Bremen, 16 Juli 2003
Presseerklärung

§129aVerfahren gegen AtomkraftgegnerInnen eingestellt!

Sämtliche Ermittlungsverfahren nach §129a, in deren Verlauf umfangreiche Observationen und bundesweit Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, sind sang- und klanglos eingestellt worden.

Seit 1996 hatte die Bundesanwaltschaft im sogenannten Hakenkrallenverfahren gegen AtomkraftgegnerInnen aus Berlin, Bremen, Hamburg und dem Wendland nach §129a ermittelt.
Als Anlaß nahm die BAW, daß 1996 und 97 unbekannte AKW-GegnerInnen gleichzeitig an verschiedenen Orten durch Hakenkrallen an den Oberleitungen den Bahnverkehr störten. In einem "Kommunique autonomer Gruppen" zu diesen Aktionen. hieß es: "Ziel der Anschläge war es, die Deutsche Bahn AG unter Druck zu setzen, um die CASTOR-Transporte auf dem Schienennetz einzustellen."
Nach der Logik des Staatsschutzes wurde fortan gegen einige sog. Repräsentanten der Anti-AKW-Bewegung als hierfür Verantwortliche ermittelt.

Im Rahmen der Ermittlungen nach §129a ("Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung") führten die Fahnder umfangreiche Observationen und Telefonüberwachungen durch. Am 6.7.99 wurden 12 Örtlichkeiten vom Bundeskriminalamt (BKA) durchsucht, dabei waren neun StaatsanwältInnen, über 100 BKA-BeamtInnen und weitere 200 PolizistInnen der Länder beteiligt. Die Durchsuchungen begannen zeitgleich und dauerten bis zu 13 Stunden. Die Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt, teilweise wurden ihnen zusätzlich Speichelproben entnommen. Auch wurden z.B. Haarbürsten mitgenommen, um einen genetischen Fingerabdruck erstellen zu können.

Zu den Beschuldigten gehörte in Bremen ein Mitarbeiter der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.). Seine Wohnung in Hamburg, sein Arbeitsplatz, die Räume der Meßstelle, sowie die Räume aller HausbewohnerInnen und einer Kunstgalerie wurden durchsucht. Geschäfts- und Arbeitsunterlagen der MAUS wurden in großem Ausmaß beschlagnahmt.
Gegen die MAUS e.V. wurde im Rahmen der Durchsuchungen ein Ermittlungsverfahren wegen "Anfangsverdacht des Betruges durch unzweckmäßig verwendete Fördergelder" nachgeschoben (aus Anlage zum Durchsuchungsprotokoll des Bundeskriminalamtes vom 6.7.99). Da es einen solchen Straftatsbestand gar nicht gibt, wurde dieser Vorwurf später in "Subventionsbetrug u. a." (Schreiben der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.7.99) umgeändert.
Daß dieser Vorwurf ausschließlich politisch motiviert war, zeigt sich auch daran, daß die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens und die Beschlagnahme der Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft Bremen allein auf Anordnung der mit der Durchsuchung beauftragten Staatsanwältin der General-bundesanwaltschaft erfolgte. Wohl auch, um alle Unterlagen in Ruhe sichten zu können. Dies geschah sicher nicht zufällig:
Die MAUS gehört seit ihrer Gründung vor 19 Jahren zu den entschiedenen KritikerInnen von Atomtechnologie und deren Verwertung im militärisch-wirtschaftlichen Sektor. Dies hat sich niedergeschlagen in diversen Veröffentlichungen und Durchführungen von Seminaren zu diesem Thema, in der Beteiligung in unzähligen Veranstaltungen, Kundgebungen, Demonstrationen, in GutachterInnentätigkeit und wissenschaftlicher Beratung.
Nicht zuletzt hat die MAUS auch die Kampagne gegen Atomtransporte durch Bremen und Bremerhaven - bei der sich 12 Bremer Stadtteilbeiräte gegen die Atom-Transporte ausgesprochen haben - wissenschaftlich begleitet und politisch unterstützt. Diese Kampagne bekam durch den späteren "CASTOR-Skandal" 1998 eine zusätzliche Bestätigung.

