| Kolumbien: Der Krieg gegen die ArmenZur Situation in Kolumbien Dezember 2000 von Raul Zelik In dem Land werden jährlich so viele Oppositionelle ermordet 
              wie in Chile in 17 Jahren PinochetDiktatur zusammengezählt! Wenn das Stichwort Kolumbien fällt, sind die ersten Assoziationen 
              immer die gleichen: Man denkt an Kokain, Mafia, Terrorismus und 
              Gewalt. In Europa lebende KolumbianerInnen betonen dann gerne, dass 
              ihre Heimat auch ganz andere Seiten besitze. Sie verweisen auf die 
              kulturelle Vielfalt des Landes, das afrikanische, indigene, europäische 
              und arabische Einflüsse aufgenommen hat, auf die Literatur 
              von Schriftstellern wie Gabriel García Márquez' oder 
              die reichen Musiktraditionen. Für deutsche Rucksacktouristen 
              schließlich ist Kolumbien einfach 'der Geheimtip', ein Land, 
              wo man von tropischen Regenwäldern und Wüsten bishin zu 
              Gletscherlandschaften alles haben kann. Wirtschaftliche und strategische Interessen Seltener wird darüber gesprochen, daß die Gewalt in 
              Kolumbien, von der man diffus immer wieder in Medien hört, 
              recht rationale Erklärungen besitzt. Der Bürgerkrieg und 
              die schätzungsweise 30.000 Morde jährlich haben viel mit 
              den sozialen Verhältnissen zu tun. Kolumbien ist ein für 
              die Industriestaaten geopolitisch wichtiges Land. Mit 1,2 Millionen 
              Quadratkilometer dreieinhalb Mal so groß wie die BRD, besitzt 
              es schon aufgrund seiner Ausdehnung und der Lage am Isthmus von 
              Panamá immense militärstrategische Bedeutung. Es ist 
              so etwas wie die natürliche Drehscheibe zwischen Zentral- und 
              Südamerika, besitzt Zugang zu beiden Ozeanen, der für 
              den kapitalistischen Welthandel so wichtige Panamá-Kanal 
              liegt ganz in der Nähe, und die Außengrenzen zu Venezuela 
              (dem wichtigsten Erdölproduzenten des Kontinents), Brasilien 
              (dem Industriegiganten Lateinamerikas, Perus und Ecuadors (einem 
              weiteren wichtigen Erdölproduzenten) gelten als unkontrollierbar. 
              Das ist der Hintergrund, warum US-Strategen Kolumbien seit 1988 
              mit steter Regelmäßigkeit als "Unsicherheitsfaktor 
              für die ganze Region" bezeichnen. Aber nicht nur geostrategisch, auch wirtschaftlich ist das Land 
              von Bedeutung. Der ehemalige US-Präsidentschaftsberater Bernard 
              Aronson nannte Kolumbien vor einigen Jahren "das bestgehütete 
              Geheimnis Lateinamerikas". Kontinuierliche Wachstumraten, eine 
              relativ niedrige Auslandsverschuldung und gigantische Rohstoffvorkommen 
              machen das Land für ausländische Investoren hochinteressant. 
