Kampfeslustige Metaller im Süden
08.05.2002, 02:26, junge welt
Arbeitskampf
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Streiks in der baden-württembergischen Metallindustrie gehen weiter. Seit Sonntag 76000 Beschäftigte im Ausstand
Der Streik in der Metall- und Elektroindustrie im Pilotbezirk Baden-Württemberg geht weiter. Bis Dienstag mittag hatten nach Angaben der IG Metall 13000 Beschäftigte in 23 Betrieben die Arbeit niedergelegt, um die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn zu unterstützen. Damit waren seit Sonntag insgesamt 76000 Beschäftige im Ausstand. Streikschwerpunkte am gestrigen zweiten Streiktag waren Tuttlingen, Heidelberg, Heidenheim, Göppingen und Singen. Im Südwesten wurden fünf Betriebe der Aluminiumverarbeitung bestreikt, darunter auch Tscheulin-Rothal in Teningen bei Freiburg. Pünktlich um 6 Uhr begann dort die Arbeitsniederlegung, nachdem die 70 Beschäftigten der Nachtschicht das Werk verlassen hatten. 24 Stunden lang sollten bei Tscheulin, in dem 700 Beschäftige in drei Schichten malochen, die Bänder stillstehen. »Unser Aufruf wurde von allen befolgt. Keine Maschine drehte sich, nicht mal die Lichter waren noch eingeschaltet«, berichtete Hermann Spieß, IG-Metall-Geschäftsführer von Freiburg (siehe auch Interview).
Um sechs Uhr morgens gab es eine erste kleine Kundgebung, mittags um 12 Uhr folgte die nächste. Die Stimmung unter den rund 30 rot gekleideten Streikposten, die mit Transparenten und Gewerkschaftsfahnen vor den drei Werkstoren standen, war ausgelassen. Es gab Kaffee und Brezel, reichlich Infomaterial, Anstecker und die aktuelle Streikzeitung der IG Metall. »Streik ist Demokratie live«, war auf einem großen Transparent zu lesen, »Gute Arbeit, faire Bezahlung« auf einem anderen.
Durchgelassen wurde nur, wer einen speziellen Ausweis vorzeigen konnte, der penibel von der Streikleitung kontrolliert wurde. Ordnung muß schließlich sein, auch während eines Streiks.
Tscheulin-Rothal in Teningen ist für die IG Metall Freiburg ein Musterbetrieb. 90 Prozent der Belegschaft sind hier organisiert, während in den übrigen Großbetrieben der Region der Organisationsgrad bei etwa 50 Prozent liegt. Entsprechend groß ist die Unterstützung. »Bereits bei der Urabstimmung haben wir gespürt, daß der Druck für mehr Einkommen sehr hoch ist«, berichtete der Betriebsratsvorsitzende Franz Fortwängler. »Die Leute brauchen mehr Geld in der Tasche«, meinte auch Freiburgs DGB-Chef Jürgen Höfflin, der ebenfalls ab sechs Uhr morgens Streikposten stand. Alle Einzelgewerkschaften des DGB stünden an der Seite der IG Metall, versicherte er. »Die Arbeitnehmer haben seit 1991 einen Reallohnverlust von 6,4 Prozent hinnehmen müssen, während die Unternehmensgewinne in den vergangenen neun Jahren um 40 Prozent gestiegen sind. Jetzt ist Schluß mit lustig.«
Über den Vorschlag, Otto Graf Lambsdorff als Schlichter einzusetzen, schütteln die Teninger Streikposten nur die Köpfe. Man wolle direkte Verhandlungen statt eines Schlichters, ist der Tenor. Und man weiß, daß man einen langen Atem braucht. »Der heutige Tag ist doch nur ein Nadelstich«, meint Streikposten Edwin Futterer. Betriebsratschef Fortwängler läßt keinen Zweifel an der Kampfbereitschaft: »Die Beschäftigen haben genügend Nachholbedarf und Energie, auch längere Auseinandersetzungen zu führen«.
Für den heutigen Mittwoch hat die IG Metall 33 weitere Betriebe mit 13000 Arbeitern zum Streik aufgerufen. Es ist der »Tag des Mittelstands«, an dem zahlreiche Betriebe mit unter 200 Beschäftigten bestreikt werden. Mit dabei wieder ein Unternehmen aus Teningen, wenige Meter von Tscheulin-Rothal entfernt.
Martin Höxtermann, Freiburg
junge welt 8.05.02
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