Atomtechnologie, Belastung von Mensch und Umwelt durch radioaktive Strahlung und gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Nutzung der Atomenergie.
(Unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Bremen.)



Am 28. Januar 1998 hatte sich die Bremische Bürgerschaft mit dem Thema „Atomtransporte durch Bremer Gebiet“ befaßt. Diese Debatte gewann dann Anfang Mai 1998 durch die über Wochen andauernden Nachrichten über verstrahlte CASTOR-Transporte an Brisanz. Was Atomindustrie und Politik jahrelang für unmöglich erklärt hatten, stellte sich als gängige Praxis heraus. Aussagen, Befürchtungen und Warnungen aus der Anti-AKW-Bewegung hatten sich in erschreckender Weise als berechtigt erwiesen. Es stellte sich heraus, daß die Bonner Umweltbehörde schon vor über 14 Jahren von der Internationalen Atomenergiebehörde vor möglichen Verstrahlungen gewarnt worden war und damit auch die Umweltministerin Angela Merkel (CDU) Bescheid wußte. Aber erst im Mai 1998 veranlaßte sie den Stop der CASTOR-Transporte.

Am 24. Juni 1998 befaßte sich die Bremische Bürgerschaft ein weiteres Mal mit einem Verbot von Atomtransporten über Bremisches Gebiet.



Als Reaktion auf den „CASTOR-Skandal“ wurden Verantwortliche gesucht, Rücktritte gefordert und ständig erschreckende Unregelmäßigkeiten bei der Handhabung von hochradioaktiven Abfallprodukten enthüllt. Die Entrüstung wurde an der Überschreitung der Grenzwerte bei speziellen CASTOR-Transporten und der Geheimhaltung und Verfälschung von Meßprotokollen festgemacht – ungeachtet davon, daß die radioaktive Belastung auch schon unterhalb der festgelegten Grenzwerte für Menschen und Umwelt gefährlich und schädigend sind, daß außer den CASTOR-Transporten andere Atomtransporte nicht hinterfragt weiterlaufen und die AKWs ungehindert weiterbetrieben werden. Als Konsequenz aus dem „Skandal“ wird eine strengere Einhaltung der Vorschriften, bessere Kontrollen und die Veröffentlichung der Daten gefordert.

Politik und Atomwirtschaft versuchten gemeinsam den entstandenen politischen Schaden zu begrenzen. Es wurden technische Lösungen diskutiert, wie die Transporte sicherer zu machen sind. Die Strahlenbelastung wurde weiterhin als harmlos dargestellt. Die Diskussion um die grundsätzliche Gefährdung von Mensch und Umwelt durch radioaktive Strahlung und damit die Notwendigkeit der Abschaltung aller Atomanlagen wurden ausgeklammert. Das Ziel war klar: So schnell wie möglich wieder CASTOR-Transporte stattfinden zu lassen, um auf jeden Fall den Betrieb der Atomanlagen nicht zu gefährden. Inzwischen wird der Errichtung von Lagern für abgebrannte Brennstäbe vor Ort, sog. Zwischenlager, gegenüber den unpopulären CASTOR-Transporten der Vorzug gegeben.



Bremen ist von fünf AKW-Standorten umgeben. Esensham liegt 45 km von der Bremer Innenstadt entfernt, Stade 70 km, Brunsbüttel und Brokdorf etwa 90 km, Krümmel 110 km. Ohne Transporte muß z.B. das AKW Stade im Februar 2000, Krümmel 2001 abgeschaltet werden. Anträge für „Zwischenlager“ für die AKWs Brunsbüttel und Krümmel liegen bereits vor, in Stade soll als akute Notlösung ein Zusatzgestell für abgebrannte Brennelemente im Abklingbecken installiert werden. Da bisher kein Endlager existiert und auch keines in Sicht ist, besteht die Gefahr, daß die Zwischenlager in Wirklichkeit Endlager werden, sie auf jeden Fall aber den unbeschränkten Weiterbetrieb der Atomanlagen ermöglichen sollen. Aber die Wiederaufnahme der Atomtransporte rückt näher, denn nur mit solchen Transporten können alle AKWs nach derzeitiger Rechtslage in Betrieb bleiben.