              So ist Kolumbien heute der weltweit größte Exporteur 
              von Qualitätskaffee und Smaragden sowie einer der wichtigsten 
              Exporteure von Schnittblumen und Bananen. Die von der BP und der 
              US-amerikanischen OXY beanspruchten Erdölvorkommen im Osten 
              des Landes gehören zu den größten auf dem Kontinent, 
              in Nordkolumbien befinden sich gewaltige Steinkohleminen, die von 
              EXXON (Esso) im Tagebau ausgebeutet werden, und unweit der Touristenstadt 
              Cartagena wurden vor kurzem Goldreserven entdeckt, die zu den wichtigsten 
              in Amerika zählen sollen.  Von diesen gewaltigen Reichtümern hat die Bevölkerung 
              allerdings wenig. Nach gewerkschaftlichen Zahlen leben 55 Prozent 
              der (knapp 40 Millionen) KolumbianerInnen in Armut, 20 Prozent in 
              absolutem Elend, 50 Prozent haben keine Sozialversicherung, 20 Prozent 
              der Erwachsenen sind arbeitslos, 1,8 Millionen Menschen leben von 
              Gelegenheitsarbeiten, eine Million Familien haben kein Dach über 
              dem Kopf, 15 Prozent der Haushalte verfügen über keinen 
              Trinkwasseranschluß. Gleichzeitig befinden sich mehr als 90 
              Prozent der kolumbianischen Aktienanteile in den Händen von 
              weniger als 0,9 Prozent der Aktionäre. "Gefährlicher, eine Gewerkschaft aufzubauen als eine 
              Guerillaorganisation." Am charakteristischen für Kolumbien ist, dass die Oberschicht 
              alles unternimmt, um den herrschenden Status Quo mit Gewalt aufrecht 
              zu erhalten. In keinem anderen Land Amerikas besitzt der Terror 
              gegen die Opposition vergleichbare Ausmaße, nirgends gibt 
              es so viele Massaker an der Zivilbevölkerung, nirgends sind 
              die Spielräume für eine legale Opposition so klein wie 
              hier. Paramilitärs überfallen mit Rückendeckung von 
              Armee und Polizei ganze Dörfer und ermorden 50 Personen auf 
              einen Schlag, Bauern werden bei lebendigem Leib mit der Motorsäge 
              zerteilt, politische Aktivisten entführt und 'beseitigt'. Die 
              Gewalt überschreitet die Grenzen der Vorstellungskraft. So 
              bemerkte der Jesuitenpater Javier Giraldo, Gründer der kirchlichen 
              Untersuchungskommission JUSTICIA Y PAZ und inzwischen selbst exiliert, 
              in seinem Buch The genocidal democracy :  "Die Wahrheitskommission in Chile registrierte in den 17 Jahren 
              brutaler Militärdiktatur 2700 Fälle von politischen Mord 
              und Verschwundenen. Diese Zahl, so schrecklich sie ist, ist weitaus 
              niedriger als die Anzahl von Fällen, die unsere Datenbank jährlich 
              registriert hat, seitdem wir unsere Arbeit aufgenommen haben." 
              (Giraldo 1996, S. 24)  Nach Angaben Giraldos sind zwischen 1988 und 1995 6177 Menschen 
              aus 'politischen' und weitere 10 556 aus 'wahrscheinlich politischen 
              Gründen' ermordet worden. 2459 Personen wurden zum Opfer sozialer 
              Säuberungen, wie sie Polizei und Paramilitärs gegen Straßenkinder, 
              Drogenabhängige und Prostituierte durchführen, 1451 Personen 
              verschwanden. Dazu kommen jährlich Zehntausende, die Opfer 
              einer diffusen sozialen Gewalt werden, und die Tendenz ist weiter 
              steigend. Die Medien schieben diese Verbrechen in der Regel diffus "Gewalttätern" 
              oder "Extremisten von rechts und links" in die Schuhe. 
              Unabhängige Untersuchungen belegen jedoch, daß der Großteil 
              der Morde auf das Konto von rechten Privatarmeen geht, die von Industriellen, 
              Viehzüchtern und Drogenhändlern finanziert werden und 
              logistisch von den Sicherheitsorganen unterstützt werden. Das 
              Ziel dieser Aktivitäten ist die physische Vernichtung der sozialen 
              Bewegungen. Tatsächlich hat allein das sozialistische Wahlbündnis 
              UNIÓN PATRIÓTICA zwischen 1985 und 1995 knapp 4000 
              AktivistInnen verloren, darunter zwei Präsidentschaftskandidaten. 
