linksrhein Quelle: AZW Nummer 11, erschienen am 12.10.1995
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Interview mit Frieder Eisele (Mitglied der Grünen) zur Friedenspolitik seiner Partei

In Puncto Einstellungsveränderung

In der grünen Partei ist vor dem Hintergrund des Kriegs auf dem Balkan eine breite Diskussion über die friedenspolitischen Grundsätze der Partei im Gange. Joschka Fischer hat das Ende des pazifistischen Anspruchs der Ökopartei eingeläutet, in der Region findet er dabei insbesondere in der Person von Hendrik Auhagen Unterstützung. Wir interviewten dazu Frieder Eisele, einen Kritiker der offiziellen Parteilinie in dieser Frage. Das Interview führte Christoph Pantlen (red)

AZW: Betrachtet man die Haltung der Grünen zu Militäreinsätzen, so ist eine veränderte Meinungslage festzustellen. Welche Möglichkeiten siehst Du für die Basis, pazifistische, antimilitaristische Positionen beizubehalten bzw. wieder einzubringen?

Frieder Eisele (FE): Im Moment geht ein großer Druck aus von der Tendenz, in ein paar Jahren in die Regierung einzutreten. Und da wird es ziemlich schwierig für die Basis, mitzuhalten. Man muß bedenken, daß wir eine Partei mit sehr wenig Mitgliedern sind. Daneben existiert ein Wählerwille, der sich keinesfalls deckt - für meine Begriffe - mit dem was viele Mitglieder denken. An der Basis existiert zwar jetzt eine Mehrheit für einen eher pazifistischen Weg, auch in der Bosnien-Frage, aber ich könnte mir denken, daß dieser Druck "regierungsfähig" zu sein, dazu führt, daß diese Mehrheit bröckelt.

AZW: Auch auf lokaler Ebene zeigt sich dies. Betrachtet man etwa die Haltung Herrn Auhagens, so fragt man sich, wie dies demokratischen Grundsätzen entspricht., einen Brief nach Bonn zu schreiben, ohne die Basis zu fragen.

FE: Das sehe ich etwas anders. Es ist auf einer Kreismitgliederversammlung zu Bosnien so diskutiert worden, auch mit meiner Stimme. Ich hatte Interesse an der Diskussion, aber die Frage ist, wenn man nicht zu diesem Tagesordnungspunkt eingeladen hat, wie man dann mit dem umgeht, was man aktuell vorfindet. Nach meinem Verständnis sind wir in der letzten Kreismitgliederversammlung bereits auf ein anderes Gleis gegangen. Wir haben in gegenseitigem Respekt der unterschiedlichen Meinungen schon eine andere Richtung genommen, genauso wie es in der Partei wirklich kontrovers diskutiert wird. Was wollen wir mit dem Militär in Zukunft? Wie soll die Uno aussehen? Auch in unserem Kreisverband kommen da eine ganze Reihe aus der Friedensbewegung mit Haltungen und Einstellungen, die nicht beliebig der Machterlangung oder "Regierungsfähigkeit" untergeordnet werden. Wir halten da auch fest an Überzeugungen, die ein Leben lang gewachsen sind.

AZW: Welche Möglichkeiten siehst Du für die Basis, in Anbetracht steigender Wahlergebnisse, aufgrund veränderter grüner Politik, veränderter Stimmung, ursprüngliche Themen wieder aufzugreifen?

