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letzte Änderung: 08/01/03 15:37

Repression

Betroffen sind einige - gemeint sind viele

08.01.2003, 15:37, LinksRhein

Auch Leute aus Konstanz und Umgebung haben jetzt wegen Teilnahme an Protesten gegen die Natosicherheitskonferenz in München Bussgeldbescheide (168 Euro) erhalten und / oder müssen vor Gericht erscheinen. Spendet bitte an die Rote Hilfe!


Erklärung zu den Bußgeldprozessen der Sicherheitskonferenz 2002

Vom 1. - 3. Februar 2002 fand in München die Sicherheitskonferenz statt, die von ca. 200 ranghohen Militärs und Politikern besucht wurde. Das Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz organisierte gegen diese Tagung und die damit verbundene Kriegspolitik der Nato eine Demonstration. Auf Bitte der Polizei verhängte daraufhin das Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) während der Sicherheitskonferenz über ganz München ein totales Demonstrations- und Versammlungsverbot. 8000 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet besetzten München und versetzten die Stadt für drei Tage in einen Ausnahmezustand. Trotzdem oder gerade deswegen gingen 10 000 Münchnerinnen und Münchner auf die Straße, um ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchzusetzen und gegen die Nato-Kriegspolitik zu protestieren. Die Polizei steckte insgesamt 850 Leute zum Teil über 24 Stunden lang in den Knast. Außerdem bekamen knapp 90 Personen einen Bußgeldbescheid wegen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung. Einige von ihnen legten dagegen Widerspruch ein und erwarten in den kommenden Wochen ihre Prozesse.

In Zusammenarbeit mit der Roten Hilfe geben die Betroffenen folgende Erklärung ab:

Wir streiten nicht ab, am ersten Februarwochenende auf der Straße gewesen zu sein. Es war unsere politisch bewusste Entscheidung gegen ein undemokratisches totales Demonstrations- und Versammlungsverbot unser Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchzusetzen und gegen die Nato-Kriegspolitik zu protestieren. Vor die Wahl gestellt, sich einen staatlichen Maulkorb verpassen zu lassen oder seine legitimen demokratischen Rechte auszuüben, blieb uns nichts anderes übrig als in einem Akt des zivilen Ungehorsams gegenüber dem Staat unser demokratisches Recht zu verteidigen. Die gegen uns laufenden Prozesse sind Ausdruck einer politischen Gesinnungsjustiz, die sich als willfähriger Gehilfe der Polizei und des KVR bei der Kriminalisierung linker und demokratischer Opposition gegen eine Nato-Kriegspolitik erweist. Dies belegen folgende Fakten:

# Obwohl einige von uns das ganze besagte Wochenende kein einziges Mal in eine Polizeikontrolle gekommen bzw. ihre Personalien festgestellt worden sind, bekamen sie Bußgeldbescheide. Als Beweise sind Polizeizeugen, aber auch Video- und Fotomaterial genannt. Dies zeigt, dass die Behauptung, die Videoüberwachung diene unserer Sicherheit oder der Bekämpfung schwerster Verbrechen eine Propagandalüge der Polizei und konservativer Law-and-order-Politiker ist. "Der Hauptaspekt der Bilddokumentation ist nämlich nicht die Verfolgung einzelner Straftaten, sondern die Datensammlung über politisch missliebige Personen. Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte zu diesem Thema die Meßlatte höher gelegt, schrieb es doch in seinem Urteil zur Volkszählung (BVerGE 65,1) 1983: 'Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und das ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8,9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Gemeinwesens ist.'"(1). Dass die Polizei regelmäßig illegal Daten sammelt, um später die demokratische und linke Opposition zu kriminalisieren, bestätigt auch der jüngste Tätigkeitsbericht des bayerischen Datenschutzbeauftragten Reinhard Vetter. "Auch jetzt wird wieder - wie schon in früheren Datenschutzberichten - beanstandet, die Polizei in Bayern sammle nicht nur zu viele Daten, sondern speichere diese auch noch viel zu lange. (...) In München hat die Polizei umfangreiche Videoaufnahmen von friedlichen Gegendemonstranten gegen eine NPD-Versammlung gemacht, obwohl gegen diese Personen 'kein Anfangsverdacht' vorgelegen habe." (2) Wir fordern in diesem Zusammenhang die sofortige Löschung aller Daten, die im Zuge der Proteste gegen die Sicherheitskonferenz im Februar 2002 erhoben wurden!

# Das KVR begründete die Auswahl, wer ein Bußgeld über 150 Euro und wer eine kostenfreie Verwarnung bekommen werde damit, ob die Person bereits "einschlägig" und "polizeibekannt" wäre. Etliche von uns haben nie Gerichtsverfahren gehabt oder sind rechtskräftig verurteilt worden. Das KVR verwendete zu seiner Beurteilung Daten der Polizei, die über alle Menschen angefertigt werden, die politisch aktiv sind. Als "einschlägig" oder "polizeibekannt" können daher alle gelten, gegen die schon mal polizeiliche Ermittlungen geführt wurden, obwohl diese dann eingestellt wurden. Es kann aber auch schon genügen, hin und wieder an Demonstrationen teilzunehmen, Flugblätter zu verteilen oder bestimmte Örtlichkeiten aufzusuchen, um in einer der vielen Polizeidateien gespeichert zu werden.

