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letzte Änderung: 28/03/08 17:59

Antifa

Die Nazis wollen "Tübingen rocken", wir werden ihnen den Marsch blasen!

14.07.2007, 14:51, Tübinger Linke

Aufruf zum Protest gegen den Neonazi-Auflauf am 21.Juli 2007 in Tübingen



Bild: Benjamin H., Leiter des JN Stützpunkts Konstanz (in der Mitte)

Nazis raus aus Tübingen!

Am 21.Juli 2007 wollen die Neonazis von den Jungen Nationaldemokraten (JN) sowie sog. "freie Kräfte" in Tübingen demonstrieren. In ihrem Aufruf machen sie ihren Anhängern weis, dass Tübingen ein Hort "dumpfer Gewalt" sei und erdreisten sich, die Stadt als "Keimzelle für gewaltbereite Linksfaschisten in unserem schönen Baden-Württemberg" zu bezeichnen. Wir werden diese Verdrehung der Tatsachen zum Anlass nehmen, um klar zu machen, wer hier die Faschisten sind und von wem die Gewalt ausgeht. Seit Anfang der 90er Jahre sind durch rechte und neofaschistische Gewalt in Deutschland 130 Menschen ermordet und Tausende schwer verletzt worden. Die Zahl rechter "Propagandadelikte" und Gewalttaten steigt nach wie vor und ist im Jahr 2006 auf über 18.000 angewachsen. Pro Jahr werden allein in Ba-Wü von rechten Gewalttätern rund 70 Schwerverbrechen verübt. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Deutschland Menschen angegriffen werden, die nicht ins Weltbild eines völkisch-deutschen Herrenmenschentums passen: Asylsuchende, Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen mit jüdischem Glauben, Obdachlose, Linke, Homosexuelle, ganz "normale" Menschen wie kürzlich die Theatergruppe in Halberstadt... Schon Leute, die sich diesem Spektrum nur zugehörig fühlen, haben in Tübingen und auch sonst wo nichts zu suchen.

In Ideologie und Handeln von (Neo-)FaschistInnen ist alles vereint, was wir ablehnen und wogegen wir uns einsetzen: Rassismus, sexistische und militaristische Männlichkeit, Nationalismus und völkischer "Antikapitalismus", Antisemitismus, Antiamerikanismus...

"Volksgemeinschaft" und nationalistischer "Antikapitalismus"

Die NPD (inklusive ihrer sich als besonders revolutionär aufspielenden Jugendabteilung JN) hat sich in den letzten Jahren zur Dachorganisation für völkisch-nationalistische Parteigänger und die außerparlamentarisch organisierten sog. Kameradschaften entwickelt. Das zentrale ideologische Moment dieses Spektrums ist die pseudoreligiöse Wahnidee der "Volksgemeinschaft". Kein NPD-Pamphlet, kein Demo-Aufruf, kein Liedtext, in dem nicht das (vom Aussterben bedrohte) deutsche Volk beschworen wird. Aus dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft", die keine Klassen und sonstigen Unterschiede kennt, ergibt sich neuerdings ein völkischer "Antikapitalismus des kleinen Mannes". Mit diesem versucht die NPD mit entsprechenden populistischen Parolen ("Wir sind das Volk", "Volksgemeinschaft statt Globalisierung"), die von den Zumutungen von Sozialabbau und neoliberaler Globalisierung Betroffenen auf ihre Seite zu ziehen - mit kurzfristigem Erfolg, wie bei der Landtagswahl in Sachsen 2004. Was als Kapitalismuskritik verkauft wird, ist aber bei Lichte betrachtet nicht mehr als ein völkisch aufgeladener Standortnationalismus. Diese Ideologie ist rassistisch, weil sie alles ausgrenzen will, was zu diesem Volk nicht gehören darf. Sie ist antisemitisch und antiamerikanisch, weil dabei der altbekannte künstliche Gegensatz zwischen dem guten "schaffenden" und dem schlechten "raffenden" Kapital konstruiert wird und von der "Ostküste" (USA) und die Welt beherrschenden jüdischen Finanzkartellen phantasiert wird. Sie ist inhuman und weltfremd, weil wir in einer Weltgesellschaft leben, die nicht nur aus Deutschland besteht.

