Deutsche Generalbundesanwaltschaft verfolgt Spanier in den Niederlanden

Nachdem die deutsche Justiz vor wenigen Monaten versucht hat ihre Zensurmaßstäbe dessen, was Menschen im Internet denken und verbreiten dürfen, weltweit durchzusetzen und den Zugang des niederländischen Providers XS4All in die Bunderepublik sperrte, interveniert sie nun direkt im Ausland. Bzgl. eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen die Zeitschrift »Radikal« wurde in den Niederlanden auf Antrag der BAW eine Wohnung durchsucht.

Am 11. 12. 96 um 9.50 Uhr fand in Vaals (Niederlande) bei Aachen eine Hausdurchsuchung statt. Die Hausdurchsuchung wurde durchgeführt von 10 niederländischen, ortsansässigen Polizisten, einem Rechter Comissaris in Strafsachen von der Rechtsbank Maastricht (Ermittlungsrichter), 2 LKA und 2 BKA Beamten.

Die insgesamt 16 deutschen und niederländischen Staatsdiener verschafften sich mit Hilfe eines Schlüsseldienstes Zutritt zur Wohnung. Die zu diesem Zeitpunkt einzig anwesende Mitbewohnerin wurde erst auf die Durchsuchung aufmerksam, als schon das Nebenzimmer durchwühlt wurde. Auf wiederholtes Nachfragen wurde Ihr weder von niederländischer noch von deutscher Seite der Grund der Durchsuchung mitgeteilt. Dabei berief sich die deutsche auf die niederländische Seite und umgekehrt. Auf weiteres Drangen hin wurde lediglich mitgeteilt, daß der Durchsuchungsbefehl von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe ausgestellt wurde.

Bei der zwei Stunden dauernden Aktion wurden zwei PC‘ s. Disketten, Fotos, ein Flugblatt und Radikal-Aufkleber beschlagnahmt. Wahrend der ganzen Zeit wurde nicht klar, gegen wen sich die Aktion richtete und weshalb durchsucht wurde. Erst als nach der Durchsuchung ein weiterer Mitbewohner von der Arbeit nach Hause kam und seine Mutter (in Aachen, BRD) anrief, klärte sich der Sachverhalt. Wie sich herausstellte, fand auch bei der Mutter eine Durchsuchung statt. Beschlagnahmt wurde dabei nichts.

Hier waren 6 LKA’ler am Werk. Als Grund dieser Durchsuchung wurde ein Hinweis, der angeblich bei der Durchsuchung in Vaals gefunden wurde, angegeben. In der bei der Mutter hinterlassenen Begründung heißt es: “Es wurden anläßlich der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten [...], am heutigen Tag Unterlagen festgestellt, aus denen hervorgeht, daß der Beschuldigte auch die Wohnung seiner Mutter [...] mitbenutzt.” Diese “Unterlagen” sind ein in Vaals aufgefundener Fahrzeugbrief der Mutter.

Als Ziel der Durchsuchung wurde im gleichen Schriftstuck folgendes angegeben: “Auffinden der Druckschrift Radikal, Abonentenlisten, Abrechnungsbelege.”. Vorgeworfen wird dem Beschuldigten an der Herstellung und Verbreitung der ausschließlich in der BRD verbotenen Zeitschrift Radikal mitgearbeitet zu haben. Die daraus für die BAW resultierenden Straftatbestände sind: Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung, Werbung und Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung sowie sonstiger Straftaten.

Die unterstellte Mitarbeit an einer politischen, in der BRD kriminalisierten Zeitschrift, reicht den niederländischen Behörden aus, um Handlangerarbeiten für die deutschen Verfolgungsbehörden zu leisten. Hierbei fuhrt die deutsche Rechtsauffassung im Bezug auf den Inhalt einer Zeitschrift zur gemeinsamen Verfolgung eines in den Niederlanden lebenden Spaniers. Und dies obwohl die Zeitschrift Radikal in den Niederlanden nicht kriminalisiert wird.

Die Dimension der Zusammenarbeit zwischen der BRD und den Niederlanden im Rahmen der neuen europäischen “Sicherheitspolitik” spiegelt sich an diesem Fall deutlich wieder. Somit stellen die Vorfalle einen Versuch dar, eine neue Qualität in der Verfolgung politisch unliebsamer Menschen über Grenzen hinweg zu etablieren.

