- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Dienstag, 11. September 2001

USA:
8.45 Uhr: Flug 11 der American Airlines rast in einen der beiden Türme des World Trade Centers, des New Yorker Wahrzeichens der Wirtschaftsmacht USA. Augenzeugen glauben zunächst an ein Unglück.
9.03 Uhr: United-Flug 175 prallt auf den anderen Turm.
9.30 Uhr: US-Präsident George W. Bush spricht in Sarasota (Florida) von einer "nationalen Tragödie". Es handele sich "offensichtlich" um eine terroristische Attacke.
9.35 Uhr: Die New Yorker Hafenbehörde läßt alle Brücken und Tunnel in und um New York sperren.
9.43 Uhr: American Airlines-Flug 77 rast in das US-amerikanische Verteidigungsministerium in Arlington bei Washington. Das Pentagon, das Weiße Haus, weitere Ministerien und das Capitol werden evakuiert.
9.49 Uhr: Die Flugsicherheitsbehörde streicht alle Starts in den USA. Es ist das erste Mal in der Geschichte der USA, daß der Luftverkehr landesweit gestoppt wird.
10.05 Uhr: Einer der Zwillingstürme des World Trade Centers stürzt zusammen.
10.13 Uhr: Das Gebäude der UN in New York und die Weltbank werden evakuiert.
10.23 Uhr: Eine Autobombe explodiert neben dem US-Außenministerium.
10.28 Uhr: Der zweite Turm des World Trade Centers stürzt ein.
10.29 Uhr : United-Flug 93 stürzt 80 Kilometer südlich von Pittsburgh ab. Das Flugzeug hatte nach unbestätigten Berichten Kurs auf das Weiße Haus genommen.
10.54 Uhr: Israel läßt weltweit alle Botschaften evakuieren.
13.27 Uhr: Der Notstand wird in Washington ausgerufen.
Abends: Fernsehansprache von US-Präsident Bush in Washington: "[...] Heute sind unsere Bürger, unsere Lebensweise, ja, unsere Freiheit mit einer Serie von mutwilligen und tödlichen Terroranschlägen attackiert worden. [...] Dieser Massenmord sollte dazu dienen, unsere Nation einzuschüchtern und in Chaos und Resignation zu treiben. Dies ist nicht gelungen. Unser Land ist stark. Ein großes Volk ist dazu angespornt worden, eine große Nation zu verteidigen.
Terroristische Anschläge können zwar die Fundamente unserer größten Gebäude erschüttern, aber nicht das Fundament Amerikas. Sie können Eisen und Stahl zerbersten lassen, aber sie können der eisernen Entschlossenheit Amerikas nichts anhaben. Amerika wurde zum Angriffsziel, weil wir in der Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung sind. Und niemand wird den Glanz dieses Lichtes auslöschen. Heute hat unsere Nation das Böse gesehen, die schlimmste Seite der menschlichen Natur. [...]
Wir werden keinen Unterschied machen zwischen den Terroristen, die diese Taten begangen haben, und denjenigen, die sie unterstützen. [...] Amerika und seine Freunde und Verbündeten schließen sich mit all denen zusammen, die Frieden und Sicherheit in der Welt verteidigen wollen, und wir stehen zusammen, um den Kampf gegen den Terrorismus zu gewinnen. [...] Niemand von uns wird diesen Tag jemals vergessen, dennoch schreiten wir voran, um unsere Freiheit zu verteidigen und alles, was in unserer Welt gut und gerecht ist. Danke. Gute Nacht und Gott segne Amerika."

BRD: Der Bundestag bricht am Nachmittag seine Beratungen über den Haushalt 2002 ab. Alle Flüge von Deutschland mit Ziel USA werden auf Anordnung der Bundesregierung vorläufig gestoppt. Bundeskanzler Schröder beruft den Bundessicherheitsrat ein und erklärt noch am nachmittag: "Wir alle - alle Deutschen - sind voller Entsetzen über die terroristischen Anschläge in den Vereinigten Staaten. Dies ist eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Wer diesen Terroristen hilft oder sie schützt, verstößt gegen alle fundamentalen Werte, die das Zusammenleben der Völker, auch untereinander, begründen. [...]". Stellungnahme Schröders am Abend: "Es geht jetzt um die Solidarität mit den Vereinigten Staaten, es geht um die Tatsache, daß Deutschland fest an der Seite der Vereinigten Staaten steht, und uneingeschränkt, ich betone das, uneingeschränkte Solidarität übt. Und damit sind alle im Bundestag vertretenen Parteien einverstanden [...]."

