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Startseite Zurück letzte Änderung: 18/12/02 15:02

Meilen: Willkürliche Ausgrenzung von Asylsuchenden

18.12.2002, 15:02, WOZ

Stopp! – Hier Sperrzone

Nicole Ziegler

AsylbewerberInnen, die in Meilen leben, dürfen bestimmte Gebiete im Dorf – etwa die Sport- und Schulanlagen – nicht betreten.
«Spezialrayons» heissen die Gebiete, die der Gemeinderat vor rund zwei Wochen auf der Dorfkarte Meilen mit Farbe markiert hat. Wofür die Markierungen stehen, machen die dazugehörigen Piktogramme unmissverständlich klar: vier schwarze Männchen, dick durchgestrichen – in diesen Rayons dürfen sich in der Zürcher Seegemeinde keine Asylsuchenden aufhalten. Rot gekennzeichnet sind alle Schul- und Sportanlagen auf dem Gemeindegebiet: Sie sind für die Asylsuchenden absolut tabu, es sei denn, sie verfügen über eine besondere Bewilligung. Grün ist das gesamte Dorfzentrum: Hier werden keine «störenden Ansammlungen» von Asylsuchenden geduldet.

Diskriminierende Ängste

Letzten Montagabend informierte der Gemeinderat die MeilenerInnen über sein «Sicherheitskonzept» – es kamen rund 150 Interessierte. «Diese Massnahmen sind ein konstruktiver und präventiver Ansatz für das Thema Asylsuchende in Meilen», eröffnete SVP-Gemeindepräsident Hans Isler die «Diskussion» zu den beschlossenen Ausgrenzungen. Und der für Sicherheit zuständige FDP-Gemeinderat Christoph Hiller meinte: «Uns ging es darum, das Gastrecht für die in Meilen untergebrachten Asylsuchenden zu koordinieren und zu ordnen sowie Ängsten und Befürchtungen in der Bevölkerung vorzubeugen.» Dann präsentierte Hiller weitere «Gastrechts»-Beschlüsse: Die «Verschiebungen» der Asylsuchenden von den Schlafräumen in die weiter weg gelegene Unterkunft, wo sie ihren Tag verbringen, dürfen nicht zu den «Schüler-Rushhours» stattfinden. Asylsuchenden ist zudem der Hallenbadbesuch untersagt, ausser sie seien begleitet. Und auch dann ist ihnen der Besuch nur erlaubt, wenn keine Schulklassen Schwimmunterricht haben. Die Polizei wird vermehrt Patrouillengänge beim Durchgangszentrum und den Spezialrayons vornehmen. Daneben musste die Firma ORS Service AG, welche für die Betreuung der Asylsuchenden in Meilen zuständig ist, eine 24-Stunden-Hotline einrichten. Diese steht der Bevölkerung für Fragen und Anregungen zur Verfügung. «Die 'Hausregeln' sind zum Schutz der Bevölkerung, aber auch zum Schutz der Asylsuchenden vor ungerechtfertigten Anschuldigungen aufgestellt worden. Wir sind sicher, dass wir so gut nebeneinander leben können», sagte Gemeinderat Hiller und projizierte eine Folie an die Wand: darauf die ORS-Hotline-Nummer und die Polizeinotrufnummer 117, mit dem Vermerk «Kein eigenständiges Eingreifen».

