linksrhein Quelle: AZW Nummer 08, erschienen am 31.08.1995
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Interview mit Katrin Brüggemann und Jürgen Weber vom "querblick"

Die wichtigste Unterstützung ist, daß mit uns diskutiert wird"

Vor zwei Jahren haben es zwei junge, engagierte Menschen in und aus Konstanz gewagt, eine Medienwerkstatt, genannt "querblick", aufzubauen. Bis heute haben sie drei Fernsehreportagen und sieben Videofilme gemacht. Viele Personen aus allen Altersguppen haben hier und anderenorts schon Filme von ihnen gesehen - oder darüber gehört oder gelesen. So war auch in der Nr.3 von AZW ihr letzter Videofilm "Wie Dachau an den See kam", sehr eindringlich besprochen worden. Jürgen Weber und Stephan Kern hatten die Dokumentation über den Überlinger KZ-Stollen gemeinsam produziert. Zu ihrer Medienwahl, und Motivation, zu Erfolgen sowie Durst-strecken wurden Katrin und Jürgen von AZW- Mitarbeiterin Ulla Allgeier interviewt.

Ulla: Könntest Du mir sagen, Jürgen, was für Euch die spezifische Qualität von Video ausmacht im Gegensatz zu Artikeln, Buch oder anderen Medien?

Jürgen: Dazu muß ich vielleicht vorausschicken, daß wir Video nicht als kulturellen Beitrag machen, sondern als Form der Gegenöffentlichkeit. Und wir verstehen uns auch in einer Tradition der Gegenöffentlichkeits-Bewegung, die Anfang der 80ger Jahre viele Medienwerkstätten hervorgebracht hat. Wir leben in einer Gesellschaft, wo das Fernsehen, also speziell das Medium Video, sehr dominant ist und auch sehr einflußreich bei der Meinungsbildung. Wir wissen das alle.

Ich denke, daß die Linke Probleme mit dem Medium Video hat. Das Fernsehen wird als das Medium des Feindes gesehen. Und ich denk', wenn wir eine wirksame Gegenöffentlichkeit machen wollen, dann dürfen wir dieses Medium nicht ausklammern, sondern müssen es nutzen und uns da auch einbringen. Das macht natürlich Schwierigkeiten - zum einen wegen einer Technikfeindlichkeit in der Linken und wegen diesem Feindbild Fernsehen - zum anderen ist es schwieriger und aufwendiger, Video zu produzieren, als einen Artikel zu schreiben.Wir klammern die Printmedien allerdings nicht aus. Wir werden zu unserem nächsten Projekt auch ein Buch mit vollständigen Interviews veröffentlichen.

Ulla: Katrin, wie kommt Ihr zu Euren Themen?

Katrin: Also, die inhaltliche Arbeit steht bei uns immer im Vordergrund, und die Themen kommen eigentlich aus unserer sonstigen politischen Arbeit. Es ist nicht so, daß wir händeringend nach Themen suchen oder nach Ideen. Es ist so, daß uns ein Stück weit die Themen offen liegen - was wir bearbeiten wollen, woran wir Interesse haben. Dann ist es so, daß die meisten Ideen von uns selbst kommen. Es ist aber auch schon so gewesen, daß Leute auf uns zugekommen sind und zu uns gesagt haben: "Wir arbeiten an dem und dem Thema, habt Ihr nicht Lust, das umzusetzen?" Das war bei dem Video Friedensengel der Fall. Die anderen Filme waren eigentlich so, daß wir auf Themen gekommen sind und dann mit Leuten, die auch an denThemen arbeiten, zusammenarbeiten.

Ulla: Und welches sind Eure Zielgruppen? Für wen macht Ihr die Filme?

Katrin: Also ich denk' - wie Du vorhin schon gesagt hast, Jürgen - daß wir uns auf diese Gegenöffentlichkeits-Bewegung schon noch beziehen, daß es diese Gegenöffentlichkeits- Bewegung aber in der Form nicht mehr gibt. Daß, so denk ich, die "Szene" auch immer kleiner wird, und daß es sinnvoll ist, nicht von der Szene für die Szene zu produzieren, sondern auch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, ein breiteres Publikum anzusprechen und auch Diskussionen anzuregen.Und mit den Videos oder den Themen, die wir anregen, ein Stückweit auch die Menschen öffnen für verschiedene Inhalte.

Ulla: Wieder zum Medium Fernsehen, Jürgen. Inwieweit glaubt Du, kann es Stachel sein , bei 99 % Schwachsinn ein Publikum zu erreichen, an das ihr sonst nicht drankommen würdet?

