Aktueller Stand im Goldenen Hakenkrallen-Verfahren
(29. September 2001, dieser Text schreibt den Bericht von Juni 2000 fort)
Die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen fanden am 6. Juli 1999 statt, das ist jetzt über 2 Jahre her!
- Von dem beschlagnahmten Material ist bisher ein großer Teil noch nicht zurückgegeben worden. Kaum persönlichen Unterlagen, keine Kontoauszüge, Tagebücher, Werkzeuge (Schrauben, Schraubenschlüssel,...) ...
PC`s, Kopien von einigen Disketten und Kopien von einigen Unterlagen wurden zurückgegeben.
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Gegen einen Beschuldigten wurde ein neues Ermittlungsverfahren wegen Verdacht der Unterstützung einer krimminellen Vereinigung "Radikal-Redaktion" (§129 Abs. 1 StGB) eröffnet. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft wurden anläßlich der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Arbeitsplatzes im Rahmen der Goldenen Hakenkrallen Ermittlungen u.a. Disketten beschlagnahmt. Auf zwei der Disketten sollen sich gelöschte Dateien befunden haben, die das BKA angeblich wiederhergestellt hat. Die Staatsanwaltschaft dazu »Die Auswertung des Inhalts dieser Dateien und der sichergestellten Aufzeichnungen begründet einen Anfangsverdacht dahin, daß der Beschuldigte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im August 1995 die für die Herausgabe der Druckschrift "radikal" verantwortliche Organisation - eine kriminelle Vereinigung gem. § 129 Abs. 1 StGB - unterstützt hat, indem er einer zu dieser Organisation gehörenden abgetauchten Person, deren Identität bislang nicht bekannt ist, zunächst Unterschlupf gewährt und ihr bei einer anschließenden Flucht in die Niederlande Hilfe geleistet sowie bei der Verteilung der inkriminierten Druckschrift geholfen hat.«
Da die Tat nahezu 4,5 Jahre zurücklag, das Verfahren gegen die Radikal-Angeklagten gegen Zahlung von Geldbußen eingestellt war und weiter Ermittlungen wenig erfolgsversprechend erschienen, wurde das Ermittlungsverfahren am 23. 02. 2000 eingestellt.
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Am 6. 6. 2000 hat die MAUS erfahren, daß das Verfahren wegen "Subventionsbetrug" gegen sie eingestellt worden ist - das ohne weitere Begründung. Die Akteneinsicht hat keinen Aufschluß über die Gründe des Ermittlungsverfahrens und der Beschlagnahmungen gebracht.
Dennoch waren wichtige Akten aus der Verwaltung, Archiv und aus laufenden Projekten über ein Jahr der MAUS nicht zugängig. Dadurch hat die MAUS ihre Arbeiten in einem beträchtlichen Umfang nicht wahrnehmen können.
Die Streichung der öffentlichen Gelder und Projektmittel ist nicht rückgängig gemacht worden. Die MAUS arbeitet zur Zeit weiterhin sehr eingeschränkt. Sie ist außschließlich auf ehrenamtliche Mitarbeit und Spenden angewiesen.
- Ein Radikalverfahren wurde eröffnet, weil auf dem Rechner eines Mitbewohners einer Kreuzberger WG Datein waren die der Radikal 153 (oder 156) zugeordnet wurden. Die Word8 Dateien aus dem Verzeichnis c:\windows\temp waren mit einem sechs Monate zurückliegenden Datum versehen gewesen. Dummerweise war der PC-Besitzer zum Zeitpunkt der Dateierstellung nicht anwesend gewesen - das zumindest ergab die Auswertung der Video-Überwachung des Hauses. Auch keinem anderen Anwohner konnte die Erstellung der Dateien nachgewiesen werden. Zuguter Letzt muste auch das BKA einräumen, das auch das Datum hätte manipuliert sein können. Damit brach die Beweislast zusammen. Somit wurde aus der "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" - gemeint ist damit die Radikal-Redaktion eine weitere Verfahrenseinstellung.
- Der Opferperspektive Brandenburg, die Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt, war versucht worden mit dem Argument Verbindung zu Terroristen zu haben - gemeint sind AtomkraftgegenerInnen - den Geldhahn zuzudrehen. Die Opferperspektive erhielt Gelder aus dem brandenburger Staatshaushalt, wogegen nicht nur die CDU polemisierte. Nach der Dursuchung vom Juli 1999 waren die Geldmittel eingefroren worden und einem atomkritischen Mitglied wurde öffentliches Redeverbot erteilt. Nach den Nazi-Angriffen auf Synagogen und dem darauffolgenden "Aufstand der Anständigen" gelang es der Opferperspektive neue Gelder aufzutun. Sie arbeitet somit nicht nur wieder voll weiter, sondern nun auch unabhängiger vom CDU Innenmnster Brandenburgs.
