LinksRhein
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Bernd Riexinger (hbv)
auf der Kundgebung des DGB
am 1. Mai 1999 in Konstanz

Rede 1. Mai in Konstanz

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Nato Angriffe sofort beenden! Das ist die Überschrift einer Erklärung von inzwischen mehr als 4000 namhaften Gewerkschaftern, darunter die Vorsitzenden der Gewerkschaft hbv und IG-Medien, die heute abgeschlossen und dem DGB-Bundesvorstand übergeben werden soll. Die unterzeichnenden Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen fordern:

  • Den sofortigen Stop der Bombardements
  • Das sofortige Ende von Verfolgung und Vertreibung der Menschen im Kosovo
  • Die Einberufung einer Balkankonferenz unter Beteiligung der Regierungsvertreter und der Vertreter aller nationalen Gemeinschaften dieser Staaten
  • Eine Konfliktregulierung unter der Regie der Vereinten Nationen Wirksame Soforthilfe für Flüchtlinge aus dem Kosovo.

Inzwischen gibt es auch Beschlüsse des IGM-Hauptvorstandes, der hbv und IG- Medien Hauptvorstände sowie verschiedener DGB-Landesbezirke und Kreise, die den sofortigen Stop der Bombardierung Jugoslawiens fordern.

Zögerlich befreien sich damit immer mehr Menschen aus der Falle, die ihnen die Sachzwanglogiker des Krieges gestellt haben und täglich neu stellen; die heißt: Wer gegen Mord und Vertreibung der Menschen im Kosovo ist, muß auch für die Bombardierung Jugoslawiens sein. Oder umgekehrt: Wer sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg stellt, ist für Milosevic und seine Vertreibungspolitik.

Nein, in diese Falle lassen wir uns nicht treiben. Wir sind gegen Mord und Vertreibung, wir sind entschieden und grundsätzlich gegen jede Form von Nationalismus mit seinen grausamen Folgen. Wir sind aber genauso mit aller Entschlossenheit gegen den Angriffskrieg gegen Jugoslawien und fordern die Bombardierung sofort zu beenden und Wege nach einer politischen Lösung zu suchen.

Wir lassen uns nicht einreden, daß tote Serben weniger schlimm sind, als tote Kosovaner.

Daß viele Menschen verunsichert, ja geradezu zerrissen sind, angesichts der menschenverachtenden Politik von Milosevic kann ich verstehen. Um so mehr bewundere ich diejenigen, die nach 4-wöchiger Bombardierung und vierwöchigem Schweigen erkennen, daß die Nato in Jugoslawien das Feuer mit Benzin löscht. Als ein Beispiel will ich den Leserbrief von Edgar Schmidt, pensionierter Sekretär der IGM-Bezirksleitung aus der Sonntag Aktuell vom 18.4. vorlesen:

Wenn man die Anklagen und Meldungen beider Seiten im Kosovokrieg verfolgt, fällt es immer schwerer, einseitig für eine Gruppe Partei zu ergreifen. Am Anfang fand ich den Nato-Einsatz voll berechtigt. Aber je länger die Bomben fallen, Menschen treffen und das Land zerstören, um so schwieriger wird ein objektives Urteil. Bisher überwogen die unsäglichen Leiden der unschuldigen Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie scheinen viel schlimmer als die Drangsal der serbischen Zivilbevölkerung durch den Luftkrieg. Es drängt sich aber die Frage auf, ob ein Volk für seinen unnachgiebigen, mörderischen Führer so in Angst und Schrecken aus der Luft versetzt werden kann, wie es jetzt geschieht. Auch wenn im Moment in Serbien Opposition und Regierung geschlossen an einem Strang ziehen und sich kein Mitgefühl für die Vertreibung der fast eine Million Kosovo-Albaner regt. Es ist an der Zeit, den Krieg zu beenden!

4 Wochen nach Beginn der Nato-Angriffe werden unsere Befürchtungen auf grausamste Weise bestätigt:

  • Die Verfolgung und Vertreibung der Menschen im Kosovo nahm und nimmt zu. Die ultranationalen Kräfte erhalten Aufwind.
  • Das revanchistische Milosevic-Regime wurde gestärkt, die Opposition und die unabhängigen Gewerkschaften sind verstummt.
  • Die Zahl der Menschen, die durch die Bombenangriffe getötet werden nimmt zu und wird mit jeder Ausdehnung der Angriffe weiter zunehmen.

