linksrhein Quelle: AZW Nummer 10, erschienen am 28.09.1995
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September 1995: Deutschland im Krieg Die PDS sagt Nein!

Die Konstanzer Basisorganisation der PDS hat eine Stellungnahme zur Entwicklung der Lage im ehemaligen Jugoslawien und der Rolle der BRD veröffentlicht, die wir im folgenden veröffentlichen.

Mit den massiven Luftangriffen der NATO, an denen die deutschen Tornados beteiligt sind, hat sich die Lage im ehemaligen Jugoslawien erneut dramatisch verschärft. Die westlichen Industrieländer haben damit auch den letzten Anschein von Neutralität in dem Bürgerkrieg auf dem Balkan fallen lassen. Unter Führung der USA und Deutschlands soll mit dem Militärstiefel eine Ordnung geschaffen werden, die dem Westen genehm ist. Hunderte von Menschen mußten deshalb sterben, tausende wurden verletzt und verstümmelt, zehntausende vertrieben. Die moralische Entrüstung von Politikern und Medien über die erstaunlicherweise immer der serbischen Seite zugeschriebenen Greueltaten verbunden mit dem Ruf nach Frieden erweist sich damit als das, was sie von Anfang an war: Heuchelei, die ins politische Kalkül paßte, um die Öffentlichkeit für die eigenen schmutzigen Interessen zu mobilisieren.

50 Jahre mußte die Welt auf deutsche Militäreinsätze warten, jetzt wird wieder geschossen, gebombt und Frieden geschaffen. Die Tornados aber, die nun den Balkan befrieden sollen, kommen nicht aus dem heiteren Himmel über Split. Sie sind die Blitze eines Unwetters, das sich schon seit langem zusammenbraut.

Vorgeschichte und Hintergründe

Mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in Osteuropa und der Sowjetunion begannen auch im damaligen Jugoslawien die reicheren Teilrepubliken den Versuch, sich aus dem Gesamtstaat zu lösen. In diesem Prozeß gelang Slowenien und Kroatien mit ihrem faschistoiden Präsidenten Tudjman die allgemeine Anerkennung ihrer Souveränität. Entscheidend dabei war ein europäischer Alleingang des damaligen deutschen Außenministers Genscher in dieser Frage. Damit war der Auslöser, wenn auch nicht der Hauptgrund für den Bürgerkrieg gegeben. Der Rest ist bekannt. Die serbisch-nationalistische Führung und ihre Armee begannen den Krieg und machten anfangs große Geländegewinne, darunter die Krajina ein Gebiet, in dem zu Zeiten Jugoslawiens 85% der Bevölkerung serbisch war. Von den ehemals 156 serbisch-orthodoxen Kirchen waren zu Kriegsbeginn 100 dem Erdboden gleichgemacht. Nach dem beschriebenen Beginn führten alle Seiten Bosnier, Serben und Kroaten den Krieg auf ihre Weise weiter. Die international fast isolierten Serben in blindem Vertrauen auf ihre Waffengewalt, die andere Seite fügte dieser einen großen Propagandaapparat hinzu. So wurden von Bosniern und Kroaten zwei Washingtoner PR-Firmen zur "Information" ausländischer Journalisten bestellt. Paradebeispiel für die Ergebnisse solcher Politik sind die Meldungen über die Ereignisse nach der Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica. Während die FAZ am 15. Juli von "mehreren tausend" verschleppten Männern berichtet, muß die International Herald Tribune zehn Tage später ihre deutschen Kollegen Lügen strafen. Laut Aussage der einzigen unabhängigen Beobachter festgehaltene niederländische UN- Soldaten liegt die Zahl bei 150 bis höchstens 300 Männern. Ähnlich wurde vor zwei Jahren beim Einschlag einer Granate auf einem Marktplatz in Sarajevo und dem sog. "Brotschlangenmassaker" vor wenigen Wochen verfahren . Obwohl die Frage der Täterschaft nie geklärt wurde, suchten die deutschen Medien die Schuldigen ausschließlich auf serbischer Seite.

Deutsche Waffen von Beginn an dabei

Wenig Beachtung findet außerdem die deutsche Waffenhilfe an Kroatien: Nach 1990 wurde Deutschland Kroatiens wichtigster Waffenlieferant. "Ob es sich um Waffen der ehemaligen NVA, von MBB entwickelte Panzerabwehrwaffen des Typs Armbrust aus Singapur, Schnellfeuerwaffen von Heckler & Koch, um die Abrüstungsmasse christlicher Milizen im Libanon oder die Einschaltung des internationalen Waffenhändlers Karl-Heinz Schulze aus dem belgischen Boom durch einen deutschen Konsul handelt ? der Bundesnachrichtendienst hat, was Kroatien betrifft, den größten Anteil an der Aushöhlung der Embargobeschlüsse der UNO", resümiert der ehemalige Geheimdienstler Erich Schmidt- Eenboom in seinem neuesten Buch unter Berufung auf u.a. das Bulletin of the Atomic Scientist von 1994 (Konkret 7/95). In der Rangliste der weltgrößten Waffenexporteure konnte sich die BRD seit Beginn des Krieges vom fünften auf den zweiten Platz hochmorden lassen. Die Nato- Luftangriffe mit ihrer Achse Washington Bonn stellen eine Ablösung der Vereinten Nationen als Ordnungsmacht dar und vergrößern die Gefahr einer Ausweitung des Krieges enorm wie sich aus den Reaktionen des russischen Präsidenten Jelzin unschwer ablesen läßt.

