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cm, Konstanz 12. Juli 99

keine grenzen-überall ! abschiebung ist menschenrechtsverletzung

Am 22.6. demonstrierten Konstanzer SchülerInnen gegen die bevorstehende Ausweisung ihres kurdischen Mitschülers Yusuf Gül. Während seine Eltern und seine Familie ein Aufenthaltsrecht haben, soll er allein in die Türkei abgeschoben werden - weil er, der mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen ist, keine "eigenen Fluchtgründe" vorbringen konnte. Selten erwecken drohende oder vollzogene Abschiebungen eine so große öffentliche Aufmerksamkeit wie dieser Fall. Yusuf hat jetzt zumindest eine sechsmonatige Duldung erhalten. Konstanz ist eine Grenzstadt zur Schweiz. Hierher werden Füchtlinge aus der Schweiz und Liechtenstein zurückgeschoben, hier sitzen sie für einige Tage in Abschiebehaft und werden dann in ihr "Heimatland" abgeschoben: Zur gleichen Zeit, als auf der Marktstätte an die 1000 Menschen gegen die Ausweisung Yusufs demonstrierten, wurde ein weiterer kurdischer junger Mann aus dem Konstanzer Gefängnis in die Türkei abgeschoben. Am Tag zuvor war er aus Liechtenstein nach Deutschland zurückgeschoben worden. Verzweifelte Versuche von Verwandten, UnterstützerInnen und dem Anwalt, etwas für ihn zu tun, waren gescheitert. Ein anderer Kurde war auf die gleiche Weise drei Wochen zuvor abgeschoben worden. Beide jungen Männer erwartet in der Türkei mehrjähriger Militärdienst in der türkischen Armee, d.h. der Einsatz gegen ihre eigenen Leute in Kurdistan.

die grenze ist überall

Die Präsenz von Polizei und Bundesgrenzschutz in der Grenzstadt Konstanz ist enorm. Doch die Grenze ist inzwischen überall: Gefahndet wird in Zügen, auf Bahnhöfen, auf Autobahnen und Rastplätzen - auch ohne konkrete Verdachtsmomente. So wird in der Bevölkerung ein Gefühl von Kontrolle und Überwachung, ein präventives Schuldbewußtsein erzeugt. Doch die eigentlich Betroffenen sind Menschen, die nicht der Norm entsprechen: Jugendliche, Obdachlose, Punks, MigrantInnen. Sie werden bevorzugt und selektiv kontrolliert. Am meisten gefährdet aber sind MigrantInnen ohne Papiere. Ein Ziel der Schleierfahndungen ist es nämlich, "illegale Einwanderer" aufzuspüren, diese festzunehmen und abzuschieben.

Das Bild, das die Medien und Politiker von den sogenannten "Illegalen" entwerfen, ist folgerichtig das von Kriminellen und Verbrechern. In Wahrheit sind "illegale" aber Menschen: Männer, Frauen, Kinder, die durch die deutschen Gesetze, die rigide Grenzabschottung der "Festung Europa" und die systematische Abschiebepolitik in ihren rechtlosen Status gezwungen worden sind. Es sind Menschen, deren Aufenthaltsrecht abgelaufen ist und die sich aus Angst vor Abschiebung verstecken müssen. Sie haben keine gesundheitliche Versorgung, keinen rechtlichen Schutz gegenüber Arbeitgebern und sind vielfachen Abhängigkeiten ausgeliefert.

Personen, die diesen "Illegalen" über die Grenzen helfen, gelten als Schlepper und Verbrecher. Sie aufzuspüren gilt als Verdienst. Dabei fällt unter den Tisch, daß erst die rigide Abschottung Europas nach außen, vor allem nach den armen Ländern des Ostens und des Südens, die Arbeit von sogenannten Schleppern für Menschen, die fliehen müssen, nötig gemacht hat. Denn für Flüchtlinge gibt es kaum eine legale Möglichkeit, nach Deutschland zu gelangen. Die Grenze zwischen Deutschland und Osteuropa an der Oder-Neiße-Linie gehört zu den bestgesichertesten Grenzen Europas. Hier wird der Tod von Flüchtlingen bei der Grenzsicherung einfach in Kauf genommen: Jedes Jahr sterben zahlreiche Menschen beim Versuch, die Grenze nach Deutschland zu überqueren. Mit einem enormen logistischen Aufwand - personell, finanziell, technisch - wird alles dafür getan, damit keineR rein kommt. Hochentwickelte Wärmebildkameras zur Aufspürung von Menschen seien als Beispiel genannt.