Wie viele Menschen sterben und noch sterben müssen werden wir vielleicht hinterher erfahren. Im Golfkrieg waren es über 100 000 lraker. Die Legende vom sauberen, chirurgischen Krieg, der uns als harmloses Feuerwerk auf den Fernsehschirmen im heimeligen Wohnzimmer präsentiert wird, wird sich erst hinterher als eine der großen Lügen der Militärs herausstellen.

Dabei werden sich die verantwortlichen Politiker nicht auf ein Recht auf Irrtum berufen können, denn sie hätten es besser wissen müssen, zumal sie bei der Verabschiedung vieler Friedensresolutionen und Friedenspassagen in rot/grünen Parteiprogrammen beteiligt waren.

Ich zitiere Walter von Rossum in der Taz vom 14.4.99: "Allein die USA haben in weit über 50 militärischen Einsätzen nach dem zweiten Weltkrieg viele Millionen Menschen getötet. Immerhin: Es gab Überlebende. Eine Demokratie ist nicht dabei, aber ein Netz stabiler Diktaturen oder abhängiger Regimes."

Ich glaube aus 3 Gründen nicht an den humanitären Charakter der Nato:

  1. Warum sollen die gleichen Mächte, die eine Weltwirtschaftsordnung vertreten und befördern, die immer größere Ungleichheit und soziales Elend für wachsende Teile der Weltbevölkerung hervorbringt, bei der It. Uno die 200 reichsten Dollarmilliardäre über mehr Geld verfügen, als die Hälfte der Weltbevölkerung in den armen Ländern; denen Milliardenausgaben für Tornados und Jäger 90 allemal leichter fallen als Ausgaben für Entwicklungshilfe sich auf einmal in humanitäre Ritter für die Menschenrechte verwandeln?
  2. Warum sollen die gleichen Leute, die seit Jahren den Massenmord der türkischen Militärs an den Kurden mit Militärhilfe an die Türkei belohnen, die Boris Jelzin vor dem Sauna-Gang umarmten, nachdem er ihnen vorher gezeigt hatte, wie man mit tschetschenischen Separatisten umgeht, die zig Diktatoren empfangen und tolerieren, wenn sie nur auf der richtigen Seite stehen, auf einmal ihr Herz für die Kosovo-Albaner entdecken, nachdem sie jahrelang die Warnungen vieler Hilfsorganisationen beharrlich überhört hatten.
  3. Der Waiblinger SPD Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer hat heraus gearbeitet, warum die Verhandlungen im Ramboillet keine Verhandlungen sondern ein Diktat der Nato waren und nicht geeignet waren den Krieg zu verhindern. Es ist ja jetzt erst herausgekommen, daß im Anhang vorgesehen war, daß die Nato nicht nur Zugang zum Kosovo, sondern zu ganz Jugoslawien bekommen sollte und diese Aufgabe von Souveränitätsrechten kein Staatspräsident unterschreiben hätte können, nicht nur der Nationalist und Kriegstreiber Milosevic nicht.

Ich befürchte vielmehr, daß neben vielen anderen Ursachen des Kriegs auch demonstriert werden soll, wie mit regionalen Konflikten künftig umgegangen wird und wer letzten Endes in der Welt nach welchen Regeln bestimmt. (Neue NATO-Doktrin)

Es ist auch nicht so, daß wir einfach in einen Krieg hineingeschlittert sind. Die Normalisierung des Militärischen hatte bereits die vorige Regierung vollzogen. Schritt für Schritt bis an die Grenzen des öffentlich Zumutbaren. Aufbau von schnellen Eingreiftruppen, humanitärer Einsatz in Kambotscha, Minenräumen im Golf, Sfor Einsatz in Somalia, Awacs-Überwachungsflüge über der Adria. So wurden die Grenzen für die Hoffähigkeit des Militärischen in der Politik Stück für Stück verschoben. Daß es dann eine SPD/Grün-geführte Regierung ist, auch wenn sie diesen Krieg von der alten Regierung geerbt hat, die mit dem Nachkriegstabu bricht und die Bundeswehr aktiv an Kampfhandlungen beteiligt ist ein Trauerspiel.

