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Buch über Rassismus in Mannheim 1992

07.08.2007, 15:22, exkonstanzer

Antifa | Mannheim | Rassismus | Antifa | linke Diskussionen

Besprechung eines Buches, das die Ereignisse in Mannheim im Sommer 1992 nachzeichnet, als AnwohnerInnen ein Flüchtlingsheim angriffen. Wie damit politisch umzugehen sei, sorgte damals in der süddeutschen Antifa und Antira-Szene für scharfe Debatten.


Im Frühsommer 1992 versammeln sich EinwohnerInnen des Mannheimer Stadtteils Schönau über zwei Wochen lang vor der kurz zuvor eröffneten Landessamelunterkunft für Flüchtlinge. Sie bedrohen die Flüchtlinge, die Polizei schützt das Gebäude, geht auch gegen die SchönauerInnen, aber noch mehr gegen die sich solidarisierenden AntirassistInnen vor.
Möller untersucht wie dieses Ereignis, wenige Wochen vor den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, gedeutet und bearbeitet wurde. Welche Tatsachen werden zum „Ereignis“ oder Anlaß zum Handeln, welche Ursachen werden kommuniziert, wie beschreiben sich die einzelnen Akteursgruppen gegenseitig – von der Polizei über die Kommunalpolitik bis zur autonomen Szene.
Möller gibt zuerst einen Überblick über die Rahmenbedingungen. Schönau gilt in der SPD-Hochburg Mannheim als Problemstadtteil mit eigenen Ritualen und starker Zusammengehörigkeit, der Stimmenanteil der Republikaner ist bei der Landtagswahl im April 1992 mit 16 Prozent fast so hoch wie der Anteil der BewohnerInnen mit Migrationshintergrund. Seit Bekanntwerden der Planungen für die Sammelunterkunft 1991 gibt es in Schönau breiten Widerstand, der aber von den Landesbehörden ignoriert wird. Am 26. Mai finden sich 150 Personen vor dem Heim ein, bedrohen seine BewohnerInnen. Die Polizei schreitet ein. Möller gibt einen detaillierten chronologischen Überblick der allabendlichen Versammlungen, bis zu den beiden antirassistischen Demonstrationen am 6. und 13. Juni reicht. Die Demonstration des 6. Juni wird verboten, 138 Linke festgenommen, davon sind 114 nicht aus Mannheim.
Der Topos der „Auswärtigen“ ist, neben der Frage, welche Eigenschaften „den Schönauern“ zugeschrieben werden, der zentrale für die unterschiedlichen Deutungen. Die Lokalpresse kommuniziert die Drohungen gegen die Flüchtlinge als Saufgelage, Gewalt sei erst durch die auswärtigen AntifaschistInnen entstanden und in die Stadt getragen worden. Die Polizei knüppelt gegen die Solidaritätsdemonstrationen, lässt aber nie Zweifel aufkommen, dass sie in Schönau das Sagen hat und die Flüchtlinge schützt. Sie kommuniziert die Vorfälle in Schönau als alkoholgeschwängerte unpolitische Randale, und verharmlost sie dadurch wie die Lokalpresse. Die Kommunalpolitik sieht sich auf Seiten des Stadtteils, nicht der Flüchtlinge. Sie übt keine Kritik an Rassismus, von Gewalt spricht sie nur im Zusamenhang mit dem Phantom der auswärtigen „reisenden Gewalttäter“. Viele Linke sehen berechtigten Protest, der sich aber an den falschen Adressaten richte. Weiter geht die linke Sichtweise, die einen „völkischen Mob“ am Werk sieht, der innerhalb eines rassistischen Konsens agiere. Mit Schönau sei eine neue Stufe in der Eskalation erreicht, da sich nun die „normale Bevölkerung“ an rassistischen Ausschreitungen beteilige.
Möller arbeitet zum Schluß, auch im Rückgriff auf die historische Protestforschung, drei Interpretationsmuster der Ereignisse heraus: Die unpolitische Randale, vertreten durch Polizei und Lokalpresse, den sozialen Protest, vertreten durch die SchönauerInnen selbst und einige Linke, sowie die durch die radikale Linke vertreten Interpretation als Pogrom.
Als Schlussfolgerung kann gelten: Polizei, Stadtverwaltung und Lokalpresse waren damit erfolgreich, die Vorkommnisse als überbewertet und unpolitisch darzustellen. Wenn von Rassismus die Rede ist, kommt Mannheim-Schönau im kollektiven Gedächtnis nicht vor. Dazu trug bei, dass in diesem Jahr noch die weit gravierenderen Vorfälle von Hoyerswerda und Rostock stattfanden.
Möller hat eine detaillierte Fallstudie zu einem lokalen Konflikt vorgelegt, die gut herausarbeitet, wie dessen Wahrnehmung und Deutung von schon vorher feststehenden Annahmen rassistischer oder auch lokalistischer Art beeinflusst wird. Nicht zuletzt ist sein Buch ein kleines Stück Bewegungsgeschichte Baden-Württembergs und des Rhein-Main-Gebietes: 1991 und 1992 war die Debatte innerhalb der Linken darüber, wie mit dem neu zu Tage getretenen „Rassismus von unten“ umzugehen sei, in vollem Gange.

Matthais Möller: „ein recht direktes Völkchen“? Mannheim-Schönau und die Darstellung kollektiver Gewalt gegen Flüchtlinge; 168 S., 16 EUR, Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Frankfurt/Main 2007


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