Dokumentation:


Offener Brief zu den Hausdurchsuchungen vom 6.7.1999, die mit "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" oder "gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr" begründet wurden.

Am 6.7.1999 durchsuchte das Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt 10 Wohnungen in Berlin, Bremen, Hamburg, im Landkreis Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Lüneburg, einen Taxi-Betrieb in Berlin Kreuzberg und ein Umweltinstitut in Bremen. Der Vorwurf lautet "Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" (§129a) oder "gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr" (§315). Nach der Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes (vom 6.7.1999) waren 9 StaatsanwältInnen, 100 BKA-BeamtInnen und weitere 200 PolizistInnen der Länder beteiligt. Die angetroffenen Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt, teilweise wurden noch zusätzlich Speichelproben und Haarproben (aus Haarbürsten) für DNA-Analysen entnommen. In eine Wohnung in Berlin drangen vermummte SEK-BeamtInnen mit Stahlhelm und gezogenem Revolver ein. Ein Mensch wurde von der Arbeit 'verbracht'.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gingen der Durchsuchungsaktion "intensive Ermittlungen der `Arbeitsgruppe Energie´ beim Bundeskriminalamt" voraus. Diese Ermittlungen hätten ergeben, daß die Aktionen auf eine Personengruppe aus dem militanten Widerstand gegen die CASTOR-Transporte und auf eine aus dem Widerstand gegen die Olympischen Spiele in Berlin (AOK, Anti-Olympia-Komitee) zurückzuführen sind.

Begründet wurde der Vorwurf mit den Hakenkrallenaktionen gegen die Deutsche Bahn AG, die laut Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes am 7. Oktober 1996 an 12 Orten im Bundesgebiet und am 25. Februar 1997 an 8 weiteren Orten in Norddeutschland stattfanden, sowie dem "Kommuniqué autonomer Gruppen" zu diesen Aktionen und weiteren BekennerInnenschreiben. In dem breit veröffentlichten Kommuniqué heißt es dazu: "Ziel der Anschläge war es, die Deutsche Bahn AG unter Druck zu setzen, um die CASTOR-Transporte auf dem Schienennetz einzustellen."

Aus der Zeitgleichheit der Aktionsserien und gemeinsamer Erklärungen schließt die Generalbundesanwaltschaft auf die Existenz einer Organisation "Autonome Gruppen", deren "Führungskader" sie in den Beschuldigten gefunden zu haben glaubt.

Es gibt eine weitere Beschuldigung wegen gefährlichem Eingriff in den Schienenverkehr im Rahmen des Widerstandes gegen das AKW Krümmel.

Die Staatsanwaltschaft unterstellt, daß durch die reißenden Oberleitungen Gefahr für Leib und Leben von LokomotivführerInnen und Reisenden entstanden war. Dagegen geht aus den Diskussionen der Anti-AKW-Bewegung ganz klar hervor, daß solche Aktionen so angelegt sind, daß keine Menschen gefährdet werden. In dem besagten Kommuniqué heißt es dazu: "Wir bewegen uns mit dieser Aktion im Konsens des wendländischen Widerstandes, keine Menschenleben zu gefährden".

Es gibt elf "Beschuldigte" und neun weitere "Betroffene", wobei dieses Personen sind, die mit den Beschuldigten in Kontakt stehen sollen, oder zu deren Räumen die Beschuldigten Zugang haben sollen.

Die Durchsuchungen - zumindest bei den Beschuldigten - fanden in allen Räumen statt, zu denen sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Zugang haben. Das betraf auch Keller, Dachböden, Schuppen, Ställe, Autos, Gärten und landwirtschaftliche Flächen. Die Durchsuchungen begannen zeitgleich etwa um 8 Uhr morgens und dauerten bis zu 13 Stunden. Es wurde zugelassen, eine AnwältIn zu benachrichtigen, dann aber konnten, bis auf eine Ausnahme, keine weiteren Telefongespräche geführt oder empfangen werden.

