Seeblättle  <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr. 3 

Flüchtlingspolitik

Auseinandersetzungen um das Asylbewerberleistungssgesetz in Konstanz

Im ersten Halbjahr 1980 zeichnete sich ab, dass die Anzahl der Asylanträge in der BRD mit etwa 100 000 auf mehr als das Doppelte des Vorjahres ansteigen würde. Die damalige sozialliberale Koalition reagierte mit massiven Verschärfungen des Asylverfahrensgesetzes: Sie führte die Visumspflicht für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisenregionen ein und setzte im Asylverfahren sonst übliche Rechtschutznormen außer Kraft.

Insbesondere setzte die SPD/FDP-Regierung aber auch auf "Abschreckung", indem sie die soziale Situation der Asylbewerber so miserabel wie möglich gestaltete.

Kochverbot und Lager

Eine dieser Maßnahmen, war die Unterbringung der Asylsuchenden in Lagern, sogenannten Sammelunterkünften. Hier spielten Baden-Württemberg und Bayern die Vorreiter und eines der ersten dieser Lager wurde in der Jägerkaserne in Konstanz eingerichtet. Eine weitere Komponente war ein Arbeitsverbot, das zunächst auf ein, dann auf zwei Jahre beschränkt war, in Baden Württemberg aber auf die gesamte Dauer des Asylverfahrens ausgedehnt wurde.

Den Asylbewerbern war es verboten zu kochen; die Sozialhilfe wurde in Form von in Alufolie verpackten Fertiggerichten zum Aufwärmen geliefert und durch ein sog. "Taschengeld" in Höhe von 70 DM pro Monat ergänzt. Der Aufenthalt der Flüchtlinge war auf den Zuständigkeitsbereich der örtlichen Ausländerbehörde begrenzt, das heißt auf das Stadtgebiet von Konstanz.

Obwohl sich Flüchtlinge z.B. Anfang 1985 gegen diese Behandlung mit einem Hungerstreik wehrten, beschränkte sich das politische Konstanz bis auf wenige Ausnahmen (Hermine Preisendanz: "Wir können diese armen Türken in der Jägerkaserne doch nicht verschimmeln lassen") darauf zu fordern, dass die Anzahl der Asylbewerber in der Jägerkaserne reduziert würden. So verlangten die FGL und die Ausländerinitiative, dass in einer Gemeinde nicht mehr als 50 "Asylanten" untergebracht würden.

Immerhin setzten die Flüchtlinge bei einem Beamten des Regierungspräsidiums durch, dass das Kochverbot aufgehoben wurde. Statt dessen wurden nun Fresspakete verteilt.

In den folgenden Jahren protestieren die Flüchtlinge immer wieder gegen die Unterbringung und die Lebensbedingungen in der Jägerkaserne. Pro Person waren lediglich 4,5 qm Wohnfläche vorgesehen. So endete ein Hungerstreik mehrerer Asylsuchender für eine Verlegung aus der Sammelunterkunft Anfang 1987 im Krankenhaus.

Ab 1988 wurden auch der Stadt Konstanz, wie schon seit 1985 anderen Ortschaften, Asylbewerber zur Unterbringung und Versorgung zugewiesen (Vorher war die Sammelunterkunft auf die sog. "Aufnahmequote" angerechnet worden).

Sobald nun Flüchtlinge aus dem Lager ausziehen durften, wurde ihnen die Sozialhilfe in Geld ausbezahlt. Denn das Bundessozialhilfegesetz (BSHG), das noch die Unterstützung von Flüchtlingen regelte, erlaubte es nicht, diese außerhalb von besonderen Wohnheimen pauschal durch Sachleistungen zu diskriminieren. Schließlich durften ab 1991 Asylbewerber sogar arbeiten, sofern ein Arbeitsplatz monatelang nicht von einem EU-Bürger zu besetzen war.

Das Asylbewerberleistungsgesetz

Im Sommer 1992 erreichte die rasstischen Hetze gegen Flüchtlinge und das Asylrecht flankiert durch etwa 2000 Anschläge einen Höhepunkt. Im sog. "Asylkompromiß" zwischen der regierenden christlich-liberalen Koalition und der SPD am 6. Dezember 1992 wurde neben der faktischen Abschaffung des Asylrechts die Etablierung eines "Asylbewerberleistungsgesetzes" (AbLG) vereinbart, das die Versorgung der Flüchtlinge aus dem BSHG herausnehmen und auf niedrigerem Niveau und in Form von Sachleistungen regeln sollte. Als offizielles Ziel des Gesetzes wurde angegeben, den Anreiz, einen Asylantrag zu stellen, zu verringern.