              Die Gewerkschaftsbewegung ihrerseits musste seit 1990 mehr als 2000 
              Todesopfer beklagen. In diese Fälle involviert sind auch transnationale 
              Unternehmen, die in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen wollen. So 
              engagierten die Erdölmultis TEXACO und BP private Sicherheitsdienste, 
              um die Gewerkschaftsarbeit auf den Erdölfeldern zu überwachen 
              und ein Spitzelnetz in der Nachbarschaft der Förderanlagen 
              aufzubauen. Bei COCA COLA wurde 1995 die Betriebsgewerkschaft in 
              Carepa (Nordkolumbien) durch Paramilitärs zerschlagen, der 
              Präsident der Gewerkschaft erschossen. Und den Goldunternehmen 
              CORONA GOLDFIELDS und FRONTIN GOLDMINES wird sogar eine direkte 
              Beteiligung bei der Vorbereitung von Massakern vorgeworfen. Auf dem Land hat diese Politik, die auf ihre Weise auch eine Facette 
              der Globalisierung darstellt - es geht darum, dem Weltmarkt Ressourcen 
              zur Vefügung zu stellen -, immer neue Flüchtlingsströmen 
              verursacht. Von den 9 Millionen BäuerInnen Kolumbiens befinden 
              sich inzwischen fast zwei Millionen auf der Flucht. Wer Vertriebene 
              befragt, stellt fest, dass diese Vertreibungen nicht einfach "Folge 
              von bewaffneten Zusammenstößen zwischen Guerilla und 
              Armee sind", wie vielfach behauptet wird, sondern eine klar 
              umrissene ökonomische Logik besitzen. Auf dem "Ersten 
              landesweiten Treffen von Kriegsflüchtlingen" im Februar 
              2000 in Bogotá wiesen fast alle 35 RednerInnen auf den Zusammenhang 
              von neoliberaler Wirtschaftspolitik, den Interessen der Multis und 
              den Verbrechen der Paramilitärs hin: Zu Vertreibungen komme 
              es immer dort, so die Bauern, wo finanziell einträchtige Großprojekte 
              (wie Staudämme oder Straßenverbindungen) geplant sind 
              oder große Rohstoffvorkommen vermutet werden. "Wir haben 
              eine mehr als 500jährige Geschichte der Vertreibung", 
              so ein Vertreter der 'Sozialen Bewegung der Vertriebenen Antioquias'. 
              "Zuerst war-en wir Opfer von Kirche und der Krone, später 
              der Viehzüchter und heute der Drogenhändler und transnationalen 
              Unternehmen. Sie alle verbindet das Interesse, sich unser Land anzueignen." 
              Die Sprecherin der Indígena-Organisation ONIC sprach gar 
              von einer "zweiten Conquista." Die kolumbianische Regierung nützt natürlich alle Möglichkeiten, 
              diese Systematik zu vertuschen und sich als Verteidiger der Menschenrechte 
              zu. Der angeblich so demokratische Präsident Andrés 
              Pastrana, der 1998 Friedensgespräche mit der Guerilla aufnahm 
              und sich im Ausland als Friedensstifter feiern lässt, erklärt 
              seit 2 Jahren, dass er "hart gegen die Paramilitärs vórgehen 
              werde". Doch geschehen ist nichts, im Gegenteil. Während 
              seiner Präsidentschaft (seit 1998) hat es so viele Massaker 
              gegeben wie noch nie in den vergangenen 40 Jahren. Die engen Verbindungen 
              zwischen politischen Eliten, Armee und Industriellen einerseits 
              und den Paramilitärs andererseits bestehen fort. Während 
              die Militärs zur Guerillabekämpfung aufgerüstet werden, 
              können die Todesschwadrone weiterhin mit Straflosigkeit rechnen. 
              Generäle, denen schwere Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden, 
              bleiben im Dienst. Die Regierung Pastrana und ihr Menschenrechtsbeauftragter, 
              Vizepräsident Bell, bemühen sich darum, noch mehr Militärhilfe 
              zu erhalten, und der Innenminister profiliert sich als Rechter. 
              Die Friedenspolitik des Präsidenten Pastrana ist eine Farce, 
              die 'Demokratie' im Land noch blutrünstiger und intoleranter 
              ist, als es eine Militärdiktatur jemals sein könnte. Ein Krieg des Nordens Möglich ist dieser Krieg nur aufgrund der massiven US-Unterstützung 
              für das kolumbianische Regime. Seit 1997 wird die Einmischung 
              des großen Nachbarns immer offensichtlicher, die Militärintervention 
              hat längst begonnen. Seit Sommer 1999 nehmen Aufklärungsflugzeuge 
              der US-Luftwaffe direkt an Angriffen auf Guerillaeinheiten teil. 
