Zu den Vorfällen an der Synagoge in Strassburg am 24.7.2002
15.08.2002, 01:02, no border plenum Freiburg
Antisemitismus
| Strasbourg
| Grenzcamp
| indymedia
| jungle world
Auf einer Demonstration im Rahmen des No-Border-Camps in Strassburg (19.-28.7.) kam es an der dortigen Synagoge zu einem Vorfall, der mittlerweile in einigen linken Medien im Mittelpunkt der Berichterstattung über das Camp steht.
Zur genauen Klärung des Vorgangs, über den mittlerweile verschiedene Berichte kursieren, können wir nichts beitragen. Wie viele Leute aus der Demonstration heraus auf die Synagoge losgehen wollten, ob sie es dabei "nur" auf die dort angebrachten Überwachungskameras abgesehen hatten oder gar das Gebäude beschmieren wollten, ob sie dies aus Gedankenlosigkeit taten oder aber, wie ein Augenzeuge berichtet, aus der verqueren Überzeugung, Israel sei "ein faschistischer Staat" und die Synagoge offenbar eine seiner Filialen - all das wissen wir nicht.
Dagegen wissen wir, daß es zu einer angespannten Situation an der Synagoge kam. Die für die von uns Anwesenden undurchschaubare Situation steht symbolisch für die alles andere als eindeutige Position der linken und sozialen Bewegungen zum grassierenden Antisemitismus. Die Erleichterung darüber, daß das Eingreifen geistesgegenwärtiger Teilnehmer/innen der Demonstration offenbar Schlimmeres verhinderte, verblasst neben dem traurigen Befund, daß dies überhaupt notwendig war. Im Ausbleiben einer genauen Klärung des Vorfalls und entsprechender Konsequenzen liegt ein politisches Versagen des Camps, das zu diesem Zeitpunkt angesichts der Repression seitens des französischen Staates in Aktionshektik verfallen war.
Gleichzeitig weisen wir Darstellungen zurück, die den Vorfall an der Synagoge zum Ausdruck des Wesenskerns des Camps machen. Ein ?Bericht? der Wochenzeitung Jungle World etwa, dessen Verfasser nicht auf dem Camp war, zeichnet das Camp als Ansammlung esoterischer, den Mond anheulender und "in Erdlöcher scheißender" Zivilisationsfeinde, denen - so der Tenor - alles Schlechte zuzutrauen ist. Noch denunziatorischer verfahren auf indymedia kursierende Berichte, die kurzerhand eine "latent antisemitische Stimmung" auf dem Camp bemerkt haben wollen und aus dem versuchten Angriff auf die Synagoge die Erkenntnis gewinnen, "die Linke" sei eine Ansammlung von Antisemiten und wolle dies auch bleiben.
Derartige Inflationierungen des Antisemitismusvorwurfs erweisen dem notwendigen Kampf gegen Antisemitismus und seine linken Spielarten einen Bärendienst. Unsere Erfahrungen auf dem Camp waren andere: an zwei Veranstaltungen über Antisemitismus in Frankreich und in der Linken zu Beginn des Camps etwa war bemerkenswert, daß die üblichen anti-israelischen Hetzbeiträge ausblieben. Schon im Vorfeld des Camps hatte ein Diskussionspapier aus Freiburg die diesjährige Welle antisemitischer Gewalt in Frankreich, die auch aus den Banlieues, einem wichtigen politischen Bezugspunkt des Camps, erfolgte, zum Gegenstand der Reflexion gemacht.
Daß diese Initiativen nicht hinreichend waren, um eine Grenzziehung zum Antisemitismus allgemein durchzusetzen, haben die Ereignisse auf der Demonstration und der Mangel an gemeinsamer Reflexion darüber im Nachhinein in bitterster Weise bewiesen. In Zukunft kann es nur darum gehen, die Auseinandersetzung über Antisemitismus weiterzuführen, insbesondere auf internationaler Ebene. Dumpfe Pauschalverurteilungen des Camps aber werden die Situation nicht zum Besseren wenden.
No-Border-Plenum
Freiburg, 8.8.2002
http://www.umprowe-freiburg.de/noborder
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