linksrhein Quelle: AZW Nummer 09, erschienen am 14.09.1995
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Kampagne "Mumia Abu- Jamal"

Für ein faires Verfahren für Mumia Abu- Jamal

Am 5. September 1995 berichtete Jule Buerjes in der Infokneipe über den Fall des schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal, die Hintergründe seiner Verurteilung, die Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens und den aktuellen Stand der Solidaritätskampagne. Mumia Abu- Jamal dürfte derzeit der bekannteste Gefangene der USA "on death row", in der Todeszelle, sein. Weltweit hat sein Fall Aufsehen erregt wegen der beispiellosen Willkür, mit der hier jegliches Recht gebeugt wurde.

Seit seiner Verurteilung wegen angeblichem Polizistenmord im Jahre 1982 sitzt Mumia in einer Todeszelle im US-Bundesstaat Pennsylvania ein. Vorausgegangen war der Verurteilung ein Prozeß, für den die Bezeichnung Farce noch beschönigend klingt. Von der Schuld des Angeklagten waren sowohl Richter Albert Sabo als auch große Teile der Öffentlichkeit von vornherein überzeugt. Dementsprechend unternahm Sabo alles, um einen Schuldspruch zu erwirken, ließ jeglichen Unschuldsbeweis unterdrücken. So hatte Sabo, der bekannt dafür ist, mehr Todesurteile als irgendein anderer Richter der Vereinigten Staaten verhängt zu haben, eine Jury erkoren, die fast ausschließlich aus Weißen bestand. Von diesen Geschworenen war nicht zu erwarten, daß sie viel Verständnis für den Angeklagten, einen engagierten, linken, schwarzen Journalisten aufbringen würden. EntlastungszeugInnen wurden erst gar nicht gehört, oder sie wurden beschimpft und massiv eingeschüchtert. Da Mumia sich keinen guten Rechtsanwalt leisten konnte, stellte er den Antrag, sich selbst zu verteidigen. Richter Sabo lehnte ab und wies ihm einen Pflichtverteidiger zu, der so unerfahren war, daß er von Sabo leicht manipuliert werden konnte. Dazu kam eine Medienhetze, die Mumia als brutalen "cop killer" darstellte, und so waren Prozeßverlauf und anschließender Schuldspruch absehbar.

Diese Verurteilung und das verhängte Todesurteil müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, daß Mumia Abu-Jamal bereits seit Jahren als Feind der US-Regierung, insbesondere des Polizeiapparates, galt. Schon in den sechziger Jahren wurde Mumia politisch aktiv. Das war die Zeit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Mumia ging gemeinsam mit anderen in seiner Heimatstadt Philadelphia auf die Straße, um mehr Rechte für die afroamerikanische Bevölkerung einzufordern. Er machte früh Bekanntschaft mit den brutalen Polizeimethoden, die gegen unliebsame DemonstrantInnen angewandt wurden. Einmal wurde er so verprügelt, daß seine Mutter ihn im Krankenhaus auf den ersten Blick nicht wiedererkannte. Solche Erfahrungen führten zur Überzeugung, daß gewaltloser Widerstand nicht ausreicht und zum Entschluß, auch in Philadelphia eine Ortsgruppe der Black Panther Party ins Leben zu rufen. Mumia sagte später einmal, er sei regelrecht in die Black Panther Party hineingeprügelt worden. Die Black Panthers waren Ende der Sechziger eine kleine Gruppierung, die sich rasch in den ganzen USA ausbreitete. Sie forderten das Recht auf wirksamen Schutz für die afroamerikanische Bevölkerung und propagierten die bewaffnete Selbstverteidigung. Sie nannten es Black Power, revolutionäre politische Macht für AfroamerikanerInnen.

Mit 15 ist Mumia als Sekretär der Black Panthers in Philadelphia aktiv, 1970 arbeitet er bei der Zeitung Black Panther in Kalifornien und erlernt dort sein journalistisches Handwerk. Zurück in Philadelphia arbeitet Mumia im Verlauf der siebziger Jahre als Rundfunkjournalist und befaßt sich vor allem mit den Belangen der afroamerikanischen und hispanischen Communities. Immer wieder attackiert er in seinen Beiträgen den Rassismus des Philadelphia Police Departments und der Stadtregierung und macht sich dadurch in diesen Kreisen viele Feinde. Andererseits wird er durch sein Engagement weit über Philadelphia hinaus bekannt und geschätzt, verdient sich mit seiner eindeutigen und leidenschaftlichen Art zu schreiben den Beinamen "Voice of the Voiceless" und wird zum Präsidenten der Association of Black Journalists von Philadelphia gewählt. Zahlreiche Preise und Ehrungen werden ihm für seine Arbeit verliehen.

