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Offener Brief zu Saga Prozess

17.09.2002, 13:56, Arbeitskreis Pro Asyl VS-Villingen

Repression | Freiburg | Stieg | Albbruck | Villingen | SAGA | Sammellager

Offener Brief von Pro Asyl an Landrat Wütz zum heute stattfindenden Prozess gegen ein SAGA - Mitglied vor dem Amtsgericht Waldshut


Offener Brief
Arbeitskreis Pro Asyl
c/o X Y
VS-Villingen den 10.9.2002

An
Herrn
Landrat Wütz
Landratsamt Waldshut-Tiengen
Kaiserstr. 110
79761 Waldshut-Tiengen


Sehr geehrter Herr Landrat Wütz,

am 17. September findet vor dem Amtsgericht in Waldshut ein bemerkenswerter Prozess statt, den Ihre Behörde initiiert und eingeleitet hat.

Angeklagt ist ein Vormund von zwei unbegleiteten minderjährige Flüchtlingskinder wegen "Anstiftung zu einem Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage".

Dagegen hat dieser Vormund nur seine ihm gesetzlich auferlegte Pflicht getan: sich um das Wohl und die gesunde Entwicklung seiner ihm anvertrauten Mündel zu kümmern. Er hat sich das Recht herausgenommen, entsprechend der UN-Kinderschutzkonvention und dem Haagener Minderjährigenabkommen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für diese beiden Jugendlichen selbst in die Hand zu nehmen, nachdem Ihre Behörde in unverantwortlicher Weise sie zwangsweise in eine Gemeinschaftsunterkunft geschickt hat, die für die gesunde Entwicklung dieser elternlosen Jugendlichen im vulnerablen Alter ganz und gar unverträglich ist:

- In den letzten Jahren haben sich wegen der Lebensbedingungen dort zwei Menschen das Leben genommen.

- Mehrmals brannte es in der Unterkunft, ohne dass den Bewohnern der nötige Schutz gegeben werden konnte.

- Wir wissen aus Erzählungen von Flüchtlingen, dass wegen der ghettohaften Bedingungen fast täglich Gewalttätigkeiten, Streit und handfeste Konflikte stattfinden.

- Aus eigener Anschauung wissen wir, dass Menschen unter den isolationshaften Bedingungen ( viele beklagen sich, dass sie die Bedingungen wie ein offenes Gefängnis erleben) nicht nur leiden, sondern schwer psychisch krank werden.

- Aus unserer eigenen Beobachtung erleben wir, dass gerade schwierige und kranke Menschen dorthin gezielt "strafversetzt" werden, anstatt ihnen die nötige Unterstützung zukommen zu lassen.

- Es gibt dort keine Möglichkeit der adäquaten Schulbildung und Ausbildung von Jugendlichen unter der besonderen Berücksichtigung der Bedingungen, den diese Jugendlichen ausgesetzt sind. ( z.B. als Analphabeten)

- Wir wissen, wie restriktiv ihre Ausländerbehörde mit Besuchserlaubnissen außerhalb des Landkreises umgeht, so dass eine sinnvolle und vertrauensbildende Betreuung durch den Vormund nicht gewährleistet war.

Die Bedingungen der Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft "Auf dem Stieg" sind in unseren Augen für jeden Flüchtling, besonders aber für minderjährige Jugendliche und Kinder unzumutbar. Sie verstoßen in eklatanter Weise gegen die von den Wohlfahrtsverbänden aufgestellten Mindeststandards für Flüchtlingsunterkünfte.

Den unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen, die selbst durch ihre Verfolgung und Flucht im höchsten Maße verletzlich sind und dringend vertrauensvollen Schutz genießen müssen, drohte in dieser Gemeinschaftsunterkunft eine Störung in ihrer Entwicklung, wenn nicht ihr Vormund präventiv eingegriffen hätte. Trotz aller Beteuerungen von Ihrer Seite in den letzten Monaten, dass die Bedingungen in dieser Gemeinschaftsunterkunft "gesund und sozial verträglich" sind, müssen wir feststellen, dass Sie mit der Unterbringung dieser beiden Jugendlichen "Auf dem Stieg" unverantwortlich gehandelt und die Gefahr einer psychischen Entwicklungsstörung für diese Jugendlichen in Kauf genommen haben. In der Zwischenzeit konnte dies erfreulicher Weise korrigiert werden. Sie allerdings legen, für uns völlig unverständlich, noch eins drauf und klagen den mutigen und um das Wohl dieser Jugendlichen sich sorgenden Vormund an, obwohl dieser nur seine Pflicht getan hat.

In der UN-Kinderkonvention, die auch von der deutschen Regierung 1992 unterschrieben worden ist und an der sich auch Ihre Behörde zu halten hat, heißt es:

Art. 3: Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Art. 22: Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendende Regeln und Verfahren des Völkerrechts angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrecht oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht.

Aus diesem Grunde gehören anstatt der Vormund, der durch sein mutiges Eingreifen Schlimmeres von den Jugendlichen abgewendet hat, Sie als beteiligte Behörde eher auf die Anklagebank, weil Sie gegen internationales Recht verstoßen und grundgesetzwidrig die Ihnen auferlegte Sorgfaltspflicht verletzt haben.

Mit freundlichen Grüßen

X Y (für den Arbeitskreis Pro Asyl)


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