LinksRhein
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Karawane Gruppe
Rede auf der Demo vom
24. April 1999

Zur Scheinheiligkeit derzeitiger Flüchtlingsfreundlichkeit der deutschen Regierung und ihrer Behörden

Am Beispiel des Flüchtlingselends der Kosovoalbaner wird derzeit die ganze Scheinheiligkeit der deutschen Regierung, ihrer Politiker und der Behörden gegenüber Flüchtlingen deutlich. Solange die Flüchtlinge nur auf deutschen Bildschirmen in unseren Wohnzimmern präsent sind, werden sie öffentlich bemitleidet und ist die Empörung über ihr Schicksal groß. Sie sind dann die guten Flüchtlinge, denen sofort Hilfe - aber möglichst vor Ort - geleistet werden soll! Aber wehe, die Flüchtlinge wagen es unser Land zu betreten, um hier Schutz vor Verfolgung, Folter, Krieg und Verelendung zu suchen und sie wagen es, womöglich illegal, weil ihnen gar keine andere Möglichkeit bleibt, unsere Grenzen zu überschreiten. Die deutsche Flüchtlingspolitik ist in den letzten 10 Jahren, durch zahlreiche Gesetzesveränderungen, insbesondere der Grundgesetzänderung von 1993, zu einer gnadenlosen Abschottungs- Abschreckungs- und Abschiebepolitik gegenüber schutzsuchenden Flüchtlingen verkommen.

Flüchtlinge aus dem Kosovo gibt es nicht erst seit März dieses Jahres! Bereits vor 8 Jahren sind die ersten Kosovoalbaner aus ihrer Heimat geflohen um in Deutschland Aufnahme und Schutz zu suchen. Während die Kosovoflüchtlinge heute von offiziellen Stellen als Opfer eines Völkermordes betrachtet werden, wurden ihnen noch gestern von deutschen Gerichten keinerlei Verfolgungsgründe zugestanden, ihre Asylverfahren wurden deshalb systematisch abgelehnt und ihre Abschiebung nach Jugoslawien bis zum Herbst vergangenen Jahres mit deutschem Behördeneifer exessiv betrieben. Von deutschen Politkern, die heute Krokodilstränen für die Kosovoalbaner vergießen, wurde 1996 mit Milosevic zum Zwecke einer effizienten Abschieberate ein eigenes Abschiebeabkommen ausgehandelt. Exakt bis zu jenem Zeitpunkt als der Flugverkehr nach Belgrad nicht mehr möglich war, wurden aus Deutschland tausende Kosovoalbaner abgeschoben. Um sie aber auch nach diesem Zeitpunkt aus Deutschland rauswerfen zu können, hat man sie bis kurz vor Kriegbeginn im März d.J. nach Tschechien und Makedonien abgeschoben.

Tödliche Folgen hatte diese rigorose Abschiebepolitik für den 44-jährigen, schwerkranken Hamid Smajli, der mit seiner Familie 8 Jahre in Konstanz gelebt hat und noch vergangenes Jahr in den Kosovo abgeschoben wurde. Bei seiner erneuten Flucht nach Deutschland wurde er mehrere Monate in deutschen Gefängnissen festgehalten und im Januar dieses Jahres nach Tschechien abgeschoben. Dort verstarb Hamid Smajli am 14. März 1999 in einem Flüchtlingslager. Der Konstanzer Hausarzt von Hamid Smajli hatte in einem Attest vor den Todesfolgen bei ungenügender ärztlicher und medikamentöser Versorgung gewarnt. Deutsche Behörden und die Polizei, auch in Konstanz, nahmen darauf bei seiner Abschiebung keine Rücksicht. Wir fragen hier nach den Verantwortlichen und wir sind wütend und traurig über Hamid Smajlis Tod. Wir fordern, dass die Ehefrau und die 3 Kinder von Hamid Smajli die immer noch in einem tschechischen Flüchtlingslager leben, wieder nach Konstanz, das in 8 Jahren Aufenthalt hier zu ihrer 2. Heimat geworden war, zurückkommen können und hier versorgt werden.