              Von ecuadorianischen Stützpunkten aus überfliegen US-Maschinen 
              kontinuierlich kolumbianisches Gebiet, um alle Bewegungen der Guerilla 
              zu beobachten. Gesandte des US State Department haben 1998 / 99 
              in Peru und Argentinien für die Zusammenstellung einer internationalen 
              Eingreiftruppe geworben, die in Kolumbien einmarschieren soll, während 
              US-amerikanische Special Operation Forces gleichzeitig entlang der 
              kolumbianischen Grenzen Vorposten aufgebaut haben. Anfang 2000 bewilligte 
              der US-Kongress eine Militärhilfe in Höhe von knapp 1,5 
              Milliarden US-Dollar, der sogenannte 'Plan Colombia'. Das ist fünf 
              Mal so viel, wie das salvadorenische Regime in den 80er Jahren zur 
              Aufstandsbekämpfung erhielt. Außerdem wurde bekannt, 
              dass sich mehrere Hundert US-Militärberater n Kolumbien befinden 
              und dort vor allem die Geheimdienstarbeit auf Vordermann bringen 
              sollen. Doch nicht nur die US-Regierung unterstützt den schmutzigen 
              Krieg der kolumbianischen Eliten. Britische Sicherheitsunternehmen, 
              wie das (von ehemaligen MI-5-Agenten gegründete) Defense System 
              Limited, spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung von 
              Privattruppen im Dienste der Erdöl-Companies. Und die französische 
              Polizei bildet Sondereinheiten der kolumbianischen GAULA aus, welche 
              wiederum nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mehrmals Oppositionelle 
              entführt und an Paramilitärs übergeben haben. Offiziell 
              dient diese Waffenhilfe dem Kampf gegen die Drogenmafia. Doch interessanterweise 
              gibt es nur in jenen kolumbianischen Gebieten Anti-Drogenoperationen, 
              in denen die Guerilla oder Bauernbewegungen stark sind. Das nordkolumbianische 
              Urabá hingegen, das von der XVII. Armeebrigade und paramilitärischen 
              Einheiten des Drogenbarons Carlos Castaño Hand in Hand kontrolliert 
              wird, bleibt von solchen Aktionen unberührt, und das obwohl 
              dort nach Zahlen der US-Regierung 80% des für den nordamerikanischen 
              Marktes bestimmten Kokains verschifft wird. Der schwierige Kampf einer kriminalisierten Opposition Wer in Kolumbien regimekritisch ist, hat es schwer. Die Guerillaorganisationen 
              FARC und ELN sind trotz des immensen militärischen Druck in 
              den letzten Jahren gewachsen. Zusammen mobilisieren sie heute an 
              die 20.000 KämpferInnen, die im ganzen Land präsent sind. 
              Auch wenn die beiden Organisationen nach wie vor eine sozialistische 
              Gesellschaft anstreben, versuchen sie den Bürgerkrieg in Kolumbien 
              mit Verhandlungen zu beenden. Sie haben 1998 Gespräche mit 
              Regierung und Gesellschaft aufgenommen und sich zum Ziel gesetzt, 
              die sozialen Ursachen beseitigen, die zum Entstehen der Guerillas 
              führten. Anders als in Zentralamerika geht es bei den Verhandlungen 
              also nicht um eine Demobilisierung der Guerilla, sondern vor allem 
              um den Kampf gegen Armut und Marginalisierung, um eine Demokratisierung 
              der Gesellschaft und die Abschaffung der Nationalen Sicherheitsdoktrin. 
             Und schließlich gibt es neben der kaum zu übersehenden 
              politischen Apathie und der in den Städten kaum präsenten 
              Guerilla, auch weiterhin überraschend aktive Gewerkschafs- 
              und Bauernbewegungen, sowie Indigene- und Schwarze Gemeinschaften, 
              die sich der neoliberalen Verarmungspolitik entgegenstellen. So 
              hat es seit 1996 eine Vielzahl sozialer Proteste gegeben: Bauernmärsche, 
              Straßensperren, Generalstreiks, Gefängnisaufstände, 
              spontane Proteste von StadtteilbewohnerInnen. Diese Demonstrationen 
              zeigen, dass es in Kolumbien um mehr geht als um den undurchschaubaren 
              Kampf zwischen Mafias. Es handelt sich um einen militarisierten 
              sozialen Konflikt, um einen Krieg der Besitzenden gegen die Bevölkerungsmehrheit, 
              der international ignoriert wird. Dass es für die AktivistInnen 
              der kolumbianischen Basisbewegungen in der Vergangenheit kaum Solidarität 
              gab, ist schrecklich, denn wahrscheinlich hätte die internationale 
              Öffentlichkeit Tausende von Morden verhinden können. Doch 
              noch beschämender wäre es, wenn die kolumbianische Opposition 
              auch jetzt, angesichts der massiven Militärhilfe für das 
              Regime, erneut im Stich gelassen wird. Andere Beispiele in Lateinamerika 
              haben schließlich gezeigt, dass das Ausland eine wesentliche 
              Rolle spielen kann, um die Politik der Todesschwadrone zu stoppen. |