Schon Mumias früheste politische Aktivitäten riefen das FBI auf den Plan. Es wurde damit begonnen, eine Akte über ihn anzulegen; bis zum Tage seiner Verhaftung umfaßte sie 800 Seiten. Diese Dokumente belegen, daß Mumia seit seiner Mitgliedschaft in der Black Panther Party Ziel des sogenannten FBI-Cointelpro-Programms war. FBI- Agenten haben ihn verfolgt, Leute aus seinem Umfeld ausgehorcht, sein Telefon abgehört, seine Post überwacht. Schon in den siebziger Jahren versuchte das FBI, ihm etwas anzuhängen, damals ohne Erfolg. Doch 1981 bot sich erneut eine Chance, mit diesem unbequemen und verhaßten Gegner fertig zu werden. In der Nacht des 9. Dezember 1981 kam Mumia zufällig dazu, wie sein Bruder während einer Polizeikontrolle angehalten und verprügelt wurde. Er griff ein, um ihm zu helfen; am Schluß lag er mit einem Lungendurchschuß im Rinnstein, ein Polizist lag tot auf der Straße. Mumia wurde festgenommen und noch in derselben Nacht von der Polizei als der "cop killer" präsentiert. Dabei spielte es keine Rolle, daß mehrere Zeugen, die den Tathergang beobachtet hatten, aussagten, sie hätten den Schützen davonrennen sehen. Nur ein halbes Jahr später kam es zum Prozeß, der dauerte wiederum nur zwei Tage, am Ende stand das Todesurteil.

Nach der Verurteilung legte Mumia Berufung ein; sie wurde 1989 vom Obersten Gerichtshof in Pennsylvania verworfen, das Oberste Gericht in Washington weigerte sich wenig später, sich mit Mumias Fall überhaupt zu befassen. Doch auch diese Rückschläge ließen Mumia nicht resignieren. Weiterhin schrieb er Artikel aus der Todeszelle heraus, die in zahlreichen Zeitungen in den USA und Europa veröffentlicht wurden. 1994 nahm ihn der Radiosender National Public Radio (NPR) für eine wöchentliche Kolumne unter Vertrag. Daraufhin wurde die Polizeigewerkschaft Philadelphias aktiv, sie setzte die Leute vom NPR so lange unter Druck, bis diese den Vertrag wieder lösten, bereits geschriebene Artikel verschwanden im Archiv. Diese Vorgänge führten in den USA zu heftigen Diskussionen über das Recht auf freie Meinungsäußerung, über Zensur und über die Todesstrafe. Neue Nahrung erhielten die Debatten, als es Mumia nach großen Schwierigkeiten gelang, aus der Todeszelle heraus ein Buch zu veröffentlichen (siehe Hinweis am Schluß). In der Essay-Sammlung "Live from Death Row" erfuhr die Öffentlichkeit zum ersten Mal etwas aus dem Innern der Todestrakte. Mumia Abu-Jamal berichtet darin nicht nur von der Brutalität und den Demütigungen des Gefängnisalltags in der Todeszelle; er weist auch überzeugend nach, daß die Todesstrafe in den USA als rassistisches Instrument benutzt wird und als Instrument gegen die Armen. Unter dem Motto der "Kriminalitätsbekämpfung" werden ganze Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken gemacht, statt die steigende Armut und Perspektivlosigkeit in den Ghettos zu beseitigen.

Heute kann in 38 der 50 US-Bundesstaaten bei Mordprozessen die Todesstrafe verhängt werden; zuletzt wurde sie vor wenigen Wochen auch wieder im Staat New York eingeführt. Die große Mehrheit der Todeskandidaten stammt aus den ärmsten Gesellschaftsschichten und: 40 Prozent von ihnen sind Schwarze, obwohl der Anteil der AfroamerikanerInnen an der Gesamtbevölkerung der USA nur ca. 12 Prozent ausmacht. Dabei liegt der Anteil der schwarzen Todeskandidaten in einigen Bundesstaaten wie z. B. Alabama noch wesentlich höher. Doch nicht nur die Hautfarbe des Täters, auch die des Opfers ist von Bedeutung: Schwarze, die wegen Mordes an Weißen verurteilt werden, landen weitaus häufiger in der Todeszelle als Weiße, die Weiße getötet haben. Im umgekehrten Fall, wenn ein Mensch mit weißer Hautfarbe einen mit schwarzer ermordet, wird die Todesstrafe dagegen selten verhängt. Diese Tatsachen erinnern fatal an die Praxis im früheren Apartheid- Südafrika, dessen neue Regierung unter Präsident Mandela die Todesstrafe im übrigen längst abgeschafft hat. Die amerikanische Regierung hat in der Vergangenheit oft und vehement gegen die damalige südafrikanische Todesstrafenpraxis protestiert, insbesondere wenn es um politische Gefangene ging. Inzwischen ist es umgekehrt: In Südafrika gibt es eine große Solidarität mit Mumia Abu- Jamal, Gewerkschaften, ANC und viele andere protestieren vehement gegen die Vorgehensweise von US-Regierung und -Justiz.

