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Hakenkreuz am Rathaus

24.04.2002, 21:24, Südkurier

Faschismus | Konstanz | Radolfzell | Nationalsozialismus | Antisemitismus

Artikel von Tobias Engelsing über Konstanzer Bürger im Nationalsozialismus, Hitlers Rede 1930 im Radolfzeller Stadion, das 'Schutzhaftlager' auf dem Heuberg und den ersten 'Judenboykott' in der Rosgartenstrasse am 1.4.1933


Weimarer Demokratie wurde kampflos preisgegeben

Am 6. März 1933 erschien eine Delegation entschlossener Nationalsozialisten auf dem Rathaus und verlangte vom amtierenden OB Moericke die Hissung der Hakenkreuzflagge. Das demokratisch gewählte Stadtoberhaupt widersprach nicht. Moericke klappte die Aktendeckel zu, verließ das Rathaus für den Rest des Tages und floh vor dieser kalten Machtergreifung mit seinem Pferd in die nahen Bodanrückwälder.

Dabei hatten die im Reich regierenden Nationalsozialisten in der Reichstagswahl vom 5. März 1933 nur etwa ein Drittel der Konstanzer Wählerstimmen auf sich vereinen können.
Die Weimarer Republik bröckelte auch von innen her: Das liberale Konstanzer Bürgertum hatte dem selbsternannten "Führer" Deutschlands bereits in der Juli-Wahl 1932 seine Stimme gegeben und den Stimmenanteil der NSDAP damit im Vergleich zur Reichstagswahl von 1930 verdoppelt. Auch der Widerstand des politischen Katholizismus nahm ab, nachdem der Episkopat auf der Fuldaer Bischofskonferenz am 28. März 1933 seine Warnungen und Unvereinbarkeitsverbote aufgegeben hatte. Im evangelischen Lager brauchten nur wenige Mauern geschleift zu werden: Viele protestantische Kirchenmänner begrüßten den neuen "Führerstaat" von Anfang an.

Konstanz 1933: Rund 4000 Menschen waren dauerhaft arbeitslos, die meisten Firmen litten unter Produktionsrückgängen, Löhne und Gehälter waren um bis zu 30 Prozent gekürzt, der Verfall von Einkommen und Kaufkraft beschleunigte das Tempo der Wirtschaftskrise. Die NS-Kampfpresse "Bodensee-Rundschau" hetzte täglich gegen die angeblich korrupten Vertreter der Weimarer Koalition (Zentrum, Sozialdemokraten, Liberale Parteien).

Als Hitler 1930 in Konstanz sprechen wollte, hatte eine Demonstration der republikanischen Parteien seinen Auftritt noch verhindert. Zwei Jahre darauf trat er im Radolfzeller Stadion auf - von Tausenden bejubelt.

Im Mai 1933 übernahm mit Ingenieur Leopold Mager ein "alter Kämpfer" der NSDAP die Rolle eines städtischen NS-Kommissars mit weitreichenden Kompetenzen. Der noch demokratisch besetzte Stadtrat nahm seinen Antrag einstimmig an, Adolf Hitler zum Ehrenbürger zu ernennen.

Der Landtagsabgeordnete Karl Großhans, der couragierte republikanische Anwalt Hans Venedey, KPD-Stadtrat Karl Fuchs und andere Demokraten verschwanden im "Schutzhaftlager" auf dem Heuberg. Im Stadtrat lobte der liberale OB den neuen Reichskanzler, doch zu spät: Ende Mai wurden OB Moericke, Bürgermeister Fritz Arnold und Bürgermeister Franz Knapp abgesetzt. Neuer OB wurde der Jurist und vormalige Durlacher Bürgermeister Albert Herrmann. Gesangvereine trennten sich von ihren nicht mehr passend erscheinenden Vorsitzenden, Vereine und Verbände lösten sich auf oder sie wurden gleichgeschaltet.

Auf der Straße patrouillierten die Raufbolde der SA, denen man den Status von Hilfspolizisten gegeben hatte. Am 1. April 1933 schoben diese SA-Männer beim ersten "Juden-Boykott" vor den Geschäften jüdischer Kaufleute in der Rosgartenstraße und auf der Marktstätte Wache: Das neue Regime legte letzte staatspolitische Hemmungen ab.

Tobias Engelsing


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