In Bremen gehört ein Mitarbeiter der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.) zu den Beschuldigten. Sein Arbeitsplatz, sowie die Räume der Meßstelle und das gesamte Haus, in dem sich die Meßstelle befindet, wurden durchsucht. Geschäfts- und Arbeitsunterlagen wurden in einem Ausmaß beschlagnahmt, daß ein Weiterbetrieb gefährdet ist. Hier wurde vor Ort eine weitere Beschuldigung erhoben: "Anfangsverdacht des Betruges durch unzweckmäßig verwendete Fördergelder". Das geschah sicher nicht zufällig: Die Meßstelle hat z.B. die Kampagne gegen Atomtransporte durch Bremen und Bremerhaven ('97,'98) wissenschaftlich begleitet und politisch unterstützt. Diese Kampagne bekam durch den "CASTOR-Skandal" eine zusätzliche Bestätigung.

Nach unseren bisherigen Erkenntnissen wurden bei den Durchsuchungen beschlagnahmt (wobei bei den verschiedenen Durchsuchungen sehr unterschiedlich vorgegangen wurde): PCs und Datenträger (Disketten, CDs), Videofilme, Fotos, Kalender, Adress-, Notiz- und Tagebücher, Material, an dem gerade gearbeitet wurde (unter anderem Artikel und weitere Texte, unabhängig vom konkreten Tatvorwurf), Krankenunterlagen und Therapieunterlagen über die eigene Behandlung, PatientInnenunterlagen, Strategiediskussionen zu Uran-, CASTOR-Transporten und AKW-Widerstand, Unterlagen zu Bankkonten, Quittungen, Verträge usw., Schraubstöcke, Rohrzangen, Bolzenschneider, Schraubschlüssel, Eisenbahnschienen, Funkscanner, Signalwesten, Landkarten, Schreibmaschinen, Typenrad, Handschriften- und Schreibmaschinenproben, Haarbürsten und Hanfpflanzen. Außerdem wurden Zigarrettenkippen beschlagnahmt,da laut eines Durchsuchungsbeschlusses eine Zigarette (Marke Juwel) auf einer Betonschwelle im Gleisbett ausgedrückt worden sei. Sie soll 13,20 m von der Stelle gelegen haben, an der eine Hakenkralle bei Potzdam eingehängt worden sein soll.

Erfahrungsgemäß kann es eine zweite Welle von Durchsuchungen geben. Darauf sollten wir uns vorbereiten!

Diese Staatsschutzaktion steht für uns im ganz konkreten Zusammenhang mit den Energiekonsensgesprächen zwischen Regierung und Atomindustrie.

Im Vorfeld der politisch und praktisch in Vorbereitung befindlichen Atomtransporte soll der Widerstand dagegen kriminalisiert, eingeschüchtert, in "friedliche" und "gewalttätige" gespalten und dadurch geschwächt werden. Das bekommt gerade jetzt eine besondere Bedeutung:

Abschließend wollen wir betonen:

Unsere Widerstandsformen gegen die menschenfeindliche Atomtechnologie bestimmen wir selbst. Wir lassen sie uns nicht von den VertreterInnen der Atomindustrie und deren staatlichen UnterstützerInnen vorschreiben!

Egal, welche "Farbkombination" in Berlin regiert: Wir werden solange gegen Atomanlagen und -transporte kämpfen, bis alle Anlagen stillgelegt sind!

Wir wissen: Gemeint sind wir alle - aber wir lassen uns nicht einschüchtern und auch nicht spalten. Entscheidend für Veränderung war immer nur der Druck, den wir selbst erzeugen konnten.

Sofortige Rückgabe aller beschlagnahmten Gegenstände!

Einstellung aller Verfahren gegen AtomkraftgegnerInnen!

Sofortige Stillegung aller Atomanlagen!