Jürgen: Erfahrungen mit Fernsehen haben wir eigentlich nur mit unseren drei Reportagen gemacht, die jetzt bundesweit über große Privatsender liefen, die laut Mediadaten so 350- bis 500tausend Leute erreichen. Da ist es natürlich klar, daß wir bei den wenigsten etwas erreichen. aber ich denk, es regt doch einige an, über die Themen, die wir da präsentieren oder diese Widersprüche, die wir da aufzeigen, nachzudenken. Zur Frage mit dem Stachel, denk ich: die wenigen Freiräume im Fernsehen, die wir haben und nutzen, sind natürlich nur ein kleiner Stachel in Bezug auf das Gesamtprogramm. Aber besser ein kleiner Stachel, als gar nicht präsent zu sein, als diese Form überhaupt nicht zu nutzen. Wir machen uns allerdings da auch nichts vor. Es ist jetzt nicht der öffentliche oder gegenöffentliche Supergau, wenn wir im Fersehen bundesweit unsere Reportagen senden können! Die Wirkung ist sicher sehr gering. Aber ich stell da wirklich auch die Frage nach den Alternativen. Für mich gehts da um nutzen oder nicht nutzen. Und da bin ich dafür, besser das Bißchen als garnichts.

Ulla: Komm ihr euch im Zusammenhang mit dem Prinzip der "politischen Ausgewogenheit" benutzt vor?

Jürgen: Also ich halte das schon für einen Mythos. Ich denk' - und was man nicht unterschätzen darf - es gibt auch beim Fernsehen, in den Sendern Leute aus ehemaligen linken Mediengruppen, die halt heute an Stellen sitzen, wo es durchaus möglich ist, solche Inhalte irgendwie unterzubringen. Und ich halte es auch für 'nen Verdienst, daß es solche Leute gibt. Und ich denk, es ist eher ein Stück unserer Stärke, daß wir heute Sendeplätze haben, als daß wir dafür benutzt werden, Sendeplätze zu füllen, um gewisse Themen dann doch mal im Fernsehen stattfinden zu lassen .

Ulla: Jürgen, wo liegen Eure hauptsächlichen Schwierigkeiten?

Jürgen: Unsere hauptsächlichen Schwiergikeiten sind natürlich die Finanzen. Wir leben natürlich in einer Zeit, wo Videofilme von einer Szene der linken politischen Bildung allein nicht mehr getragen werden können. Also so, wie die linken Gruppen und Initiativen zurückgegangen sind, sind auch ihre Veranstaltungen zurückgegangen. Eine Vermarktung im linken oder fortschrittlichen Bildungs- und Öffentlichkeitsbereich ist äußerst schwierig geworden. Das heißt, wir haben es seit zwei Jahren versucht, uns praktisch darüber zu finanzieren, und mußten erkennen, daß wir uns darüber allein nicht finanzieren können.

Ulla: Aber woher kommt denn letztendlich die Kohle, mit der Ihr arbeitet?

Jürgen: Also wir haben bei unseren bisherigen Projekten versucht, Unterstützungsgelder zu bekommen. Aber an die großen Gelder, wie Filmförderung der Länder, sind wir bislang nicht herangekommen. Das werden wir in Zukunft aber auch versuchen. Wir haben mehr versucht, im regionalen Bereich kleinere Zuschüsse zu bekommen, und das hat ja auch funktioniert. Wir haben von verschiedenen Kulturämtern zu verschiedenen Projekten beispielsweise Geld bekommen. Wir sind natürlich auch dazu gezwungen, vermehrt nach Auftragsgebern zu suchen - seien sie bei Fernsehanstalten oder Gruppen oder Initiativen. Wir sind auch darauf angewiesen, öffentliche Fördergelder zu nehmen. Allerdings immer unter der Prämisse - wenn es Projekte von uns sind und nicht reine Auftragsproduktionen - daß uns in die Inhalte nicht dreingeredet wird.

Ulla: Und wurde das auch respektiert?

Jürgen: Ja. Von den Kulturämtern bis zu den Fernsehanstalten wurde bislang alles geschluckt, was wir aufgetischt haben.

Ulla: Katrin, wie bringt ihr Eure Produktionen sozusagen unters Volk, beispielsweise an Schulen?

Katrin: Bei der Verbreitung der Videos denk ich, ist es auch wichtig auf verschiedenen Ebenen zu arbeiten. Mittlerweile gehören wir zu den fünf größten Verleihern und Vertrieben von Alternativ- Videos mit einem Katalog, in dem wir nicht nur unsere eigenen Videos anbieten sondern auch die von anderen Videowerkstätten, die keinen eigenen Verleih haben. Der Katalog ist mittlerweile sehr weit verbreitet. Bezüglich der Lehrer und Lehrerinnen denk ich, daß es für sie auch wichtig ist, verschiedene Inhalte in die Schulen zu bringen. Wir geben die Filme immer an eine Sammelbestellungs-Stelle, wo sie bewertet und den Landes- Kreis- oder Stadtbildstellen angeboten werden, die sie zu günstigeren Konditionen erwerben können und die dann für alle Lehrer auch kostenlos zu nützen sind.

