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Johanna Hemm, die letzte kommunistische Konstanzer Stadträtin, am 1. Mai 1937 mit ihrem Mann Johann in Stuttgart. Vater Hemm trägt mutig die rote Nelke der Arbeiterbewegung am Revers.
Gewerkschafterin Vera Hemm stellt Doppelbiografie von Mutter und Tochter vor
In Zeiten des Kalten Krieges bestimmten in Westdeutschland vor allem die konservativen bürgerlichen Kräfte den politischen Lauf der Dinge. In diesen Jahren überzeugungstreue Kommunistin gewesen zu sein, war vor allem im kleinen, stark katholisch geprägten Konstanz kein reines Lebensvergnügen. Doch die süddeutsche Liberalität scheint auch den Brückenschlag über ideologische Gräben hinweg ermöglicht zu haben: Als die einstige kommunistische Konstanzer Stadträtin Johanna Hemm 1971 im Alter von 69 Jahren starb, erwiesen ihr auch die einstigen politischen Gegner die Ehre. Der damalige Oberbürgermeister Bruno Helmle bekannte im Nachruf, die Verstorbene habe in schwerer Zeit ihre ganze Kraft eingesetzt, um die harten Lebensbedingungen und die sozialen Belange ihrer Mitbürger zu verbessern. "Sie genoss Vertrauen, großes Ansehen und allgemeine Wertschätzung", schrieb Christdemokrat Helmle.
Über das Leben dieser aufrechten Sozialistin, ihren Mann und politischen Mitstreiter Johann und ihr eigenes Leben hat die Tochter des Ehepaars, Vera Hemm, dieser Tage ein umfangreiches Erinnerungsbuch vorgelegt. "Im Zeichen der roten Nelke" heißt das bei Pahl-Rugenstein erschienene Buch, das unter anderem berichtet, wie eine vom Sozialismus überzeugte Konstanzer Familie mit schlauer List, Vorsicht und dennoch auch voller Zivilcourage das Dritte Reich überleben konnte und welchen Einfluss diese Prägungen auf das Leben der Tochter hatten.
Die Tochter, Vera Hemm, ist vielen Menschen der Region als überaus engagierte, furchtlose Gewerkschafterin, Betriebsrätin, Mitbegründerin einer Frauenkulturgruppe und als unerschütterliche Kommunistin bekannt. Für die 70er-Jahre in der Bodensee-Provinz noch nicht selbstverständlich, bekannte sich Vera Hemm auch früh zu ihrer Lebenspartnerschaft mit einer anderen Frau. Auch davon handeln die Erinnerungen.
Was sich zwischen solchen unbürgerlichen Eckpunkten an Lebensstoff entspinnt, davon erzählt das Buch der heute 67-Jährigen aus einem Blickwinkel, den bürgerliche Lebenserinnerungen aus der Region nicht bieten können.
Gegen das Vergessen
Hemms Buch ist auch Detailarbeit gegen das Vergessen, das anderen als den herrschenden Geschichtsbildern in aller Regel widerfährt. Wo sonst, wenn nicht in diesen Erinnerungen aus dem Leben zweiter Arbeiterfrauen sollte man erfahren, wie der Berufsalltag von Konstanzer Textilarbeiterinnen in staubigen Fabrikhallen gemeistert wurde, wie sie in Zeiten der Vollbeschäftigung und satter Gewinne um Lohnerhöhungen in Pfennigdimensionen und um Lohngleichheit mit den Männern kämpften?
"Auf beeindruckend sensible Weise vermag es Privates und Öffentliches miteinander zu mischen. Es kommt ohne Phrasen aus, ohne kämpferischen Aplomb, ohne Missionseifer", lobt die frühere Konstanzer Geschichtsprofessorin Ute Frevert in ihrem Vorwort diese Autobiographie zweier Leben.
Am kommenden Sonntag, 1. Dezember, stellt "die rote Vera", wie sie früher genannt wurde, ihre Arbeit vor. Um 14 Uhr beginnt die Veranstaltung mit Lesung im Saal des Seniorenzentrums an der Oberen Laube 38. Das Buch selbst ist im Buchhandel erhältlich, es hat 648 Seiten und kostet 24 Euro.