linksrhein Quelle: AZW Nummer 14, erschienen am 16.12.1995
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Polizei: Kein Vergeben, kein Vergessen. Nur Rache!

Die Verfolgung der Zeitschrift "radikal" hat bereits eine lange Geschichte: Ende der 70er Jahre wurden die ersten Bußgelder verhängt. Anfang der 80er mobilisierten die Haftbefehle gegen Christian Klöckner und Benny Herlin ein breites Bündnis bis hin zu Linksliberalen. Die Beschuldigten wurden zu Abgeordneten der Grünen im Europäischen Parlament gemacht und genossen so Immunität.

Anders wurde es schon Ende der 80er Jahre, als die Vertriebsstrukturen der "radikal" mit einer wahren Flut von §129 a-Verfahren und Gefängnisstrafen eingedeckt wurden. Ganz anders ist es Heute: Außer der IG Medien gibt es kaum eine gesellschaftlich relevante Gruppe, welche die Verfolgung und Inhaftierung der angeblichen MacherInnen der "radikal" nachhaltig öffentlich kritisiert. Dies obwohl der Vorwurf der "Kriminellen Vereinigung" für eine gesamte Zeitung noch vor einigen Jahren politische Gruppierungen, JournalistInnen und AutorInnen zu Hauf auf die "Barrikaden" getrieben hätte. Die Literaten sind unterdessen mehr damit beschäftigt sich von ihren ostdeutschen KollegInnen zu distanzieren, weil sie in der DDR zu wenig oppositionelle Stellung bezogen hätten...

Daß der gesamtdeutsche "Rechtsstaat" derzeit Bedingungen festklopft, von denen auch die Damen und Herren Schöngeister in Zukunft an die Wand gedrückt werden können, war auch immer wieder Thema auf der Veranstaltung der Infokneipe, die von knapp 40 Leuten besucht wurde. Eingeladen waren zwei Mitglieder der Kölner Solidaritätsgruppe der von den Hausdurchsuchungen vom 13. Juni Betroffenen. Seit diesem Tag saßen bundesweit vier Personen in Haft, denen unter anderem vorgeworfen wird, die,radikal" hergestellt zu haben. Gegen weitere vier Personen liegt ein ähnlicher Haftbefehl vor, sie sind seit dem 13. 6. auf der Flucht, darunter auch Frank aus Köln., Zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn wurde bekannt, daß die vier Inhaftierten aus der U-Haft gegen Kaution entlassen wurden. In ersten persönlichen Bewertungen vermuteten die ReferentInnen, daß die Anklage der Bundesanwaltschaft (BAW) in wesentlichen Punkten eingebrochen sei. Für Mitte Dezember sollte die BAW ihre Ermittlungen dem Gericht und der Verteidigung offenlegen. "Die BAW hat vielleicht Angst, daß die Anwälte ihnen die AnklageSchrift um die Ohren hauen", so die Vermutung eines Referenten aus Köln. Die AnwältInnen selbst haben inzwischen in einer Presseerklärung Ähnliches verlauten lassen: Sie sehen die Vorwürfe von Anfang an als haltlos und erklären, daß die Anklage nicht aufrechterhalten werden kann.

In der Veranstaltung wurde darüber berichtet, daß sich die Anklage im wesentlichen auf das Abhörprotokol eines Treffens von Leuten in einem Wochenendhaus in der Eifel bezieht, welches über Monate Objekt eines Lauschangriff war, weil sich dort angeblich die RAF zu einem Gipfeltreffen versammeln sollte. So wurde der Abhör-Probelauf ohne rechtliche Grundlage jedenfalls begründet. Eine politische Einschätzung zu den massiven Kriminalisierungen gab es auf der Veranstaltung nicht. Daß sich die Polizei davon leiten läßt, mit den Linken, die ihr Maul immer noch nicht halten, endgültig abzurechnen, bekräftigt auch Innenminister Kanther, der im Zusammenhang mit der Kriminalisierung den Linken die keine Ruhe geben unverhohlen droht.

Auf der Veranstaltung wurde auch das Untertauchen der Flüchtigen thematisiert und auf die Schwierigkeiten für die Solidaritätsgruppen mit dieser Situation hingewiesen. Solidarität und Dialog mit Gefangenen sei wenigstens über Knastkundgebungen und Gespräche mit den AnwältInnen möglich. Mit den Menschen, die Mitten aus einem gemeinsamen Alltag in die Flucht gedrängt wurden, sei die Situation wesentlich schwieriger. Kein Dialog, kein Kontakt, keine Auseinandersetzung. Für Frank aus Köln soll es demnächst eine Fete geben, um so Solidarität mit den Flüchtigen zu bekunden: Wo immer sie sich authalten.

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