Wir haben einige Videos auch beim Buchhandel angemeldet, so, daß also jede Person in einen Buchladen gehen und sich dort ein Video kaufen kann über 'ne ISBN-Nummer . Wir geben auch Pressemitteilungen über Filme heraus, die in verschiedenen Zeitschriften besprochen werden.

Ulla: Wie säh für Euch eine wirksame Unterstützung durch Leser und Leserinnen von AZW aus, was hättet Ihr Euch - konkret - schon gewünscht?

Jürgen: Da sag' ich mal ein Beispiel. Es wurde ja nach dem Ende des Neuen Nebelhorns eingeladen zu einem Treffen, um über alternative Medienprojekte zu sprechen. Aus diesem Treffen ist die AZW hervorgegangen. Wir haben auf dem 1. Treffen gesagt, daß wir Lizenzen fürs Lokalfernsehen beantragt haben. Das wurde etwa so aufgenommen, als würde ich erzählen, daß ich mir am Vormittag Sandalen im Kaufhaus gekauft habe. Ich will damit sagen, daß uns sehr wenig Leute eigentlich noch auf diese Lizenzen angesprochen haben. Und daß nicht weiter drüber diskutiert wurde.-
Ich denke, wenn wir über alternative Medien reden, ist das eigentlich ein sehr zentraler Punkt. Sonst wird es uns so gehen, wie es uns mit den Radiolizenzen gegangen ist, daß eine Diskussion kurz vor Torschluß angefangen worden ist, und wir dann natürlich keine Lizenzen mehr bekommen haben. Das Thema Lokalfernsehen wird mit Sicherheit kommen. Für uns heißt Unterstützung auch, daß wir als politisches Projekt wahrgenommen werden. Vielleicht sind wir selber zu defensiv. Aber wir finden schon, daß diese Chance auch regional genutzt werden sollte!

Ulla: Deine Antwort, Jürgen, betrifft nicht ganz meine Frage, die sich mehr auf LeserInnen und nicht die Redaktion von AZW bezog .Zur Verdeutlichung eine Stelle aus der Besprechung Eures Videos "Wie Dachau an den See kam"(Nr.3, AZW), die damit schließt: "Die Filmemacher sind daran interessiert, den Film auf Veranstaltungen zu zeigen, über ihre Erfahrungen bei den Recherchen zu berichten und darüber zu diskutieren".
Wie war bisher das Echo und die Möglichkeiten zu Diskussion und mit wem?

Jürgen: Wir sind auf verschiedenste Veranstaltungen eingeladen worden, nicht nur in der Region, sondern auch darüberhinaus. Speziell bei Fluchtgrenzen haben wir gemerkt, daß der Film genau dahin trifft, wo wir uns erhofft haben, daß er die Leute bewegt. Wir hatten sehr interessante Diskussionen mit den unterschiedlichsten Menschen führen können. Es war eine sehr schöne Erfahrung, einfach zu sehen, daß mit den Inhalten, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, die Leute sich auch in Diskussionen Gedanken machen und irgendwie auch zum Teil ihren Horizont erweitern.

Katrin: Die wichtigste Unterstützung ist für mich, daß mit uns diskutiert wird - sei es über dieses lokale Fernsehen oder die Möglichkeiten der Arbeit oder auch über das Ergebnis und was sich daraus ergeben könnte. Von daher ist die Diskussion ein sehr wichtiger Punkt an Unterstützung.

Ulla: Meine Schlußfrage bezieht sich auf den Titel eurer Medienwerkstatt querblick. Hat das irgendetwas mit Querkopf, Querdenken, Querschläger zu tun oder wie seid Ihr darauf gekommen?

Jürgen: Wir haben mal eine Anzeige veröffentlicht, in der eine Menge von Kameraleuten zu sehen sind, die dicht geballt irgend ein Ereignis zeigen, und die Kameras gehen alle in eine Richtung. Wir haben darunter geschrieben: "Der objektive Blick" kommt nur aus einer Richtung!

Zu diesem Blick sehen wir uns natürlich quer, auch quer gegenüber dem, was ansonsten im Fernsehen oder in der Videoszene gezeigt wird. Unsere Fragen sind andere und unsere Standpunkte auch.

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