Großbritannien: Premierminister Blair bezeichnet den "Massenterrorismus" als den "neuen Teufel in der heutigen Welt". Die demokratischen Länder der Welt müßten sich zusammenschließen und dagegen kämpfen.

Frankreich: Der französische Präsident Chirac verurteilt die "monströsen Attentate" in einer Fernsehansprache an seine Untertanen. Die Amerikaner sollten wissen, daß "das ganze französische Volk auf ihrer Seite steht".

Lybien: Revolutionsführer Moammar al Ghaddafi bietet den US-amerikanischen Bürgern humanitäre Hilfe an, aber: "Wir werden keine Heuchler sein und etwas sagen, was wir tief in unseren Herzen nicht fühlen."

NATO: Das NATO-Hauptquartier wird evakuiert. Für das US-Militär in Europa gilt die höchste Sicherheitsstufe. NATO-Generalsekretär George Robertson: "Diese barbarischen Akte stellen eine nicht zu tolerierende Aggression gegen die Demokratie dar und unterstreichen die Notwendigkeit, daß die internationale Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten der Allianz ihre Kräfte vereinigen, um die Geißel des Terrorismus zu bekämpfen."

Irak: "Werden die USA jetzt endlich verstehen, daß Gewalt nur Gegengewalt erzeugt?", fragt ein Kommentator des staatlichen irakischen Fernsehens. Der Sender nennt die Explosionen in New York und Washington eine "Quittung für die amerikanischen Verbrechen gegen die Menschheit" und "Schlag ins Gesicht von US-Politikern".


12.September 2001:

Afghanistan: Raketenangriffe von Angehörigen der Anti-Taliban-Allianz um 2.30 Uhr auf Kabul. "Unsere Hubschrauber haben den Flughafen angegriffen", teilt Oppositionsmitglied Waisuddin Salik der Nachrichtenagentur ap über Satellitentelefon mit. Man habe sich mit diesen Angriffen für den Anschlag auf den Anführer Ahmed Schah Massud gerächt.

USA: US-Präsident Bush sieht die verheerenden Terroranschläge von New York und Washington als Kriegshandlung an. Er spricht von einem "monumentalen Kampf", den "das Gute gegen das Böse" zu führen habe und gewinnen werde. Die USA hätten es mit einer neuen Art von Feind zu tun, der "aus dem Schatten" zuschlage, danach davon renne und sich verberge. "Aber er kann nicht für immer rennen, und er kann sich nicht für immer verbergen", sagte Bush. Er betont: "Wir werden keinen Unterschied machen zwischen den Terroristen, die diese Taten begangen haben, und denjenigen, die sie unterstützen." Zuvor hatte US-Außenminister Colin Powell erklärt, die USA würden auf die Anschläge "wie auf einen Krieg antworten". Die Sache sei nicht mit einem Gegenschlag gegen ein Individuum zu lösen: "Es wird ein langfristiger Konflikt werden." Die Spuren der terroristischen Anschläge in den USA wiesen vor allem zu dem als Terroristen gesuchten Osama bin Laden. Er und seine Organisation stünden an der Spitze der Verdächtigen-Liste, obwohl ein endgültiger Beweis noch ausstehe und andere Gruppen als mögliche Täter nicht ausgeschlossen würden.
Laut US-Justizminister Ashcroft werden die wohl intensivsten Ermittlungen, die es je in den USA gegeben habe, mit 4.000 Sondereinsatzkräften, 3.000 zusätzliche Kräfte und 400 FBI-LaborspezialistInnen durchgeführt. Dazu zählten die Überprüfung von Unterlagen der Fluglinien, Mietwagenfirmen und Telefongesellschaften. Insgesamt seien an den Anschlägen in den USA mindestens 50 Menschen beteiligt gewesen. Zwölf bis 24 Entführer hätten die vier Flugzeuge in ihre Gewalt gebracht, von etwa zwei Dutzend Helfershelfern sei auszugehen. Für die Anschläge seien möglicherweise vier Terroristengruppen verantwortlich. Möglicherweise seien diese Gruppen, die in Verbindung mit Osama Bin Laden stehen sollen, auch schon zuvor an Bombenanschlägen beteiligt gewesen. Mehrere der Kidnapper hätten über Pilotenlizenzen verfügt, bestätigen Polizeikreise. Mindestens jeweils ein Entführer der vier betroffenen Flugzeuge sei an US-Flugschulen in Florida und mindestens einem weiteren Staat ausgebildet worden, teilt eine Sprecherin des Justizministeriums mit.
In einer Videobotschaft an alle Soldaten und Beschäftigten des US-Verteidigungsministeriums erklärt US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, "in den kommenden Tagen" würden sich die Männer und Frauen in Uniform in die "lange Geschichte amerikanischer Militärhelden" einreihen: "Wir stehen mächtigen und furchtbaren Feinden gegenüber, Feinden, die wir besiegen wollen." Von den Truppen werde in den nächsten Wochen und Monaten "sehr, sehr viel" verlangt werden. "Das gilt vor allem für diejenigen draußen im Feld."
In New York bleiben die Finanzmärkte geschlossen.
Im texanischen Dallas werden sechs Schüsse auf ein islamisches Zentrum abgefeuert. In Virginia gehen beim Dar al-Hijrah Islamic Center Drohungen ein, in San Francisco werden die Wände einer arabischen Einrichtung mit Blut beschmiert. Zahlreiche islamische Gotteshäuser und Gemeindezentren haben ebenso wie Koran-Schulen vorsorglich geschlossen, Moslem-Zentren werden unter Polizeischutz gestellt. "Ich hoffe nicht, daß sich eine Hysterie wie nach dem Anschlag von Oklahoma City 1995 wiederholt", erklärt Nihad Awad, Direktor des Rates für Amerikanisch-Islamische Beziehungen (Cair), einer Lobbygruppe in Washington. Damals hatten Spekulationen von Offiziellen und Medien über eine mögliche "islamische Spur" zu einer Welle von Anfeindungen gegen die moslemische Minderheit geführt - bis die Behörden schließlich den faschistischen weißen Golfkriegs-Veteranen Timothy McVeigh als Täter präsentierten.