Die parallel zum Balkankrieg in Deutschland geführte Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr in Bosnien gipfelt in den letzten Wochen mit dem Kriegseintritt der BRD, wie selbst die bürgerliche Süddeutsche Zeitung am 5.9. einräumen muß. Statt die Opposition in den vom Krieg direkt betroffenen Ländern zu stützen , werden Kriegsdienstverweigerer, die hier Asyl beantragen, abgewiesen. Statt das Embargo auf Energie auszuweiten oder überhaupt zu befolgen, besteht weiterhin Visumspflicht für BosnierInnen. Statt Druck auf den kroatischen Kriegstreiber Tudjman auszuüben, äußert Außenminister Kinkel am 4. August Verständnis für dessen Krajinaoffensive, die Hunderttausende von SerbInnen zu Flüchtlingen macht. Statt "Frieden zu schaffen", verselbständigt sich der Tornadoeinsatz. So beklagt der SPD-Parlamentarier Manfred Opel, Mitglied im Verteidigungsausschuß, daß er von den Aktivitäten der Kampfflugzeuge über die Presse erfahre und daß der Rahmen der Bundestagsbeschlüsse überschritten werde (taz 10.8.).

Dem militärischen Eingreifen Deutschlands in den Krieg war eine monatelange intensive politische, militärische und nicht zuletzt propagandistische Vorbereitung vorausgegangen. Es wurde und wird keine Mühe gescheut, um in der Öffentlichkeit ein Bild des Konflikts zu verankern, in dem die Verantwortlichen für den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien "die Serben" sind, während die Opfer auf kroatischer und vor allem muslimischer Seite zu suchen sind. Mit geballter Medienmacht wird der hiesigen Bevölkerung Tag für Tag eingehämmert, die Serben seien Schlächter, die anderen Beteiligten dagegen unschuldige und meist wehrlose Opfer.

Der Zweck dieser Propaganda ist natürlich, zu suggerieren, es gebe geradezu eine Pflicht, in Jugoslawien militärisch einzugreifen. Mit kindermordenden und frauenschändenden Unmenschen kann schließlich nicht verhandelt, auf die muß geschossen werden. Daß dieses täglich in Dutzenden von Zeitungsleitartikeln und Fernsehkommentaren herbeigeredete Eingreifen gleichzeitig noch als nobler Einsatz für Freiheit und Menschlichkeit verkauft wird, versteht sich von selbst und dient demselben Zweck: die Mobilisierung der "Heimat" für einen der gravierendsten Schritte der jüngsten deutschen Geschichte: nur 50 Jahr nachdem die Nazi- Wehrmacht die schlimmsten Greueltaten in Jugoslawien verübt hat, schießen dort deutsche Soldaten wieder.

Der Brand- als Friedensstifter

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir treten rückhaltlos gegen jegliche Form von Menschenrechtsverletzungen ein, egal von welcher Seite sie verübt werden. Doch wir wehren uns gegen die einseitige Berichterstattung über den Krieg von offizieller (Regierung) und offiziöser (Medien) Seite. Schlimme Tatsache ist, daß Greueltaten von allen Seiten verübt wurden. Und Tatsache ist vor allem auch, daß die Bundesregierung, die heute im Gewand des Friedensstifters auftreten will, einer der entschlossensten Brandstifter war, die die Fackel an das Pulverfaß Jugoslawien gelegt haben.

Deutschland war es, daß durch die voreilige Anerkennung von Jugoslawien abgefallener Republiken den Konflikt so richtig anheizte. Die von Bonn vertretene Kantonalisierung in der Region arbeitet direkt den Nationalisten aller Seiten in die Hände, die wirtschaftliche und militärische Rückendeckung Kroatiens und Bosniens führte zu einer weiteren Eskalation. Die hunderttausende Tote, Verletzte, Gefolterte und Vertriebene, die der Konflikt bis heute gefordert hat, gehen deshalb auch auf das Konto der Herrschenden in Deutschland. Dazu kommt, daß trotz offiziellem Verbot deutsche Waffen nach Bosnien geliefert werden, daß deutsche Söldner aus der Faschisten-Szene auf Seiten Kroatiens kämpfen. Angesichts all dieser Umstände ist es schon blanker Zynismus, wenn jetzt der offizielle Kriegseintritt als selbstloser humanitärer Akt dargestellt wird.

