| Von Krieg und Kokavon Raul Zelik 5 years ago. Es ist heiß. Zwei ausgemergelte Bauern stapfen barfuss in 
              einer Pampe aus Kokablättern herum. Es riecht nach Benzin, 
              Schwefelsäure und irgendwelchen anderen Chemikalien, Zementsäcke 
              liegen am Boden, allerlei leere Plastikbehälter. Die Vorstellung, 
              dass man sich das Destillat dieses stinkenden Breis später 
              einmal freiwillig in die Nase ziehen wird, erzeugt einen brackigen 
              Geschmack im Mundraum. Ich habe das mit dem Koksen sowieso nie richtig 
              verstanden. Von der kolumbianischen Seite her betrachtet ist die 
              ganze Angelegenheit ekelhaft - was nicht unbedingt mit dem Geruch 
              zu tun hat. Ein Bauer erklärt uns den Verarbeitungsprozess 
              vom Kokablatt zur Basuco-Paste. Ich nicke, ohne zuzuhören. 
              Von mir aus könnten sie die Pflanzungen ausrupfen; lieber heute 
              als morgen. Nicht weil am Ende eine Droge herauskommt, weil die 
              Flüsse hier nach Benzin stinken oder das Zeug als Legitimation 
              für eine kaum verhohlene Militärintervention herhalten 
              muss. Eher wegen der Art, wie das Zeug das Leben hier verändert. 
              Es sind eben nicht nur Persönlichkeitsstrukturen, die eine 
              Droge umzukrempeln vermag. Wir gehen den Hang zu einem Bach hinunter, zwischen Kokasträuchern 
              hindurch. Ich mag den Anblick, wenn man aus dem dampfigen Regenwald 
              auf eine Lichtung mit Pflanzungen heraustritt. Die Büsche sind 
              klein, hellgrün und widerspenstig. Ich denke für einen 
              Augenblick an das europäische Frühjahr, man kann die Jahreszeiten 
              hier in den Tropen sehr vermissen. Leonor setzt sich auf einen Felsen 
              im Flussbett und erzählt von ihrem Vater. Er lebt auf der anderen 
              Seite der Bergkette, in Antioquia. Fünf Jahre lang hätten 
              sie und ihr Bruder ihn bekniet, den Kokaanbau aufzugeben, sagt sie. 
              Man sollte glauben, dass Waffen, familiäre Bindungen und der 
              geschulte Tonfall von Politaktivisten eine gewisse Autorität 
              verleihen. Leonor und ihr Bruder sind bei der ELN "Aber erst 
              jetzt hat er wirklich aufgehört." Sie grinst. Ironie ist 
              ein gutes Mittel, um Realität zu ertragen. "Er hat auch 
              aufgehört zu trinken. Er ist jetzt in einer Sekte, sie singen 
              sehr viel." Das stimmt. In den Dörfern des Departement Bolívar 
              reißen einen die adventistischen Gottesdienste, die nicht 
              Messen' heißen, sondern Kulte', als handele es 
              sich um irgendeine archaische Zusammenkunft, im tiefsten Morgengrauen, 
              gegen halb 5, aus den Träumen. Sie wiegen einen auch in den 
              Schlaf, denn die Pfingstler beten viel. Und immer singen sie. Wir schmeißen Steine ins Wasser. Betrachten die Äste 
              und Lianen, die ins Flussbett hineinwuchern. Genießen den 
              Geruch der Holzfeuer, der von einem nahgelegenen Dorf herüberzieht, 
              und fragen uns, wie lange die Idylle noch Bestand haben wird. Koka 
              ist ein Vorbote des Krieges. Es ist kapitalistische Erschließung 
              in ihrer ungezügeltsten, rabiatesten Form. Wo sich der illegale 
              Handel mit der Droge etabliert, bleibt kein Stein auf dem anderen. 
              Bis dahin verschlossene Türen werden aufgebrochen und Räume 
              geflutet: Modernisierung'. Aber ohne Zivilität'. Zu diesem Zeitpunkt können wir unsere Befürchtungen nicht 
              artikulieren. Wir haben nur Vorahnungen. Koka ist unmoralisch, sagen 
              die Politischen - sehr unpolitisch. Man tut sich hier schwer mit 
              Begriffen. Wenige Monate später wird die ELN ein Projekt beschließen, 
              um den Kokaanbau innerhalb von fünf Jahren aus der Region zu 
              verdrängen. Ein aussichtloses Unterfangen, wie man schon zu 
              diesem Zeitpunkt wissen könnte. Aussichtslos, aber wahrscheinlich 
              trotzdem richtig. Wir werfen Steine ins Wasser und sagen, dass es 
              eine gute Idee wäre, die Bauern zur Substitution zu ermuntern. 
