgehörten
Telefonate wird weit über 100.000 liegen.
Vorsichtigen
Schätzungen zufolge umfasst der betroffene Personenkreis, ohne
daß irgendjemand in Kenntnis gesetzt worden ist, weit über
2000 Menschen
- Ein Hauseingang in Berlin/Kreuzberg wurde mindestens
sechs Monate videoüberwacht.
- Ein Fußballspiel
zwischen Autonomen und ehemaligen Tupamaros in Montevideo und ihr
Aufenthalt in Uruguay wurde observiert.
- Personen mit
Handys wurden abgehört und geortet.
- Schriftgutachten und
linguistische Gutachten einzelner Beschuldigter wurden angefertigt
und Textvergleiche zwischen BekennerInnenschreiben und
veröffentlichten Texten durchgeführt.
Über
Textidentitäten wurden dann neue Ermittlungsverfahren eröffnet.
Z.B. im Fall eines Anschlags auf das Luftwaffenmuseum in
Berlin-Gartow (während des Kosovokrieges) oder im Fall eines
Anschlages auf eine Telefonleitung während des Kölner
EU-Wirtschaftsgipfels (1999, es wurden mehr als 200.000 Telefone
lahmgelegt).
Bis
Ende 2001 wurden fast 50 Vorladungen zum BKA bzw. zur BAW
ausgesprochen. Insbesondere haben sie sich hierbei auf zwei
Beschuldigte aus dem Landkreis Lüneburg konzentriert. Beim
CASTOR-Transport im März kreiste tagelang ein BGS-Hubschrauber
über ihr Anwesen. Aus ihrem Bekanntenkreis wurden
mittlerweile 14 Personen vorgeladen. Dabei scheinen sich hier die
Ermittlungen auf die Krümmel-Schienen-Sägeaktion (s. oben)
zu konzentrieren. Vereinzelt ist es zu Vernehmungen gekommen, ohne
daß – unserer Einschätzung nach - dabei aber
Substanzielles heraussprang.
Wie im Zusammenhang mit dem laufenden Berliner RZ-Prozess und jetzt auch aus den Akten bekannt wurde, ist der Kronzeuge Tarek Mousli auch über seine Kenntnisse zur “Goldenen Hakenkralle” vernommen worden. Offenbar konnte er dazu aber nichts Konkretes sagen, außer daß einzelne Beschuldigte Kenntnisse im Sprengen von Strommasten haben sollen und daß zwei Beschuldigte Mitglied eines Berliner Koordinierungsausschusses gewesen sein sollen.
Wie erklären wir uns diesen immensen Aufwand des Staatsschutzes?
nach den Hausdurchsuchungen sagten wir dazu und sehen uns heute darin bestätigt:
Einerseits
steht diese Staatsschutzaktion für uns in ganz konkretem
Zusammenhang mit den Energiekonsens zwischen Regierung und
Atomindustrie.
Im Zusammenhang mit der Errichtung von
Zwischenlagern auf dem Gelände von Atomanlagen, oder im
Zusammenhang mit dem Ausbau – der Vervierfachung ihrer
Kapazität - der Urananreicherungsanlage in Gronau, oder
mit der endgültigen Genehmigung der
Pilot-Konditionierungs-Anlage (PKA) im Wendland, oder mit der
beabsichtigten Inbetriebnahme von Schacht Konrad, oder mit dem Bau
des Fusionsreaktors in Greifswald, oder der Inbetriebnahme des
Forschungsreaktors (FRM) in Garching, oder mit der Tatsache, daß
unverändert 19 Atomreaktoren am Netz sind, daß fast
täglich Atomtransporte durch die BRD rollen, daß
Atomstrom importiert und Atomtechnologie exportiert wird, oder ...
soll der Widerstand dagegen kriminalisiert, eingeschüchtert,
in sog. “Friedliche” und sog. “Gewalttätige”
gespalten und dadurch geschwächt werden.
Das ist ja
eigentlich nichts Neues, aber es bekommt doch gerade jetzt eine
besondere Bedeutung: Weil sich die Grünen und die SPD von ihrer
Kritik an der Atomtechnologie – und daraus haben sie lange
politisch Kapital geschlagen -mit der Übernahme der
Regierungsmacht immer stärker zu den Garanten der Atomindustrie
entwickelt haben. Und sie versuchen sich jetzt hinter der Maske
eines Biedermannes – “wir tun ja unser Bestes, wir
können nicht anders, wir brauchen eure Unterstützung”
- zu verstecken und Sachzwänge zur Rechtfertigung ihres
Vorgehens vorzuschieben. Sie versuchen zu suggerieren, daß
jedeR die/der eine kritische Haltung gegen sie einnimmt, sich gegen
den "Ausstieg" stellt.