Die MAUS sah sich in Folge der Durchsuchungen und Ermittlungen vom 6.7.99 mit einer Situation konfrontiert, die durch politische Repression, staatsanwaltliche Ermittlung und unhaltbaren Anschuldigungen geprägt war. Es schien nicht unbeabsichtigt, inhaltliche und politische Kontrolle, sowie Disziplinierung eines kritisch arbeitenden Umweltvereins über die Erzeugung ökonomischen Drucks auszuüben.

Am 6. 6. 2000 hat die MAUS erfahren, daß das Verfahren wegen "Subventionsbetrug u. a." gegen sie eingestellt worden ist - das ohne weitere Begründung. Die Akteneinsicht hat keinen Aufschluß über die genauen Gründe des Ermittlungsverfahrens und der Beschlagnahmungen gebracht.
Dennoch waren wichtige Akten aus der Verwaltung, Archiv und aus laufenden Projekten über ein Jahr der MAUS nicht zugängig. Dadurch hat die MAUS ihre Arbeiten in einem beträchtlichen Umfang nicht wahrnehmen können. Die Streichung der öffentlichen Gelder und Projektmittel ist nicht rückgängig gemacht worden.
Festzuhalten bleibt, daß die MAUS seitdem z.B. keine Projektmittel vom Senator für Umwelt mehr erhalten hat. Sie musste alle Beschäftigten entlassen und kann auch nicht mehr die Bearbeitung spezieller Aufgaben durch Werkverträge absichern.
Die MAUS arbeitet zur Zeit weiterhin sehr eingeschränkt. Sie ist ausschließlich auf ehrenamtliche Mitarbeit und Spenden angewiesen.

Nach 5 Jahren Ermittlungstätigkeit haben die ehemals Beschuldigten nun Einblick in ihre Akten. Das Aktenmaterial beläuft sich auf Dutzende von Leitz-Ordnern und weit über 10.000 Ermittlungsseiten. Das wenige, was aus den Akten konkret hervorgeht, sind Belege für die wohl größte Überwachungsmaßnahme gegen die bundesdeutsche Anti-Akw-Bewegung.
Das Tätigkeitsfeld des BKA reicht über jahrelanges Telefonabhören gegen einzelne Beschuldigte oder Wohngemeinschaften, direkte Observation auch von Kongressen, Treffen, Veranstaltungen bis hin zum direkten Lauschangriff.
Es hat sich wieder einmal gezeigt, daß der § 129a von den Staatsschutzbehörden im wesentlichen als Ermittlungsparagraph genutzt wird, mit dem die Überwachung und Ausforschung oppositioneller Gruppen und Bewegungen oder kritischer Personen und ihres Umfeldes legitimiert wird.
Die Durchsuchungen und Anklagen nach §129a wurden auch immer als Drohgebärde und Einschüchterungsversuch gegenüber der gesamten Anti-Atom-Bewegung verstanden.
Daß dies nicht aufgegangen ist, zeigen die anhaltenden massiven Proteste gegen die Atomtransporte und gegen das Atomenergie- und -Waffenprogramm.


Der Vorstand

 

 

 

 


 

§129 a
Geheimdienste auf der Jagd nach den Gefühlen von autonomen Führungskadern


Mehr als 7 Jahre basteln Verfassungsschutz und BKA sich eine terroristische Vereinigung. Der Terror-Kürbis, die Goldene Hakenkralle, und die Maus

Im Juni 1999 traten die Herrn des Morgengrauens an 12 Örtlichkeiten in Berlin, Hamburg, Bremen, Lüneburg und im Wendland zum Teil mit MP's bewaffnet die Türen ein und holten 12 Beschuldigte nebst deren Angehörigen aus den Betten. Der Generalbundesanwalt war der Meinung, die Führungskader der Autonomen Gruppen ermittelt zu haben, die sich 1996 und 1997 im Zusammenhang mit Castor-Transporten zu Anschlägen auf Oberleitungen der Deutschen Bahn bekannt hatten.
Dieses Verfahren wurde nun im April 2003 eingestellt, ein Gutteil der Ermittlungsakten vernichtet.