              Dass man Projekte fördern müsste, die Perspektiven eröffnen 
              - ohne genau zu wissen, was für Projekte. Leonor erzählt 
              von den Demonstrationen der Bauern gegen die Herbizidbesprühungen 
              aus der Luft, und ich denke, dass der Widerstandsgeist der Bauern 
              bewundernswert ist. Vielleicht hat er auch damit zu tun, dass man 
              hier trotz der Kriegführung aus der Luft immer noch das Gefühl 
              hat, auf einer Insel zu sitzen. Aber wir wissen, es ist nur eine 
              Frage der Zeit, bis sie fällt. 2002. Die Gegend ist staubiger, als ich sie in Erinnerung habe. Das kann 
              an der außergewöhnlich langen Trockenzeit, aber auch 
              an der Abholzung liegen. Auf dem Weg in die Serranía San 
              Lucas kommen wir nur einmal an Kokapflanzungen vorbei - im flachen, 
              von der Armee kontrollierten Teil der Region. Das hat nichts damit 
              zu tun, dass die Anbaufläche abgenommen hätte, schon eher 
              mit dem von uns gewählten Weg. Die Straße von Santa Rosa 
              del Sur ist die einzige Verbindung, auf der man noch in die Serranía 
              gelangt. Die Stimmung ist gespannt. Wir stehen zu zwanzigst auf 
              der Ladefläche eines Pickups; so dicht gedrängt, dass 
              man sich kaum setzen kann. Darunter ein paar Ausländer, zwei 
              Dokumentarfilmer: Wir wollen zeigen, dass der Kessel, den Armee 
              und Paramilitärs um die Serranía errichtet haben, durchlässig 
              ist und Bilder mit hinausnehmen. Der Staub sticht im Gesicht, trotzdem 
              starren wir mit zusammen gekniffenen Augen nach vorn und beobachten, 
              was uns nach der nächsten Kurve erwartet. Der letzte Armeeposten 
              liegt etwa eine Stunde hinter uns, aber immer noch können wir 
              auf Paramilitärs stoßen, aus der Luft von Helikoptern 
              beschossen werden, in die Hände von Eliteeinheiten der Armee 
              fallen, auf der Piste verunglücken, von einem umstürzenden 
              Jeep begraben werden oder in ein Gefecht geraten. Es gibt 100 Gründe, 
              sich zu fürchten.  Die Straße führt hinauf in die Berge. Ich spüre 
              das warme, klebrige Gefühl, das die Luftfeuchtigkeit auf der 
              Haut hinterlässt, fast wie Leim, erkenne den Geruch von Grasland 
              und Wald wieder. Die Höhenlagen sind immer noch von Dschungel 
              bedeckt, aber überall steigen die Rauchschwaden der Brandrodungen 
              auf. In den letzten fünf Jahren hat sich vieles verändert. 
              Der Kokaanbau hat sich ausgebreitet, doch das Gebiet, in dem die 
              meisten Pflanzungen liegen, ist für uns unerreichbar. Die Ortschaften 
              zwischen dem Magdalena-Strom und den Ausläufern der Serranía 
              sind fest in den Händen der Todesschwadronen. San Blas, früher 
              nur ein Dorf, ist zum größten Koka-Umschlagplatz geworden, 
              gleichzeitig ist es die wichtigste Basis der Paramilitärs. 
              Zwischen Ultrarechter und Koka sind die Verbindungen eng. Man kann 
              sagen, dass das Koka den Paramilitärs die Tür geöffnet 
              hat: Das schnelle Geld hat gewachsene Strukturen zerstört und 
              die Besetzung erleichtert. Man kann aber auch sagen, dass Koka den 
              Anreiz für die Paramilitärs erhöht hat, die Region 
              zu erobern. Eine illegale Armee zu unterhalten, kostet viel Geld, 
              und für Todesschwadronen gilt das erst recht. Während 
              der Guerilla wenigstens zum Teil aus politischer Überzeugung 
              beigetreten wird, ist die Bezahlung das einzig ernstzunehmende Motiv 
              für die Mitgliedschaft bei einem Mordkommando.  An einem Hang kommt uns plötzlich ein Jeep entgegen, auf der 
              Ladefläche zwei Bewaffnete in Camouflage-Uniform. Ich zucke 
              zusammen, aber die Bäuerin neben mir sagt nur "Guerilla 
              ... ELN". Ich bin erleichtert, aber auch irritiert. Wohin fahren 
              wir? So weit hinein? Als wir den nächsten Kamm erreichen, sieht 
              man die Teta de San Lucas, den höchsten Berg der Region. Dunkelgrüner 
              Wald, wohin das Auge reicht. Neben der Erdpiste handgemalte Schilder, 
              die vor Minenfeldern warnen. Ich bin durcheinander, seltsame Erinnerungen. Cediel Mondragón, der uns am Ende der Erdpiste nach zwei 
              Straßensperren der Guerilla erwartet, ist Sprecher einer Bauernorganisation, 
              sieht aus wie ein Vietnamese, sagt von sich selbst, von den Chibcha 
              abzustammen, und ist zweimal im Leben vertrieben worden - einmal 
              von der Armut, ein zweites Mal von der Armee. Ich frage nach den 
              Dörfern weiter südlich, wo ich das letzte Mal war. "10 
              Tage Fußmarsch", erwidert er, "wenn alles glatt 
              geht." Hier in La Punta baut man kein Koka an; zum einen weil 
              die Guerilla Neupflanzungen verboten hat, zum anderen weil in der 
              Gegend Gold geschürft wird. Viel besser ist das nicht: Weniger 
              Mafia, dafür noch mehr Gift. Das Wasser ist quecksilberverseucht, 
              zwischen den Häusern stehen Zyanidfässer, es stinkt nach 
              Blausäure. Ich hake nach, was mit der Idylle geschehen ist. 
