Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2001  Nr.2


Medienberichterstattung

Verschwörung beim Südkurier?

Bitte, keine Verschwörungstheorien! Bei uns gibt es kein Zentralkomitee, das von oben diktiert, was unten zu schreiben ist!" Schande! Wie konnte ich das vergessen? Wie kann ein "SED-Erbe" die Vermutung äußern, "die PDS würde in letzter Zeit ein bißchen geschnitten"? Und das gegenüber dem Chefredakteur der freiesten und unabhängigsten Lokalzeitung ganz Südbadens!

Das hatte ich also davon, die Gemeinderats-Debatte zu den Sperrzeiten der Kneipen zunächst "live" und tags darauf im Südkurier zu erleben. Vermutlich hat ja der Lokal-Chronist seine Aufmerksamkeit damit verausgabt, die langweiligen "einerseits-anderseits"- Statements der Fraktionssprecher zu notieren. Aber wie konnte er sich der Spannung entziehen, die im überfüllten Besucher-Bereich und auf den Rats-Sitzen entstand, als Michael Venedey sein klares Nein zur arroganten Ausbreitung der "fun society" formulierte. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, als er die SPD fragte, ob sie denn vollkommen vergessen hätte, daß Gaststätten auch Arbeits-Stätten seien und daß in den Wohnungen über den Kneipen Menschen schlafen würden, die früh aufstehen und zur Arbeit gehen müssten. Und als er die in den Sitzungsunterlagen enthaltene Formulierung geißelte, nach der "Konstanz nicht zur Senioren-Stadt verkommen dürfe", da flüsterte die ältere Dame neben mir ihrem Nachbarn zu: "Endlich einer, der nicht nur an die Umsätze der Wirte denkt". Die anwesenden BürgerInnen der Niederburg-Initiative werden nach der Debatte dem PDS-Rat schreiben: "Ihre engagierte Rede hat uns sehr bewegt und auch andere, denn es war auffallend ruhig im Gemeinderat! Man merkt, daß Sie sich für das einsetzen, was Sie für richtig halten."

Tags darauf also gespanntes Suchen nach einer, auch nur minimalen Erwähnung dieses herausragenden Beitrages: Fehlanzeige! Naja, vielleicht ein Versehen?

Ich lege den Südkurier aus der Hand, versuche mich mit Fernsehen abzulenken, gerate über den Sender Phoenix in eine Bundestags-Debatte zur Frage "Begann der NATO-Angriff gegen Jugoslawien mit einer Lüge?".
Die PDS-Fraktion hatte diese Aktuelle Stunde beantragt, weil der begründete Verdacht entstand, Verteidigungsminister Scharping habe dem Bundestag und der Öffentlichkeit falsche Sachbehauptungen präsentiert und damit deren Zustimmung zur deutschen Kriegsbeteiligung sichergestellt. Auch Abgeordnete von FDP und Union hegen Zweifel, ob Scharpings Behauptungen zutreffend waren. Dieser nimmt an der Debatte nicht teil. Sein Vetreter Reinhold Robbe (SPD) bringt immerhin die "Argumentation" zustande, es sei "eine Zumutung mit solchen Leuten wie Gysi in einem Parlament zu sitzen". Solche "Alt-Kommunisten" hätten da "überhaupt nichts zu suchen". (Solche Logik weiterführend ruft ihm die Abgeordnete Marquardt zu: "Dann bombardieren Sie doch gleich auch unsere Parteizentrale!".) Tags darauf wieder Ausschau nach betreffenden Zeitungsberichten. Die FAZ widmet dem Ereignis immerhin eine achtel Seite; Südkurier: komplette Fehlanzeige! Und das, obwohl dessen Autor Dieter Löffler zu Kriegszeiten in aller Ausführlichkeit die Behauptungen weitergab, die ihm Scharping in seinen PC bombte.(Seinem Aufstieg zum Ressortleiter Politik hat das nicht geschadet.)

Entschuldigung, Herr Engelsing, aber ein leiser Verdacht kann da schon mal aufkommen, "die PDS würde ein bißchen geschnitten".

friz


Diskussion:
Sofern Sie diesen Beitrag kommentieren möchten, schicken Sie uns eine Mail


linksrheincm17.04.2001