Telefonabhörorgie

Begonnen hatten die Ermittlungen laut Aktenlage im Jahr 1996 mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, der Telefone von AtomkraftgegnerInnen und Mitgliedern des Berliner Anti-Olympia-Komitees abhören lies.
Im Januar 1997 wurde dann das BKA aktiv und richtete eine spezielle Ermittlungsgruppe "AG Energie" ein. Nachdem der VS eine Spezialstudie über die "terroristische Vereinigung AOK" dem BKA aushändigte, wurde die Bundesanwaltschaft alarmiert und diese holte sich bei einem Richter am Bundesgerichtshof einen Beschluss, um die bisher illegal eingesetzten Waffen der Observation zu legalisieren.
Jetzt kam nahezu das gesamte Arsenal verdeckter Ermittlungen zum Einsatz: Telefonabhören, Privatautos von Verdächtigen mit Peilsendern und Abhöranlagen versehen, Wohnungseingänge monatelang per Kamera überwachen, Beschuldigte und deren Freundeskreis mit einem Riesenaufgebot der Herrn mit Hut observieren. Die "AG Energie" beim BKA setzte einen Riesenstab in Bewegung. Sie ließen Anfragen bei Finanzämtern über die Vermögenslage durchführen, suchten Arbeitsämter auf, tauchten bei den Vorgesetzen auf der Arbeitsstelle auf usw. Die Reisetätigkeit der Hauptbeschuldigten wurde bis in die graue DDR-Grenzübertrittsvorzeit zurückverfolgt. Auslandsreisen wie eine nach Uruguay zu den Tupamaros wurden von den Schnüfflern aus Köln und Wiesbaden begleitet und Berichte an uruguayische Boulevardblätter lanciert.
Neben der direkten Observation gab es im wesentlichen zwei weitere Informationsquellen. Abgehörte Telefongespräche und Textvergleiche von Anschlagserklärungen mit veröffentlichten Texten des Berliner AOK und des Anti-Atomplenums in Berlin und einzelner Beschuldigter.
Nach den Durchsuchungen 1999 kamen dann noch die zahlreichen Computerdateien hinzu. Hier fanden die Berufsschnüffler zahlreiche ‚gefährliche Texte' aus der umfangreichen Schreibtätigkeit einiger Berliner Autonome. Die Themenpalette der für die Bullen "erkenntnisrelevanten" Dateien reichte von Flugblattentwürfen zum Castortransport über Redeentwürfe zum Jugoslawienkrieg bis hin längeren Abhandlungen über die Globalisierung. Unzählige Male tauchen in den Akten Schriftgutachten und -vergleiche der beschlagnahmten Textdateien mit Anschlagserklärungen nicht nur zu Hakenkrallenanschlägen sondern auch zu völlig anderen Aktionen von Autonomen gegen den Kosovokrieg oder gegen den Kölner EU-Gipfel auf. Häufig waren die inkriminierten Textdateien in irgendwelchen Szenezeitschriften veröffentlicht worden, bevor dann das Bekennerschreiben verfasst wurde. Wie in der Schule schreiben offenbar auch Autonome gerne voneinander ab ... .

Mittels der 1997 richterlich legalisierten Telefonüberwachung wurde der Kreis der Verdächtigen schnell ausgeweitet. Der Generalbundesanwalt dehnte seine Ermittlungen auf 100 Personen aus der autonomen Szene der BRD aus.
So geriet eine WG aus einem brandenburgischen Städtchen in den Verdacht der "brandenburgische Arm des AOK" zu sein. Die jungen Männer sollen in der Phantasie der Herrn aus Wiesbaden verantwortlich sein für mehrere Anschläge auf Strommasten. Aus jetzt zugänglichen Akten geht hervor, dass die Berufsschnüffler wohl was verwechselten. Aus einer Nachfrage nach einer Redakteurin beim regionalen Fernsehsender ORB wegen einer Antirassismusgeschichte basteln die BKA'ler eine neue terroristische Vereinigung, weil ein paar Wochen zuvor in der Berliner Szenezeitschrift ‚interim' ein Kontaktaufnahmegesuch eines ORB-Radakteurs mit den "Autonomen Gruppen" wegen der Hakenkrallen abgedruckt war. Wenig später folgten direkte Personenüberwachungen - was natürlich in einer Kleinstadt nicht unentdeckt blieb - Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen. 2 Jahre später endete alles mit einer Niete für die "AG Energie": 2001 gaben die Beamten kleinmütig zu, dass sie wohl die Falschen im Visier hatten.

