linksrhein Quelle: AZW Nummer 04, erschienen am 22.06.1995
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Warnstreik bei Hertie in Konstanz

130 Beschäftigte streiken für höhere Löhne

Nach einem ersten Warnstreik in der letzten Woche bei Woolworth in Singen, blieben am Montagmorgen dieser Woche die Türen des Kaufhauses Hertie für mehrere Stunden geschlossen.

Ca. 130 Beschäftigte traten in den Warnstreik, um den Forderungen der Gewerkschaf HBV in der diesjährigen Tarifrunde im Einzelhandel Nachdruck zu verleihen. Nur 5 Angestellte aus den höheren Etagen drängte es an ihren Arbeitsplatz. Da half auch die Drohung eines der Hertie-Oberen nicht, daß jede der Streikenden mit Lohnabzügen rechnen müsse. Nach einer gut besuchten Streikversammlung im K 9, demonstrierten die streikenden Kolleginnen und Kollegen noch durch die Konstanzer Innenstadt. Neben einer Lohnerhöhung von 6%, mindestens jedoch 200 DM fordert die Gewerkschaft HBV in der diesjährigen Tarifrunde

Von Kapitalseite liegt bisher lediglich ein Angebot von insgesamt 2,8% vor. Die Forderung nach einer sozialen Komponente bei den Lohnerhöhungen lehnen sie ab. Nach zwei Nullmonaten sollen die Löhne erst ab Juni um 3,4% angehoben werden. Dieses Angebot wird von der HBV- Verhandlungskommission als unzumutbar und nicht verhandlungsfähig abgelehnt. Die "Händler" haben nach dem erfolglosen Abbruch des letzten Verhandlungstermins die Vereinbarung eines neuen Treffens verweigert. Die Gewerkschaft kündigte daraufhin an, daß die Gegenseite ab sofort täglich mit Streiks rechnen muß.

Derzeit liegt das Einkommen einer Verkäuferin nach 6 Jahren bei einem Vollzeitarbeitsverhältnis bei durchschnittlich 3060 brutto, von denen nach Abzug von Steuer und Sozialversicherungen gerade mal 1850 DM bei Ledigen übrigbleiben. Ein Hohn bei der Knochenarbeit, die sie leisten müssen. Neben ungünstigen, sozialfeindlichen Arbeitszeiten sind sie einer extrem hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, die häufig zu gesundheitlichen Schäden führt.

Die angebotene Tariferhöhung wird auch deshalb von Gewerkschaftsseite als Lohndiktat und Zumutung begriffen, weil die Verkäuferinnen immer noch an unterster Stelle der Einkommensskala stehen. Ferner ist das Angebot des Handelskapitals in Baden-Württemberg schlechter als in allen anderen Branchen und auch schlechter als in den anderen Tarifbezirken des Einzelhandels.

Die große Streikbereitschaft bei der Hertiebelegschaft ist hoch zu bewerten, findet sie doch vor dem Hintergrund eines massiven Arbeitsplatzabbaus im Gesamtkonzern statt. Nachdem es in den letzten Jahren auch in Konstanz immer mal wieder Entlassungen gab, bei denen bis zu 20 Beschäftigte auf die Straße gesetzt wurden, schloß die Konzernleitung in diesem Jahr den Standort Mannheim vollständig, was zur Entlassung von .???.. Menschen führte; ferner wurden die Lager von Hertie durch Karstadt übernommen, was den Verlust von 1000 Arbeitsplätzen bedeutet. In der Zentralverwaltung von Hertie beschloß die Konzernleitung den Abbau weiterer 600 Arbeitsplätzen. Auf einer Betriebsrätekonferenz des Hertiekonzerns verabschiedeten die anwesenden BetriebsrätInnen deshalb eine "Berliner Erklärung", in der sie gegen die Schließung und Entlassungspolitik der Konzernspitze protestierten und ankündigten, in der diesjährigen Tarifrunde mit an vorderster Stelle für die Sicherung der Arbeitsplätze und eine angemessene Erhöhung der Löhne zu kämpfen.

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