Solidarität mit der Rechtsanwältin Eren Keskin
25.05.2002, 11:05, FrauenFluchtNetz Tübingen
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Gestern abend fand in Tübingen eine Veranstaltung statt, mit Eren Keskin, einer ehemaligen kurdischen Gefangenen und Vertreterinnen des Berliner Frauenrechtsbüros. Sie erzählten sehr beieindruckend von der fortwährend stattfindenden sexualisierten Folter in der Türkei an Frauen und vom Versuch des Istanbuler Frauenrechtsbüros, die Täter anzuklagen und den betroffenen Frauen zu helfen.
Hier nocheinmal ein Bericht über das Vorgehen der türkischen Behörden gegen Eren Keskin und gegen den Versuch, die Tatsache der sexualisierten Folter in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Schwere Angriffe der Presse und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Rechtsanwältin Eren Keskin, Vorsitzende der Sektion Istanbul des Menschenrechtsvereins Türkei (IHD) sowie Mitbegründerin und Anwältin des Projekts “Rechtliche Hilfe für Frauen, die durch staatliche Sicherheitskräfte vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell gefoltert wurden”
Zum diesjährigen 8. März, dem internationalen Frauentag, war Eren Keskin nach Deutschland eingeladen worden und sprach auf einer Veranstaltung in Köln über die Erfahrungen der Projektarbeit. Dazu gehört auch, über die ungeheuerlichen und unvorstellbaren Qualen zu reden, die staatliche Sicherheitskräfte Frauen in der Türkei als Teil einer undemokratischen und militaristischen Staatspolitik antun. Die Versuche, durch die Einleitung strafrechtlicher Verfolgung der Täter für die Frauen ein kleines Stückchen Wiedergutmachung zu erlangen und durch das Aufdecken dieser Realität zugleich zu deren Beendigung beizutragen, gehören zur vorrangigen Arbeit des Projekts. Wir haben immer wieder dargelegt, wie ungeheuer schwer es ist, den Mut zu finden, über staatliche Verbrechen dieser Art zu sprechen und ihre Strafverfolgung zu verlangen. Sowohl Frauen, die über die an ihnen begangenen staatlichen Verbrechen reden und womöglich Anzeige erstatten, als auch ihre Rechtsanwältinnen und Unterstützerinnen sind immer wieder mit Repression überzogen wor-den. Die nun eingeleitete Hetzkampagne gegen die Rechtsanwältin Eren Keskin stellt momentan den absolu-ten Höhepunkt des Versuchs dar, endgültig ein Tuch des Schweigens über staatliche Menschenrechtsverbre-chen an Frauen in der Türkei ziehen zu wollen.
Kein repressives Land der Welt ist ohne einen grundlegenden Regimewechsel und ohne ein freiheitliches Umdenken von Politik von sich aus in der Lage, im Namen des Staates und seiner Politik begangene Verbre-chen einzugestehen und deren Ahndung zu forcieren. Solange eine solche Wende nicht erfolgt, sind es insbe-sondere der Mut der Betroffenen selbst sowie ihrer Anwältinnen und Unterstützerinnen, das tödliche Schweigen, das sich über die Realität von Menschenrechtsverbrechen gesenkt hat, zu brechen und die Ge-sellschaft wachzurütteln, allen Menschen innerhalb sowie außerhalb des Landes die Augen zu öffnen und zu fordern: Öffnet Eure Augen, setzt Euch ein, die Realität wird vor Euch geheimgehalten, seht hin und tut et-was! Schon so viele Leben wurden zerstört, wie viele sollen es noch werden ?!
Doch diese mutigen Frauen werden auch immer wieder mit der Reaktion konfrontiert sein, sie seien Lügne-rinnen, Propagandisten, Vaterlandsverräterinnen, Terroristinnen.
Dies ist nicht nur in der Türkei so. Aber eben auch in der Türkei.
Eren Keskin gehört zu den Anwältinnen, die sich ihr Leben lang dafür einsetzte, die Realitäten in der Türkei beim Namen zu nennen und hierfür unzählige Male erniedrigenden Angriffen verbaler Art, tätlichen Angrif-fen auf ihr Leben, Prozeßwellen und Inhaftierung ausgesetzt war. Im Ausland erhielt sie für ihr Engagement etliche Preise, im Inland wird ihr nun damit gedroht, sie würde bei der nächstbesten Gelegenheit vergewal-tigt, und sie wird öffentlich und ungestraft aufgefordert, das Land endlich zu verlassen.