# Im Zeitraum zwischen dem 12. Oktober und dem 30. November 2002 fanden in München parallel zur überarbeiteten Wehrmachtsausstellung mehrere Neonaziaufmärsche statt. Organisiert und angemeldet wurden diese von Christian Worch, Steffen Hupka und Martin Wiese. Am 12. Oktober kamen mehrere hundert gewaltbereite Neonazis aus dem Spektrum der freien Kameradschaften. Während Worch und Hupka rechtskräftig verurteilte Neonazis sind, war der Münchner Martin Wiese bei der Auseinandersetzung vor der Gaststätte "Burg Trausnitz" anwesend, bei der mehrere Neonazis einen griechischen Mitbürger fast totgeschlagen haben. Hier kam es dem KVR, der Polizei, dem Verfassungsschutz und der bayerischen Justiz nicht im Entferntesten in den Sinn, die Aufmärsche verbieten zu lassen, weil "gewalttätige Demonstranten anreisen" würden. Im Gegenteil, immer wieder wurde beteuert, dass es auch für Rechtsextremisten Meinungs- und Versammlungsfreiheit gäbe. Ganz anders im Vorfeld zur Sicherheitskonferenz im Februar 2002. Dort gaben sich der Verfassungsschutz und die Polizei alle Mühe, ein Gewalt- und Horrorszenario zu konstruieren. Durch gezielte Pressearbeit verbreiteten sie eine Hetzstimmung gegen die DemonstrationsteilnehmerInnen. "Die Münchner Polizei sprach gestern von einer völlig neuen Lagebeurteilung, die man durch Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Bayerischen Verfassungsschützer gewonnen habe. Diese Behörden gehen davon aus, dass 2000 - 3000 gewaltbereite Demonstranten aus der autonomen Szene nach München kommen wollen. Bisher habe man nur Hinweise aus dem Internet oder durch Flugblätter gehabt, nun gäbe es gesicherte Erkenntnisse, sagte Polizeisprecher Peter Reichel."(3) Bis heute konnten diese "gesicherten Erkenntnisse" weder von der Polizei noch vom Verfassungsschutz erbracht werden. Trotzdem übernahmen das KVR und das bayerische Verwaltungsgericht diese haltlosen Konstruktionen bereitwillig. Diese Beispiele veranschaulichen ganz konkret, dass staatliche Behörden keine neutralen Institutionen sind, sondern politische Interessen haben, linksoppositionelle Aktivitäten zu verhindern und zu verfolgen.

# Während die demokratische und linke Opposition gegen eine Nato- Kriegspolitik verboten und kriminalisiert wurde, konnten ranghohe Nato-Militärs und Politiker von Tausenden Polizisten geschützt in aller Ruhe den nächsten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wie gegen Jugoslawien oder Afghanistan planen. Würden deutsche Gerichte sich an bestehende Gesetze halten, so müssten sie Politiker wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder wegen Planung eines Angriffskrieges anklagen und verurteilen. "Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft", heißt es im §80 des StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges).


Die oben aufgeführten Tatsachen zeigen deutlich, dass es sich bei unseren Prozessen um politische Gesinnungsjustiz reaktionärer und antidemokratischer Gangart handelt. So wurde der Beschuldigte in einem der ersten Prozesse Mitte Dezember von dem ihm unbekannten Staatsanwalt mit den Worten "Das letzte mal haben wir uns beim Schröder gesehen" (Anspielung auf eine eingestellte Anzeige wegen Beleidigung) begrüßt. Die Richterin drohte ihm, wenn sie zwei Polizeizeugen vorführen müsse, würde sie die Kosten dafür dem Angeklagten aufbrummen, worauf er seinen Einspruch zurückzog. Von solchen Gerichten erwarten wir uns nichts! Unser Schutz und unsere Waffe ist die Solidarität. Auch wenn die staatliche Repression diesmal nur einige getroffen hat, nämlich uns, gemeint sind viele. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern! Deshalb gilt es, gemeinsam die Solidarität und einen politischen Druck auf die staatlichen Organe zu entwickeln, um in Zukunft Polizeistaatsveranstaltungen, totale Demonstrationsverbote und die Kriminalisierung der linken Opposition gegen eine Nato-Kriegspolitik unmöglich zu machen! Wir sehen uns dann alle bei den diesjährigen Gegenaktionen zur Münchner Sicherheitskonferenz am 7. und 8. Februar 2003.

Solidarität ist eine Waffe!

Einige (der Roten Hilfe namentlich bekannte) Beschuldigte der Bußgeldverfahren
Kommt zu den Prozessen
Die Verhandlungen der Widersprüche gegen die Bußgeldbescheide finden im Justizzentrum, Nymphenburger Str. 16 (U1 Stiglmaierplatz) an folgenden Terminen statt:

Fr. 3.1.03 10:30 A232
Di. 28.1.03 14:15 A132
Do. 30.1.03 15:30 A232
Di. 11.2.03 9:00 A037

Weitere Termine werden folgen, sind aber noch nicht bekannt. Erscheint zahlreich - lasst die Betroffenen nicht allein!

Kundgebung vor dem Gericht

Am Donnerstag, den 30.1.03 ruft das Bündnis gegen die Sicherheitskonferenz zusammen mit der Roten Hilfe zu einer Kundgebung vor dem Justizzentrum in der Nymphenburger Str. auf.

Do. 30.1.03, 14:30
Justizzentrum
Nymphenburger Str. 16


(1) Artikel der Roten Hilfe München zur Repression bei der Nato Sicherheitskonferenz im Feb. 02 vom Dez. 02
(2) Süddeutsche Zeitung, 13.12.02, S. 44
(3) Süddeutsche Zeitung, 30.1.02

Spenden- und Beitragskonto Spende/Beitrag Rote Hilfe e.V. 191100-462 Postbank Dortmund 440 100 46

vgl. www.rote-hilfe.de