- Im Februar 2001 wurde ein weiteres Haus im Wendland durchsucht. Der betroffenen Person wird gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr vorgeworfen (§315 Abs.1 Nr. 1 StGB). Sie soll daran beteiligt gewesen sein, die Gleise, die zum AKW-Krümmel führen, an 4 benachbarte Stellen durchgetrennt zu haben, angeblich, um das Aktionswochenende (19. - 21. Sept. 1997) am AKW-Krümmel vorzubereiten. In dieseer Sache wird bisher gegen fünf Personen ermittelt. Drei Beschuldigte sollen als Führungskader "Autonomer Gruppen" (Goldene Hakenkralle) und als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, zwei nicht als Führungskader beteiligt gewesen sein. Nach weiteren wird anscheinend noch gefahndet.
Die im Hakenkrallen-Verfahren beschlagnahmte Gegenstände werden auf Antrag der BAW jetzt auch im Krümmel-Verfahren verwendet.
Die neuerliche Hausdurchsuchung wurde angeblich durch die Auswertung von bei der ersten Durchsuchungswelle (06.07.99) sichergesstellten "Beweismittel" und aus "Erkenntnissen" der Telefonüberwachung angeordnet.
- Nach 5 Jahren Ermittlungstätigkeit tröpfeln jetzt bei einigen Beschuldigten die ersten Aktenauszüge ein. Die bisher zugänglichen etwa 10.000 Ermittlungsseiten, stellen nach Einschätzung der Anwälte nur einen geringen Bruchteil des gesamten Aktenmaterials dar. Das wenige, was aus den Akten konkret hervorgeht, sind Belege für die wohl größte Überwachungsmaßname gegen die bundesdeutsche Anti-Akw-Bewegung.
Das Tätigkeitsfeld des BKA reicht über jahrlanges Telefonabhören gegen einzelne Beschuldigte oder Wohngemeinschaften, direkte Observation bis hin zum direkten Lauschangriff.
- Die Ermittlungen gegen das AOK in Berlin:
Besonders interessant in dem Ermittlungsverfahren "Goldene Hakenkralle" für die Staatsschützer scheint dabei das ehemalige Berliner Anti-Olympia-Komitee (AOK) zu sein. Hier vermutet die Bundesanwaltschaft (BAW) und das BKA die Berliner "Kader der Autonomen Gruppen", die für 2 Anschlagserien auf die Deutsche Bahn (s. Bekennerschreiben vom Oktober 1996 und Februar 1997) mit verantwortlich sein sollen.
Der VS erstellte offenbar 1995/96 über das AOK eine umfangreiche bis heute geheimgehaltene Expertise. Daraus ist bisher nur ein kurzer Satz bekannt geworden. Das "AOK ist eine terroristische Vereinigung".
Das ist zumindest ungewöhnlich, da das AOK eine öffentlich arbeitende Gruppe war. Das AOK arbeitete seit 1991 gegen die Bewerbung Berlins für die Olympiade 2000 und trug wohl mit dazu bei, daß Berlin im September 1993 mit nur 9 Stimmen weit abgeschlagen bei dem IOC durchfiel. Das AOK arbeitete nach dem Olympiadesaster für den Berliner Senat vor allem auf dem Sektor des Anti-Militarismus weiter und mobilisierte zusammen z.B. auch mit linken Abgeordneten der Grünen und der PDS gegen die Bundeswehraufmärsche in der neuen Hauptstadt. Da sich das AOK nie von militanten Aktionen gegen die Olympiasponsoren distanzierte, sondern Sachbeschädigungen als einen "integralen Bestandteil des Widerstandes" einstufte - so formulierte es einmal ein AOK-Mitglied auf einer Pressekonferenz - geriet es wohl in das Fadenkreuz der Staatsschützer oder auch durch Aufrufe und Mobilisierungen zur revolutionären 1. Mai-Demonstration, wobei sich die autonomen OlympiagegnerInnen deutlich von den Stalinisten und orthodoxen Kommunisten und Parteiaufbauern abgrenzten.