Im Februar 1997 gelang hingegen dem Verfassungsschutz ein Coup. Die Berufsschnüffler orteten ein Handy eines Atomkraftgegners im Berliner Grunewald, in angeblich räumlicher und zeitlicher Nähe zu einem Anschlag auf eine Oberleitung. Dieses Handy war von einem gemieteten Handy angerufen worden. Das gemietete Handy war von einem bekannten Berliner Autonomen gemietet worden. Und obwohl keine Verbindung zustande gekommen war, handelte es sich nach Meinung des Verfassungsschutzes um geheime Klingelsignale, die ausgetauscht wurden. Geblieben ist nun von den Ermittlungen im April 2003, außer dem Nachweis, dass es sich bei allen Beschuldigten tatsächlich um AtomkraftgegnerInnen handelt: Nichts.

Ob es jemals konkrete Tatvorwürfe gab, scheint nach der Durchsicht der freigegebenen Akten mehr als fragwürdig. So wird keinem der Beschuldigten vorgeworfen an einer konkreten Tat beteiligt gewesen zu sein. Das ist für eine Verurteilung nach §129a auch nicht notwendig. Dafür reicht die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Diese besteht nun offensichtlich aus AtomkraftgegnerInnen, folglich müssen die UnterstützerInnen auch AtomkraftgegnerInnen sein. In der Logik des Generalbundesanwaltes muss nun nur noch bewiesen werden, dass es sich bei den Be-schuldigten um AtomkraftgegnerInnen handelt und voilá, fertig ist der Vorwurf, der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.


Wo sind die "Führungskader"?

Nach nunmehr sieben Jahren Ermittlung ist weder klar geworden, wer dieser terroristische Vereinigung namens "Führungskader der Autonomen Gruppen" angehört haben soll, noch worin die "Führungstätigkeiten" bestanden haben können. Es ist auch nicht klar geworden, ob einer der Beschuldigten überhaupt an einer der Hakenkrallenanschläge teilgenommen hat. Bei sowenig Konkretem wundert es dann auch kaum, wenn es in der Einstellungsbegründung heißt, man habe dem Personenkreis nicht nachweisen können, dass " sie sich als Führungskader fühlen."
Nachdem sich für die konkreten Tatvorwürfe keine Beweise finden ließen, dehnte der Generalbundesanwalt die Beschuldigungen auf so ziemlich alles aus, was die linke Szene an Inkriminierbaren zu bieten hat.

So geriet nach dem Anti-Olympia-Komitee das Berliner Anti-Atom-Plenum ins Fadenkreuz. Die Berliner AtomkraftgegnerInnen wurden zur Schaltzentrale des Anti-AKW Widerstandes hochstilisiert. Ein Mitglied desselben, der sich am Telefon scherzhaft als Chef bezeichnet hatte, wurde flugs zum Führungskader. Die anderen wurden in Berlin und auf den jährlichen Anti-Atom-Konferenzen observiert. Auf diesen Konferenzen wurden dann unter anderem alle Autokennzeichen sorgfältig aufgeschrieben und verglichen.

Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden mindestens drei Berliner Autos teilweise bis zur neun Monaten lang (offizielle Angaben) mit Peilsendern ausgestattet und alle Gespräche aus dem Wageninnern abgehört. Für die Ermittlungen Verwertbares fand sich dabei nicht. Die Telefone der Beschuldigten wurden mindestens seit 1996 und nach Aktenlage auch noch 2002 noch abgehört. Für die Ermittlungen Verwertbares fand sich auch dabei nicht.

In Berlin wurde zudem eine Wohnung mindestens über sechs Monate mit einer Kamera überwacht und alle Personen festgehalten, die ein- und ausgingen. In der Nacht zum 7.10.1996 (der Nacht eines Hakenkrallenanschlages) konnten dann auch vier Personen festgestellt werden, die abends das Haus verließen und spät nachts wiederkamen. Allerdings war die Bildqualität so schlecht, dass niemand zu erkennen war. So konnte auch nur festgestellt werden, dass einer dieser vier Personen, eine Plastiktasche mit sich führte. Und das ist auch für AtomkraftgegnerInnen nicht strafbar.


