linksrhein Quelle: AZW Nummer 01, erschienen am 11.05.1995
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Willi Kobe und Amalie Pinkus: ein Leben für die Schweizer Friedensbewegung

Zwei Pioniere des Ostermarsches erinnern sich

Alle Jahre wieder sind sie in Bewegung - die Ostermarschierer. Seit sich die Frontlinien zwischen Ost und West auflösen, sind die Friedensbewegten verstummt. Daß die Idee "Nie wieder Krieg" jenseits aller weltpolitischen Konjunkturen zur biographischen Orientierungsmarke werden kann, zeigen die Lebensläufe des pazifistischen Pfarrers Willi Kobe und der Buchhändlerin Amalie Pinkus auf eindrucksvolle Weise.

In das Gesicht von Willi Kobe sind die Furchen eines langen Lebens eingekerbt. Nicht ganz so tief, so dass man sein wirkliches Alter erraten kann. Indes: Willi Kobe ist 96 Jahre und kann das ganze Jahrhundert aus nächster Nähe überschauen. Er hat den ersten Weltkrieg im Gedächtnis, erinnert sich an die Hoffnungen auf den Völkerbund, an die aufziehende Gefahr des Faschismus in Europa in den 30er Jahren, den Zweiten Weltkrieg mit seinem Inferno, dem Bombenabwurf von Nagasaki und Hiroshima als Abschluss. Willi Kobe war dabei kein stummer Zaungast. Überall, wo sich in der Schweiz Pazifisten und Friedensbewegte gegen Atombomben und Aufrüstung erhoben, war er dabei. Zeit seines Lebens eckte der pazifistische Pfarrer an. Bereits bei seiner ersten Pfarrstelle im Kanton Glarus wurde das Mitglied der "Vereinigung antimilitaristischer Pfarrer" von der Kirchgemeinde abgewählt. Schwierig war auch sein Stand in Oerlikon. Mitten in der Höhle des Löwen, dort wo die grösste helvetische Waffenschmiede Bührle für viele Gemeindemitglieder Arbeitgeber war, versah er zwischen 1932-1964 seinen Pfarrdienst. Die Bestätigungswahl geriet immer wieder zu einem politischen Wahlkampf zwischen Friedensfreunden und Rüstungsexport- Befürwortern.

Personifiziertes Geschichtsbuch

Der 96jährige Zeitzeuge ist das sprechende Geschichtsbuch der Schweizer Friedensbewegung. Kein Wunder, dass im vergangenen Jahr die Teilnehmer des Internationalen Bodensee- Ostermarsches Kobes Domizil in Heiden als Endstation wählten. Willi Kobe trat wie schon so oft bei Ostermärschen ans Mikrofon und erwies sich als lebendiges Gedächtnis des Schweizer Pazifismus. Nur: Die Friedensbewegung war wieder auf wenige Dutzende zusammengeschrumpft und dieses Jahr findet, obwohl sich die Welt von Ruanda, Somalia bis nach Tschetenien zu einem Pulverfass verwandelt, zu Ostern keine friedensbewegte Besinnung in der Schweiz statt. Auch am Bodensee, wo Österreicher, Deutsche und Schweizer noch lange die Fahne mit dem Peace- Zeichen rund um den See trugen, haben die Organisatoren nun mangels Interesse das Banner eingerollt. Enttäuschung bei dem 96jährigen? "Nein. Ich habe soviel Auf und Ab der Friedensbewegung erlebt, dass ich weiss: Nach einer Talsohle kommt wieder der Anstieg."

1963: Ostermarsches in der Schweiz

Willi Kobe weiss, wovon er spricht. 1963, beim ersten Ostermarsch in der Schweiz, waren die Friedensbewegten ebenfalls nur ein kleines Häufchen geblieben. Zwischen Genf und Lausanne marschierten einige hundert Atomwaffengegner unter dem Motto "Nein zur Bombe - ja zur Demokratie". Damals kam der Impuls für den Ostermarsch aus Grossbritannien. Dort marschierten 1958 britische Atomwaffengegner zu Ostern vom englischen Atomforschungszentrum Aldermaston nach London, um für einen weltweiten Atomwaffenverzicht einzutreten. Der Genfer Marsch also ein politischer Exportschlager von der britischen Insel? Willi Kobe wehrt sich gegen diese Sichtweise, die auch der neuerwachten Friedensbewegung in den 80er Jahren immer wieder entgegengehalten wurde. "Der atomare Fallout macht vor keiner Grenze halt", betont er mit entschiedener Stimme, als wäre er mitten in die Diskussion der 50er Jahre zurückversetzt, in die Epoche des kalten Krieges und der atomaren Aufrüstung.