Andererseits
sind die Aktionen ein Beispiel dafür, daß praktisch sogar
mit einfachen Haushaltsmitteln ein komplexes technisches System
– wichtige Nervenstränge für das Funktionieren
dieser Gesellschaft - lahmgelegt werden kann und bisher niemand
festgenommen werden konnte.
Das zeigt, daß Leute in der
Lage und auch bereit sind, sich zu organisieren, daß
entschlossene Opposition, die die Probleme an der Wurzel packt,
auch heute noch möglich ist. Und das könnte ja auch
vielleicht anderen Hoffnung und Mut machen.
Und:
Seit
der Auflösung des Ostblocks und der Auflösungserklärungen
von RAF und RZ existiert ja ein ungeheures Potential an verbeamteten
GeheimdienstlerInnen und an Technik und Strukturen. Die müssen
ihre Existenzberechtigung ständig unter Beweis stellen.
und
sicher nicht zuletzt:
Der Apparat versucht, scheinbar unbeirrt,
seine Arbeit mit dem Auftrag zu verrichten, jede grundsätzliche
Opposition "kalt zu stellen".
Beispiele aus der
letzten Zeit sind die Ermittlungen und Verfahren gegen die
Zeitschrift “Radikal”, gegen die Gruppe “Autonome
Antifa-M in Göttingen, die Zeitschrift “Interim”,
die antifaschistische Aktion Passau, gegen AKW-GegnerInnen und
gegen angeblich frühere Mitglieder der RZ (Revolutionäre
Zellen).
Schlußbemerkungen
Den Beschuldigten ist mitgeteilt worden, daß ein nicht unerheblicher Teil der Akten, z.B. alle abgehörten Gespräche vernichtet wurden - ebenso wie die Akten über die sonstige Personenüberwachung. Angeblich zum Schutz ("Datenschutz!") der Beschuldigten. Damit wurde Beweismaterial über eventuell illegale Abhörpraktiken der verschiedenen Statsschutzorgane vernichtet. Und da sich ja herausgestellt hat, daß die Beschuldigten "unschuldig" sind, hätten sie auch keine AnwältInnen hinzuziehen müssen - das heißt, die Anwaltskosten werden nicht von der Staatskasse getragen.
Obwohl das Verfahren gegen das AOK mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes begann, finden sich nur wenige Hinweise darüber in den Akten. Schließlich sollen wohl nicht unnötig irgendwelche Quellen offengelegt werden.
VS und BKA haben offenbar gut zusammengespielt, sich gegenseitig mit Infos versorgt; getreu der Devise "legal-illegal-scheißegal" alle möglichen Quellen angezapft. Doch nicht zu vergessen ist die Verletzung der Persönlichkeitsrechte tausender Beteiligter, der nicht unerhebliche materielle Schaden für einige Projekte und Beschuldigte. Und nicht zuletzt: Wieder einmal gelang es der Justiz mithilfe des Ermittlungsparagraphen 129 a linke und linksradikale Strukturen zu durchleuchten und zu nerven.
Wir wollen noch besonders darauf hinweisen, u.a. beim Telefonieren doch große Sorgfalt walten zu lassen. Als Oppositionelle(r) in diesem Land muß mensch damit rechnen, daß diverse Überwachungsbeamte mithören. Und daß diese einem nichts Gutes wollen, dürfte auf der Hand liegen. Besonders betrifft das Handys, denn neben der Tatsache, daß diese abgehört werden, wie jedes andere Telefon auch, können diese der aktuellen Ortung und möglicherweise der Identifizierung der Telefonierenden dienen.
Wenn wir hier über die Repressionstechniken von BKA und anderen Staatsschutzbehörden so ausführlich berichtet haben, dann nicht mit der Absicht, Angst und Horror zu verbreiten und Leute einzuschüchtern. Sondern wir verstehen unseren Beitrag als Aufforderung, die Bedingungen unter denen wir uns bewegen genau zu studieren. Je besser wir diese Bedingungen kennen, um so sicherer werden wir uns bewegen können - immer auch mit dem Wissen: »wer sich bewegt, hinterläßt auch Spuren!«
Die Gewißheit alleine: »wir sind moralisch im Recht« und daraus die Folgerung: »deshalb darf uns nichts geschehen!« wird uns erfahrungsgemäß nicht vor politischer und polizeilicher Verfolgung schützen.