Ich weiß nicht, ob es jemals in das Bewußtsein der Verantwortlichen eindringen wird, was sie mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien anrichten. Nicht nur, daß deutsche Piloten, 58 Jahre nachdem die Wehrmacht dieses Land verwüstet hatte, tödliche Bomben abwerfen - eine besondere Art deutscher Vergangenheitsbewältigung - auch daß sie die Schwelle für Krieg und militärische Einsätze gesenkt haben, wird noch Folgen haben, die wir heute gar nicht richtig ermessen können. Schon jetzt sehen wir die permanente Eskalation. Zuerst Bombardierung von militärischen Einrichtungen, dann Brücken und Nachschubwege, Eisenbahnzüge, dann Ölraffinerien und Fabriken, versehentlich ein Konvoi von albanischen Flüchtlingen - eine bedauerliche Begleiterscheinung - schon wollen wir uns an zerbombte Häuserzeilen und Wohngebiete gewöhnen und jetzt die verstärkte Diskussion um den Einsatz von Bodentruppen.

Bewußt oder unbewußt wird so die Bevölkerung an das Militärische gewöhnt. Die Popularitätswerte von Kanzler, Außen- und Verteidigungsminister steigen mit der Dauer des Krieges. Die nicht gerade der Wahrheitsfindung dienende Medieninszenierung tut ihr übriges dazu. Das hat schon beim Golfkrieg erschütternd prächtig funktioniert. Kritische Meinungen kommen, wenn überhaupt, dann nur am Rande in den Medien vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

dem müssen wir entgegentreten. Wir wollen ein friedliches Europa und keine militärisch gestärkte Großmacht Europa. Wir wollen Abrüstung und keine neuen Kriege. Und wir werden aktiv dafür eintreten, daß sich unsere Gewerkschaften für die Verwirklichung ihres Grundsatzprogrammes von 1996 einsetzen, in dem es heißt: "Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden. Deshalb gehören wir an die Seite der Friedensbewegung und wir fordern.

  • Schluß mit der Bombardierung und Aufnahme von Verhandlungen
  • Kein Einsatz von Bodentruppen
  • Sofortiger Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo und Beendigung der Vertreibung
  • Vermittlung durch die UNO

Und vergessen wir eines nicht. Jeder Krieg kostet viel Geld, das noch in keinem Krieg diejenigen bezahlen mußten, die ihn verantwortet haben. Jede Cruise-missile kostet 1 Million Dollar. Jetzt schon wird offiziell eingeräumt, daß die Bundesrepublik mit 1,2 Mrd. dabei ist. Die Milliarden, die noch dazukommen werden, wenn der Krieg nicht bald beendet wird, werden wir uns noch jahrelang als Begründung anhören müssen, daß kein Geld für soziale Ausgaben da ist und jetzt wieder gespart werden muß, vor allem an denjenigen, die ohnehin nicht viel haben. 1,2 Mrd. beträgt übrigens genau die Summe, die man den Krankenhaus-Beschäftigten vorgerechnet hat, als man lhre berechtigten Forderungen ablehnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als am 27.9.98 mit unserer Hilfe, mit viel Engagement der Gewerkschaften, die Regierung Kohl abgelöst wurde, hatten die meisten zumindest 2 Hoffnungen damit verbunden:

  1. Eine wirkungsvolle Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit.
  2. Ein Ende der Umverteilung von Unten nach Oben und damit die Hoffnung auf größere soziale Gerechtigkeit.

Die Reichen sollen nicht länger reicher und die Armen nicht länger ärmer werden. Damit wollten auch viele Menschen und wir Gewerkschafter allemal, daß mit dieser unsäglichen neoliberalen Politik Schluß gemacht wird und ihre falschen Annahmen mit über Bord geworfen werden. Die neoliberale Politik, die nach der sog. Roßäpfeltheorie funktioniert: man muß nur den fetten Pferden immer noch mehr zu fressen geben, damit sie dicke Roßäpfel scheißen, dann werden die vielen Spatzen - damit sind wir gemeint - um so besser von den Körnern der Roßäpfel leben können; diese Politik ist jämmerlich gescheitert. Sie hat nach 16 Jahren nicht nur die Arbeitslosigkeit vervierfacht und die Sozialhilfeempfänger mehr als verdoppelt, sie hat auch die sozialen Gegensätze verschärft, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert.