Die jetzige Aufnahme von 10.000 Flüchtlingen in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, ist angesichts der Flüchtlingszahlen und der wirtschaftlichen Situation in Makedonien und Albanien erbärmlich wenig und beschämend. Während derzeit noch nicht einmal ein Kriegsende in Jugoslawien abzusehen ist, geschweige denn ein Friedensplan oder der Wiederaufbau des Landes, wird den gerade angekommenen Flüchtlingen schon wieder nahegelegt nach 3 Monaten, solange wurde ihre Duldung von den Behörden ausgestellt, das Land zu verlassen. Bereits bei ihrer Ankunft sollten sie unterschreiben, dass sie auf ein Asylrecht verzichten und ihr Aufenthalt auf 3 Monate begrenzt ist. Eine sichere Aufnahmemöglichkeit als Bürgerkriegs- oder Kriegsflüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention soll ihnen verwehrt bleiben obwohl dafür alle rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen offensichtlich vorliegen. Sowohl eine private Aufnahme von Flüchtlingen als auch die Familienzusammenführung von in Deutschland lebenden Flüchtlingen und Angehörigen, die in makedonischen und albanischen Flüchtlingslagern leben, wird von den Behörden verweigert - auch dann, wenn sich die Verwandten hier schriftlich verpflichten, vollständig für die Unterkunft und den Unterhalt aufzukommen. Angesichts des Flüchtlingselend der Kosovoalbaner ist diese Weigerung schlichtweg unverständlich und menschenverachtend. Wir sehen also : sind die Flüchtlinge erstmals auf deutschem Boden, ist das Engagement von offizieller Seite sehr halbherzig und zuallererst von der Sorge begleitet, wie wir die Unglücklichen so schnell wie möglich wieder los werden.

Während der Krieg in Jugoslawien von der NATO und Deutschland angeblich zur Verteidigung der Menschenrechte geführt wird, werden in der Türkei seit Jahrzehnten die Menschenrechte mit Füßen getreten, ohne daß dies irgendeine politische Konsequenz hätte. In nahezu allen kurdischen Provinzen in der Türkei sind die Menschenrechte von der türkischen Regierung offiziell ausser Kraft gesetzt. Mehrmals wurde die türkische Regierung in den letzten Jahren vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Folter und Nichteinhaltung der Menschenrechte verurteilt. Anstatt die Türkei dafür offiziell zu ächten, die wirtschaftliche und militärische Unterstützung an die Türkei sofort einzustellen, beliefert die deutsche Regierung seit mehr als 20 Jahren die Türkei mit Waffen, werden deutsche Panzer zur Vertreibung der Kurden, zu Dorfzerstörungen und zum Völkermord an den Kurden eingesetzt. Nach der Verhaftung Abdullah Öcalans wurden in den letzen Wochen über 10 000 Menschen in der Türkei verhaftet, zahlreiche Oppositionelle erschossen und zu Tode gefoltert. Faktisch herrscht in der gesamten Türkei der Ausnahmezustand. Ungeachtet dieser Tatsachen, ungeachtet der Menschenrechte werden derzeit aus Deutschland massenhaft Kurden in die Türkei abgeschoben. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat hat inzwischen zahlreiche Fälle dokumentiert wonach aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge in der Türkei inhaftiert und gefoltert wurden. Auch Amnesty International warnt eingehend vor der Abschiebung kurdischer Flüchtlinge in die Türkei. Wir fragen, wer verteidigt die Menschenrechte der Kurden in der Türkei? Wir fordern einen sofortigen Abschiebestop in die Türkei!