BRD: Bundeskanzler Schröder um 9 Uhr vor dem Deutschen Bundestag: "[...] Wir wissen noch nicht, wer hinter dieser Kriegserklärung an die zivilisierte Völkergemeinschaft steht[...] Was wir wissen und erfahren, ist aber: Jetzt geht es darum, unsere Solidarität und unser Mitgefühl zu zeigen. Solidarität mit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, und auch der Solidarität aller, die für Frieden, Freiheit einstehen in Deutschland, in Europa und überall auf der Welt. [...] Selbstverständlich bieten wir den Bürgern und Behörden der USA jede gewünschte Hilfe an - natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber und Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate. Bei meinem Gespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden am gestrigen Abend bestand völlige Einmütigkeit darüber, daß diese außergewöhnliche Situation das Zusammenstehen aller Demokraten erfordert. Die gestrigen Anschläge in New York und in Washington sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt - das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben - stellt die Grundregeln jeglicher Zivilisation in Frage. Sie bedroht unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit, die über Generationen aufgebaut wurden. Wir werden diese Werte - sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch immer in der Welt - nicht zerstören lassen. In Wirklichkeit sind wir bereits eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen, und in Washington gegen uns alle gerichtet. [...]"
Im Anschluß an die Bundestagssitzung findet ein ökumenischer Trauergottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale statt, an dem die gesamte politische Prominenz teilnimmt. Daneben drängen vor allem LehrerInnen mit ihren Zöglingen in die Kirche. Ein Lehrer ruft: "Das ist doch nicht nur für die Abgeordneten. Auch die Schüler wollen trauern!"
Vor den Absperrungen vor der US-Botschaft in Berlin versammeln sich ebenfalls mehrere tausend Menschen im Laufe des Tages. Junge Leute vom Berlin-Kolleg warnen auf einem Transparent: "Keine Gewalt - keine Gegengewalt".
Der NPD-Landesverband Schleswig-Holstein stellt sich hinter die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon: "Schluß mit der amerikanischen Selbstherrlichkeit! Nun wird wohl auch die amerikanische Bevölkerung die Not und das Leid eines Krieges kennen lernen müssen." NPD-Anwalt Horst Mahler schreibt auf einer von ihm betriebenen Internetseite: "Die militärischen Angriffe auf die Symbole der mammonistischen Weltherrschaft sind eminent wirksam und deshalb rechtens." Der "Hauptfeind", der "weltliche Jahwe-Kult", sei nun am Ende.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland, der Islamrat für die BRD und die Pälastinensische Gemeinde in Deutschland berichten von Bombendrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen und Pöbeleien gegen ihre Verbände und muslimische Privatpersonen. SchülerInnen würden von ihren MitschülerInnen gefragt: "Wie konntet ihr so was tun?" Auf der Straße hätten vor allem muslimische Frauen unter rassistischen Pöbeleien zu leiden. "Die Stimmung ist anders als vorher", sagt Omid Nouripour, Sprecher der Jungen Grünen in Hessen und iranischer Staatsbürger. Seit den Anschlägen in den USA werde er in Deutschland von vielen auf der Straße "anders angesehen". Schon am Abend des 11. September sei er im Zug von Groß-Gerau nach Frankfurt in eine Auseinandersetzung geraten, nachdem ein Mann in sein Handy gerufen habe: "Das waren die Scheiß-Moslems, die gehören weggebombt." Er habe versucht, mit dem Mann zu reden, "aber irgendwann haben wir uns nur noch angebrüllt". Handgreiflich sei der Streit nur deshalb nicht geworden, weil der Zug schließlich die Endstation erreicht habe, meint Nouripour. Beim Schweigemarsch in Frankfurt sei er von zwei Männern in Uniformen der Freiwilligen Feuerwehr beschimpft worden. "Die sahen mich an und sagten: Das darf ja wohl nicht wahr sein, daß der sich hierher traut, der soll aufpassen, daß er nicht später eine drauf kriegt."
In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe spielen die Polizeiexperten von Bund und Ländern nichtöffentliche Szenarien durch. Für Flughäfen und Bahnhöfe ordnet Bundesinnenminister Otto Schily eine "Aufstockung der Sicherheitsmaßnahmen" an. Der Polizeischutz für Regierungsgebäude, US-amerikanische, israelische und palästinensische Einrichtungen wurde bereits verstärkt. Man müsse außerdem, kündigt Schily an, über eine "Ertüchtigung" der Sicherheitsdienste reden. Die deutschen Geheimdienste würden jetzt verschärft bestimmte Gruppen von Islamisten unter die Lupe nehmen. Dazu gehörten die "arabischen Mudschaheddin", ein lockerer Zusammenschluß von Fundamentalisten verschiedener Nationalitäten, von denen einige unter dem Verdacht stehen, Osama Bin Laden nahezustehen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) teilt die Einschätzung, bin Laden stehe hinter der jüngsten Terrorserie. Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier wertet die Tatsache, daß das World Trade Center als ein Ziel ausgesucht wurde, als Indiz dafür, "daß die Täter im Umkreis von bin Laden zu suchen sind".
Die Bundeswehr wird in erhöhte Bereitschaft versetzt.
Die Hamburger Polizei und der Staatsschutz überprüfen mindestens neun Wohnungen im Stadtteil Harburg, fünf davon werden durchsucht. In einer der Wohnungen nehmen die Beamten einen Mann fest, der auf dem Hamburger Flughafen beschäftigt ist. Die Polizei berichtet, sie habe Hinweise vom FBI und dem Bundeskriminalamt bekommen, daß in einer Wohnung in der Marienstraße zwei Männer gewohnt hätten, die von Juli 2000 bis Januar 2001 in Florida waren. Sie sollen in die jüngsten Anschläge verwickelt sein. Die Wohnung in der Marienstraße ist seit Februar 2001 unbewohnt. Es soll sich eine unbestimmte Anzahl von Personen arabischer Herkunft dort aufgehalten haben, heißt es.