Und ihre Vertreter haben uns jahrelang einreden wollen, daß vermeintlich zu hohe Löhne schuld an der Massenarbeitslosigkeit wären. Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen ist inzwischen auf das Niveau Anfang der 60er Jahre gesunken und was ist mit der versprochenen Halbierung der Arbeitslosigkeit. Tatsache ist: Nicht die Löhne sind zu hoch, nein die Massenkaufkraft ist zu niedrig.

Und sie wollen uns unverändert weismachen, daß die Märkte zum Gleichgewicht neigen und die Eingriffe des Staates, vor allem die hohen Sozialkosten, würden die Krisen verursachen.

Das Versagen der neoliberalen Politik und der Ideologie von den sich selbst regulierenden Märkten wird nirgends deutlicher, als bei den Finanz- und Börsengeschäften. Lassen wir den König der Spekulanten sprechen: "Das kapitalistische Weltsystem ist im Begriff, sich zu zersetzen. Der gegenwärtige Verfall des Finanzmarktes ist nur ein Symptom, der tieferen Probleme der Weltwirtschaft. Manche asiatischen Finanzmärkte haben ernstere Einbrüche erlitten als die Wall Street beim Krach von 1929" (György Soros am 15.9.99 vor dem Ausschuß für Banken und Finanzdienstleistungen des Repräsentantenhauses in Washington). Nicht nur daß die freien Finanzmärkte nicht zum Ausgleich sondern zur Krise tendieren, sie reißen auch ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund und Millionen Menschen verarmen über Nacht. In dieser Situation müssen die ansonsten gescholtenen Regierungen und ihre Institutionen eingreifen, mit milliardenschwerer Unterstützung, nach dem Motto: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste.

Zum gepflegten Wortschatz gehört auch, daß die Globalisierung einem Naturgesetz vergleichbar wäre, dem die Menschen und Regierungen hilflos gegenüberstehen und sich nur noch anpassen könnten. Nationen stünden sich wie Firmen als Konkurrenten gegenüber, zu einem Umbau des Sozialstaates zum Wettbewerbsstaat gäbe es keine Alternativen. Einmal abgesehen davon, daß eine Industrienation wie die BRD, die die Hälfte ihrer Industrieerzeugnisse exportiert, niemals eine Interesse daran haben kann ihre Nachbarn nieder zu konkurrieren - wer soll die vielen schönen Waren dann noch kaufen - sind die Verlierer dieser Politik die Arbeitnehmer und ihre Familien und zwar überall in Europa. Die Politik, mit der Senkung von sozialen Standards Wettbewerbsverbesserungen zu erringen, bezahlen wir überall auf der Welt mit der Verschlechterung unserer Lebensbedingungen.

Kinobeispiel

Und es ist an dieser Stelle der richtige Zeitpunkt, um deutlich zu sagen: Der 1. Mai ist ein internationaler Tag der Arbeiter und Angestellten. Nur als internationale Gewerkschaftsbewegung haben wir eine Zukunft und die Chance auf ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa. Statt Standortkonkurrenz internationale Solidarität, das ist die richtige Antwort.

Die neue Regierung hat gleich am Anfang einige begrüßenswerte Wahlversprechen eingelöst, um die schlimmsten Auswüchse der Regierung Kohl rückgängig zu machen. Ich nenne nur Lohnfortzahlung, Kündigungsschutz, Kindergelderhöhung, 100 000 Stellenprogramm für jugendliche Arbeitslose.

Die Arbeitgeberverbände reagierten daraufhin mit einer beispiellosen Kampagne. Sie drohten und drohen mit der Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland, mit dem Ausstieg aus den Bündnisgesprächen und malen wieder einmal den Untergang der Wirtschaft an die Wand, wenn die neue Regierung nicht einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs fahren wird. Man hatte und hat manchmal den Eindruck, Henkel, Stihl und Hundt hätten die Wahl gewonnen und nicht die Millionen von Arbeitnehmern, die die Regierung Kohl abgewählt haben. Es gab dabei auch schlimme Entgleisungen, wie z.B.