Flüchtlingspolitik in Deutschland bedeutet heute, eine systematische Abschottung der Grenzen und eine Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen indem sie generell in Lagern untergebracht werden, ihre Versorgung auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes mittels Esspakte unter das Existenzminimum gekürzt wurde sowie eine medizinische Versorgung, die nur bei akuten Schmerzzuständen und bei Lebensbedrohung gewährt wird. Grundfreiheiten wie das Recht auf Schutz von Ehe und Familie, das Recht auf Bewegungsfreiheit und andere Rechte gelten für Flüchtlinge in Deutschland heute nicht mehr. Kein Tag in Deutschland vergeht, ohne dass Flüchtlinge und andere Ausländer von Rechtsradikalen zusammengeschlagen werden. Als Flüchtling in Deutschland zu leben bedeutet auch massiv von Polizei und Grenzschutz im Zug, an Bahnhöfen, im Bus und auf offener Straße kontrolliert zu werden und in ständiger Angst vor Abschiebung zu leben. Die Bevölkerung, insbesondere in den neuen Bundesl-ändern, wird öffenlich aufgefordert, Ausländer zu denunzieren und bei der Jagd nach Flüchtlingen die Polizei und den Grenzschutz zu unterstützen. In Zittau, einem Städtchen an der polnisch-tschechischen Grenze wagt sich heute kein Taxifahrer mehr einen Ausländer zu befördern. Er könnte, wie dies einem Kollegen passiert ist, dafür für wegen Beihilfe zu illegalem Aufenthalt eines Ausländers für ein Jahr ins Gefängnis kommen.

Zum 1. Januar 1999 wurde in Baden-Württemberg eine "Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums, des Justizministeriums und des Sozialministeriums über die Ausweisung von Ausländern (VwV-Ausweisung)" erlassen. Der Datenschutz für Flüchtlinge und andere Ausländer wurde damit indirekt abgeschafft. Es heißt darin: "Die für eine Ausweisung erforderlichen Daten haben öffentliche Stellen ohne Ersuchen der zuständigen Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen ..." Als mitteilungspflichtige Stellen werden dabei u.a. genannt: Polizeien des Bundes und der Länder, Staatsanwaltschaft, Gerichte, Bußgeldbehörden, Verfassungsschutzbehörden, Sozialämter, Gesundheitsbehörden, Arbeitsämter, Jugendämter, Standesämter und Finanzämter. Abgeschoben werden soll immer "zum frühest möglichen Zeitpunkt."
Ob von den örtlichen Ausländerämtern auch möglichst viele Flüchtlinge und Ausländer abgeschoben werden, wird von den Regierungspräsidien überwacht, kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert. In der Verwaltungsvorschrift heißt es dazu wörtlich : "Die Ausweisungsbeauftragten der Regierungspräsidien werten die Ausweisungsstatistik der unteren Ausländerbehörden aus. Sofern wiederholt festgestellt wird, daß eine untere Ausländerbehörde keine oder vergleichsweise wenige Ausweisungen verfügt hat und hierfür keine plausiblen Gründe ersichtlich sind, hat das Regierungspräsidium fachaufsichtsrechtliche Maßnahmen zu prüfen." (Veröffentlicht im "Gemeinsamen Amtsblatt des Landes Baden-Württemberg", Stuttgart, 20.Januar 1999)

Flüchtlingspolitik in Deutschland heute bedeutet eben nicht Schutz vor Verfolgung, Einhaltung der Menschenwürde und Menschenrechte sondern Abschottung der Grenzen, Abschreckung der Menschen durch systematische Verelendungsstrategien und die rigorose Abschiebung von Flüchtlingen in ihre Verfolgungsländer, wobei auch die Zusammenarbeit mit deren Geheimdiensten nicht gescheut wird - ohne Rücksicht auf Menschenrechte und Menschenleben !

Konstanzer Karawanengruppe für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen Redebeitrag auf der Demonstation am 24.04.1999 in Konstanz, gegen den NATO- Krieg in Jugoslawien.


[linksrhein]  [Seeseiten]  cm, konstanz, 30.04.1999