Der Terror-Kürbis

Noch hahnebüchener lesen sich die "hochverdächtigen konspirativen" Telefonate, die da mitgehört wurden. Eine zentrale Stellung nahm dabei das folgende Gespräch ein:
"In einem am 6. Oktober 1996 um 22.41 geführten Telefonat vergewisserte sich die Beschuldigte V. konspirativ beim Beschuldigten B., ob dieser einen bestimmten Gegenstand - zunächst als Ding, dann als Kürbis bezeichnet - für den Beschuldigten S. mitgenommen habe. Wie sich aus dem Zusammenhang ergab, wusste die Beschuldigte V., dass der Beschuldigte S. am späten Abend wegfahren wollte und diesen Gegenstand benötigte." Da in der folgenden Nacht wieder Hakenkrallen eingehängt wurden, folgerte das telefonüberwachende Bundeskriminalamt, dass der Beschuldigte S. den "Kürbis" bei dem Anschlag verwandt hatte. Worum es sich bei dem "Kürbis" gehandelt habe, konnte aber auch das Bundeskriminalamt nicht mit Sicherheit klären. Am Tatort gefunden wurde jedenfalls keiner. Dort fanden sich lediglich Zigaretten der Marke Juwel und auf diesen Speichelspuren. Diese Juwel-Zigarette musste dann als Begründung herhalten, dass bei allen Beschuldigten aus Berlin der genetische Fingerabdruck mittels Speichelprobe erzwungen wurde. Dass alle beschuldigten Nichtraucher waren, war dem Generalbundesanwalt dabei nicht so wichtig.

Haufenweise Dialoge aus abgehörten Telefongesprächen mit teilweise abstrusen Interpretationen, füllen nun Tausende Seiten. Diese Beweislage reichte dann aber nicht aus, um Anklage zu erheben. Da offensichtlich viel Energie in die Sache gesteckt worden war und die vielen gutbezahlten Beamten, ihren Vorgesetzten etwas vorlegen mussten, wurden allerlei Querverweise zusammengeschustert.


Haufenweise Querverweise

Da bei einem Beschuldigten Teile der radikal 154 auf dem PC gefunden wurden, wurde noch schnell ein Verfahren wegen Herstellung der radikal angestrengt. Dabei wurden keine Mühen gescheut und alle Querverbindungen aufgezeigt, die sich in den letzten 22 Jahren, also seit 1980 angehäuft haben könnten. So wurden persönliche Bekanntschaften zu Beschuldigten aus anderen ‚radikal' - Verfahren in epischer Breite ausgeführt. Als es dann aber ans Eingemachte ging musste auch das BKA zugeben, dass die Texte auf dem Computer eben keine handschriftlichen Aufzeichnungen waren und somit niemandem persönlich zugeordnet werden konnten. Und auch das Herstellungsdatum sei mit Vorsicht zu genießen, da über die Änderung der Systemzeit, praktische jedes beliebiges Herstellungsdatum hätte erzeugt werden können. Also Fehlanzeige.

Nächster Versuch. Bei der Durchsuchung waren Druckfahnen gefunden worden, die zu einer Broschüre gehörten, die sich mit den im K.O.M.I.T.E.E. Verfahren Untergetauchten drei Berlinern beschäftigte. Eilig wurden alle Querverbindungen und alle möglichen Verbindungen zum KOMITEE Verfahren zusammenschustert. Als es aber ans Eingemachte ging, musste auch das BKA feststellen, dass an der Broschüre nicht Strafbares dran sei. Also wieder Fehlanzeige.

Wenn nun gar nichts mehr geht, dann gibt es in Berlin immer noch das RZ-Verfahren und da den All-Round Kronzeugen Tarek Mousli, und der kannte schließlich einige der Beschuldigten noch aus den 80er Jahren. Diese hatte er zwar schon zumeist 15 Jahre nicht mehr gesehen, aber dass sie generell verdächtig sind, das wusste er ganz sicher noch. Einen Beschuldigten kannte er allerdings überhaupt nicht. Da musste der Kronzeuge drei Mal intensiv verhört werden, bis er sich dann doch erinnern konnte. Allein, etwas Strafbares war auch hier nicht zu hohlen. Wieder Fehlanzeige.