  • Wenn die Versicherungswirtschaft mit Arbeitsplatzverlagerungen drohte, nur weil ihre hunderte von Milliarden Rücklagen korrekt versteuert werden sollten. Niemand redete davon, daß diese Finanzgiganten den Staat und die Gesellschaft um Milliarden Steuern gebracht haben, die die kleinen Leute umsomehr bezahlen mußten.
  • Oder Daimler Crysler, die sich in einem offenen Brief über die zu hohen Belastungen bei der Steuerreform beklagten und hinterher kam heraus, daß der größte Konzern in Deutschland seit 1995 keine müde Mark Steuern bezahlt.

Trotz dieser Heuchelei scheinen die Arbeitgeberverbände mit ihrer Kampagne Erfolg zu haben. Ihr größter Erfolg ist der Rücktritt von Oscar Lafontaine als Finanzminister und SPD-Vorsitzender, der von ihnen bejubelt wurde. Hans Schreiber, Verhandlungsführer der Versicherungswirtschaft bei den Tarifverhandlungen, meinte sogar, daß dies der schönste Tag in seinem Leben sei, den er mit einer dicken Zigarre und einem Glas Champagner gefeiert hat.

Inzwischen haben Schroeder und Schlauch eine wirtschaftsfreundlichere Politik angekündigt und wollen weitere Reformschritte im Konsens mit dem Kapital durchführen. Das hieße jedoch die Fortsetzung der gescheiterten neoliberalen Politik zu betreiben, höchstens noch deren Modernisierung und die Anpassung der Politik an die Interessen der Unternehmer. Das bedeutet den weiteren Rückzug des Politischen überhaupt.

Dafür haben wir Kohl nicht abgewählt. Wir haben einen Politikwechsel gefordert und der beinhaltet u.a.

  • Nach Jahren der Gewinn- und Vermögenszuwächse der Geld und Kapitalbesitzer in zweistelligen Prozentzahlen und Reallohnverlusten der Arbeitnehmer ist die Zeit der Rückumverteillung gekommen, um die Massenkaufkraft zu erhöhen und um dem Staat die Mittel zu geben, damit mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können und der permanente Druck von den Sozialkassen genommen wird.
  • Es ist höchste Zeit, daß die Unternehmer und Reichen wieder in ausreichendem Maße Steuer zahlen und nicht immer größere Teile ihrer Gewinne in die gefährlichen internationalen Spekulationsmärkte stecken.
  • Es wird höchste Zeit, daß die Umsätze und Gewinne an den internationalen Spekulationsmärkten besteuert werden. Diese Märkte müssen dringend reguliert und kontrolliert werden, denn sie tragen in gewaltigem Maße zur Umverteilung zugunsten der Vermögensbesitzer und Reichen bei und schränken den Spielraum des Staates für eine solidarische Wirtschafts- und Finanzpolitik gewaltig ein. Es kann doch nicht sein und ist fast schon pervers, daß die Ankündigung von Massenentlassungen zu sprunghaften Kursverbesserungen an der Börse führt. Das ist doch nicht normal, daß hier niemand einschreitet.
  • Allein mit Wirtschaftswachstum ist die Arbeitslosigkeit nicht zu beseitigen. Deshalb brauchen wir radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Ohne Umverteilung der Arbeit auf mehr Menschen wird die Massenarbeitslosigkeit beim nächsten Konjunktureinbruch wieder sprunghaft ansteigen. Der Staat muß eine Politik der Arbeitszeitverkürzung in allen Formen, von der Rente mit 60 bis zur 32-Stundenwoche aktiv fördern. Es kann nicht sein, daß wir immer noch ein Arbeitszeitgesetz haben, das die 60-Stunden-Woche zuläßt.
  • Außerdem brauchen wir die Ausdehnung öffentlicher Beschäftigung zu regulären tariflichen Bedingungen. Es gibt genug Arbeit im sozialen und ökologischen Bereich.
  • Wir wollen eine Politik des ökologischen Umsteuerns, damit unsere Kinder eine lebenswerte und keine zerstörte Umwelt vorfinden.