Sobald der Entwurf des Gesetzes bekannt war, wandte sich der Arbeitskreis Asyl Konstanz an die örtlichen Politiker: Neben der Ablehnung eines Sondergesetzes und der schikanösen Sachleistungen, die es beinhaltete, hob der AK Asyl insbesondere auf die Sozialbetreuung der Flüchtlinge ab, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr vorgesehen war. Diese Themen bildeten daraufhin den Schwerpunkt von Diskussionsveranstaltungen, Briefwechseln, und einer Debatte im Gemeinderat, bis sich - zur allgemeinen Erleichterung von Fraktionen und Stadtverwaltung - abzeichnete, dass nicht die Kommunen sondern die Kreisverwaltungen mit der Umsetzung des Gesetzes betraut würden.

Das neue Gesetz sah vor, im ersten Jahr nach der Antragstellung auf Asyl die Leistungen auf 75 % des Sozialhilfesatzes zu senken. Die Sozialleistungen sollten generell in Form von Fresspaketen und Sachleistungen gewährt werden, monatlich wurde lediglich ein "Taschengeld" von 75 DM ausgezahlt. Die Krankenversorgung wurde auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt (die von Angestellten des Landratsamtes zu diagnostizieren waren). Außerdem wurde Zwangsarbeit für 2 DM/Stunde eingeführt.

Die Umsetzung in Konstanz

Im Kreis Konstanz wurde der heutige Landrat Hämmerle, der damals noch Verwaltungdirektor war, mit der Umsetzung des AbLG betraut. Hämmerle setzte seinen Ehrgeiz darein, das Gesetz noch vor Erlass eines Ausführungsgesetzes durchzusetzen.

Am 16. November 1993 ließ er alle Flüchtlinge in der Kälte auf dem von der Polizei abgeriegelten Hof des Landratsamtes antreten, um die Auszahlung des "Taschengeldes" vornehmen zu lassen. Ein Videoteam der Medienwerkstatt querblick ließ Hämmerle vom Gelände verweisen. Am 29.11.93 sollten dann unter Polizeiaufsicht die ersten Fresspakete verteilt werden, wobei das Stuttgarter Innenministerium das Gesetz auch auf Asylbewerber, die sich schon länger als ein Jahr in der BRD aufhielten, und auf Bürgerkriegsflüchtlinge anwenden ließ. In Konstanz, Moos und Radolfzell kam es zum spontanen Boykott der Lebensmittelpakete, der jedoch schon bei der zweiten Lieferung zusammenbrach.

Um öffentlicher Kritik zu begegnen, warb Hämmerle in Interviews und ganzseitigen Anzeigen im Südkurier für das AbLG und versuchte - vergeblich -, den AK Asyl in dessen Umsetzung einzubinden. In der Folgezeit gab es eine Vielzahl von Aktionen, um das Landratsamt wenigstens zur Einhaltung der Gesetze zu zwingen und die Öffentlichkeit auf den fortwährenden Skandal hinzuweisen. Beispielsweise wurde - mit wenig Resonanz - eine "Umtauschaktion von Esspaketen" organisiert, bei der Deutsche den Flüchtlingen die Lebensmittellieferungen abkaufen sollten.

Gegen die Ausdehnung der Regelungen auf weitere Flüchtlingsgruppen wurde geklagt, bis der Verwaltungsgerichthof die rechtswidrige Praxis unterbunden hatte. Weitere Themen waren die Krankenversorgung, die Versorgung mit Kleidung und immer wieder die soziale Betreuung der Flüchtlinge.

Diese war in den Verantwortungsbereich des Landratsamt gefallen, das sofort den Betreuungsvertrag mit dem DRK kündigte, um die Sozialarbeit selbst einzurichten und für die Umsetzung des AbLG zu mißbrauchen. Der letzte Akt in dieser Reihe war die Vertreibung von Doris Künzel aus ihrer Stelle als Sozialbetreuerin in der Jägerkaserne, nachdem auch die Sammelunterkunft in die Zuständigkeit des Landratsamt gefallen war.

Auch die Flüchtlinge wehrten sich immer wieder gegen das Sachleistungsprinzip, z.B. Weihnachten 1993, als sie einen Christbaum ins Landratsamt trugen, um darauf hinzuweisen, dass ihre Kinder von Geschenken ausgeschlossen bleiben.

Schrittweise Verschärfungen

Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde seit 1993 mehrfach verschärft. Zuletzt einigte sich die SPD kurz vor der Bundestagswahl mit der Kohl-Regierung, das Gesetz auf alle Flüchtlinge auszuweiten und sie - mittlerweile waren die Antragszahlen gesunken - wieder für die gesamte Dauer des Asylverfahrens bevorzugt in großen Lagern unterzubringen. Rotgrün hat daran nichts geändert.

cm


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Linksrheincm27.09.2000