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Aus dem Südkurier vom 4.3.99


 

Lokaler Hintergrund

Abschiebung statt "Altfall-Regelung"

Junge Kurden erleben deutsche Reaktionen auf PKK-Gewaltproteste als doppelte Moral

Auf Akte humanitären Großmuts, so scheint es, dürfen kurdische Flüchtlinge derzeit nicht hoffen: Statt das Inkraftsetzen der für mehrjährig andauernde Asylfälle gedachten "Altfall-Regelung" der Bundesregierung abzuwarten, schiebt das Land Baden-Württemberg kurdische Asylbewerber weiterhin in die Türkei ab. So wurden vor wenigen Tagen in Gottmadingen eine Mutter mit einem dreimonatigen und einem zweijährigen Kind vom Ehemann getrennt und abgeschoben. In Tengen-Watterdingen holte die Polizei eine kurdische Familie mit sechs Kindern ab. Beide Familien arbeiteten hier und waren nicht straffällig geworden.

Seit der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan herrscht, mitverantwortet von reißerischen Medienberichten, hierzulande kein menschenfreundliches Klima für kurdische Flüchtlinge. Das spüren auch junge Kurden, die seit einigen Jahren in Konstanz leben und arbeiten.

Meryem und Ökkes Küsne sind 1992 mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen. Ihr Vater war gezwungen worden, als "Dorfschützer" des türkischen Militärs gegen die PKK-Guerilla zu arbeiten. Meryem, heute 21, und ihr 27jähriger Bruder Ökkes arbeiten in Konstanz und ernähren die Familie: Meryem ist Zahnarzthelferin, Ökkes arbeitet bei einem großen Gartenbaubetrieb. Doch die ganze Familie steht vor der Abschiebung, weil ihre Fluchtgründe vor den Gerichten keine Anerkennung fanden.

Als sie die Bilder des vor türkischen Fahnen aufgestellten PKK-Chefs mit Klebeband über dem Kopf im Fernsehen gesehen hat, habe sie weinen müssen, erzählt Meryem. Nicht weil sie Anhängerin des PKK-Chefs sei, sondern weil sie in dieser Vorführung die von der Türkei beabsichtigte Demütigung aller Kurden erkannte.

Als Kinder wurden Ökkes und Meryem in der Schule geschlagen, wenn sie nur ein Wort Kurdisch sprachen. Das sitzt tief. "Deutschland muß jetzt endlich der Türkei den finanziellen Wasserhahn zudrehen, damit die Türkei zu sich kommt. Denn es sterben dort jeden Tag Menschen durch Waffengewalt, Türken und Kurden, es sind Menschen!" sagt Ökkes, und es klingt wie ein verzweifelter Appell.

Der als politisch Verfolgter anerkannte Haki Güntas, heute Student an der Uni, will die gewaltsamen Proteste und die zahllosen Todesopfer des PKK-Terrors nicht rechtfertigen. Doch solange Kurden hierzulande zu Hunderttausenden friedlich demonstriert hätten, habe kaum jemand von ihrem Aufruf zur Einmischung Kenntnis genommen. Auch jetzt lese man in deutschen Zeitungen kaum eine Zeile über die neuerliche Offensive des türkischen Militärs gegen die Kurden im Irak. "Da wird ein Vernichtungskrieg geführt und niemanden interessiert das hier."

Im eigenen beruflichen Umfeld in Konstanz erleben die drei jungen Kurden betretenes Schweigen und auch Abwehr gegen das Thema. Kaum jemand außer den interessierten Freunden wisse Bescheid, was sich in der Türkei abspiele. "Man sieht nur die Fernsehbilder und wirft uns jetzt pauschal Gewalt vor, aber niemand in Europa hatte den Mut, Öcalan vor ein internationales Gericht zu stellen", sagt Haki verbittert.

In dieser Atmosphäre aus Aufgeregtheit und Ablehnung sehen Meryem und Ökkes auch kaum eine Chance für sich und ihre Familie. Infolge der mehrfach dokumentierten Zusammenarbeit deutscher und türkischer Nachrichtendienste ist zu befürchten, daß die Daten der beiden engagierten jungen Kurden in der Türkei längst vorliegen.

"Wir haben Deutsch gelernt, wir arbeiten hier, haben deutsche Freunde, unser kleiner Bruder geht hier zur Schule und keiner von uns ist straffällig geworden", sagen die beiden. Aber für die baden-württembergischen Behörden ist das offenbar nicht die Integration, die man mit der Doppelpaß-Unterschriftenaktion befördern will. Deshalb gibt es für Ökkes, Meryem und etwa zehn weitere asylrechtlich nicht anerkannte kurdische Familien aus Konstanz nur eine Perspektive: die Abschiebung in die Türkei.

 

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LinksRhein, 12.4.1999