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| letzte Änderung: 23/04/02 16:45 |
Grenzregime
Vom 19.-28. Juli 2002 werden sich hunderte Anti-KapitalistInnen, Anti-RassistInnen und selbstorganisierte MigrantInnen aus ganz Europa zu einem internationalen Aktionscamp in Strassburg treffen
Vom 19.-28. Juli 2002 werden sich hunderte Anti-KapitalistInnen, Anti-RassistInnen und selbstorganisierte MigrantInnen aus ganz Europa zu einem internationalen Aktionscamp in Strassburg treffen um dem "Inneren Sicherheitswahn", der Ausbeutung durch Ausgrenzung und dem "Krieg gegen den Terrorismus" ihre Visionen der Welt entgegen zu setzen. Unter anderem soll am SIS (Schengen Informations System), der ersten supranationalen Fahndungsdatei, protestiert werden.
Als 1998 an der deutsch-polnischen Grenze das erste Grenzcamp stattfand, konnte sich wohl kaum eine/r der TeilnehmerInnen vorstellen, dass es nicht lange dauern würde, bis die Grenzcamps zum festen Bestandteil der Sommergestaltung der antirassitischen Bewegung in ganz Europa würden. Seither trafen sich tausende AktivistInnen an den Grenzcamps in Deutschland, im südspanischen Tarifa, in Lendava im slowenischen-ungarisch-kroatischen Grenzdreieck, in Krynick an der Grenze zwischen Polen und Weissrussland oder auf Karawanen.
Die Idee der Grenzcamps war im Ursprung denkbar einfach: während der Verkehr von Waren und Dienstleistungen und Kapital durch die Politik erleichtert wird, gilt die Bewegungsfreiheit nicht für alle Menschen. Durch eine Abschottungspolitik der EU wird die Migration in erwünschte und unerwünschte Menschen geteilt. Der Versuch die Grenze zu überwinden endet für unerwünschte MigrantInnen nicht selten mit dem Tod. Diejenigen die es über die Grenze schaffen werden durch neue Sicherheitsgesetze immer mehr mit der organisierten Kriminalität gleichgestellt und bieten als Illegalisierte oder "sans papier" die billigste Arbeitskraft auf dem EU Arbeitsmarkt. Die Grenzcamps sollen auf diesen Widerspruch im herrschenden Globalisierungsdiskurs aufmerksam machen. Durch eine spektrenübergreifende Begegnung und Zusammenarbeit, einer Mischung aus konfrontativen öffentlichen Aktionen und vielfältigen Diskussionen soll Austausch stattfinden und Protest artikuliert werden. Wie mit dem Camp am Frankfurter Flughafen deutlich gemacht wurde, stehen auch die inneren Grenzen im Visier.
Auch im Sommer 2002 werden mehrere Camps stattfinden: Mindestens zwei in Deutschland, eins an der Russisch-Finnischen Grenze und eins in Polen. Doch abgesprochen haben sich sämtliche europäische Zusammenhänge, um sich gemeinsam in Strassburg nochmal zu treffen. Das erste international organisierte No Border Camp wird zur Zeit von einem bunten Haufen europäischer Organisationen und Zusammenhänge gestaltet.
Die aktuellen militärischen Interventionen, mit dem Vorwand des "Krieges gegen der Terrorismus", sind von Lateinamerika bis Zentralasien Reorganisierungskriege, um eine neue Ordnung der Ausbeutungsverhältnisse herzustellen. Dieser Reorganisierungsprozess hat in den Metropolländern, in denen sich der Wohlstand anhäuft, auch eine "innere Kriegsfront" die sich am deutlichsten in der Verschärfung der sozialen Kontrolle aüssert.
Mit dem voranschreitenden Abbau des Wohlfahrtstaates häufen sich auch die Proteste die sowohl Ausdruck von grundlegender in Fragestellung der herrschenden Verhältnisse sind, als auch die Nostalgie derjenigen beinhaltet, die der Wohlstandsumverteilung nachsehnen. Die Regierungen reagieren mit Kriminalisierung, drehen an der Schraube der sozialen Kontrolle und seit dem 11. September versuchen sie die Welt in das Einheitsdenken des "Krieges gegen den Terror" zu versetzen. Armut, Immigration und politische Aktivitäten von Menschen die die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen werden kriminalisiert. Die Regierungen bedienen sich des Diskurses des "Kampf gegen den Terror" und legen ihn je nach Bedarf anders aus um die sozialen Bewegungen zu bändigen.
Die Reaktion vieler Menschen ist es dem Ruf nach mehr Sicherheit zu folgen und in vielen Fällen die autoritären Strömungen zu unterstützen. 1999 waren in der EU fast ausschliesslich nur soziale marktwirtschaftliche Demokratenparteien an der Macht. Heute sind rechtsextreme Parteien in mindestens 5 EU-Länder bereits an der Macht beteiligt. Italien illustriert wahrscheinlich am besten wie polarisiert solche Verhältnisse werden können.
Nichdestotrotz lässt sich die Protestdynamik in Europa nicht einschüchtern wie jüngste Beispiele aus München, Rom oder Barcelona illustrieren.