              "Viele Ortschaften sind abgebrannt, Vallecito haben sie dreimal 
              angezündet. Die Wege sind abgesperrt, manche Täler durch 
              Herbizideinsätze verwüstet, in den Bergen leben ein paar 
              Tausend Menschen auf der Flucht. Sie haben Widerstandsdörfer 
              gegründet und verstecken sich bei Armeeoffensiven." Genaues 
              weiß auch Cediel nicht. Er telefoniert manchmal mit Gabriel, 
              einem Bauernführer in jenem Teil der Serranía. Aber 
              immer nur wenige Sätze. Andere Kommunikationswege haben sie 
              nicht. In Kolumbien heißt es, Koka sei zwar für keines der 
              Probleme im Land verantwortlich, habe aber alle verschärft. 
              Das stimmt auch hier. Die Kleinbauern in den abgelegenen Gebieten 
              haben angefangen, Koka anzupflanzen, weil es ihnen als einziges 
              Produkt das Überleben garantiert. Die ELN hat das toleriert, 
              ohne davon zu profitieren, die FARC, die den Kokahandel besteuern 
              und damit gut verdienen, sogar gefördert. Inzwischen haben 
              sich völlig absurde Geschäftsbeziehungen herausgebildet: 
              Aus den von der Guerilla kontrollierten Gebiete gelangt die Kokapaste 
              über Zwischenhändler in die Laboratorien der Paramilitärs, 
              wo das Zwischenprodukt zu Kokain weiterverarbeitet wird. Die Söldnertruppen 
              im Dienste der Eliten vermarkten die Drogen und finanzieren damit 
              ihren Krieg gegen die Guerilla. Weil sie diese nicht vernichten 
              können, greifen sie die soziale Basis der Aufständischen 
              an - es sind die Bauern, die Koka pflanzen, um zu überleben. 
              So bezahlt die Pflanze, die die Bauern ernährt, auch ihre Vertreibung. 
             Doch über diese Verknüpfung von Drogenhandel und Krieg 
              gegen die Bevölkerung wird wenig gesprochen, auffallend wenig. 
              Wie auch über die anderen seltsamen Aspekte des drug business. 
              Darüber z. B. dass Carlos Castano, Chef der Todesschwadronen, 
              im Frühjahr dieses Jahres ein Treffen mit den wichtigsten kolumbianischen 
              Drogenhändlern abgehalten hat. Oder darüber dass das größte 
              Kartell des Landes, das Cartel del Norte del Valle, als Finanzunternehmen 
              der Paramilitärs gilt. Dass Castano eine Schlüsselrolle 
              bei der Festnahme der Kartellchefs von Medellín und Cali 
              spielte und Anfang der 90er Jahre Chef der Pepes war, jener Todeskommandos, 
              die Pablo Escobar und seine Leute zu Fall brachten. Dass er dabei 
              von der Polizei-Eliteeinheit Bloque de Búsqueda und von der 
              US-Drogenbehörde DEA unterstützt wurde und der damalige 
              DEA-Verbindungsmann Javier Pena später zum Chef des DEA-Büros 
              in Bogotá aufstieg. Darüber dass sich Mittelsmänner 
              Castanos 1999 mit der US-Drogenbehörde trafen, so gut wie keine 
              Drogenoperationen in den Gebieten der Ultrarechten durchgeführt 
              werden oder die Paramilitärs mit Kokaingeldern im vergangenen 
              Herbst 5000 automatische Gewehre bei der nicaraguanischen Polizei 
              einkauften, ohne dass irgendeine internationale Kontrollinstanz 
              eingeschritten wäre. Puzzlestücke, die an die Zeiten in 
              Nicaragua und Afghanistan erinnern, als der Kampf gegen den Kommunismus 
              mit drug money finanziert wurde.  Der Blick der US-Behörden geht in eine andere Richtung. Man 
              betont, dass sich der Anbau in Kolumbien in den letzten Jahren stark 
              ausgeweitet habe und zwar überwiegend in Gebieten, in denen 
              die FARC präsent sind. Das stimmt, und es ist auch wahr, dass 
              es hier, in der Serranía San Lucas schwere Konflikte zwischen 
              den Guerillaorganisationen deswegen gab. Während die ELN eine 
              Kampagne gegen den Kokaanbau durchführte, ermunterten die FARC 
              die Kleinbauern dazu, neue Pflanzungen anzulegen. Wahr ist jedoch 
              auch, dass das ein Nebenschauplatz des Geschäfts ist. Die großen 
              Gewinne werden eben nicht beim Anbau gemacht, sondern bei der Vermarktung, 
              und die kontrollieren die Todesschwadronen. Cediel sagt, dass wir aufbrechen sollten. Inzwischen ist es 4 Uhr 
              nachmittags. Auf einem staubigen Maultierpfad geht es von La Punta 
              aus in Richtung der Goldgräberdörfer. Klondyke-Stimmung. 