Rückholaktion aus Afghanistan: Aus Furcht vor "Vergeltungsschlägen" der USA beginnen Hilfsorganisationen, ihr ausländisches Personal aus Afghanistan abzuziehen. Die Vereinten Nationen teilen mit, daß der Abzug ihres ausländischen Personals keine Evakuierung, sondern eine "zeitweise Verlegung" sei. Die rund 80 MitarbeiterInnen des Welternährungsprogramms sollen Afghanistan bis morgen verlassen. Die Deutsche Welthungerhilfe evakuierte nach Angaben ihres Sprechers Ulrich Post die letzten drei ihrer sieben deutschen Mitarbeiter. Das Auswärtige Amt in Berlin rät allen Deutschen in Afghanistan, das Land zu verlassen.

Israel: Wenige Stunden nach den Terroranschlägen in den USA startet die israelische Armee eine Offensive auf autonomes Palästinensergebiet und tötet dabei mindestens elf Palästinenser. Bei dem Angriff zerstört die Armee nach palästinensischen Angaben ein Gebäude der Palästinenserpolizei. Bei anschließenden Gefechten beschießen die Israelis den Berichten zufolge auch Wohnhäuser. In den Orten Arraba, Tubas und Tammun und in einem nahe gelegenen Flüchtlingslager werden insgesamt zehn Palästinenser getötet. Mindestens 49 weitere werden verletzt. Am Morgen ziehen sich die Truppen nach Armeeangaben wieder zurück.