Die Beschuldigten in diesem Verfahren und die UnterstützerInnen haben diesen Angriff offensiv zurückgewiesen:
es gab einen offenen Brief, der Verfahren und Hintergründe darstellte und den Angriff zurückwies und hinter den sich sehr viele verschiedenste Menschen, Gruppen, Organisationen gestellt haben,
es gab ein Theaterstück »die Franz Meiser Show«, das bei verschiedenen Treffen aufgeführt wurde und großen Anklang fand,
eine Solidaritätsgruppe hat eine etwa 3 m große Goldene Hakenkralle gebaut, die als WanderbotschafterIn durch die BRD tourte,
es gab eine Ausstellung »rund um die Hakenkralle, zum Widerstand und zur Solidarität«,
es gab zahlreiche Veranstaltungen.
Aber, auch wenn vielleicht manches in dem Verfahren konstruiert und lächerlich erscheinen mag, sollten wir diesen Angriff nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Wir haben schon ein sehr ernsthaftes Anliegen und das richtet sich gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, und genau das wissen auch die, die uns jetzt angreifen.
Denn es geht uns nicht nur darum, die Atomtechnologie zu stoppen – und zu glauben, danach ist alles in Ordnung – sondern es geht uns um eine Gesellschaft, in der u.a. diese menschenverachtende Technologie keinen Platz hat.
Die Atomtechnologie ist nicht ein Fehler, sondern konsequenter Ausdruck dieser herrschenden Verhältnisse. Verhältnisse, in denen die Profitinteressen der Konzerne über die Lebensinteressen der Menschen gestellt werden, in denen Menschen zunehmend nach ihrer Verwertbarkeit kategorisiert und selektiert werden.
Solidaritätsgruppe Goldene Hakenkralle
(weitere Informationen s. WWW.MAUS.Bremen.de (Goldene Hakenkralle))
(Spenden-Kto. f. Anwaltskosten: Rote Hilfe/Stichwort:"Ehrenwort"/Kto. Nr.: 718 9590 600/Berliner Bank/BLZ 10020000)
(Label: Goldene Kralle, Dateiname: GH-Bilanz-250703, überarbeitet: 10.09.03)
1 Aus einer Vorladung zur Entnahme einer Speichelprobe - oder im Falle der Weigerung, zur Entnahme einer Blutprobe: >> Am 8.9.1998 ist in der BRD das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in Kraft getreten. Durch §1 dieses Gesetzes ist die Strafprozeßordnung um einen Paragraphen § 81g StPO ergänzt worden: Die Vorschrift erlaubt Abnahme und Speicherung eines sog."genetischen Fingerabdrucks" bei Personen, die einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls im besonderen schweren Fall oder der Erpressung verdächtig sind. Voraussetzung dafür ist, daß wegen der Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut Straftaten wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind.
Diese Regelung findet gem. § 2 des DNA-Identifizierungsgesetzes auch Anwendung auf bereits verurteilte Personen, solange der Eintrag ihrer Verurteilungen im Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist. <<
Nach einer Meldung der Hamburger Morgenpost vom 6. Mai 2000 waren davon bis dahin alleine in Hamburg 22 000 Menschen betroffen.
2 Unsere bisherigen - sicher sehr unvollständigen - Recherchen haben ergeben:
Zwischen Sept. 1994 bis Juni 2000 haben wir 118 Anschläge gezählt: davon 19 im Jahr 1994 an 11 verschiedenen Orten, 31 im Jahr 1995 an 21 verschiedenen Orten, 39 im Jahr 1996 an 27 verschiedenen Orten, 27 im Jahr 1997 an 18 verschiedenen Orten, 3 im Juni 2000 an 3 verschiedenen Orten als Protest gegen die Weltausstellung in Hannover.
3 Die Generalbundesanwaltschaft darf in diesem Fall nur wegen § 129a ermitteln. Das hätte aber die Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen der MAUS nicht gerechtfertigt. Deshalb das Hinzuziehen der Bremer Staatsanwaltschaft erst im Verlauf der Durchsuchung mit der Konstruktion eines neuen Vorwurfs. Die Bremer Staatsanwaltschaft gab sich darüber selbst erstaunt, schien gar nicht zu wissen, wie mit der Situation umgehen und wartete wohl auf neue Anweisungen von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe.
4 Zum § 129a und zu Erfahrungen damit s.: "Aufruhr, Widerstand gegen Repression und § 129a", ID-Archiv, Amsterdam, 1991.