1962/63: Zwei Atominitiativen

Bereits 1952 hatte England als erste europäische Macht die Atombombe gezündet. Frankreich folgte 1960. Auch die junge westdeutsche Republik meldete über Verteidigungsminister Franz- Josef Strauss ihr Interesse an einer Atomaufrüstung an. Damals drohten Atomwaffen in immer mehr Hände zu gelangen. Selbst in der Schweiz rührten sich Mitte der 50er Jahre Stimmen, dass die Bombe durchaus im Waffenarsenal einer auf Verteidigung ausgerichteten Armee Platz habe. 1958 folgte der Bundesrat den Vordenkern der Schweizerischen Offiziersgesellschaft und machte so das Thema über Nacht zu einer nationalen Prinzipienfrage. In diesem politischen Umfeld engagierte sich Kobe als Präsident der Schweizerischen Zentralstelle für Friedensarbeit (SZF) und der Schweizerischen Gesellschaft gegen atomare Aufrüstung bei den beiden Atominitiativen 1962 und 1963. Bei der Abstimmung kurz nach dem ersten Schweizer Ostermarsch zeichnete sich schon die Schweizer Zweidrittel-Gesellschaft in Militärfragen ab. Denn die Resultate Anfang der 60er Jahre und bei der GSoA-Abstimmung 1989 sind mit einem armeekritischen Drittel beinahe deckungsgleich.

Amalie Pinkus: Friedenstaube und geballte Fäuste

Zurück zum ersten Ostermarsch im Jahr 1963: Damals war auch Amalie Pinkus als Ostermarschiererin der ersten Stunde mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen dabei. Die Abzeichen von Genf, von Bern und Basel aus den 60er Jahren, die Plaketten von den Märschen rund um den Bodensee hängen noch heute bei ihr im Wohnzimmer. Die Friedenstauben und Friedenszeichen sind eingebettet in einem Meer von Nelken - 1. Mai- Abzeichen durch Jahrzehnte hindurch. Auch Hammer und Sichel und geballte Arbeiterfäuste mischen sich in das Blau der Ostermarsch-Abzeichen. Die stolze Sammlung von Buttons und Plaketten setzt sich zu einem buntscheckigen Flickenteppich des Protestes auf Schweizer Strassen zusammen: für AHV, gegen AKWs, für Frauenwahlrecht, gegen F/A- 18. Die Zürcher Buchhändlerin Amalie Pinkus dokumentiert damit eine andere Tradition der Schweizer Friedensbewegung: den sozialistischen Antimilitarismus. Manches Stück des Weges ist die christlich- pazifistische Strömung mit den sozialistischen Kriegsgegnern gemeinsam gelaufen. Immer stiess man an Kreuzungspunkte, wo der politische Wegweiser in unterschiedliche Richtungen wies. Beispielsweise beim Ostermarsch 1967. Die jungen Demonstranten enthüllten die blau-rote Flagge mit dem gelben Stern, die nationale Fahne von Vietnam-Symbol der internationalen Solidarität, der sich die Sozialisten verpflichtet fühlten. Statt sich auf das traditionelle Anti-Atom-Thema des Ostermarsches zu beschränken, wollten sie Farbe bekennen für Vietcong und gegen die USA. In der von Ruedi Brassel und Martin Leuenberger geschriebenen Biographie "Willi Kobe - Pazifist, Sozialist und Pfarrer" hält denn auch der streitbare Altpazifist Kobe nicht hinterm Berg, wie ihn der Ostermarsch 1967 in Bern erschüttert habe: "Welsche, kommunistische Jugendgruppen" hätten sich in den Ostermarsch hineingedrängt, "ihre Fahnen aufgepflanzt und wollten dann den Kreis auf dem Stadtplatz dominieren." Der Streit zwischen den kommunistischen Vietnam- Demonstranten hatte nicht nur für den Mitorganisator Kobe Konsequenzen, sondern brach fürs erste die Kette der Ostermärsche ab. "1968 entschloss ich mich die Ostermärsche aufzugeben und war froh, daß das Komitee mit mir darin einig ging." Ausser dem Streit hatte auch ein wenig die politische Konstellation den Friedensmarschierern den Wind aus den Segeln genommen: 1967 unterzeichnete die Schweiz den Atomsperr-Vertrag. Kobe räumt freimütig ein, dass dazu der Druck der USA weit wichtiger war als der Ostermarsch.