Die oben skizzierte Verhältnisse werden in Strassburg und im französischen Kontext wiederzufinden sein. Strassburg ist der Sitz verschiedener EU Institutionen wie das EU Parlament oder das SIS (Schengener Infomations System). Die Stadt wird seit einem Jahr von einer rechten Bürgermeisterin regiert. Der zuständige Politiker für die Verhandlungen über den Ort des No Border Camps war vor 5 Jahre noch bei der Front National, die rechtsextreme Partei Frankreichs die Le Pen gerade in den zweiten Wahlgang eintritt. In Frankreich finden Anfang Mai Präsidentschaftswahlen statt und im Wahlkampf versuchten Jospin und Chirac sich gegenseitig mit Ankündigungen zur Verschärfung der "inneren Sicherheit" und zur Bekämpfung der "kriminellen Jugendlichen aus den Banlieues" zu überbieten.
Voraussichtlich in der Gegend einer solchen Strassburger Banlieue, einem Wohngebiet am Stadtrand in dem viele MigrantInnen leben, soll das Camp stattfinden. Der Mouvement de l' Immigration et des Banlieues (MIB) sowie die Strassbuger Sympathisantengruppe "festival permanent contre les lios racistes" beteiligt sich an den Vorbereitungen des Camps. Die meisten MigrantInnen, die aus den ehemaligen Kolonien der "Grande Nation" nach Frankreich auswandern, verkaufen ihre billige Arbeitskraft in den Fabriken, auf dem Bau, bei der Ernte auf grossen Gemüse- und Obstplantagen oder in der Prostitution. Die Kolonien erkämpften ihre "Freiheit", doch die koloniale Beziehung zu diesen Ländern und zu den MigrantInnen bleibt bestehen. Seit Jahrzehnten organisieren sich MigrantInnen und kämpfen für bessere Lebensbedingungen, gegen Ausgrenzung durch Sondergesetze und vorprogrammierte Arbeitslosigkeit. Regelmässig sind Menschen aus den Banlieues, den Wohnsiedlungen am Stadtrand der Grossstädte, Opfer von Übergriffen seitens der Polizei. Jugendliche werden auf der Strasse oder im Knast umgebracht, die Polizisten bleiben unbestraft.
Neben MIB sind aus Frankreich Gruppen gegen Abschiebungen und Kollektive für die Abschaffung aller Gefängnisse involviert. In Paris gestalten sie gerade eine Kampagne gegen die nach dem 11. September eingeleiteten Sicherheitsgesetze. Ausserdem betiligt ist "Sans Titre" eine Vernetzung städtischer und ländlicher autonomer selbstverwalteter Projekte die sich zu gemeinsamen Aktionen gefunden haben. Aus Österreich sind antirassitische Gruppen um die Wiener Volxtheater-Karawane beteiligt; die EngländerInnen aus "barbed wire" wollen gegen Abschiebehaft ihre Aktionen in Strassburg fortsetzen; no border und "Rythms of Resistance" Sambactivistas aus London werden beim Programm laut und farbig mitwirken, mehrere internet und indymedia AktivistInnen plädieren für freien Zugang zu Informationen und fordern die Auflösung des SIS und aus Finnland hat sich auch ein erster Bus angemeldet. Aus dem Spanischen Staat und aus Germoney werden mehrere AntirassistInnen aus dem Kein Mensch ist Illegal Spektrum erwartet und die selbtorganiserten Flüchtlinge von The Voice haben einen Konvoi für Bewegungsfreiheit und gegen die Residenzpflicht vom Camp in Jena nach Strassburg angekündigt.... eine interessante internationale Zusammensetzung erscheint also zunehmend wahrscheinlicher.
Das Schengen Information System (SIS), wird von allen als symbolischer Bezugs- und "Anlauf"punkt erwähnt. Dieses elektronische Instrument der Kontrolle, Abschiebung und Kriminalisierung charakterisiert die europäische Vereinheitlichung sicher treffender als die kosmetischen Institutionen des Europaparlaments oder des Menschenrechtgerichtshofes. Letzterer wird nichtdestotrotz zu einem weiteren Ort des Protestes werden, wenn The Voice dort die Bewegungsfreiheit einklagen werden.
Für Samstag den 27. Juli soll es eine gemeinsame Abschlussdemo oder Aktion geben. Die genaue Form und Ausrichtung wird noch diskutiert und soll sich auch aus der Dynamik des Camps ergeben. Das Camp ist in einem anti-autoritären Rahmen organisiert und lebt von der Beteiligung und Eigeninitiative der Teilnehmenden. Diese temporäre autonome Zone steht im Gegensatz zu den vorhersehbaren Gegengipfelmobilisierungen und bietet einen guten Rahmen für Austausch und Aktion.
Der Diskurs des "Kampfes gegen den Terrorismus" und der "inneren Sicherheit" ist eine hauchdünne Fassade die es anzukratzen gilt. Die Begegnung und der Austausch verschiedener politischer und sozialer Strömungen untereinander kann dazu beitragen eine neue Kraft zu entwickeln um sich jenseits der künstlichen Teilung der Welt in "Gute" und "Böse" zu artikulieren. Also Zelte packen und auf nach Strassburg !