Nach ihrem Redebeitrag auf der oben erwähnten Veranstaltung in Köln ließ sich der Journalist Fatih Altayli in der Nachrichtensendung des Radiosenders “D” mit dem Namen “Bab-I Ali Yokusu” am 18.3.2002 in der Zeit von 8.15 bis 9.30 Uhr u.a. folgendermaßen aus (Bandmitschnitt/ Übersetzung):
“... Man sollte diese Frauen eigentlich gar nicht ernst nehmen... Wenn ich jetzt Eren Keskin bei der ersten Gelegenheit, wo ich ihr begegne, nicht sexuell anmache, wäre ich kein Mann... Das ist doch unglaublich, nicht zu fassen. Sie sagt also die Wahrheit über die Türkei, ja? Die Türkei hat sowieso zur Genüge Proble-me... was soll das, so zu übertreiben...so ein Palaver abzuziehen... Sie wollte wohl folgendes sagen, diese Eren Keskin... warum macht ihr es mir nicht...ist die bekloppt oder was...?”
Und am gleichen Tag schrieb er in einem Kommentar, der in der Zeitung “Ikinci” erschien:
“... Ich denke, wenn Eren Keskin zurückkommt, wird sie ihre sexuelle Belästigung bekommen... Bisher haben wir so was nie gemacht, aber es ist wirklich an der Zeit zu sagen, laßt uns das machen... Vielleicht ist es ja das, was sie will, für sich selber will...”
Am 19.3. und 20.3.2002 starteten mehrere Tageszeitungen der Türkei gleichzeitig eine unglaubliche Hetz-kampagne.
Eine der auflagenstärksten Tageszeitungen, die “Hürriyet”, titelte neben einem Photo Eren Keskins: “Verleumdung: ‚Soldaten begehen sexuelle Mißhandlung’ – Hierfür gibt es nur eine Bezeichnung: Das ist Verrat”. Im weiteren Artikel heißt es, Eren Keskin hätte eine Verleumdungskampagne gegen die Türkei ins Leben gerufen; in einer Zeit, in der überall gegen die Türkei Verleumdungskampagnen geführt würden, hätte sie durch ihr Reden auf der Veranstaltung diese noch zusätzlich angeheizt. Selbst Jurist/innen und die Veran-stalter/innen (Alevitische Frauenvereinigung Deutschland) hätten sich entsetzt abgewandt und sich distan-ziert. Selbst Vaterlandsverräter würden so nicht sprechen und es handle sich um ein Komplott. Staatsanwalt-schaft, Innen- und Außenministerium hätten Ermittlungen eingeleitet.
Die Zeitung “Gözcü” titelte in ihrer Ausgabe vom 19.3.2002: “Die widerlichen Worte der häßlichen Anwäl-tin” und führte im weiteren aus: “Die Rede der Anwältin Eren Keskin hat zu erheblichen Reaktionen unserer Bevölkerung geführt: Niemand hat das Recht, die türkische Armee und die türkischen Soldaten anzutasten. Diese Frau soll aus der Türkei verschwinden. Selbst die Verteidigung des Kopfes der Separatisten APO hat sie übernommen. Es ist völlig unklar, was hier im Gange ist. Wenn es sie stört, in der Türkei zu leben, soll sie am besten nicht noch einmal in dieses Land zurückkehren, soll sie doch in Deutschland bleiben.”
Der Menschenrechtsverein IHD und wenige fortschrittliche Presseorgane haben sich gegen diese schmutzige Art in mehreren Erklärungen zur Wehr gesetzt. Das Aufheizen der Stimmung in der Türkei durch diese Art Presseberichterstattung zeigt jedoch nicht nur in erstaunlich offener Weise, wie manche Kreise mit der Geschichtsschreibung des Landes verfahren wollen. Es wird zugleich der Boden bereitet für Angriffe tatsächli-cher Art. Es wäre nicht das erste mal, daß in der Türkei Angriffe tätlicher Art auf Menschenrechtsakti-vist/innen stattfinden, nachdem die Presse auf diese Art und Weise Menschen zum Abschuß freigegeben hat.
Eine weitere Dimension enthält die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft wegen Redebeiträgen im Ausland ermittelt und anscheinend sogar auf Ministeriumsebene Nachforschungen betrieben werden.
Etliche internationale Abkommen und auch nationale Gesetze, insbesondere aber unser Bewußtsein von Menschlichkeit und Würde verpflichten uns alle, unsere Augen zu öffnen und unsere Stimme zu erheben.
Im Namen menschlicher Würde;
im Namen derer, die aus Angst schweigen;
im Namen derer, die nicht mehr sprechen können, da sie an den Folgen staatlicher Verbrechen gestorben sind;
und insbesondere in unserem eigenen Namen: Mensch und zugleich Frau.
Wir hoffen, daß sich auch die deutsche Presse dieser Problematik annimmt und darüber berichtet.
Quelle: indymedia germany
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