Ermittlungsausschuß Aachen
Vereinsstr. 25
52062 Aachen

Für weitere Informationen ebenfalls ansprechbar:

Soliplenum 13.6. Koeln
c/o Infoladen Koeln
Ludolf-Camphausen-Str. 36
50672 Koeln
Fax: 02 21/510 27 65

Oder: Solidariteitsgroep Politieke Gevangenen


Droht eine Auslieferung wegen "radikal"?

Deutsche und niederländische Polizei gingen gemeinsam in den Niederlanden gegen die radikal vor. - Gespräch mit Miquel D., dem vorgeworfen wird, an der verdeckt organisierten Zeitschrift mitgearbeitet zu haben

F: Niederländische Polizisten haben gemeinsam mit deutschen Beamten Ihre Wohnung in Vaals wegen "radikal" durchsucht. Wie ist diese internationale Amtshilfe einzuschätzen?
Offenbar wollten sowohl der Ermittlungsrichter in Maastricht als auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Tatsachen schaffen, die eventuell noch gar keine rechtliche Grundlage haben. Das paßt in die gesamten Ermittlungen gegen "radikal". So wurde auch der große Lauschangriff praktiziert, als er noch illegal war. Das wird dann nachträglich abgesegnet. Bei mir soll es wohl auch in diese Richtung gehen: Erst mal machen und dann sehen, wie die Resonanz ist. Auch deswegen will ich mit der Durchsuchung und den Vorwürfen offensiv umgehen. Neben meinem persönlichen Schutz und dem Wunsch, daß linke Themen in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden können, möchte ich zeigen, daß Deutschland hier wieder eine Politik betreibt, der sich andere Länder einfach zu beugen haben.
F: Die deutschen Behörden verfolgen im Ausland eine Zeitung, die dort überhaupt nicht verboten ist ...
Ja, sie sagen, es ginge nicht um eine Zeitung, sondern um die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Diese sei auch in den Niederlanden verboten. Aber da muß man betrachten, was die Basis dieser »kriminellen Vereinigung« sein soll.
F: Also müßten sich die niederländischen Behörden damit auseinandersetzen, wie eine kriminelle Vereinigung zu definieren sei. Es scheint, die Niederländer haben nicht mitbekommen, was in der BRD darunter alles gefaßt wird - wie eben das Herstellen einer Zeitung.
Oder sie wollten es nicht mitbekommen. Die Niederlande sind nicht per se ein liberales Land. Gerade bei vielen deutschen Linken existieren Vorstellungen darüber, wie liberal das Land sein soll. In manchen Punkten stimmt es, in anderen sind sie viel repressiver. Internierungslager für Flüchtlinge gab es beispielsweise früher als in der BRD. Wichtig ist allerdings, daß Deutschland gegenüber den Niederlanden ein mächtiges Land ist. Wahrscheinlich wurde nicht damit gerechnet, daß ein so großer öffentlicher Druck entsteht. Einige Tageszeitungen stehen der Sache kritisch gegenüber, außerdem gab es jetzt eine Kleine Anfrage in der zweiten Kammer des niederländischen Parlamentes.
F: Was werden Sie jetzt weiter unternehmen?
Ich weiß immer noch nicht, ob ein Auslieferungsgesuch aus der BRD vorliegt. Ich werde mich um Öffentlichkeitsarbeit in den Niederlanden und in Deutschland kümmern. So wird eine Auslieferung nicht so leicht durchzusetzen sein.
F: Liegt denn in den Niederlanden ein Haftbefehl vor?
Ich gehe nicht davon aus, aber ich weiß es nicht sicher. Bislang habe ich von den niederländischen Behörden noch gar nichts zugestellt bekommen. Sollte ein Auslieferungsgesuch vorliegen, werden mich die Niederländer wahrscheinlich erst mal festnehmen und dann darüber urteilen, ob sie mich ausliefern oder nicht.

Interview: Ann Lemmen, Vaals
(junge Welt, Freitag, 27. Dezember 1996, Nr. 301, Seite 2)



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