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25/07/03 18:12

Misshandlung von Flüchtlingen im Kanton Glarus

15.07.2003, 16:30, augenauf

Rassismus | Glarus | Ennenda | Linthal | Rüti | Asyl | Polizei | Repression

Schwere Misshandlung von Flüchtlingen im Kanton Glarus – 16-jähriger Flüchtling schwer verletzt


Am Montag, den 7. Juli wurde augenauf darauf aufmerksam gebacht, dass es im Kanton Glarus bei einer Razzia durch Polizeibeamte in einem Durchgangszentrum und in zwei angeschlossenen Wohnhäusern zu schweren Misshandlungen von Flüchtlingen gekommen sei.

augenauf Zürich hat in der Folge mit den meisten betroffenen Flüchtlingen und anderen Involvierten gesprochen. Es ergibt sich folgendes, dramatisches Bild:

Am Donnerstag, 3.7.2003, um ca. 5.30 Morgens stürmte eine bewaffnete, maskierte und mit Helm und Motorradbrille ausgerüstete Sondereinheit der Polizei gleichzeitig das Durchgangszentrum Rain in Ennenda sowie ein Wohnhaus von Flüchtlingen in Linthal. Die Polizisten schlugen die Haus- und Zimmertüren mit schweren Hämmern ein und stürmten in Gruppen von zwei bis drei Beamten gleichzeitig die Räume, wo die Flüchtlinge schliefen.

Alle Anwesenden wurden sofort vom Bett auf den Boden gezerrt, die Hände auf dem Rücken sowie die Füsse mit Kabelbindern gefesselt. Den so bewegungsunfähig gemachten wurde anschliessend eine schwarze Stoff-Kapuze übergezogen, so dass sie nichts mehr sehen konnten. Noch im jeweiligen Schlafzimmer wurde den Opfern Hosen und Unterhosen heruntergezogen und die Flüchtlinge jeweils unter Gelächter in sexuell demütigender Stellung fotografiert. Dies nachdem man ihnen mit Klebestreifen eine Nummer auf den Rücken geklebt hatte.

Nach dieser kurzen Prozedur, die in ihrer Art und Weise an Folteraktionen, beispielsweise in der Türkei erinnern, wurden die Flüchtlinge des DZ Rain in Ennenda, immer noch gefesselt und mit Kapuze blind gemacht, in einem Raum im Parterre versammelt. Es herrschte ein absolutes Sprechverbot. Erst zwischen etwa 10 und 11 Uhr Morgens wurde die betroffenen Personen von den Kapuzen und der Fesselung befreit. Die maskierten und behelmten Beamten waren bis dahin verschwunden.

Zu keinem Zeitpunkt gaben sich die beteiligten (Polizei-)Beamten als Polizisten zu erkennen.

Dies führte zu einem tragischen Unfall: Ein sechzehnjähriger junger Mann aus einem Bürgerkriegsland erschrak so sehr, dass er sich aus dem dritten Stock aus dem Fenster stürzte. Er erlitt äusserst gefährliche Rückenverletzungen. Trotzdem wurde auch er im Garten gefesselt und erst nach etwa vier Stunden ins Spital Glarus gebracht. Dort wurde er nur oberflächlich untersucht, sondern ins DZ zurück gebracht. Zu einer normalen Behandlung kam es erst nach Intervention seiner Beiständin. Nur mit viel Glück ist der junge Mann schlimmeren Folgen, wie beispielsweise einer Lähmung, entronnen. Er leidet allerdings noch immer sehr stark an seiner Verletzung.

In einem Communiqué vom 3.7. erwähnt die Glarner Kantonspolizei Hausdurchsuchungen in Linthal, Ennenda und in Rüti. Dabei sei "mutmassliches Deliktsgut" sichergestellt worden es seien vier Personen "in Polizei-Gewahrsam" genommen worden. Tatsache ist: Im DZ Rain wurden die persönlichen Gegenstände der Flüchtlinge (Geld so vorhanden, Ausweise, Mobiltelefone) sowie Nahrungsmittel beschlagnahmt. Alle persönlichen Gegenstände wurden unseres Wissens nach unterdessen wieder zurückgegeben. Verhaftet wurde nur eine Person, die sich in einer Wohnung in Rüti befand – dies allerdings auch erst, nachdem das Durchgangszentrum Rain und die Wohnung von völlig Unbeteiligten gestürmt worden war. Weder in Ennenda noch in Linthal wurden irgendwelche Verhaftungen vorgenommen und unseres Wissens wurde auch kein "Deliktsgut" irgendwelcher Art gefunden.

Die massiven Übergriffe auf völlig Unbeteiligte und der absolut vermeidbare Unfall eines Jugendlichen werfen eine ganze Reihe von ernsten Fragen auf:

- Warum wurden Antiterror-Einheiten (maskiert, Helm, Motorradbrille) eingesetzt?

- Warum gaben sich diese nicht als Polizeikräfte zu erkennen?

- Warum wurden völlig unbeteiligte Flüchtlinge mit einer Kapuze sehunfähig gemacht und mehrere Stunden gefesselt in einer unwürdigen Situation (heruntergelassene Hosen und Unterhosen) in einen Raum gesperrt?

- Welchen Zweck verfolgte das demütigende Fotografieren von zwangs-maskierten, nackten Menschen von hinten?

- Wer waren die beteiligten Beamten einer Sondereinheit, wer führte das Kommando? Wurde das sexuell demütigende, an Folter grenzende, Verfahren angeordnet? Von wem?

- Warum wurde der Wohnort des einzigen unterdessen noch irgendeiner kriminellen Handlung beschuldigten Flüchtlings nicht abgeklärt, sondern gleich alle Wohnorte von Asylbewerbern gestürmt?

- Wurde der Hausdurchsuchungsbefehl für das Durchgangszentrum Rain in Ennenda und das Wohnhaus in Linthal für eine Übung von unterbeschäftigen Antiterror-Einheiten missbraucht?

- Warum wurde die Öffentlichkeit unvollständig und falsch über den Vorfall informiert?

- Warum wurde der schwerverletzte junge Mann nicht sofort und nicht adäquat behandelt, obwohl man damit seine bleibende Invalidität riskierte?

Viele der betroffenen Flüchtlinge fühlen sich seit der Razzia zutiefst gedemütigt und wagen sich kaum mehr auf die Strasse. augenauf fordert deshalb:

- Sämtliche Fotografien, die während der Razzia gemacht wurden, sind den Betroffenen herauszugeben, die Negative zu vernichten.

- Die Umstände, Einsatzbefehle und juristischen Voraussetzungen des Polizeieinsatzes vom 3.7.03 sind offenzulegen.

- Es muss dringend für eine adäquate Betreuung des jungen Mannes gesorgt werden, der ohne jede eigene Schuld beim Polizeieinsatz vom 3.7.03 schwer verletzt wurde.

- Alle Betroffenen, die der demütigenden Behandlung ausgesetzt wurden, sind umgehend und öffentlich zu rehabilitieren.

Homepage: http://www.augenauf.ch

Augenauf (publ. von Anonym), 15.07.2003 14:12

Pressemitteilung

Zürich, 15.7.2003

Links:

Polizeioperation «Outstation» Messer im Slip WOZ 24.7.2003

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