              Uns kommen Züge mit Lastentieren entgegen. Rufe von Maultiertreibern, 
              lautes Schnalzen. Alles hier wird auf den Rücken der mulas 
              hinein und hinaus transportiert: Benzinfässer, Zyanidtonnen, 
              Bierkästen, Holzplanken, Dynamitstangen. Cediel erzählt 
              von den Dörfern der Umgebung. Um das Gebiet liegt ein Ring 
              der Zerstörung, überall ist gesprüht und bombardiert 
              worden. Nach nicht mal einer Stunde bleiben wir erschöpft am 
              Wegrand hocken - Gringos sind nicht besonders gut im Laufen, bei 
              der Hitze schon gar nicht - und schauen ins Tal. Der Anblick, der 
              sich uns von nun an bieten wird, ist trostlos: Erosion, verbrannte 
              Erde, Plastikplanenverschläge, unter denen Mineros Gestein 
              mahlen. Es gibt keine Idylle hier, aber eine Insel ist es immer 
              noch. Ein schwitzendes Maultier kämpft sich den Hang hinauf, 
              schnaufend: der Rücken ist blutig gescheuert. Cediel, der das 
              belagerte Gebiet nicht verlassen kann, weil man ihn an der ersten 
              Armeesperre verschwinden lassen würde, sagt, dass die Bauernorganisation, 
              zu der er gehört, die Leute zu Rodungen und zum Anbau von Nahrungsmitteln 
              ermuntert. Gold und Koka könne man nicht essen, und außerdem 
              würden sich normale Bauern nicht so schnell vertreiben lassen 
              wie coqueros oder mineros. Hinter dem Maultier kommt ein Junge her, 
              vielleicht 10 Jahre alt. Er schlägt das Tier mit der Breitseite 
              der Machete, das Mula schleppt sich weiter. Wir bleiben sitzen, 
              es ist immer noch heiß. 20 Stunden am Stück, heißt 
              es, sind die Treiber unterwegs. Man weiß nicht, wen man mehr 
              bemitleiden soll - die Treiber oder die Tiere. Cediel zeigt Richtung 
              Tiquisio, die Berge leuchten im Sonnenuntergang. Auch dort wird 
              Koka gepflanzt. Eigentlich hätte er uns dort hinbringen sollen, 
              aber jetzt scheint der Weg zu lang und wohl auch zu gefährlich. 
              An den Rändern der Insel kommt man mit der Angst nicht gut 
              klar. Ich denke: Kapitalismus rabiat. 2 Millionen Vertriebene, für 
              den Aufbau einer Organisation wird man erschossen, das drug business 
              hat Mord zum ganz normalen Konfliktbewältigungsmittel gemacht. 
              In dieser Scheiße versucht sich jeder allein durchzuschlagen, 
              und diejenigen, die das nicht tun, werden massakriert. Sicher, das 
              alles hat nicht erst mit Koka angefangen, aber trotzdem stimmt der 
              Satz auch in diesem Fall: Koka hat alles schlimmer gemacht. Es hat 
              dazu geführt, dass man keine Hoffnung mehr hat, kein Licht 
              am Ende des Tunnels mehr sieht. "Sie könnten ihn auch 
              anders bezahlen", sage ich, "ihren Krieg. Z. B. mit Gold. 
              "Sicher." Cediel lacht. Cediel scheint immer gut gelaunt, 
              selbst mitten im Tunnel. Er macht sich einfach selbst Licht, wenn 
              er keins hat. "Nur hätten sie dann nicht so viel Geld. 
              Nicht einen Bruchteil so viel. Und dann würden sie den Krieg 
              auch irgendwann mal verlieren." |