Wirklich Wut im Bauch
06.05.2002, 13:31, junge welt
Arbeitskampf
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Erste Streikwelle der IG Metall trifft Autokonzerne im Südwesten +++ 2000 bei Daimler Chrysler Arbeit niedergelegt +++ Streik in Südbaden am Dienstag und Mittwoch
Seit Sonntag nacht wird gestreikt. Betroffen von der ersten Streikwelle in der deutschen Metall- und Elektroindustrie seit sieben Jahren sind die Autokonzerne im traditionellen Pilotbezirk Baden-Württemberg. Der Anfang wurde bei Daimler-Chrysler in Sindelfingen gemacht. Dort waren die 2000 Beschäftigten der gestrigen Nachschicht aufgerufen, die Arbeit ab 22 Uhr niederzulegen. In weiteren 20 Betrieben mit insgesamt 50000 Arbeitern begann der Arbeitskampf am heutigen Montag mit der Frühschicht um 6 Uhr.
Streik-Schwerpunkte sind die Industriezentren Stuttgart, Gaggenau, Neckarsulm, Mannheim und Ulm. Betroffen sind die Daimler-Chrysler-Werke in Rastatt, Gaggenau und Untertürkheim, Porsche in Stuttgart, Audi in Neckarsulm und der Zulieferer Behr in Pforzheim. Auch beim Mannheimer Landmaschinenhersteller John Deere stehen heute die Bänder still.
»Die Leute haben wirklich eine Wut im Bauch«, berichtet Eugen Bilke, Geschäftsführer der IG Metall in Lörrach. »Anders läßt sich das hohe Urabstimmungsergebnis nicht erklären«. Die IG Metall war mit der Forderung von 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt in die Urabstimmung gegangen, nachdem die Tarifgespräche am 19. April in Ludwigsburg für gescheitert erklärt wurden. Die Unternehmer hatten lediglich 3,3 Prozent Lohnerhöhung angeboten. 90,4 Prozent der baden-württembergischen Gewerkschaftsmitglieder hatten sich darauf für die Arbeitsniederlegung ausgesprochen.
Mit sogenannten Flexi-Streiks, die nicht länger als 24 Stunden dauern, sollen möglichst viele Belegschaften und Betriebe einbezogen werden: Nicht nur die großen Konzerne in Nordwürttemberg-Nordbaden, sondern auch zahlreiche mittelständische Unternehmen - insgesamt 87 Betriebe bis Ende der Woche. Um das öffentliche Interesse an den Aktionen zu mobilisieren, schickt die IG Metall prominente Redner in die Bütt. So sprechen der Vorsitzende Klaus Zwickel heute mit Beginn der Frühschicht um 6 Uhr bei Porsche in Stuttgart und IG-Metall-Vize Jürgen Peters bei Daimler-Chrysler in Sindelfingen.
Mancherorts ist der Streik eine Premiere. So ist es das erste Mal, daß auch die südbadische Metall- und Elektroindustrie während einer Tarifrunde bestreikt wird. Dort werden am Dienstag und Mittwoch insgesamt 1500 Arbeiter in sechs Betrieben Streikkutten statt Blaumänner tragen. »Bei der Urabstimmung haben sich diesmal Leute für einen Streik ausgesprochen, die sich sonst politisch eher zurückhalten«, beschreibt Freiburgs IG-Metall-Chef Hermann Spieß die Stimmung an der Basis. In Freiburg hatten sich 91 Prozent der Mitglieder für einen Streik ausgesprochen, in Lörrach sogar 93,2 Prozent. Auch in Offenburg ist die Stimmung gut. Erst vor zwei Wochen hatte man dort einen dreiwöchigen Streik gegen die Badischen Drahtwerke in Kehl beendet, die aus dem Tarifgefüge ausbrechen wollten. »Wir haben sie mit Erfolg in die Tarifbindung zurückgestreikt«, freute sich Reinhard Hohn von der örtlichen IG Metall.
Die Erwartungen der Basis sind hoch; die Streikbereitschaft wird durch die Aussperrungs-Drohungen von Unternehmerseite angeheizt. Nach den Nullrunden der vergangenen Jahre stehe er voll und ganz hinter dem Streik, sagt etwa Thomas Schrödl, Montagearbeiter bei Porsche in Zuffenhausen. »6,5 Prozent, die könnte Porsche schon zahlen«. »Die Chefs verdienen an uns genug und bieten uns nichts«, meint sein Kollege Wolfgang Brachwitz. »Vier bis fünf Prozent - die müssen schon drin sein«.
Martin Höxtermann
junge welt 6.5.02
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