A.Marquardt

Staatsanwalt klagt Angela Marquardt an

Die PDS-Vize-Chefin soll die radikal über das Internet verbreitet haben. Präzedenzfall für Internet-Zensur erwartet

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt in zwei Fällen gegen die PDS-Politikerin Angela Marquardt. Die stellvertretende Bundesvorsitzende gilt als linksradikales Aushängeschild der PDS. So kümmert sich etwa der Verfassungsschutz besonders intensiv um die 25jährige Politikerin, die beim kommenden PDS-Parteitag nicht mehr für den Vorstand kandidieren möchte.
Nun hat sich auch die Justiz Marquardts angenommen. Aufgrund einer Anzeige der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit(JF), leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, das nun am 4. Februar vor dem Kadi verhandelt werden soll. Hintergrund ist ein Interview in der inzwischen von der Woche geschluckten Ost-Zeitung Wochenpost. Darin antwortete Angela Marquardt auf die Frage, wie sie es fände, wenn, wie geschehen, auf die Druckerei der Jungen Freiheit Brandanschläge stattfänden: »Ich halte es für legitim zu verhindern, daß die Junge Freiheit gedruckt werden kann.«
Brisant ist, daß, wie damals die junge Welt ermittelte, der Interviewer selbst der JF nahesteht. Frank Hauke schrieb einen Beitrag für das Buch »Wir 89er«, das laut JF »im Grunde als JF-Buch zu bezeichnen« sei. Außerdem war Hauke einer der Unterzeichner des Aufrufs »Gegen das Vergessen«, in dem der 8.Mai 1945 als »Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und Beginn der Teilung unseres Landes «bezeichnet wurde. Für die Staatsanwaltschaft ist die Marquardt-Äußerung »Belohnung und Billigung einer Straftat«.
Denselben Tatvorwurf erhebt dieselbe Staatsanwaltschaft auch in einem anderen Fall, in dem nun die Anklageschrift eingegangen ist, und der auf Antrag des Staatsanwalts von Hagen in der selben Hauptverhandlung behandelt werden soll. In diesem zweiten Fall geht es um die Homepage der PDS-Vize-Chefin im World Wide Web (WWW) des Internets. Den Staatsanwalt stört, daß sich auf einer ihrer Web-Seiten ein Link zur kriminalisierten Autonomen-Zeitschrift radikal befindet. Der Beschuldigten, heißt es in der Anklageschrift, sei bewußt gewesen, daß die »verbreiteten Auszüge« der radikal Nr. 154 »sowohl Anleitungen zur Störung des öffentlichen Bahnbetriebs als auch die Billigung bereits erfolgter Anschläge auf Gleisstrecken enthielten«. »Indem sie den bislang unbekannten Personen die Nutzung der Homepage ermöglichte,« so der Text weiter, »nahm sie das Verbreiten dieser Schriften zumindest billigend in Kauf.«
Marquardt äußerte gegenüber jW ihr Unverständnis über diesen Vorwurf. »Jeder, der sich gelegentlich im Internet bewegt, weiß, daß Links keine Verbreitung sein können. Sie sind Fußnote oder Querverweis. Von meiner Homepage kommt man über mehrere Links zu einer Homepage des niederländischen Solidaritätskomitees für politische Gefangene, das wiederum einen Link anbietet, der Auszüge aus der radikal enthält. «Dort sei anfangs die Nr. 153 und jetzt eben die Nr. 154 nachlesbar. Darauf habe sie gar keinen Einfluß. »Niemand kann ständig im Überblick behalten, was auf den Seiten aktuell angeboten wird, zu denen man einen Link hat«, erklärte Marquardt.
Genau dieser Punkt macht das Verfahren zu einem Präzedenzfall in Fragen der Internet-Zensur. Wenn Anbieter eines Links für den dort auffindbaren Inhalt, der auf Internet-Seiten bei ganz anderen Servern in anderen Ländern lagert, verantwortlich gemacht werden können, hätte das riesige Auswirkungen auf das Internet. Marquardt: »Im übrigen kommt man, wenn man wirklich Bomben basteln möchte, mit wenigen Links von der Homepage des US-Pentagons zu detailierten Plänen von Waffensystemen.« Seit gestern auch über Marquardts Homepage. Sie hat einen Link zum Pentagon gelegt.
Den Link zur radikal hat Marquardt seit einem Jahr. Nachdem die Bundesanwaltschaft (BAW) Ermittlungen gegen die radikal 154 aufgenommen hatte, drohte sie dem Provider-Zusammenschluß ITCF mit Verfahren, wenn seine Mitglieder weiter den Zugang zu der betreffenden Datei auf Marquardts Homepage dulden würden. Gegen die Empfehlung von ITCF sperrte der Provider Compuserve daraufhin im September ohne Vorankündigung und Begründung das gesamte Verzeichnis von Angela Marquardt. Später schickte Compuserve eine knappe Begründung nach: »Allgemeine Geschäftsbedingungen«. Marquardt wechselte daraufhin den Provider und fand unter der Adresse »http:/yi.com/home/MarquardtAngela/« bei Yellow Internet in London eine neue Heimat. Nach dem Zensurvorgang wurden die inkriminierten Seiten zudem von verschiedenen Internetfreaks »gespiegelt«, also kopiert, so daß sie nun sowohl als Kopie als auch über Marquardts neue WWW-Adresse abrufbar sind.

