Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr.5


Rechtsradikalismus

Keine Probleme in Konstanz?

Den ganzen Sommer über schwappt das Thema Rechtsradikalismus nun schon durch die Presse-, Funk- und Fernsehlandschaft. Was ist passiert? Warum sehen Politiker plötzlich eine "rechte Gefahr"? Gab es vorher keine? Gab es sie nur im Osten? Oder auch bei uns?

Rechte Anschläge sind kein "Randphänomen" - seit langem nicht! Und sie sind auch sind auch kein "Ostdeutsches Problem", denn Mölln und Solingen lagen nicht im Osten. Seit 1990 zählten Antifa-Gruppen bundesweit ca. 100 Todesopfer durch Rechtsradikale, in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden knapp 30 Fälle. Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten erreichte in Baden-Württemberg 1994 ihren Höhepunkt mit 1499 Übergriffen. Im ersten Halbjahr 2000 gab es 714 Verfahren gegen Rechte (laut "Südkurier"). Und das geht so weiter: Konstanz, Ludwigshafen, Wuppertal. Das sind nur die polizeilich verfolgten Straftaten. Auch rechte Netzwerke verbreiten nicht erst seit gestern Adressen von Verlagen, "Kameradschaften", Plattenfirmen, Skin-Konzerten über das Internet, ebenso wie auch Listen ihrer "Feinde".

Neu ist vielleicht eine Zunahme an Selbstbewußtsem und Dreistigkeit in den letzten Jahren, besonders bei der Neonazi-Jugendbewegung, deren Sympathisanten sich heute öffentlich zu deren Ideologie bekennen. Die rechte Szene besteht durchaus nicht nur aus "Dumpfbacken"; über die akademische Rechte werden Theorie und Ideologie verbreitet. Die Strategen der Rechten hatten es nie schwer in diesem Lande, denn seit dem Ende des Nazi-Regimes wurde weder ideologisch noch personell mit dem Braunen aufgeräumt. Während Nazigrößen nach dem Krieg entscheidende politische Ämter übernahmen, wurden ihre Gegner weder rehabilitiert noch entschädigt. Wen wundert da, daß der Jurist Maunz, der den Kommentar zum Grundgesetz schreiben durfte, nebenbei unter dem Kürzel *** in der "Nationalzeitung" veröffentlichte? Oder, daß der NPD-Vorsitzende Udo Vogt ein hochdekorierter Bundeswehrsoldat war? Auch der Neonazi Dienel als Informant im thüringischen Landesverfassungsschutz paßt dazu. Nicht nur in Sachsen-Anhalt sind die Rechten (DVU) im Parlament, sondern auch in Bremen. In Baden-Württemberg sind sie sogar mit einer Fraktion von 14 Republikanern im Landtag vertreten.

Es ist durchaus Sitte hierzulande, auf dem rechten Auge blind zu sein, so daß die Staatsanwaltschaft die ausländerfeindlichen Vorkommnisse nicht als "auf politischen Einstellungen basierende" und somit rechtsextreme Gewalttaten ansieht. Vielmehr wurden Naziüberfälle lediglich als "jugendtypische Trunkenheitsdelikte" geahndet und dementsprechend auch meist mit Bewährungsstrafen belegt. Zur jetzigen vorzeitigen Entlassung eines der Täter von Solingen sagte die Familie der fünf Brandopfer: "...für bestimmte Leute ist das eine Ermutigung!" Ja, Ermutigung bekommen die Rechten hier täglich: Wenn SPD-Politiker wie Schily gegen "den Mißbrauch des Asylrechts" trommeln und die Grenzen für Flüchtlinge noch dichter machen. Wenn im Parlament tagtäglich Wörter wie: Abschiebung, Abschiebehaft, Schlepper, Schleuser, Illegale, Duldung und Wirtschaftsflüchtlinge benutzt werden, die als Leben bedrohende Waffen gegen Menschen in Not eingesetzt werden. Da kann sich doch jeder Rechte als "Retter des Vaterlands" fühlen, wenn er Ausländer, Punks, Linke, Behinderte und Obdachlose zusammenschlägt oder auch tötet. (Man beachte in diesem Zusammenhang auch die Schlagworte: " Überalterung der Gesellschaft", "Sozialmißbrauch", "Sozialneid" ein weites Betätigungsfeld für die, die "stolz-sind-Deutsche-zu-sein"! ). Die hiesige Polizei hat mit ihrem aggressiven Verhalten bei Razzien und gegen den Hungerstreik im Flüchtlingsheim Singen auch deutlich mit in die gleiche Kerbe gehauen.

Die Schulen werden derzeit vehement aufgefordert, Wissen über den "Holocaust" (warum nicht: die Verbrechen der Nazizeit?) und Erziehung zu Demokratie und Gewaltlosigkeit zu vermitteln. Dazu braucht es jedoch mehr Lehrer und kleinere Klassen. Und es braucht Lehrer, die politische Vorbilder sind. Wie fühlen sich wohl ausländische SchülerInnen und ihre FreundInnen, wenn der eigene Schulleiter, genannt "Mü-Fe" sich öffentlich rühmen läßt, mit seiner christlichen" Partei Unterschriften gegen die "Doppelte Staatsbürgerschaft" zu sammeln? Sowas hat Auswirkungen. Da schreit es dann auch fast zum Himmel, wenn derselbe jetzt zu Aktivitäten gegen Rechts aufruft. Ein reiches Land wie die BRD, welches von den Auswirkungen der Globalisierung profitiert, kann nicht auf der anderen Seite die Opfer dieser Strategie von seiner Tür weisen. Es ist eine Schande, ausländischen Profis mit der "Greencard" zu winken und den Flüchtlingen die "rote Karte" zu zeigen.

Außerdem wird vom Kindergartenalter an die Konkurrenz gegeneinander geübt. Erst geht es nur um tolleres Spielzeug und Klamotten, ab der Grundschule gibt es dann sogar gute Noten zur Belohnung, wenn man besser ist als der Nachbar. Es fehlt an SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen, die helfen könnten Spannungsfelder zu entschärfen. Es fehlt an betreuten als auch selbstverwalteten Jugendtreffs, es fehlt an unentgeltlichen Bewegungsspielräumen (wie Bolzen, Skaten, Tischtennis, Basketball, Volleyball usw.), v. a. für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Und es mangelt an qualifizierten Ausbildungsplätzen mit Arbeitsplatzgarantie, um die Perspektivlosigkeit der betroffenen Jugendlichen zu beenden.

Dies sind einige Gedanken zum Thema Rechtsradikalismus, und es können nie genug sein. Da es in Konstanz bekanntermaßen nicht wenige Menschen gibt, die sich schon länger mit diesen und ähnlichen Zusammenhängen beschäftigen, muß es doch möglich sein, ein kraftvolles Bündnis "Gegen Rechts" auf die Beine zu stellen. An der Uni, im DGB, in den Schulen sind schon Bewegungen im Entstehen, sie müßten nur noch zusammenkommen.

Der Konstanzer Gemeinderat muß einen Beschluß fassen, mit dem die Stadt sich verpflichtet, für gleiche Rechte aller hier lebenden Menschen einzutreten und jede Art von Diskriminierung zu bekämpfen. Konstanz muß eine Stadt der Solidarität und Menschenrechte sein, ein Vorbild in Sachen Integration und Zusammengehörigkeit

lir


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linksrheincm20.11.2000