Die Maus

Ebenfalls in das Fadenkreuz geriet der Hamburger Physiker und Atomkraftgegner S. S. ist seit den 60er Jahren politisch aktiv. Dementsprechend umfangreich sind die Querverbindungen die das BKA ins Visier nahm.
Seine Wohnung in Hamburg, sein Arbeitsplatz, die Räume der Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz, MAUS e.V., sowie die Räume aller HausbewohnerInnen und einer Kunstgalerie in Bremen wurden durchsucht. Geschäfts- und Arbeitsunterlagen der MAUS wurden in großem Ausmaß beschlagnahmt.
Gegen die MAUS e.V. wurde im Rahmen der Durchsuchungen ein Ermittlungsverfahren wegen "Anfangsverdacht des Betruges durch unzweckmäßig verwendete Fördergelder" nachgeschoben. Da es einen solchen Straftatsbestand gar nicht gibt, wurde dieser Vorwurf später in "Subventionsbetrug u. a." (Schreiben der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.7.99) umgeändert.
Daß dieser Vorwurf ausschließlich politisch motiviert ist, zeigt sich daran, daß die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens und die Beschlagnahme der Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft Bremen allein auf Anordnung der mit der Durchsuchung beauftragten Staatsanwältin der Generalbundesanwalt-schaft erfolgte. Wohl auch, um alle Unterlagen in Ruhe sichten zu können. Dies geschah sicher nicht zufällig:
Die MAUS gehört seit ihrer Gründung vor 19 Jahren zu den entschiedenen KritikerInnen von Atomtechnologie und deren Verwertung im militärisch-wirtschaftlichen Sektor. Dies hat sich niedergeschlagen in diversen Veröffentlichungen und Durchführungen von Seminaren zu diesem Thema, in der Beteiligung in vielen Veranstaltungen, Kundgebungen, Demonstrationen, in GutachterInnentätigkeit und wissenschaftlicher Beratung. Nicht zuletzt hat die MAUS auch die Kampagne gegen Atomtransporte durch Bremen und Bremerhaven - bei der sich 12 Bremer Stadtteilbeiräte gegen die Atom-Transporte ausgesprochen haben - wissenschaftlich begleitet und politisch unterstützt. Diese Kampagne bekam durch den späteren "CASTOR-Skandal" (1998) eine zusätzliche Bestätigung.

Die MAUS sah sich in Folge der Durchsuchungen und Ermittlungen vom 6.7. 1999 mit einer Situation konfrontiert, die durch politische Repression, staatsanwaltliche Ermittlung, und unhaltbaren Anschuldigungen geprägt war. Es schien nicht unbeabsichtigt, inhaltliche und politische Kontrolle, sowie Disziplinierung eines kritisch arbeitenden Umweltvereins über die Erzeugung ökonomischen Drucks auszuüben.

Am 6. 6. 2000 hat die MAUS erfahren, daß das Verfahren wegen "Subventionsbetrug u. a." gegen sie eingestellt worden ist - das ohne weitere Begründung. Die Akteneinsicht hat keinen Aufschluß über die genauen Gründe des Ermittlungsverfahrens und der Beschlagnahmungen gebracht.
Dennoch waren wichtige Akten aus Verwaltung, Archiv und aus laufenden Projekten über ein Jahr der MAUS nicht zugängig. Dadurch hat die MAUS ihre Arbeiten in einem beträchtlichen Umfang nicht wahrnehmen können. Die Streichung der öffentlichen Gelder und Projektmittel ist nicht rückgängig gemacht worden.
Festzuhalten bleibt, daß die MAUS seitdem z.B. keine Projektmittel vom Senator für Umwelt mehr erhalten hat. Die MAUS arbeitet zur Zeit weiterhin sehr eingeschränkt. Sie ist außschließlich auf ehrenamtliche Mitarbeit und Spenden angewiesen.

Ebenfalls eingestellt wurde das Verfahren gegen den Hamburger Physiker S. Zum Schluss blieb nämlich nur die Erkenntnis übrig, dass er mit seiner Bahncard häufig die Bahn benutzt. Und das war selbst dem Generalbundesanwalt zu wenig.


Die Goldene Hakenkralle und Nicht-Entgleiste Züge

Nach Aktenlage lief die Durchsuchungsaktion am 6. Juli 1999 unter der Bezeichnung "Goldene Hakenkralle". Der Name leitete sich aus einem abgehörten Telefongespräch ab. Dort hatten zwei der Beschuldigten, zum Anlass des 60sten Geburtstages eines dritten Beschuldigten am Telefon gewitzelt man solle ihm doch eine goldene Hakenkralle schenken. In dem Gespräch scherzte der Angesprochene zurück: "Kein Problem, ich habe im Garten noch eine ganze Kiste mit den Dingern." Der Garten wurde zwar vom BKA gewissenhaft umgegraben, Hakenkrallen fanden sich allerdings nicht.