denunziation als bürgerpflicht

Die deutsche Bevölkerung wird dazu angehalten, bei der Fahndung kräftig mitzuwirken. An den deutschen Ostgrenzen ist es Bürgerpflicht, "verdächtig" aussehende Personen dem Bundesgrenzschutz zu melden. Es dürfte inzwischen bekannt sein, daß für ostdeutsche Taxifahrer lange Haftstrafen verhängt wurden, weil sie Menschen ohne Aufenthaltsstatus befördert haben, ohne sie - wie Polizeibeamte - nach ihren Papieren zu fragen. Inzwischen wagen Taxifahrer in den östlichen Grenzgebieten nicht mehr, ausländisch aussehende Menschen zu befördern. Denunziation ist auch Amtspflicht für Mitarbeiter von Behörden. Standesbeamte zum Beispiel sind angehalten, zu melden, wenn sie eine geplante Eheschließung für eine sogenannte Scheinehe halten. Die Kriterien, die eine Eheschließung dem Verdacht der Scheinehe ausliefern sind geprägt von Rassismus und nicht zuletzt Sexismus. Denn eine "Scheinehe" kann nur zwischen ausländischen Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus und meist deutschen Menschen mit festem Aufenthalt geschlossen werden. Wer würde eine Ehe zwischen zwei Deutschen als Scheinehe verdächtigen? Die Einrichtung des Straftatbestands "Scheinehe" dient nicht nur der Verfolgung und Aufspürung von gefährdeten Flüchtlingen. Schon im Begriff der Scheinehe manifestieren sich gesellschaftliche Vorstellungen über Normalität, die letztlich ein Eingriff ins Persönlichkeitsrecht von Menschen sind. Menschen, deren Lebensweise nicht dem entspricht, was BürokratInnen für normal halten, sind prinzipiell verdächtig und Eingriffen in ihre Privatsphäre ausgesetzt.

abschiebung ist menschenrechtsverletzung...

Abschiebungen sind Menschenrechtsverletzungen, denn sie sind niemals ein freiwilliger Akt, sie stellen immer eine gewaltsame Handlung dar. Menschen werden damit aus sozialen Zusammenhängen gerissen, aus ihrem beruflichen und sozialen Umfeld. Eine besonders perfide Methode des Umgangs mit Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht ist die Abschiebehaft. Menschen, die keine Straftat begangen haben, sitzen oft monatelang im Gefängnis, wo sie unter menschenverachtenden Umständen auf ihre Abschiebung warten.

...und hin und wieder mord

Dieser Satz ist leider keine Übertreibung. Folter, Gefängnis und Tod erwarten Zurückgeschobene oftmals in ihren sogenannten Heimatländern. Doch dieser Satz trifft noch viel buchstäblicher zu: Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres wurde am 28. Mai ein Mensch bei einer Abschiebung aus Europa getötet. Der sudanesische Flüchtling Aamir Mohamed Ageeb wurde von BGS-Beamten getötet, nachdem er sich körperlich gegen seine Abschiebung zur Wehr gesetzt hatte. Am 1. Mai war ein nigerianischer Flüchtling bei seiner Abschiebung aus Österreich durch die Mißhandlung der begleitenden Polizeibeamten ums Leben gekommen, im September letzten Jahres starb die zwanzigjährige Nigerianerin Semira Adamu bei ihrer Abschiebung. Immer wieder passiert es, daß Menschen, die in Abschiebehaft sitzen, sich lieber selbst das Leben nehmen - aus Verzweiflung über ihre Situation und aus Angst vor der Abschiebung.

Uns geht es aber nicht darum, heraus zufinden, wann Abschiebung besonders schlimm ist und unter welchen Umständen sie vielleicht zu rechtfertigen ist. Wir wenden uns gegen jede Abschiebung, denn Abschiebungen sind in jedem Fall ein Ausdruck von Gewalt. Sie verletzen das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung, das Recht darauf, sich seine Lebensumstände selbst zu wählen. Vor allem aber ist eine Abschiebung in jedem Fall eine gravierende Verletzung der menschlichen Würde, gegen die es gemeinsam aktiv zu werden gilt.

Keine Grenzen-überall!

Konstanzer Gruppe der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen Wir treffen uns jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat um 19h im "Cafe Antik". InteressentInnen herzlich willkommen.

ViSdP: A.Schack, Vor der Halde 4 78462 Konstanz