Ivo Bozic
(junge Welt, Freitag, 10. Januar 1997, Nr. 8, Seite 6)


Unterstützen Sie die "radikal"?

Angela Marquardt ist stellvertretende Vorsitzende der PDS.
jW sprach mit ihr

F: Die Staatsanwaltschaft klagt Sie an, die kriminalisierteZeitung radikal über das Internet verbreitet zu haben. Soll mit dem Verfahren gegen die PDS, die radikal oder das Internet vorgegangen werden?
Von allem etwas. Es geht sowohl darum, mir zu unterstellen, daß ich etwas mit der radikal zu schaffen habe, richtet sich aber natürlich auch gegen die Möglichkeiten, im Internet ohne Zensur zu kommunizieren. Und es reiht sich in die Kampagne ein, die zur Zeit gegen die PDS geführt wird. Da bin ich ja nicht zum ersten Mal die Buhfrau.
F: Das Verfahren soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft mit dem Verfahren wegen der "Jungen Freiheit" zusammengelegt werden, bei dem Ihnen vorgeworfen wird, mit einem Brandanschlag auf deren Druckerei sympatisiert zu haben. Warum?
Ich kann nur mutmaßen, daß man damit das Verfahren beschleunigen will. Jede Anklage für sich wäre wohl zu dünn. Außerdem geht es bei der "radikal" um Zensur und Meinungsfreiheit. Mit der Zusammenziehung der beiden Anklagen soll der Eindruck erweckt werden, im Fall "Junge Freiheit" gehe es auch um Pressefreiheit. Aber man darf hier keine Gleichsetzung betreiben. Einerseits wird eine Gruppe für namentlich gekennzeichnete Texte einzelner verantwortlich gemacht. Bei der JF handelt es sich dagegen um rechtsextreme Propaganda, die eine gesamte Redaktion betreibt.
F: Meinen Sie, daß das Wochenpost-Interview, in dem Ihre umstrittene Äußerung zum Brandanschlag auf die JF-Druckerei fiel und das von dem rechtsgerichteten Journalisten Frank Hauke geführt wurde, von Anfang an dazu dienen sollte, Sie in die Pfanne zu hauen?
Ich denke schon. Die Anzeige der Jungen Freiheit kam so schnell - schon am nächsten Tag -, daß man kaum an Zufall glauben mag. Auch die Art und Weise, wie das Interview geführt wurde, spricht dafür. Hauke wollte mir immer entlocken, daß ich gerne Steine schmeiße und gewalttätiges Handeln unterstütze.
F: Warum haben Sie auf Ihrer Homepage einen Link zu radikal?
Weil ich den Umgang mit der radikal falsch finde. Mit diesem Link wollte ich auf die Verbote und die Zensur gegen das Blatt aufmerksam machen. Ich habe auf meinen Web-Seiten zwei Statements vorangestellt: die Presseerklärung des damaligen Bündnisses gegen die radikal-Zensur sowie eine von mir. Der Link sollte dazu dienen, daß sich Leute das ansehen können, um sich ein eigenes Bild zu machen.
F: Von rechts wird Ihnen vorgeworfen, man könne sich von Ihrer Homepage aus mit ein paar Mouseklicks Anleitungen zum Bomben basteln heranholen.
Solche Anleitungen kriege ich in jeder Bibliothek und auf Hunderten von Homepages - nur nicht bei meiner. Es gab im Zusammenhang mit der radikal einen Artikel, wo Sabotageaktionen an Bahnlinien erklärt werden. Menschenleben sollten dabei ausdrücklich nicht gefährdet werden. Außerdem habe ich mich in meiner persönlichen Erklärung von Gewalttaten in diesem Zusammenhang distanziert.
F: Was bedeutet das Verfahren für das Internet?
Bestimmte Inhalte sollen aus dem Internet verbannt werden. Es geht darum, einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn wenn ich verurteilt werde, weil es diesen Link gab oder gibt, dann bedeutet das, daß bestimmte Links künftig strafbar sind.

Interview: Ivo Bozic
(junge Welt, Freitag, 10. Januar 1997, Nr. 8, Seite 2)



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