Um dem Generalbundesanwalt wenigstens ein Erfolgserlebnis zu bescheren, stellten UnterstützerInnen im Jahr 2000 eine etwa drei Meter große Goldene Hakenkralle her, die dann in Bremen, Berlin, Hannover und im Wendland auf Veranstaltungen und Ausstellungen gezeigt wurde. Mehr dazu gibt's auf www.maus-bremen.de (goldene Hakenkralle).

Da die Castortransportstrecke mit Diesellokomotiven betrieben wird und somit über keine Oberleitungen verfügt in die Hakenkrallen hätten eingehängt werden können, hatte der Bundesanwalt bei den Ermittlungen im Wendland und in Lüneburg ein Problem. Da AtomkraftgegnerInnen a priori böse sind und ihnen alles zuzutrauen, dachte sich der Generalbundesanwalt wohl, wenn nicht Hakenkrallen, dann wenigstens Züge entgleisen. Stichwortgeber hierfür war wieder das notorische Bundesamt für Verfassungsschutz, das vorsorglich Telefongespräche abhören lässt.

Aus einigen Telefongesprächen im Sommer 1997 wird nun versucht eine Schienensägeaktion am AKW Krümmel zu konstruieren. Das einzige was hier feststeht, ist dass der Bundesgrenzschutz bei einer Kontrolle durchgesägte Schienen gefunden hatte. Alles weitere entspringt einem unheilvollen Zusammenspiel verschiedener Beamter:
Der Verfassungsschutz weiß von einem verdächtigen Telefonat zwei Tage vor der Entdeckung. Der weiß auch, dass die Verdächtigen AtomkraftgegnerInnen sind. Der Generalbundesanwalt ist sich sicher, dass die Züge zum Entgleisen gebracht werden sollen und Zugfahrende hätten getötet werden können. (Diese irrsinnig anmutende Argumentation macht für den Generalbundesanwalt Sinn, denn nur so konnte ein Verfahren wegen "schweren Eingriffs in den Schienenverkehr begründet werden"). Der Bundesgrenzschutz ist sich sicher, dass es sich um frische Sägespuren handelt (wie man frische Sägespuren von alten unterscheidet weiß der Bundesgrenzschutz aber nicht). Der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn ist sich sicher, dass mehrere Züge über die angesägten Stellen gefahren sind und nichts passiert ist. Die Reparaturen kosteten knapp 4000.-DM. Das BKA ist sich sicher, dass keine Spuren am Tatort hinterlassen wurden.
Anfangs wurde versucht rund 20 Menschen aus dem Bekanntenkreis der verdächtigten AtomkraftgegnerInnen vorzuladen und zu vernehmen. Einige gingen dem auch nach, ärgerten sich hinterher aber gewaltig, dass sie den Polizisten auf den Leim gegangen waren, denn in den Verhören stellte sich schnell heraus, dass die Zeugenbefragung schnell zum Beschuldigtenverhör wurde. Nachdem sich dieses herumgesprochen hatte, schrumpfte die Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit erheblich. Das Bundeskriminalamt sah dann von weiteren Vernehmungen ab, da "sowieso niemand erschienen wäre".
Das Verfahren ist an das Oberlandesgericht Lübeck abgegeben worden.


Fazit des Ganzen

Aus den wenigen Einsichten, die die Beschuldigten bislang in Unterlagen hatten, die das Verfahren betreffen, ist jedenfalls klar geworden, dass ein immenser personeller und technischer Aufwand betrieben wurde und teilweise auch immer noch wird. Bspw. wurden die Treffen der Beschuldigten ziemlich unverhohlen mit einem Großaufgebot von Beamten observiert.
Im Laufe des Verfahrens wurden rund 100.000 Telefonate abgehört. Dass keinem der Gesprächspartner der Beschuldigten hierüber Mitteilung gemacht wurde, gehört mittlerweile zum Alltag des Abhörens. Natürlich ist auch keine/r der weit mehr als tausend GesprächsteilnehmerInnen über die Abhörorgie informiert worden. Ebenso sind nicht der Generalkonsul Indonesiens oder das Mitglied der israelischen Botschaft informiert worden, dass ihre Handymietverträge aus einem Berliner Handyverleih jetzt beim BKA liegen.

