- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Während die Medien den Krieg erklärten, ersetzte die Inszenierung der Anschläge die Definitionsmacht von Hollywood.
Das Anti-Hollywood
Die Bilder vom brennenden New-Yorker Wolkenkratzer und vom Einschlag der Boeings inklusive Feuerball waren schon vor dem Anschlag jedem westlich geschulten Menschen vertraut. Bald nach den Anschlägen wurde auch von Medienseite die Parallellität der Bilder zu Hollywoodinszenierungen wie "Independence Day", "Die Hard" oder "Mars Attacks" bemerkt.
Was Hollywood jedoch nie erreicht hat, schafften die gleichgeschalteten Fernsehberichte vom Anschlag: Das Gefühl, bei den Geschehnissen "dabei zu sein". Absurderweise konnten allerdings die Einwohner New Yorks noch Stunden nach dem Anschlag kaum etwas von den Geschehnissen in Washington und der übrigen Welt erfahren, da in New York nur noch die lokalen Fernsehstationen sendeten.
Für die schon frühzeitig live eingeschalteten Zuschauer war das "dabei sein" nicht nur beschränkt auf diesen einen, kurzen Moment der eigentlichen Katastrophe, wie beispielsweise bei der Explosion der "Challenger". Vielmehr wurden die Ereignisse des 11. September und darüber hinaus hervorragend in jenes Sendekonzept eingebettet, das um jeden Preis die ZuschauerInnen "dran" zu halten versucht.
Noch wurde auf den Kanälen eine weitere Eskalation beschworen, als eigentlich schon alles vorbei war. Auf allen Sendern vernachlässigte man zudem jede sonst so beschworene "journalistische Sorgfalt": Unter dem Eindruck der Ungeheuerlichkeit der Ereignisse wurde wilden Spekulationen freien Lauf gelassen und dubiose "Experten" vor die Kamera geholt, damit die "Story" der bürgerlichen Medien stimmte. Auf einmal wurden Nachrichtensprecher und Kommentatoren zu Politikern und Militärs, erklärten von Vorneherein die Anschläge zu einem Kriegsakt und den Attentätern den Krieg. Ehe auch nur eine Einschätzung von Regierungsseite durchgedrungen war, stand für die bürgerlichen Medien der Verantwortliche schon fest: Kurz nach dem Kollaps der Twin Towers, liefen die ersten Archivreportagen über Usama bin Laden auf den Sendern der "freien Welt". CNN sendete sogleich Bilder von jubelnden BewohnerInnen der Westbank, ob sie nun echt waren oder nicht, und erklärte somit die PalästinenserInnen per se zum Kriegsgegner. Erst Stunden nach der Kriegserklärung an "radikale Palästinenser", Saddam Hussein und die Taliban durch die Scharfmacher der Medien traten berufene und unberufene PolitikerInnen vor die Kameras, nur um das Nachzuplappern, was sie die Stunden zuvor auf CNN & Co. verfolgten. Wer von ihnen konnte zunächst etwas anderes zu den Hintergründen der Geschehnisse behaupten oder auf Besonnenheit bei der Suche nach den Hintergründen der Tat drängen, wenn durch dutzende Sender die Marschrichtung schon vorgegeben war?
Erinnern wir uns an diesem Punkt nur kurz an den Bombenanschlag von Oklahoma, der damals im Schnellgerichtsverfahren der Medien einem damals noch unbekannten Bin Laden zugeschoben wurde. Als jedoch unmißverständlich feststand, daß der Täter ein Mann aus der Mitte Amerikas, Golfkriegsveteran, Milizmitglied und - leider auch - Faschist war, reagierten die Medien konsterniert.

Durch die Einbettung in die mediale Totalität unserer Gesellschaft wurden wir als FernsehzuschauerInnen zu "Augenzeugen" gemacht. Zwangsläufig führte dies mit sich, daß es bei Betrachtung der Fernsehbilder, die nichts anderes konnten, als die Opferperspektive widerzugeben, nahelag, sich selbst zu den Opfern, ergo US-AmerikanerInnen, zählen zu können. Erst die Bilderflut, die ununterbrochenen Wiederholungen immer der gleichen Sequenzen auf allen Sendern bereitete den Boden für tränenschwangere Betroffenheitsausfälle in den folgenden Stunden und Tagen: Auf einmal fühlten sich nicht nur berufsbetroffene PolitikerInnen, sondern auch deren ClaqeurInnen "gemeint" oder gleich als "Amerikaner".
