linksrhein Quelle: AZW Nummer 12, erschienen am 26.10.1995
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Flüchtling bei Besuch in Türkei verhaftet und gefoltert

Lieferten Schweizer und deutsche Behörden Informationen?

Im Jahr 1983 kam Ahmet V. als Flüchtling in die Schweiz. Sechs Jahre später erhielt er eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung. Im August dieses Jahres reiste er in die Türkei, um seine Eltern zu besuchen. Seit September 1995 sitzt er in Istanbul im Gefängnis. Wir schildern einen leider alltäglichen Fall staatlicher Repression (nicht nur) in der Türkei, über die uns der in Konstanz lebende Bruder Ahmet V.s berichtete.

Vor nunmehr 12 Jahren floh Ahmet V. in die Schweiz und beantragte politisches Asyl, da sein Heimatdorf oppositionellen Gruppierungen Unterstützung gewährte. Zwar ermittelten die türkischen Behörden zu diesem Zeitpunkt nicht konkret gegen Ahmet V., er war jedoch Drohungen von Seiten der Armee ausgesetzt ? ein Jahr zuvor hatte das Militär geputscht ?, so daß er schließlich flüchtete. In der Schweiz wurde Ahmet V. in den folgenden Jahren unter Kurden als Musiker bekannt, der immer wieder auf kurdischen Kulturveranstaltungen und Festen auftrat. Im Jahr 1989 schließlich erhielt der Flüchtling, der seit seiner Einreise in Fribourg lebt, dann eine sogenannte Jahresaufenthalter-Bewilligung aus "humanitären Gründen".

Ahmet V., der weiterhin die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, ist seither schon einige Male in die Türkei gereist, so auch 1993 als er seine Familie in Erzincan besuchte. In diesem Sommer machte er sich erneut auf die Reise, um seine Eltern aufzusuchen. Er wollte diesen vor allem auch über die Situation einer seiner beiden Schwestern berichten, die im Juni ebenfalls in die Schweiz geflüchtet war. Der Grund: die andere Schwester ist "in die Berge gegangen" und hat sich der PKK angeschlossen. Die zweite Schwester wurde deshalb mehrere Male verhaftet. In der Schweiz hat sie wegen dieser Verfolgung inzwischen politisches Asyl erhalten.

Bis zu seiner Ankunft in Erzincan hatte Ahmet V., der von seiner Frau und seiner siebenjährigen Tochter begleitet wurde, keine Schwierigkeiten. Dort angekommen, wurde ihm jedoch das Auto samt türkischen Pässen und Schweizer Aufenthaltsgenehmigung gestohlen. Er besorgte sich neue Pässe, die ihm auch anstandslos ausgestellt wurden. Als er dann auf der Rückreise bei Edirne die Grenze überschreiten wollte, und dazu die in der Türkei obligatorische Bestätigung für seine Einreise abholen wollte, wurde Ahmet V. verhaftet, zwei Tage in Edirne festgehalten, verhört und gefoltert. Danach hat man ihn nach Istanbul überführt, wo er seitdem inhaftiert ist. Seine Familie hat bisher keinen Kontakt zu ihm aufnehmen können.

Besonders aufschlußreich erscheint die Begründung für die Verhaftung Ahmet V.s, die die Staatsanwaltschaft in Edirne abgegeben hat, als sie sich für den "Fall" nicht zuständig erklärt und ihn an die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes in V.s Heimatstadt Erzincan überwiesen hatte. Darin heißt es wörtlich:

"Es wurde festgestellt, daß über Straftaten des oben genannten Angeklagten folgende Auskünfte bestehen: Er ist PKK-Mitglied, seit 1989 in Fribourg (Schweiz) für die PKK tätig, wirbt Mitglieder für die PKK an, sammelt Geld, nimmt an den Versammlungen und Seminaren teil, beteiligt sich an den von der Organisation in Deutschland und in der Schweiz veranstalteten Demonstrationen und zahlt regelmäßig Beiträge an die PKK."

Es stellt sich die Frage, wieso die türkische Staatsanwaltschaft in Edirne über solch detaillierte Informationen über die angeblichen Tätigkeiten von Ahmet V. verfügt. Stammen sie von Schweizer und/oder. deutschen Sicherheitsorganen? Zumindest in der BRD wäre es nicht das erste Mal, daß sich der Staat zum Handlanger der türkischen Folterknechte macht.

Als besonders gefährlich schätzt der Bruder Ahmet V.s ein, daß bis zum heutigen Zeitpunkt gegen V. keine Anklage erhoben wurde. Solange sind nämlich auch kaum Besuche möglich. Und sehr häufig "verschwinden" solche Gefangene dann einfach.

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