- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Editorial

Dieses Editorial beginnt ohne die inzwischen offenbar zwingend vorgeschriebene Vorbemerkung, wie betroffen uns die Anschläge von New York und Washington gemacht haben. Denn erstens sind wir keine Unmenschen und müssen uns nicht rechtfertigen und zweitens lassen wir uns mit Sicherheit nicht von denen "Pietätlosigkeit" vorwerfen, die munter nicht ein Bier weniger getrunken, ein Fußballspiel oder ein Theaterstück weniger besucht oder eine Party weniger gefeiert haben, als zum Beispiel die Bomben im Frühjahr 1999 auf Belgrad abgeworfen wurden. Wir lehnen zudem die hysterische Stimmungsmache innerhalb dieser jetzt "zusammengerückten" Gesellschaft ab, die uns vorschreiben möchte, gerade jetzt mit konstruktiven Fragen weiter zu bohren und uns an sachdienlichen Hinweisen zu versuchen.
Offenbar sind die meisten Menschen in diesem Land, gleichgeschaltet mit den Trauergemeinschaften in den restlichen NATO-Staaten, nur noch in der Lage, sich "aus Trauer" doof zu stellen, "USA! USA!" zu skandieren oder Moscheen anzugreifen (so geschehen in München oder unter anderem auch in Brisbane, Australien).
Leider haben wir auch von Teilen der hiesigen Linken nicht den Eindruck, als würden sie angemessen auf die Anschläge reagieren, nämlich mit der Bemerkung, daß die alten Wahrheiten noch immer zählen und sich eigentlich so viel nicht an der alten "neuen Weltordnung" geändert hat, wie uns derzeit immer weisgemacht werden soll. Wenn unsereins selbst von eigentlich berufener, radikalerer Seite vor zuviel "Anti-Amerikanismus" (eine vorsätzliche Verkennung der Analyse von kriegerischem Kapitalismus, ergo Imperialismus) gewarnt wird, dann hängt hier einiges im Moment ganz schön schief. Wir hoffen, daß mit der Lektüre dieser Sonderausgabe die Eine oder der Andere wieder die Sehhilfe erhält, die von allzu vielen noch benötigt wird.
Wenig Hoffnung haben wir indes auf gewisse StudentInnen, die, scheint's, Analyse um der Paralyse willen betreiben und sich dann "Anti-Deutsche" nennen. So lange sie dies in ihrem stillen Kämmerlein tun und von dort ihren Aufnahmeantrag für die US-Armee ausfüllen, sollen sie uns egal sein. Durch Provokationen am Rande einer Demonstration gegen die Kriegseskalation und den US-Imperialismus, wie am vergangenen Samstag geschehen, haben sie sich jeden Kredit verspielt.
Die Demonstration war trotz einiger anstrengenden Debatten am Rande zumindest ein hoffnungsvolles Zeichen, daß wir dabei sind, eine breite Opposition gegen den nahenden Kriegseinsatz und die innere Mobilmachung zu schaffen. Es sollte allerdings auch hier allen klar sein: Uns geht es weniger um irgendeine "Angst vor Krieg", sondern vor allem um die Ablehnung des imperialistischen Kriegs gegen die Menschen des Trikonts und die Formierung der Staaten entlang einer immer deutlicher werdenden Nord-Süd-Front. Die Menschen in den arabischen Staaten, aber auch die MigrantInnen hier brauchen gerade jetzt, wo Tausende in ihre christliche Kirche flüchten, um ein Zeichen gegen den Islam zu setzen, unsere Solidarität.
Solidarität erfahren von uns auch die steigende Zahl von aus politischen Gründen Entlassenen, seien es nun LehrerInnen, die die neue Opferrolle der USA nicht teilen wollen, oder Kaufhausangestellte, die auf einige offene Rechnungen aus der fünfzigjährigen Geschichte US-amerikanischer Interventionen (teils mit deutscher Unterstützung) verweisen. Wir müssen leider feststellen, wie um uns herum auch und gerade die deutsche Gesellschaft auf Kriegslinie gebracht wird und Außen- wie Innenpolitik einer neuen Dimension militärischen Fundamentalismus' unterworfen werden.
In diesem Sinne, hoffen wir nicht allein die mahnende Kerze im Wind der Neuen Weltordnung zu verkörpern.

Die Redaktion, 24.9.2001


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kombo(p) - 27.09.2001