FE: Ja, da bin ich fürs Ganze gesehen eher ratlos. Weil, wenn ich Überzeugung pointiert wirklich gut vertrete, dann bin ich nicht wählbar: Andererseits, wenn ich meine Meinung am Mehrheitswillen in der Bevölkerung ausrichte, werde ich wählbar und regierungsfähig. Ich denke, es geht über ein Stück Glaubwürdigkeit, daß ich umsetze, was meine Überzeugung ist, daß ich glaubwürdig lebe.. Bei einem Teil ,auch in der Basis, ist es eben anders gelaufen. Politik ist eine bequeme Einrichtung, wenn man seine Meinung hat und leicht ändern kann. Da zähle ich mich zur Gruppe derer, die probiert hat, Überzeugung umzusetzen. Das kostet eine Menge Aufwand. Die Umsetzung pazifistischer Haltung kostet vielleicht, daß man lernen muß, seinen aggressiven Teil einzubeziehen. Das ist für mich immer der springende Punkt gewesen. Will man Politik kämpferisch und konstruktiv vorantreiben, so muß man lernen mit Aggressivität anders umzugehen. Gewaltfreie Schritte zu praktizieren, einzuüben, was hilft, eine andere Politik zu machen. Da sehe ich große Versäumnisse, gerade im neuen grünen Anlauf im Bundestag. Wichtige Themen der Außen- und Friedenspolitik, die Bosnien betreffen, sind nicht besetzt worden: Wie die Uno benutzt wird von den USA. Meinungsverschiedenheiten auf europäischer Ebene in der Bosnienfrage, da hätte ich von der grünen Fraktion erwartet, daß sie viel deutlicher die Unterschiede aufnimmt und ausspricht. Zum Beispiel den englischen Standpunkt, daß die Ordnungsmacht Serbien in der Region zur Eindämmung des deutschen Einflusses erhalten bleibt. Das muß man zum Thema machen und diskutieren. Auch der Umgang mit der russischen Tschetschenien-Politik muß anders angegriffen werden. Da sehe ich eine Menge Nachholbedarf in der grünen wie auch in der bundespolitischen Diskussion. Mir ginge es um eine Zurückhaltung auf dem Balkan, um eine Friedenspolitik ohne Ausgrenzung.

AZW: Hört man die Bundestagsdebatten zum Thema Kroatien, Bosnien; oder die Debatte über die französischen Atombombentests, so reicht der Konsens von der CSU bis hin zur PDS. Wer kündigt den Konsens mit zukunftsträchtigen Entwürfen?

FE: Ja, und ich denke, das ist für mich auch das Traurige, Deprimierende in der ganzen Entwicklung der grünen Partei, daß die entschiedenen Meinungen herausgedrängt wurden. Daß praktisch unsere Diskussionskultur überwiegend einer reibungslosen Parteienfunktion untergeordnet worden ist. Wenn wir verändern wollen, dann haben wir dies in den 80er Jahren so gemacht, daß wir eher Konzepte und Utopien angesprochen und gefordert haben. Ich selbst habe das auch auf kommunaler Ebene erlebt. Oft hat sich unser Einsatz nicht in Beschlüssen niedergeschlagen, aber in Puncto Einstellungsveränderung haben wir ungeheuer viel erreicht. Heute habe ich eher die Sorge, daß diese Funktion der Grünen völlig weggebrochen ist. Wichtige, gute Oppositionsarbeit liegt brach. Wo soll der Dampf für Veränderung herkommen?

AZW: Wie sieht die Entwicklung friedenspolitischer Ideen bei der grünen Jugend aus? Wird die Entwicklung eher skeptisch gesehen, im Vergleich zur Gesamtpartei?

FE: Bei vielen Jugendlichen kriege ich eine andere Einstellung zur Gewalt mit. Gewalt hat einen ganz anderen Stellenwert. Einstellungen, daß man ohne Gewalteinsatz nichts erreicht, sind gang und gäbe. Das spiegelt sich darin wieder, wenn viele Jugendliche scharf darauf sind, Gewalterfahrungen zu machen. Gewaltfreie Aktionen interessieren weniger.
Hoffnungsvoll habe ich erlebt, daß zum Beispiel zu einer Demonstration in Kehl wegen der Atombombentests eine ganze Reihe Jugendlicher hingefahren sind, die sich bis jetzt politisch nicht betätigten.

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