Was wir nicht wollen, auch nicht im Bündnis für Arbeit:

  • Wir wollen keinen Ausbau des Niedriglohnsektors mit Stundenlöhne um die 10,-, wie es jetzt Kanzleramtsminister Hombach für das Bündnis verkündet hat. Gerade meine Gewerkschaft hat große Erfahrungen mit Löhnen und Gehältern, die nicht zum Leben reichen. Es trifft vor allem Frauen, die keine Chance für ein selbständiges Leben haben. Es kann daher nur der Grundsatz gelten: Wir wollen Löhne und Gehälter, die für ein selbständiges und normales Leben reichen und keine Billiglöhne, nur damit die Arbeitslosenstatistik geschönt wird. Deshalb ist der Angriff verschiedener Arbeitgeberverbände auf das neue 630 Markgesetz und das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit scheinheilig. Es werden dadurch keine Arbeitsplätze vernichtet. Im Gegenteil: Bisher sind massenhaft regulierte Arbeitsplätze in 630 Mark Plätze umgewandelt worden, gerade von den großen Lebensmittelkonzernen. Ebenso verhält es sich mit den Scheinselbständigen. Den Sozialversicherungskassen sind so Milliarden entgangen, zu Lasten der Beschäftigten.
  • Wir wollen keine Lohnleitlinien und damit neue Fesseln für die Tarifpolitik. Die Tarifpolitik muß außen vorbleiben. Es ist genug in die falsche Richtung umverteilt worden.
  • Wir wollen keine weitere Deregulierung und keinen weiteren Abbau des Sozialstaates

Genau das wollen die Arbeitgeberverbände. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte am letzten Samstag, das Bündnis müsse "ran an den Speck des Sozialstaates", nachdem er im gleichen Atemzug jahrelang Lohnzurückhaltung gefordert hatte. Wenn das die Basis für das Bündnis für Arbeit ist, kann ich nur sagen: Heraus auf die Straße, damit die neue Regierung ran an den Speck der Gewinne geht.

Und daß die Menschen bereit sind für ihren gerechten Anteil zu kämpfen, haben die Tarifbewegungen in diesem Jahr bewiesen. Haben nicht eine Million Metaller für Reallohnverbesserungen und ein Ende der Bescheidenheit bei Warnstreiks mitgemacht. Haben sich nicht zigtausende Beschäftigte der Krankenhäuser an Aktionen ihrer Gewerkschaft beteiligt und was ist mit den über 50 000 Bankangestellten die gegen die Erpressung ihrer Arbeitgeber auf die Straße gehen.

Es ist unglaublich, was sich die Kapitalvertreter dieser reichsten Branche erlauben. Während sie sich seit Jahren ihre Bilanzen vergolden lassen, verweigern sie ihren Beschäftigten seit vier Monaten einen Tarifabschluss. Nicht nur, daß sie keine vernünftige Gehaltserhöhung bezahlen wollen, nein sie wollen den freien Samstag zum Nulltarif kassieren und die Tarifgehälter um bis zu 20% absenken.

Es verdient unsere volle Solidarität, daß die Bankbeschäftigten sich wehren und seit mehreren Wochen immer wieder streiken. Nächste Woche will die Gewerkschaft hbv 20 000 Bankangestellte nach Frankfurt bringen und die hohen Türme zum wackeln bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Bankangestellte verdienen im Durchschnitt 4500,- DM im Monat , die Bankmanager 6000 DM - in der Stunde. Wir wünschen unseren Kolleginnen und Kollegen bei der Bank viel Erfolg in ihrem wichtigen Kampf.

Zeigen nicht alle diese Beispiele, daß immer mehr Menschen bereit sind für eine gerechte Verteilung und für eine wirklichen Politikwechsel zu kämpfen. Und eines ist für mich klar: Wir dürfen diese Regierung nicht den Arbeitgebern überlassen, wir müssen selbst durch breite Mobilisierung für eine Politik im Interesse der Beschäftigten und Arbeitslosen sorgen.

Die Chance der Gewerkschaftsbewegung liegt zuallererst in der Bewegung ihrer Mitglieder und nicht so sehr in den Kamingesprächen im Kanzleramt.

Es reicht nicht aus, vieles nicht anders, sondern nur besser zu machen. Wenn es besser werden soll, muß vieles in unserem Land anders werden!

Vielen Dank.


[linksrhein]  [Seeseiten]  cm, konstanz, 08.05.1999