Rassismus und "Ethnopluralismus"Antisemitismus und Antiamerikanismus

Trotz aller islamophoben Seitensprünge ist der Antisemitismus die zentrale Konstante rechtsextremer Ideologie. "BRD, Judenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt" lautete eine Parole von vermummten Neonazis bei der Demo in Frankfurt am 7.Juli. Neonazis pflegen aktuell eine unverhohlene Sympathie für islamische Gottesstaaten und für islamistische Terroristen, weil diese genauso wie die Rechtsextremen die USA und Israel verachten und terrorisieren. Als "Tag X" betrachtet die JN einen möglichen kriegerischen Angriff der USA auf den Iran und schreibt: "Der iranische Präsident ist kein Feind der freien Welt, er ist ein Feind des grenzenlosen Liberalismus, der nur dem Kapital und allem Krankem auf dieser Erde Freiheit garantiert.1" Mit USA- und Israel-feindlichen Parolen ("Kein Blut für Israöl") beteiligten sich rechte "Pazifisten" auch im Zusammenhang mit dem Irakkrieg an Anti-Kriegs-Protesten und riefen zum Boykott amerikanischer Waren auf. Niemand bezweifelt, dass Kritik etwa am US-Krieg im Irak berechtigt ist. Rechter "Pazifismus" hat aber nichts mit Antimilitarismus zu tun, sondern ist einfach ein schäbiger Antiamerikanismus. Ao werden auch Kriegseinsätze der deutschen Bundeswehr kritisiert, aber nur, weil sie im Verbund mit USA, NATO oder anderen Bündnissen erfolgen.

"Neue Rechte" und bürgerlicher Konservatismus

Neonazis und andere Rechtsextreme kommen nicht aus dem Nichts, sie sind ein Teil dieser Gesellschaft. Die Übergänge zwischen neofaschistischer Ideologie, sog. Neuen Rechten und bürgerlichem Konservatismus (der "Mitte") sind an vielen Stellen fließend. Es gibt zwar mittlerweile viele, auch staatlich geförderte, Kampagnen gegen Rechts. Rassismus wird aber nach wie vor als gesellschaftliches Randphänomen erachtet und schlicht mit Rechtsextremismus gleichgesetzt. Es muss daran erinnert werden, dass es die bürgerlichen Volksparteien waren, die Anfang der 90er-Jahre mit Parolen wie "Das Boot ist voll" nicht nur für die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl gesorgt haben, sondern auch die verbale Munition für zahllose rechtsextreme Anschläge geliefert haben. Lager für Flüchtlinge, zehntausende Abschiebungen, weitere Verschärfungen der Asylgesetze und Militarisierung der Grenzen haben dazu geführt, dass die Asylfrage gelöst ist und nur noch eine Handvoll Asylsuchende pro Jahr ins Land kommen. Die Grenzen um die Europäische Union, die gerne als Hort von Demokratie und Menschenrechten dargestellt wird, werden immer höher gezogen. Das reiche Europa schottet sich nach Süden und Osten von der Armut ab und nimmt in Kauf, dass jährlich tausende Migranten an den Grenzen zu Tode kommen. Deutschland hat angeblich das modernste Zuwanderungsrecht Europas, es werden nur keine Zuwanderer herein gelassen, obwohl behauptet wird, dass man welche brauche. Dabei dominiert ein ökonomischen Interessen folgender Nützlichkeitsrassismus, der scharf zwischen einer nützlichen Eliten- oder Arbeitsmigration und einer unnützen Armuts- und Fluchtmigration trennt. Menschenrechte und globale Gerechtigkeit fallen dabei unter den Tisch.