Protest gegen die Atomenergie

Auch Amalie und Theo Pinkus waren 1967 in Bern, wie sie ebenso schon 1963 beim 1.Ostermarsch von Genf nach Lausanne mitmarschierten. "Unsere ganze Familie war von Anfang mit ganzer Überzeugung dabei", weiß heute noch Amalie zu berichten. Eigentlich wollte sie damals gar nicht mit. "Das müsst ihr Jungen ausfechten", hat sie damals zu ihrem Sohn Andr§e gesagt. Er war schon bei einem der berühmten Ostermärsche in Aldermaston in England dabei und überzeugte schließlich auch seine Eltern sich dem friedensbewegten Osterspaziergang nicht zu verschliessen. Amalie Pinkus kann den Eklat beim Ostermarsch zwischen Biel und Bern bis heute nicht verstehen. Für sie gehörte der Protest gegen Atomrüstung wie gegen die damaligen Flächenbombardements der Amerikaner in Nordvietnam zusammen. "In Deutschland war das auch möglich", konstatiert die Zürcher Buchhändlerin im Rückblick. In diesem Punkt gingen die Meinungen von Amalie Pinkus und Willi Kobe weit auseinander. Aber auch an einem anderen Ort machte sich die unterschiedliche politische Biographie der beiden Ostermarschierer bemerkbar. Während die Zürcher Sozialistin unter der Losung "Nieder mit den Atomwaffen - für die friedliche Verwendung der Atomenergie" demonstrierte, hatte sich die religiös-soziale Bewegung schon seit den 50er Jahren auch gegen eine zivile Nutzung der Atomkraft ausgesprochen. "Die Religiös-Sozialen sollten recht behalten", räumt Frau Pinkus heute freimütig ein. Und die zahlreichen Embleme vom Kaiseraugst-Protest zeigt, daß sie sich später in die Demonstrationen der Atomkraftgegner eingereiht hat.

Aktionen des zivilen Ungehorsams

Übrigens auch Willi Kobe. Obwohl ihm die Ostermärsche der 60er Jahre wie "Fasnachtsumzüge" der Jungen vorgekommen waren, freute er sich, daß nach langen Jahren eines der grossen Themen der radikalpazifistischen Bewegung von den Jungen aufgenommen wurde. An einen alten Mitstreiter schrieb er 1969: "Jahrelang schien es, als ob wir leeres Stroh geklopft haben. Nun fängt es sich doch an zu regen. Das Parlament von Baselland ist beunruhigt über gebaute und geplante Atomreaktoren, und der Kanton Aargau fängt nun auch zu fragen an." Noch etwas anderes interessierte den christlichen Friedensstifter: Mit dem Atomprotest wurden politisch die ersten Aktionsformen des zivilen Ungehorsams eingeübt. Als Anhänger der Gewaltfreiheit und Autor eines in den 20er Jahren vielbeachteten Buches über Mahathma Ghandi schätzte er dies besonders. Im Rückblick auf den sein ganzes Leben andauernden politischen Protest räumt Kobe dem Ostermarsch eine besondere Stellung ein, der bis heute noch in der Schweizer Gesellschaft nachwirkt: "Mit den Ostermärschen fing die bis heute nicht abgebrochene Linie von Basisbewegungen gegen öffentliche Misstände an."

80er Jahre: wieder gegen atomare Hochrüstung

Anfang der 80er Jahre kehrte mit den von den USA und der UdSSR geplanten Raktenstationierungen in Mitteleuropa das Thema Atomaufrüstung auf die Agenda der Friedensbewegten zurück und damit auch der Ostermarsch. Neben der Großdemonstration im November 1983 in Bern mit mehr als 50000 Teilnehmern gestaltete sich der Ostermarsch 1982 in Basel mit 20000 bis 30000 Menschen zu einer der eindruckvollsten Friedenskundgebungen gegen die Atomwaffenrüstung. Heute ist es dagegen wieder still geworden. Wie schon in den 50er Jahren steht die Ausweitung der Atommächte weltweit auf dem Programm. Pakistan, Indien, Israel und Brasilien scheinen in ihren Depots das spaltbare Material schon bereitzuhalten, um im Kriegsfall über eine Bombe als ultima ratio zu verfügen. Nur: Die Friedensbewegung ist mit dem Schwinden der bipolaren Ost-West - Block nach 1989 erlahmt und kann aktuell auf die neue Situation nicht reagieren.

Nie gewaltgläubig geworden

Nicht zuletzt auch wegen Bosnien. Das kleine Balkanland im Würgegriff der Serben hat unter den Friedensbwegten Streit heraufbeschworen, ob eine humanitär begründete militärische Intervention zugunsten der bedrängten bosnischen Muslime legitim sei. Krieg als Mittel gegen den Krieg - davon will Kobe nichts wissen. "Ich bin in meinem Leben nie gewaltgläubig geworden. Auch nicht im 2. Weltkrieg." Die Antwort zeigt: Kobe ficht das "realpolitische" Argument, dass totalitärer Gewaltherrschaft nur mit einer militärischen Antwort zu begegnen sei, nicht an. Der pazifistische Pfarrer hält sich an die Bergpredigt und die Losungsworte, die das Alte Testament schon ausgegeben hat: Schwerter sollen sich zu Pflugscharen, Spieße zu Rebscheren verwandeln.

Delf Bucher

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