Doch wenn es um politische Gefangene im eigenen Land geht, sind Regierungen bekanntlich wesentlich weniger zimperlich. Die Veröffentlichung von Mumias Buch war womöglich ein letzter Anstoß zu dem Entschluß, ihn nun endgültig zum Schweigen zu bringen. Obwohl bekannt war, daß Mumias Anwälte seit längerem an einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens arbeiteten, unterzeichnete Thomas Ridge, der neue Gouverneur von Pennsylvania, am 1. Juni 1995 den Hinrichtungsbefehl; der Termin wurde auf den 17. August festgelegt. Unmittelbar danach reichten Mumias Anwälte den 300 Seiten umfassenden Antrag ein, der Zeugenaussagen und neue Beweise für Mumias Unschuld enthält. Gleichzeitig forderten sie einen Aufschub der Hinrichtung. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Solidaritätskampagne in und außerhalb der USA sah sich Richter Sabo gezwungen, den Hinrichtungsbefehl am 7. August auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Er ist es auch, der über eine Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet - so will es die US-amerikanische Rechtsprechung. Dazu fand im Vorfeld eine Anhörung statt, die am 26. Juli begann und inzwischen abgeschlossen ist. Diese Anhörung sollte durch Befragung möglichst vieler Zeugen Beweise für Verfahrensfehler im ersten Prozeß erbringen. Doch Richter Sabo machte bereits während der ersten Tage der Anhörung klar, daß er möglichst wenige Beweise, die seinen Schuldspruch und das verhängte Todesurteil angreifen könnten, zulassen will. Mit einer Entscheidung kann voraussichtlich Ende September gerechnet werden. Anwälte und Prozeßbeobachter und auch Mumia selbst beurteilen die Aussichten, daß er dem Antrag auf Wiederaufnahme stattgibt, übereinstimmend als gering. In diesem Fall werden die Anwälte beim Obersten Gerichtshof in Pennsylvania Berufung einlegen und in nächster Instanz beim zuständigen Bundesgericht, von dem eine positive Entscheidung erwartet werden kann.

Nach wie vor ist die Situation also sehr angespannt: Ob der Kampf gewonnen werden kann, wird davon abhängen, ob der politische Druck massiv genug ist. Die Solidarität in den USA selbst ist groß, viele Fernseh- und Radiostationen berichten über Mumias Fall, auch viele prominente Personen haben sich für ihn ausgesprochen - das ist in den USA besonders wichtig. Auch in Europa und in der BRD muß die Kampagne für einen fairen Prozeß und letztlich für die Freilassung Mumia Abu-Jamals weitergehen.

Literaturhinweis: Mumia Abu-Jamal: ...aus der Todeszelle. Essays. Agipa- Press, Bremen, DM 28. -

Proteste können an folgende Adressen gerichtet werden: Judge Albert Sabo, 1286 Wanamaker, Philadelphia, PA 19107, USA (Tel.: 001- 215-686-5100, Fax: 001-215-563- 1623)
Judge Alex Bonavitacola, 516 City Hall, Philadelphia, PA 19107, USA (Tel.: 001-215-686- 3770, Fax: 001- 215-567-7328)
Judge Legrome Davis, Chair of PCRA Committee, 1408 One East Penn Square, Philadelphia, PA 19107, USA (Tel.: 001-215-686-9534, Fax: 001-215- 686- 2865)
Governor of Pennsylvania, Mr. Thomas Ridge, Main Capitol Building, Room 225, Harrisburg, PA 16652, USA (Fax: 001-717-783-3369)

Briefe an Mumia Abu-Jamal erreichen ihn unter folgender Adresse: AM-8335, SCI Greene, 1040 East Roy Furman Highway, Waynesburg, PA 15370, USA

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