- Die große Palette des Lauschangriffs:
Die Ermittlungstätigkeiten in Form von Telefonüberwachungen, Aufhebung des Briefgeheimnisses und gelegentliche Observationstätigkeit dauern mindestens bis in den Herbst 2000 an.
Hier eine kleine Auswahl:
- VS und BKA observieren von 1997-2000 alle wichtigen überregionalen Treffen der Anti-AKW-Bewegung (Göttingen, Erfurt, Marburg, Heidelberg, Berlin). Sie schreiben alle Autokennzeichnen auf und stellen die Anwesenheit von bestimmten Personen fest.
- VS und BKA hören das Telefon von sämtlichen Beschuldigten und deren Freundeskreis ab (und das teilweise kontinuierlich über 3 Jahre!). Der Personenkreis, gegen die der Staatschutz ermittelt, umfasst die dem VS und BKA bekannten Mitglieder des Berliner Atomplenums, des AOK und der Dahlenburger Anti-Castorgruppe sowie Einzelpersonen aus Berlin, Hamburg und dem Wendland.
- Der VS startet mindestens zwei mal im Sommer 1997 bzw. Frühjahr 1998 einen großen Lauschangriff und schneidet die Unterhaltung von Beschuldigten in Kneipen mit.
- Der VS dringt in das Berliner ‚Haus der Demokratie' ein, um sich von dem Kopierer des "Anti-Atom-Plenums" Vergleichskopien zu beschaffen.
- In einer nächtlichen Großaktion wird in ein Auto ein GPS-Ortungssystem von Berliner Staatsschützern eingebaut.
- Vorsichtigen Schätzungen zufolge umfasst der Personenkreis, deren Telefongesprächein in den Ermitttlungsverfahren "Goldene Hakenkralle" und AOK über Monate, Jahre abgehört worden sind, ohne daß sie davon in Kenntnis gesetzt worden sind, mehr als 2000 (!) Menschen.
Die Zahl der abgehörten Telefongespräche kann nur geschätzt werden. In einer Kreuzberger WG wohnen vier Beschuldigte und drei sogenannte "Betroffene". Allein in dieser WG werden pro Jahr mehr als 5000 Telefonate geführt. Alle abgehört und das seit Jahren!
- In den letzten zwei Jahren wurden fast 50 Vorladungen zum BKA bzw. zur BAW ausgesprochen. Insbesondere haben sie sich hierbei auf zwei Beschuldigte aus dem Landkreis Lüneburg konzentriert. Beim letzten CASTOR-Transport im März kreiste tagelang eine BGS-Hubschrauber über ihr Anwesen. Aus ihrem Bekanntenkreis wurden mittlerweile 14 Personen vorgeladen. Dabei scheinen sich hier die Ermittlungen auf die Krümmel-Schienen-Sägeaktion (s. oben) zu konzentrieren. Vereinzelt ist es zu Vernehmungen gekommen, ohne daß - unserer Einschätzung nach - dabei aber Substanzielles heraussprang.
- Wie im Zusammenhang mit dem laufenden Berliner RZ-Prozess bekannt wurde, ist der Kronzeuge Tarek Mousli auch über seine Kenntnisse zur "Goldenen Hakenkralle" vernommen worden. Offenbar konnte er dazu aber nichts Konkretes sagen, außer daß einzelne Beschuldigte Kenntnisse im Sprengen von Strommasten haben sollen und daß zwei Beschuldigte Mitglied eines Berliner Koordinierungsausschusses gewesen sein sollen.
Unserer Einschätzung nach haben alle Ermittlungen des BKA und der BAW in Richtung Hakenkralle die Vorwürfe gegen die Beschuldigten nicht erhärten können.
Dennoch hat dieses Verfahren den Beschuldigten und auch deren Umfeld eine Menge Zeit gekostet, soziale und berufliche Unannehmlichkeiten gebracht, und das Ganze wird letztendlich eine Menge Geld verschlingen.
Die offensive Anwendung des §129a durch BKA und BAW hat sicher auch zur Durchleuchtung von Kommunikationsstrukturen beigetragen. Das alles ist im einzelnen jetzt noch nicht so genau absehbar.
Um so erfreulicher, daß beim letzten CASTOR-Transport nach Gorleben alle wieder da waren und sich an den verschiedensten Orten und auf die unterschiedlichste Art und Weise aktiv betätigten.
Solidaritätsgruppe Goldene Hakenkralle