BKA und BAW machten von dem ganzen Arsenal der Einschüchterung Gebrauch, die auch aus anderen Verfahren bekannt sind: Die jahrelangen Observationen gegen die 12 Hauptbeschuldigten müssen einen enormen personellen Aufwand bedeutet haben, bspw. wurde auf der Suche nach den Hakenkrallen bei der Durchsuchung auch ein Karte gefunden, die einen Teil der Castortransportstrecke beinhaltet. Auf dieser waren 12 blaue und gelbe Kreise eingetragen worden. Fieberhaft wurde der Bundesgrenzschutz zur Luftaufklärung losgeschickt, fotografierte die verdächtigen Orte aus dem Hubschrauber, machte einen Plan, wo die vermeintlichen Erddepots sein könnten und schwärmten in den folgenden Tagen mit rund 150 mit Eisenstangen ausgerüsteten BGS-Beamten aus, um den Boden zu zerstochern. Gefunden wurde gar nichts. Beim nochmaligen Hinsehen auf die Karte fiel dann auf, dass der Elbe-Seiten-Kanal fehlte, der bereits 1974 erbaut worden war. Das Bundeskriminalamt kam auf Grund der akkurat eingezeichneten Kreise zu dem Schluss, dass es sich möglicherweise um eine Karte des Bundesgrenzschutzes handele. Das solches nicht in die Hände von AtomkraftgegnerInnen gehört, versteht sich von selbst. Dass dem BKA eine Manöverkarte der Bundeswehr aus Mitte der 60er Jahre in die Hände gefallen war, ist den Ermittlern bis heute nicht bekannt.

Dennoch muss selbstkritisch angemerkt werden, dass es einen teilweise sehr sorglosen Umgang mit Telefongesprächen gegeben hat. Als Atomkraftgegnerin in diesem Land muss mensch damit rechnen, dass diverse Überwachungsbeamte mithören. Und dass diese einem nicht Gutes wollen, dürfte auf der Hand liegen. Ebenso verhält es sich mit Handy, denn neben der Tatsche, dass diese abgehört werden, wie jedes andere Telefon auch, dienen dies der Ortung des Telefonierenden. So war es während der Castortransporte für die Polizei ein Leichtes, die Aufenthaltsorte bekannter AtomkraftgegnerInnen per Handy zu ermitteln, um diese dann ggf. festzunehmen.

Dabei ist jetzt schon klar, dass ein nicht unerheblicher Teil der Akten, z.B. alle aus den Autos abgehörten Gespräche angeblich vernichtet wurden. Ebenso sind die Akten über die Personenüberwachung bisher nicht vorhanden. Obwohl das Verfahren mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes begann, finden sich nur wenige Hinweise der Herrn und Damen aus Köln in den Akten. Schließlich sollen nicht unnötig irgendwelche Quellen offengelegt werden.

VS und BKA haben offenbar gut zusammengespielt, sich gegenseitig mit Infos versorgt; getreu der Devise legal-illegal-scheißegal alle möglichen Quellen angezapft. Das Ergebnis: Der Berg kreißte und gebar eine Maus.
Doch nicht zu vergessen ist die Verletzung der Persönlichkeitsrechte tausender Beteiligter, der nicht unerhebliche materielle Schaden für einige Projekte und Beschuldigte. Und nicht zuletzt: Wieder einmal gelang es der Justiz mithilfe des Ermittlungsparagrafen 129 a linke und linksradikale Strukturen zu durchleuchten, zu nerven und zu schwächen. Das ist wohl auch nach wie vor die Hauptaufgabe des 129 a, der immer noch zu über 90% gegen Linke eingesetzt wird, wie kürzlich eine Anfrage der PDS-Bundesfraktion ergab. Die Rechten sind ja für die Herrn aus Karlsruhe auch nicht staatsgefährdend. Ausnahmsweise hat da die BAW sogar recht.


Auch rot-grüne CASTOREN können gestoppt werden - Ehrenwort!

Das Spendenkonto für Anwaltskosten lautet:
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Kontonr.: 718 9590 600
Berliner Bank, BLZ 100 200 00



(Label: Goldene Kralle / Dateiname: GH.Bilanz.160703 / überarbeitet: 16.07.03)