Atomtransporte sind von größter Bedeutung für das Funktionieren der Atomindustrie und das Land Bremen hat sich zur Drehscheibe des Nordens für Atomtransporte entwickelt. Bremen trägt mit radioaktiven Transporten über die Häfen zu einem wesentlichen Teil zum Funktionieren der Atomwirtschaft bei. In Bremerhaven als Universalhafen werden radioaktive Stoffe im Import / Export / Transit umgeschlagen.

Z.B.: Zwischen 1988 und 1. Juli 1995 wurden 1679 Transporte über Bremerhaven abgewickelt. Darunter waren 34 Transporte mit hochradioaktiven und heißen Brennelementen, 276 Uranhexafluoridtransporte und vier Plutoniumtransporte. 1998 waren es 162 Nukleartransporte und 1999 (bis 4.11.) waren es 110, die über Bremerhaven umgeschlagen wurden (s. Antworten vom 11.11.97 und 23.11.99 auf die Anfragen zum „Transport radioaktiver Stoffe über Bremische Häfen“, kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 23. Oktober 97 und 4. November 99).



Bis zum Stop der CASTOR-Transporte durch Angela Merkel im Mai 1998 fuhren jährlich etwa 15 bis 20 CASTOR-Transporte über das Land Bremen. Auf der Schiene passierten die abgebrannten Brennelemente aus den norddeutschen Atomanlagen Brokdorf, Brunsbüttel, Krümmel, Stade und Esenshamm das Stadtgebiet Bremens. Die Transporte von und nach Esenshamm, von denen wir mittlerweile wissen, daß sie z.T. ebenfalls verstrahlt waren, wurden nördlich des Hauptbahnhofes rangiert und warteten dort teilweise stundenlang auf den Weitertransport. Bei der Anhörung zum AKW Esenshamm (öffentliche Sondersitzung des Rates der Gemeinde Stadland am 18.6.98 in Rodenkirchen) wurde klar, mit welcher Selbstherrlichkeit und Verantwortungslosigkeit über 17 Jahre lang bewußt verstrahlte Atomtransporte von der Betreiberin PreussenElektra durchgeführt wurden.



Die Bremer Politik hatte nur zögerlich zugegeben, daß CASTOR-Transporte durch das Land Bremen fahren. Erst die Aufnahmen eines Fernsehteams und die Beobachtung durch AKW-GegnerInnen veranlaßten sie dazu, sich mit dieser Frage ernsthaft und öffentlich zu beschäftigen.



Auch auf anderem Gebiet versucht sich das Land Bremen seiner Verantwortung für die Energiepolitik zu entziehen. Als Konsequenz aus der Katastrophe in Tschernobyl 1986 wurde der Verzicht auf Atomstrom innerhalb von zehn Jahren auf dem Landesparteitag der SPD beschlossen. Dieser Beschluß wurde anfänglich auch versucht, im Rahmen eines neuen Energiekonzepts (z.B. Kraft-Wärme-Kopplung, Erforschung und Anwendung alternativer Energien, Energiekommission) umzusetzen. So erklärte am 12. November 87 (87 bis 91 war die SPD in Bremen alleinregierend) Klaus Wedemeier, Präsident des Senats der Hansestadt Bremen, in einer Regierungserklärung: „Zur Förderung einer umweltfreundlichen, auch unter dem Sicherheitsaspekt verantwortbaren Energieversorgung ist der Senat für den Ausstieg aus der Atomenergie eingetreten – nicht erst seit Tschernobyl.

