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28/03/03 03:14

Neues von den SiKo-2002-Prozessen. Verfahren eingestellt

28.03.2003, 03:03, Rote Hilfe München

Repression | München | Antimilitarismus | Sicherheitskonferenz | Nato

Weitere Einstellungen von Verfahren gegen in Gewahrsam genommene Personen bei der verbotenen Demo gegen die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2002


"Prozessberichte vom 17.3.03 - Bussgelder wegen Sicherheitskonferenz 2002

Heute fanden erneut vier Prozesse hintereinander am Amtsgericht München statt, bei denen die Widersprüche gegen Bussgelder wegen der Teilnahme an einer verbotenen Versammlung verhandelt wurden. Anwesend waren neben jeweils 5-10 solidarischen ZuschauerInnen auch zwei VertreterInnen der Presse, u.a. vom Ausbildungs-Radiosender M94,5.

Sowohl der Staatsanwalt, der Vertreter der Stadt als auch die anwesenden RechtsanwältInnen hatten schon etliche Verhandlungen zu diesem Thema, lediglich für den Richter war dies Neuland, er hatte heute seinen ersten Arbeitstag am Amtsgericht München.

Im ersten Prozess wurde M. vorgeworfen, an einer Versammlung teilgenommen zu haben, die in der Schillerstraße von der Polizei gestoppt und eingekesselt wurde. M. wurde dort dann in Gewahrsam genommen. M. gab an, er war auf dem Weg ins Münchner Gewerkschaftshaus. Zum weiteren Sachverhalt machte er keine Angaben. Der Staatsanwalt fragte zwar nochmal nach, ob M. denn nicht auch den ganzen Weg vom Tal über das Sendlinger Tor bei der Demo mitgelaufen wäre, gab sich jedoch schnell mit einer Aussageverweigerung zufrieden. Bereits aus vorangegangenen Prozessen war klar geworden, dass die Beweislage für die Leute aus der Schillerstraße dürftig ist. Die festnehmenden Beamten sind im Regelfall erst später gekommen, um die Leute aus dem Kessel zu holen, und der Einsatzleiter kann verständlicherweise auch nicht bezeugen, ob eine bestimmte Person nur zufällig in den Kessel geriet oder schon vorher an einer Demo teilgenommen hat. Auch gab es Aussagen der Polizei aus vorherigen Prozessen, dass in der Schillerstraße definitv niemand den Kessel verlassen durfte, egal was gesagt wurde.

Nachdem der Staatsanwalt noch ein wenig genervt anmerkte, dass er als Gruppenleiter keine Lust habe, sich für diese Bußgeld-Verfahren stundenlang Videobänder anzuschauen, beantragte er die Einstellung nach §47 Abs. 2 OWiG, die Kosten gehen zu Lasten der Staatskasse. Nachdem in einem vorangegangenen Prozess noch darüber debattiert wurde, ob der Beschuldigte die Kosten selber trage müsse oder nicht, schlug hier der Staatsanwalt selber diesen Weg vor. Offenbar sollen auf alle Fälle Freisprüche vermieden werden, und so werden Lösungen gesucht, mit denen auch der/die Beschuldigte einigermassen leben kann. Der zweite Prozess war sogar noch kürzer. Nach einem kurzen "Ich mache keine Angaben" von B. beantragte der Staatsanwalt sofort die Einstsllung. Der Richter schien nun etwas genervt und verwirrt, er hatte ja vorher noch nichts von den etlichen bereits gelaufenen Prozessen mitbekommen, und fand sich eher in der Rolle eines Statisten wieder. Nichtsdestotrotz endete auch B.s Prozess mit einer Einstellung.

Im dritten Prozess des Tages wurde gegen A. verhandelt. Ihr wurde neben der "Versammlung" in der Schillerstraße auch vorgeworfen, am Abend davor an einer Blockade am Lenbachplatz teilgenommen zu haben. Zeugen waren erstmal nicht geladen. A. erklärte zunächst, keine Angaben zur Sache machen zu wollen. Sie gab jedoch eine deutliche politische Erklärung ab, in der sie auf die antidemokratischen Hintergründe des Versammlungsverbots einging, sowie den Willen von Jusitz und Behörden, linke Opposition zu kriminalisieren. Der Richter war offenbar gewillt, mit A. eine Diskussion über Art und Folgen "zivilen Ungehorsams" zu diskutieren, und schien der Argumentation durchaus aufgeschlossen. Jedoch machte er nach Abschluss der Erklärung zwei Dinge klar. Erstens sah er im Bußgeldbescheid einen erheblichen Rechtsfehler, da A. für zwei verschiedene Vorwürfe das gleiche Bußgeld über 150€ bekommen habe. Seiner Meinung nach müsse bei ihr das Bußgeld 300€ betragen. Zweitens kündigte er an, er würde die Polizeizeugen zur Beweisaufnahme laden lassen, da A. keine Angaben zur Sache machen wolle. A. erklärte daraufhin, dass sie unter diesem massiven finanziellen Druck ihren Einspruch zurückziehen werde. Sie bekräftigte ihre vorherigen Erklärung mit der Begründung, dass sie aus ihrer Erfahrung mit Polizei und Justiz keine Hoffnungen habe, trotz möglicherweise dürftiger Beweislage freigesprochen zu werden. Daher werde sie das finanzielle Risiko einer wahrscheinlichen Verurteilung nicht eingehen.

Nach dem formalen Ende schien der Richter trotzdem noch geneigt, mit A. über ihr Misstrauen gegenüber der Justiz zu diskutieren. Auch wenn die Entscheidung des Richters in diesem Fall sich sicherlich nicht von anderen unterscheidet, kann man ihm ein gewisses Interesse an den Hintergründen und politischen Motivationen der Beschuldigten nicht absprechen.

In einem vierten Prozess wurde erneut über eine Gewahrsamnahme in der Schillerstraße verhandelt. Leider hat sich J. nicht mit der Roten Hilfe im Vorfeld in Verbindung gesetzt, so dass er nicht von unseren bisherigen Erfahrungen profitieren konnte. Er machte Angaben nicht nur zur Situation in der Schillerstraße, sondern auch zu seinem gesamten Tagesablauf. Er gab an, in den Kessel in der Schillerstraße geraten zu sein, weil er auf dem Weg nach Hause war und noch mit ein paar FreundInnen mitlaufen wollte.

Vor die mittlerweile bekannte Wahl gestellt, die festnehmenden Beamten aus Thüringen zu laden oder J. würde seine Einspruch zurückziehen, entschied sich J. für zweiteres. Mit dem anwesenden Vertreter der Stadt wurde dann gleich eine Ratenzahlung vereinbart, der schien froh endlich auch mal was beitragen zu dürfen.

Fazit: Hätte J. gar keine Angaben gemacht, wäre sein Verfahren vermutlich eingestellt geworden. Erneut zeigt sich, dass gemeinsames Vorgehen und Diskutieren nicht nur der solidarischere, politische sinnvollere und dauerhaft bessere Weg ist, sondern auch ganz konkret hilft, Repression abzuwehren.

DIE NÄCHSTEN TERMINE:

Fr. 11. April 2003, 12:00 Uhr, Raum A214
22. Mai 2003, 10:00 Uhr, Raum A232/II
Amtsgericht München, Nymphenburger Str. 16 (U1 Stiglmaierplatz)

Ein Prozessbeobachter der Roten Hilfe München

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