Ziel: Schaffung von Einflußsphären

Die Politik der Bundesregierung verfolgt alles andere als selbstlose Interessen und ist auch weit davon entfernt, etwa den Bosniern einen eigenen Staat zu garantieren. Sie zielt ? wie im gesamten Osteuropa ? darauf ab, den ehemals jugoslawischen Wirtschaftsraum in möglichst kleine Einheiten zu zerstückeln. Je kleiner die neu geschaffenen Länder, desto leichter lassen sie sich beeinflussen und beherrschen. Je unstabiler die Verhältnisse, desto eher kann sich Deutschland als Ordnungsmacht aufspielen und seinen Einfluß ausdehnen. Ein Slowenien und Kroatien gibt es, solange der Westen, namentlich Deutschland, sie stützt, oder es gibt sie eben nicht. Serbien, das sich gegen diese Absichten stellt, sich stärker an Rußland orientieren will, muß aus diesen Gründen geschlagen werden. Es geht natürlich um die Schaffung von Einflußsphären auf dem Balkan, um deutschem Kapital den Weg in diese Region zu ebnen.

Mit dem militärischen Einsatz der Bundeswehr Jugoslawien ist außerdem nun der von der Regierung lang gewünschte Präzendenzfall geschaffen: künftig, heißt die Botschaft, wird deutsche Außenpolitik wieder mit Waffengewalt durchgesetzt, wenn es der Regierung recht und dem Kapital billig erscheint.

Den Frieden kann man nicht herbeibomben

Aus dem Schrecken des Krieges wird heute vielfach nicht mehr der Schluß gezogen, daß Krieg kein Mittel der Politik sein darf. Auch einige Grüne fallen wieder in die Logik des 19. Jahrhunderts zurück, in der Krieg gerechtfertigt ist, wenn er einem politischen Ziel dient. In dieser Logik erscheint Krieg als die einzige wirkliche, konsequente, entschlossene Weise zu handeln. Damit gerät die wichtigste Einsicht des modernen Pazifismus in Vergessenheit: Militär schafft keine Sicherheit, sondern Unsicherheit, löst Probleme nicht, sondern verschärft sie. Weder Waffenlieferungen noch die militärische Unterstützung einer Kriegspartei wird in Ex- Jugoslawien Frieden bringen. Nur eine Politik, die konsequent eine friedliche Konfliktlösung anstrebt, die also tatsächlich von der Einsicht ausgeht, daß Krieg kein Mittel der Politik sein darf, wird zum Ende der Schrecken führen.

Was passiert, wenn in eine Region immer mehr Waffen gepumpt werden, kann man an vielen Stellen des Erdballs sehen. Weder Afghanistan noch Angola kommen zur Ruhe, obwohl es die Systemauseinandersetzung, die diese Kriege hervorgebracht hat, schon seit Jahren nicht mehr gibt. Auch im Nahen Osten wurden und werden immer wieder einzelne Länder aufgerüstet: erst der Iran, dann der Irak, heute Jordanien. Und auch hier stoppen Waffen den Krieg nicht, sondern heizen ihn nur weiter an. Sollte es einer Kriegspartei in Ex- Jugoslawien durch Unterstützung von außen tatsächlich gelingen, die militärische Oberhand zu gewinnen und die "feindliche" Zivilbevölkerung zu vertreiben, wie es der kroatischen Armee in der Krajina gelungen ist, kann man nicht von Frieden reden, sondern bestenfalls von einer weiteren Waffenruhe. Denn nichts kann leichter als Vorwand für den nächsten Krieg dienen als die Einschätzung der Serben aus Gebieten vertrieben worden zu sein, in denen sie seit Jahrhunderten leben.

Krieg schafft also keine Sicherheit; er löst aber auch nicht das zugrunde liegende Problem, sondern verschärft es nur weiter. Jede militärische Eskalation führt dazu, daß nach und nach tatsächlich die Nationalismen die Mehrheit des Volkes bewegen, die ihre Befehlshaber schon heute zur Schau stellen. Erst im Krieg bilden sich die unversöhnlichen Fronten, die hinterher nicht mehr zu Verhandlungsbemühungen fähig sind.

Bundeswehr raus!

Wir, die PDS, sehen im Zerfall Jugoslawiens und der Zerstückelung in einzelne, (un)abhängige Republiken eine für den Balkanraum und Europa gefährliche Destabilisierung. Daher fordern wir:

Abzug der Bundeswehr und ihrer Waffen. Gleiches gilt auch für die übrigen intervenierenden Staaten.

Verhängung und Durchsetzung eines Embargos für alle militärischen und kriegswichtigen Güter gegen alle jugoslawische Kriegsparteien.

Einberufung einer Internationalen Friedenskonferenz zur friedlichen Lösung der Probleme in Jugoslawien, unter Ausschluß der jugoslawischen und europäischen Kriegstreiber.

Generelles Verbot von Bundeswehreinsätzen im Ausland.

Verbot aller Waffenexporte.

Drastische Kürzung des Verteidigungshaushalts zugunsten friedenspolitischer Zwecke.

Abschiebestopp für alle Flüchtlinge aus Ex- Jugoslawien, insbesondere auch für Deserteure.

Gleichbehandlung aller Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien .

Unterstützung der demokratischen, pazifistischen und antimilitaristischen Organisationen und Parteien in allen Teilen Ex-Jugoslawiens.

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