Apartheidsrhetorik

Dass die Meilemer Regelungen auch die Asylsuchenden schützen sollen, will aber niemand ernsthaft behaupten. Sogar Gemeinderat Hiller räumte ein, dass «diese Massnahmen rein formaljuristisch nicht ganz korrekt» sein könnten. Schärfer beurteilt der Zürcher Rechtsanwalt Peter Nideröst, Mitglied der Demokratischen JuristInnen und Kopräsident von Solidarité sans frontières, die Regelungen: «Die Trennung einer Bevölkerungsgruppe von einer anderen mit der Begründung, diese geschehe zum Schutz derselben, greift die Rhetorik aus der südafrikanischen Apartheidszeit auf.» Die grundlose Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe – hier der Asylsuchenden – sei diskriminierend und tangiere das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit. Selbst die Rayonverbote, von denen diesen Herbst im Zusammenhang mit nichtschweizerischen Drogendealern so oft die Rede war, sind zwar gesetzlich möglich, dürfen aber nur gegenüber Einzelpersonen ausgesprochen werden. Das Gesetz lässt es nicht zu, ein Rayonverbot kollektiv gegen Personen zu verhängen, die sich nie auffällig verhielten. Simone Bischoff, Juristin beim Rechtsdienst des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF), sagte gegenüber der WoZ, sie sei «persönlich schockiert» gewesen, als sie von den «Spezialrayons» gehört habe: «Mit Ausgrenzungen und Anwesenheitsverboten hat in Deutschland die Judenverfolgung angefangen, das löst bei mir ein sehr schlechtes Gefühl aus.»
Der Meilemer Gemeinderat versucht seine Entscheidung mit dem Verweis auf das «öffentliche Interesse» juristisch zu legitimieren: Demnach kann eine Gemeindebehörde die Grundrechte Einzelner einschränken, wenn sie damit öffentliches Interesse schützt, welches ihrer Meinung nach wichtiger ist als die individuellen Grundrechte. Der Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor Walter Haller, der selber in Meilen wohnt, zweifelt, dass diese Voraussetzung gegeben ist. Gegenüber der «Zürichsee-Zeitung» sagte er, es sei «zu prüfen, ob der Eingriff in die persönliche Freiheit der Asylbewerber zum Schutz der Bevölkerung verhältnismässig ist».
Was aber heisst verhältnismässig? Diese Frage tauchte auch am Informationsabend in Meilen auf. Die in der Gemeinde wohnhafte Anwältin Katia Favre wies darauf hin, dass Verhältnismässigkeit erst gegeben sei, wenn das Ziel nicht mit geringeren Massnahmen zu erreichen sei. «Und daran zweifle ich», sagte Favre: «Wie kann man Menschen, die überhaupt nichts getan haben, mit solchen Verboten belegen?» Ausserdem sei völlig unklar, wie die Vorgaben in der Praxis durchgesetzt werden können. «Wann wird von einer 'Ansammlung' im Dorfzentrum gesprochen? Ist eine Familie schon eine Ansammlung?», wollte Favre wissen. Gemeindepräsident Isler meinte daraufhin lakonisch: «Ich weiss, dass wir uns im juristischen Graubereich bewegen.»

Politischer Sündenfall

Es wird schwierig werden, etwas gegen diese rechtlich abwegigen Beschlüsse zu unternehmen. «Dagegen vorgehen kann nur eine von den Massnahmen betroffene Asyl suchende Person», erklärt Nideröst. Doch wer möchte schon in einem Land, das er nicht kennt und in dem er aufgrund seiner Bitte um Asyl nicht auffallen will, gegen eine Gemeinde klagen? Hier gehe es aber nicht nur um juristisches Recht, sagt der Rechtsanwalt: «Meilens Vorgehen ist ein politischer Sündenfall, auf dieser Ebene darf man nicht über Flüchtlinge diskutieren.» Und auch Simone Bischoff vom BFF hätte sich vom Meilemer Gemeinderat eine andere Strategie gewünscht: «Fremdenangst lässt sich nachhaltig durch positive Begegnungen und nicht durch Abgrenzung abbauen.»
Doch zu einer solchen Diskussion kam es am Montagabend im Saal des Meilemer «Löwen» gar nicht. Und auf die von der Meilemer Stimmbürgerin Favre geäusserten Bedenken erwiderte einer der Anwesenden: «Ich bin enttäuscht, dass jetzt eine so schlechte Stimmung reingebracht wurde. Ich kann Ihnen sagen, Herr Gemeinderat, dass es im Dorf und auch hier im Saal ganz viele positive Stimmen zum Sicherheitskonzept gibt.» Ein zustimmendes Raunen im Saal. Niemand wollte sich jetzt noch gegen die Beschlüsse profilieren. Ausserdem drängte die Zeit: Auf die Informationsveranstaltung folgte nämlich die Gemeindeversammlung, und die hätte schon längst anfangen sollen. Anni Lanz von der Asylorganisation Solidarité sans frontières war enttäuscht: «Die Verantwortlichen haben so viel geredet, dass gar keine Zeit für eine richtige Diskussion geblieben ist.» Ob sie mit den Regelungen zufrieden sei, fragte Anni Lanz eine an ihr vorbeidrängende Meilenerin. Die zuckte nur mit den Achseln: «Ich weiss nicht so recht.» Zudem wollte auch sie zur Gemeindeversammlung, dort wurde über sieben Einbürgerungsgesuche abgestimmt – die übrigens alle gutgeheissen wurden.

Quelle: http://www.woz.ch/wozhomepage/50j02/meilen50j02.htm


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