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Karlsruhe schießt den Vogel ab

Bundesanwaltschaft beschlagnahmt Dokumente und Computer in jW-Redaktion. Von Andreas Dietl

Ein Computer beschlagnahmt, dazu 19 Disketten, 61 Seiten Recherchematerial und elf Tonbänder:
Am Donnerstag sind die Strafverfolgungsbehörden in der junge-Welt-Redaktion weit über ihre bisherige Praxis von Verstößen gegen das Redaktionsgeheimnis und die Pressefreiheit hinausgegangen. Zunächst tauchten die vom Karlsruher Bundesgerichtshof geschickten Herren morgens um 10 Uhr in der jungen Welt auf, »zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere der Druckschrift radikal, sonstigen schriftlichen Unterlagen, Personalcomputern und Computerdisketten, (...) die für die weitere Untersuchung bedeutsam sind«, wie es im Durchsuchungsbeschluß heißt.
Die Beschlagnahme eines Computers aus einem Redaktionsraum ist bislang einmalig in der Justizgeschichte der BRD. In einem einzigen Fall, bei einer Durchsuchung der Redaktion des Focus (1993), wurde eine Kopie von einer Computerfestplatte angefertigt - ein Verfahren, dessen Legalität damals mehr als umstritten war.
Bei der jungen Welt gingen die Ermittler einen Schritt weiter:
Der Computer eines Redakteurs wurde gleich ganz mitgenommen. Weil der Computer und die ebenfalls beschlagnahmten Disketten unter anderem sämtliche Interviews für die vorliegende Ausgabe der jungen Welt enthielten, muß die junge Welt heute mit anderthalb weißen Seiten erscheinen.

Wolf-Dieter Vogel, Interview-Ressortleiter der jungen Welt, soll, so die Behauptung der Ermittler, im Verdacht stehen,»sich als Mitverantwortlicher der linksextremistischen/linksterroristischen Untergrunddruckschrift radikal« beteiligt zu haben. Damit habe er sich »wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Werbens für eine terroristische Vereinigung und anderer Tatbestände strafbar gemacht«. Der Tatverdacht, so der vom 14. November 1996 datierende Durchsuchungsbeschluß, »gründet sich auf die Auswertung umfangreicher Unterlagen, die bei Durchsuchungen am 13. Juni und 19. Dezember sichergestellt und beschlagnahmt wurden«.
Zwar, so das Rechtskonstrukt der Karlsruher Richter, sei Wolf-Dieter Vogel »eine Person i. S. des § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO, die bei der Vorbereitung und auch Herstellung eines periodischen Druckwerks berufsmäßig mitwirkt«. Da aber ein Ermittlungsverfahren gegen ihn als Beschuldigten geführt werde, gälten die Beschränkungen für die Beschlagnahme und auch für die Durchsuchung nicht. »Im Hinblick auf den gravierenden Tatvorwurf ist die Durchsuchung auch nach Abwägung mit den Belangen der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit gerechtfertigt.«

Die IG Medien protestierte gegen »das neuerliche Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Journalisten« und erklärte: »Die Durchsuchung der junge-Welt-Redaktion sowie der Privatwohnung eines Redakteurs zeigt, daß sich die Presse- und Meinungsfreiheit in diesem Land weiterhin auf dem absteigenden Ast befindet.«
Ihnen schloß sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten an: »Die Durchsuchung der junge-Welt-Redaktion ist wohl der Versuch, die letzten kritischen Stimmen in diesem Lande zum Verstummen zu bringen.«
Bündnis 90/Die Grünen erklärten: »Daß der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof dem Antrag des Generalbundesanwalts gegen die jW gefolgt ist und die Durchsuchung der Redaktion angeordnet hat, beschädigt die Pressefreiheit, zumal durch Beschlagnahme eines nicht dem Beschuldigten gehörenden PC und fremder Unterlagen das Erscheinen der Zeitung gefährdet ist.«
Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke bezeichnete die Durchsuchung als »unerträglichen Eingriff in die Pressefreiheit« und als »Retourkutsche des Staatsschutzes«.
Der sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner(PDS) erklärte: »Einmal mehr wird von bundesdeutschen Behörden auf diktatorische Art und Weise die Pressefreiheit verletzt und ausgehöhlt.«

Zeitgleich mit der Durchsuchung von Wolf-Dieter Vogels Arbeitsraum bei der jungen Welt wurde dessen Wohnung aufgebrochen und durchsucht, zwei weitere Wohnungsdurchsuchungen in Berlin wurden ebenfalls mit dem Vorwurf der radikal-Unterstützung begründet. In der Wohnung von Wolf-Dieter Vogel hielten sich die Ermittler knapp zwei Stunden auf, ohne Zeugen zuzulassen: Der jW-Redakteur war zu einem Vortrag in Halle unterwegs.
Ob gegen Vogel auch Haftbefehl erlassen wurde, war zunächst nicht zu erfahren. Seitens der Bundesanwaltschaft wurde lediglich mitgeteilt: »Ein Haftbefehl wurde nicht vollstreckt.« Auf den Einwand, daß es dann wohl auch keinen Haftbefehl gebe, hieß es: »Das können Sie daraus nicht schließen.« Im Falle der beiden weiteren Wohnungsdurchsuchungen in Berlin gab es allerdings definitiv keine Haftbefehle.
Vogel hat, bevor er im Oktober das Interview-Ressort der jungen Welt übernahm, über die radikale Linke und die Geschichte des bewaffneten Widerstands in der Bundesrepublik berichtet. Dazu gehörte selbstverständlich auch die linksradikale Zeitschrift radikal, deren Kriminalisierung er scharf kritisierte. Über den Kreis der junge-Welt-Leser hinaus wurde Wolf-DieterVogel bekannt mit seinem Buch »Der Lübecker Brandanschlag. Fakten, Fragen, Parallelen zu einem Justizskandal«. Jetzt bekommt er seinen eigenen Justizskandal.

(aus: junge Welt, Freitag, 31. Januar 1997, Nr. 26, Titelseite)



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