Für die Stadt Bremen haben wir den zusätzlichen Bezug von überregionalen Stromlieferungen aus Kernkraftwerken abgelehnt und für den Bau eines Kohlekraftwerkes nach modernstem umweltfreundlichen Standard in Kraft-Wärme-Kopplung gesorgt.“

Doch heute wird genau das Gegenteil praktiziert. Die Liberalisierung und Europäisierung des Strommarktes bewirken eine Stärkung der großen Stromkonzerne, die kleineren Stadtwerke mit ihrem teureren Kraft-Wärme-Kopplungsstrom können nicht mehr mithalten. So sind etwa 50% der Bremer Stadtwerke bisher vom Land verkauft worden. Davon 24,9% an die VEBA, einer Tochter von PreussenElektra, einer Lieferantin von Atomstrom; der Verkauf weiterer Anteile wird diskutiert. Die neuen Eigner der Stadtwerke erklärten, daß aus Wettbewerbsgründen der Anteil an der Eigenproduktion an Strom in Bremen zugunsten des angeblich billigeren Atomstroms verringert werden soll. Die Stadtwerke wollen bis 2005 fünf ihrer acht Kraftwerke stillegen und dann den fehlenden Strom zu niedrigeren Preisen zukaufen (s. W.K. 8.10.98). Hiermit gibt Bremen eine wichtige Option auf eine eigene alternative Energiepolitik aus der Hand. Die Beschlüsse der Bremer Politik von vor zehn Jahren haben sich als pure Lippenbekentnisse erwiesen. So machen sich auch in Bremen die PolitikerInnen zu ErfüllungsgehilfInnen der Atomwirtschaft. Und so sind sie auch mitverantwortlich dafür, wenn weiterhin Atomanlagen betrieben werden.

Es wird in den nächsten Jahren, Ausstiegsgesetz der rot/grünen Bundesregierung hin oder her, nicht weniger Atomstrom sondern mehr in der BRD verkauft werden. Solange also weiterhin in Europa, besonders auch in Osteuropa, die Atomkraft staatlich subventioniert wird bzw. die Stromkonzerne die eigentlichen Folgekosten nicht tragen müssen, wird es weiterhin den Atomstrom aus der Steckdose geben – selbst wenn in der BRD alle AKWs abgeschaltet werden sollten. (Nur danach sieht es zur Zeit überhaupt nicht aus.)



Ende 1997 / Anfang 1998 haben alle 12 Beiräte der an den Transportstrecken liegenden Stadtteilen Bremens dem Senat gegenüber erklärt: „Der Beirat ist der Ansicht, daß Atomtransporte unverantwortliche Risiken bergen und fordert den Bremer Senat auf, mit den zuständigen Bundesbehörden und der Deutschen Bahn mit dem Ziel zu verhandeln, keine Atomtransporte mehr über Bremisches Gebiet zu führen.“ Dieser Forderung haben sich u.a. das Bremer Umweltforum am 4.12.97 und die Vollversammlung der streikenden StudentInnen der Universität Bremen am 11.12.97 mit eigenen Erklärungen angeschlossen.

Senat und Bürgerschaft ignorierten diese Aufforderung. Die von Bündnis 90/Die Grünen in die Bürgerschaft Januar/Juni 1998 eingebrachten Anträge zum Stop von Atomtransporten wurden mit der Begründung abgelehnt, daß lediglich die Sicherheitsstandards zu verbessern seien und es daher keinen Grund gäbe, die Transporte zu untersagen. Außerdem seien Atomtransporte durch Bundesrecht geregelt - und Bundesrecht bricht eben Landesrecht!



Daß es auch anders geht, zeigen die Beispiele aus Lübeck, Emden, Wilhelmshaven und Frankfurt a.M.. Die Parlamente der Hafenstädte haben sich bereits in den 80er Jahren gegen den Umschlag von radioaktiven Stoffen in ihren Häfen ausgesprochen. Lübeck hat dazu einen Teil des Hafens entwidmet, Frankfurt hat 1997 mit der Bahn AG vereinbart, keine CASTOR-Transporte mehr durch das Stadtgebiet fahren zu lassen.





Die Bremer Politik sollte nicht weiter die Augen schließen und versuchen, die Verantwortung an andere abzuschieben oder bei anderen zu suchen!

Um diesen Zustand zu verändern – d.h. den Stop aller Atomtransporte durch Bremen, ein atomstromfreies Bremen und schließlich die Stillegung aller Atomanlagen zu erreichen –, scheint uns u.a. noch viel Untersuchungs- und Aufklärungsarbeit nötig. Hierzu wollen wir mit unserem Projekt beitragen.