Die Angriffe gegen Pentagon und World Trade Center waren zunächst symbolischer Natur. Sie zielten weniger auf eine Lähmung der militärischen als auch der ökonomischen Infrastruktur der USA, als vielmehr darauf, ein Zeichen zu setzen: "Bring the war home!" war schließlich ein zentraler Slogan der Anti-Vietnamkriegsbewegung.
Beide Ziele waren von hohem Symbolgehalt weit über die USA hinaus und standen in weiten Teilen der Welt für die Steuerung der Ausbeutung im Nord-Süd-Konflikt. Gerade aber die sich auf das Symbolische berufende Aktion benötigt die mediale Fixierung ihrer selbst. Kein Wunder also, daß gerade New York ausgewählt wurde: Zentraler Hafen und Tor der "New World" nach Osten, zudem die Ansammlung von Herrschaftsarchitektur auf engstem Raum - mit der höchsten Dichte an Fernsehstationen und Journalisten weltweit. Die Skyline New Yorks, dominiert von den erst 30 Jahre alten Türmen des World Trade Centers, war die bestimmende Ikonographie für den Aufstieg der USA zur alleinigen Weltmacht. Das WTC war zudem das manifeste Symbol der neoliberalen Ökonomie, deren sonstige vermeintliche Virtualität in der Global City New York materiell wird. Durch die Lücke, die in diese Skyline gerissen wurde, erfährt sie eine neue Bedeutung als Ikonographie für die Verletzbarkeit eben dieser kapitalistischen Weltmacht.
Die Inszenierung der Angriffe, wie durchdacht sie als solche auch immer gewesen sein mögen, war letzten Endes perfekt nach dem Muster Hollywoods gestrickt. Mehr noch als dies: Es reichte den Attentätern scheinbar nicht, nur einen der beiden Wolkenkratzer zu zerstören, was sicherlich den gleichen Effekt gehabt hätte. Als Steigerung der gewöhnlichen Hollywood-Katastrophe und als deren Antithese zugleich galt den Zwillingstürmen auch der Zwillingsanschlag, was die Verwundbarkeit des Zentrums westlicher Macht umso eindringlicher vor Augen führt.
Wenngleich die Inszenierung der Anschläge eine Reihe von Hollywood-Produktionen als Blueprint nahm, so rauben sie diesen mit einem Mal die weltweite Definitionsmacht ihrer bewegten Bilder. Der inflationäre Ausspruch des "Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war" gilt vor allem im Bezug auf die amerikanische Kulturindustrie. Sie hat die Macht über die Bilder verloren, die sie der halben Welt mit ihren hegemonialen Sehgewohnheiten und Moralvorstellungen verkauft hatte.
Aber auch die Perspektive der Nachrichtenbilder vom amerikanischen Krieg haben durch die Anschläge eine Zäsur erfahren. Mit Golf- und Kosovokrieg machten sich die Fernsehsender nicht nur zur Livecam der US-Army, sondern nahmen ihre Bilder inzwischen auch die Perspektive der Angreifer und ihrer Waffen ein. Waren es im Vietnamkrieg noch die Aufnahmen aus einem US-Kampfbomber bei der Menschenjagd über dem Dschungel, so übernahm in den 90er Jahren die Kriegsberichterstattung die Perspektive der Marschflugkörper. Beim Betrachten der Nachrichten waren wir dazu verdammt, mit den Augen der GI's und Bundeswehrsoldaten die Invasionen im Irak, in Somalia, Haiti und Jugoslawien zu "erleben".
Diese Definitionsmacht über die Bilder vom Krieg wurde mit den Aufnahmen sich in Sicherheit bringender Aktienbroker und Kriegsministeriums-Angestellter im wahrsten Sinne des Wortes gesprengt.
Es brauchte einige Tage, bis in der amerikanischen Gesellschaft die Dokumentation der eigenen Angreifbarkeit in Ansätzen überwunden war, wenn sich auch nur mit allzu pathetischem Fahnenschwenken und "We are heroes"-Sprechchören um die Wiederkehr der nationalistischen Normalität bemüht wurde.
Auf medialer Seite heißt dies, daß die Bilder der eigenen Ohnmacht schnellstmöglich ersetzt werden müssen - durch diejenigen aus der altbekannten Perspektive amerikanischer Waffen.
Günther Feind


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kombo(p) - 27.09.2001