Trotz Bekenntnissen zur "Integration" ist nach dem 11.9.01 von Politik und Medien ein künstlicher Gegensatz zwischen "uns" und den "Muslimen" geschaffen worden, eine gesellschaftliche Stimmung, die Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als Sicherheitsrisiko einstuft. Das mündete in Initiativen wie dem baden-württembergischen Einbürgerungstest, der von rassistischen Stereotypen, Pauschalverdächtigungen und den Rechtsextremen ähnelnden kulturnationalistischen Vorstellungen durchzogen ist. Statt wegen der "Filbinger-Affäre" im April dieses Jahres zurück zu treten, hat sich Ministerpräsident Oettinger mit windigen Formulierungen den Kopf aus der Schlinge gezogen. Bei dem von Filbinger gegründeten Studienzentrum Weikersheim ist er schnell ausgetreten, dieses besteht aber weiterhin. Oettinger hat sich mit seiner geschichtsverfälschenden "Trauerrede" ("Filbinger war kein Nationalsozialist"), gewollt oder ungewollt, in eine Reihe gestellt mit Schlussstrichrednern wie Martin Hohmann (CDU) und Martin Walser, die aus ihrem latenten Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus keinen Hehl gemacht haben. Auch wenn in den letzten Jahren viele positive Entwicklungen zu verzeichnen sind, muss doch festgehalten werden, dass seit der Wiedervereinigung insgesamt ein neuer Nationalismus salonfähig wurde, der das heutige Deutschland nicht mehr mit seiner Vergangenheit in Verbindung bringen will und die Interessen Deutschlands nun am Hindukusch und überall sonst auf der Welt "verteidigen" will.

Und Tübingen?

Wir wollen festhalten, dass es in Tübingen seit über 20 Jahren keinen Neonazi-Aufmarsch oder dergleichen gegeben hat. Neonazis haben in Tübingen keine soziale Basis. Aber Tübingen ist keine Insel der Seligen. Wenn nun Oberbürgermeister Boris Palmer behauptet, dass Tübingen eine "weiße Zone" bleiben soll, dann gehört zu dieser Aussage ein gehöriges Maß an Verdrängung. Es gibt hier den Grabert/Hohenrain Verlag, der seit Jahrzehnten zu einem der führenden Publizisten im geschichtsrevisionistischen und rechtsextremen Spektrum gehört. Es gibt in Tübingen elitäre rechtslastige Burschenschaften, die hier ihre "Traditionen" pflegen und wieder ungehindert in ihrem Wichs an der Uni verkehren dürfen. Aktuelle Mitglieder der Burschenschaft Germania Strassburg sind auch aktiv bei "Jung-Weikersheim" und zeichnen für die Einladung von Martin Hohmann und Ex-KSK-General Günzel verantwortlich, weswegen Ex-Burschenschafter Günther Oettinger zusätzlich in die Bredouille kam. Neben diesen traditionsreichen rechten Institutionen hat Tübingen ein Regierungspräsidium zu bieten, dessen Abteilung "Bezirksstelle für Asyl" seit 15 Jahren die Asylverfahren und Abschiebungen (u.a. aus dem zwischenzeitlich geschlossenen Abschiebeknast in Rottenburg) des gesamten Regierungsbezirks managt.

Es gibt also über die Verhinderung einer Demo von pubertierenden Jung-Nazis hinaus auch in Tübingen noch einiges zu tun. Aber wir wollen hier nicht nur schwarzweiß malen. Die Offenheit der Tübinger Bevölkerung für kulturelle Vielfalt und Internationalität, das reichhaltige Vorhandensein kultureller und sozialer Initiativen und Organisationen soll hier nicht übersehen werden, sondern mit dem Engagement gegen die Neonazis auch aktiv verteidigt werden.

Wir stehen für eine emanzipatorische Politik, die sich gegen patriarchale Männlichkeit, Rassismus und Ausbeutung wendet. Wir setzen uns für eine Migrationspolitik ein, die das Recht auf Bewegungsfreiheit respektiert und ohne militarisierte Grenzen, Lager und Sondergesetze auskommt! Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge! Wir stehen für das Zusammenleben aller Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft, in der Menschen nach ihrem Charakter und ihrem Verhalten beurteilt werden und nicht nach Herkunft und Hautfarbe. Wir stehen für eine "andere Globalisierung", durch die soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz weltweit durchgesetzt werden. Wir setzen uns gegen jeden Krieg ein, weil Krieg ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist!

Wir rufen dazu auf, den Neonazi-Aufmarsch am 21. Juli in Tübingen geschlossen und entschlossen zu verhindern.
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
Die Nazis wollen "Tübingen rocken", wir werden ihnen den Marsch blasen!
Machen wir Tübingen zur No-Go-Area für Faschisten!

1 Quelle: www.jn-bw.de