Afghanistan: Die Taliban-Regierung bietet den USA Gespräche über eine mögliche Auslieferung des in Afghanistan lebenden bin Laden an. "Wir sind bereit, mit den Vereinigten Staaten über das Schicksal von Osama bin Laden zu verhandeln, aber die USA müssen uns zuerst genügend Beweise gegen ihn übergeben", sagt der Taliban-Botschafter in Pakistan, Mullah Abdul Salam Saif.

Europäische Union: Die Außenminister der Europäischen Union treten zu einer Sondersitzung zusammen. Die Verantwortlichen für die Attentate würden "aufgespürt, vor Gericht gestellt und bestraft werden"; es werde "keinen sicheren Hafen für Terroristen" geben. Die EU sagte der US-Regierung zu, künftig eng bei der Verbrechens-Bekämpfung zusammenzuarbeiten und insbesondere auf der Ebene der Vereinten Nationen "alle Instrumente" auszuschöpfen, um der Finanzierung des internationalen Terrorismus einen Riegel vorzuschieben.

NATO: Die NATO will erstmals in ihrer Geschichte auf Grundlage des Artikels 5 NATO-Vertrag den Bündnisfall feststellen. In der entscheidenden Passage des Beschlusses heißt es, daß der NATO-Rat übereingekommen ist, daß die Anschläge auf die USA vom 11. September als "eine Handlung betrachtet werden sollen, die durch den Artikel 5 des Vertrages von Washington erfaßt ist, wonach ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere der Alliierten in Europa oder Nordamerika als ein Angriff auf alle bewertet werden soll". Der einzige Vorbehalt des Rates: Der Beschluß gelte nur, wenn der Angriff auf die USA aus einem anderen Land heraus geführt wurde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei die NATO-Entscheidung ein "Akt der Solidarität" mit den USA, so NATO-Generalsekretär Robertson.


13.September 2001:

BRD: Der Parteirat von Bündnis 90/Die Grünen billigt einstimmig die angebliche Feststellung des "Bündnisfalls" durch die NATO, mahnte aber die USA zu "besonnenen Reaktionen". CDU und CSU teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß dieser Beschluß im Gegensatz zur Entsendung deutscher Truppen keiner parlamentarischen Legitimation bedarf und fordern wie immer mehr Mittel für die Bundeswehr. Außerdem müßten Geheimdienste und Grenzschutz finanziell besser ausgestattet werden. Wie die Sprecher der anderen Parteien, außer der PDS, wertet der FDP-Fraktionsvorsitzende, Wolfgang Gerhardt, die NATO-Entscheidung als Zeichen dafür, daß die westliche Wertegemeinschaft zusammenstehe.
PDS-Fraktionschef Roland Claus und die Parteivorsitzende Gaby Zimmer nennen die Berufung der NATO auf Artikel 5 "rechtlich fragwürdig, vor allem aber politisch eher eskalierend statt deeskalierend". Es dürfe "auf keinen Fall" Gegenschläge geben, denen Unschuldige zum Opfer fielen, konstatieren die PDS-PolitikerInnen.
Von 10 Uhr bis 10.05 Uhr folgen viele BundesbürgerInnen dem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zwei Tage zuvor, still zu halten, zu schweigen und zu gedenken.
In Frankfurt findet eine Demonstration von 2.000 SchülerInnen zum Gedenken der Opfer der Anschläge in den USA und gegen Vergeltungsschläge und Krieg. "Keine weiteren Opfer", steht auf einem der Transparente, die die SchülerInnen mitgebracht haben. "Gegen Terror. Gegen Vergeltungsschläge" heißt es auf einem anderen.
Wegen seiner öffentlich geäußerten Freude über die Anschläge in den USA leitet die Göttinger Polizei ein Strafverfahren gegen einen Mann aus dem früheren Jugoslawien ein. Dem 27jährigen wird die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener vorgeworfen. Nach Angaben der Polizei hatte der Mann während einer Polizeikontrolle mehrfach versichert, er sei Moslem und daher froh darüber, was in den Vereinigten Staaten passiert sei.

China, Australien und Japan: Nach den NATO-Staaten sichern auch Australien und Japan den USA Unterstützung für eine mögliche Militäraktion zu. Die Verfassung Japans legt fest, daß das Land sich für alle Zeiten aus Kriegen heraus halten muß. Laut Presseberichten denkt die Regierung in Tokio daran, die Verfassung zu ändern. Selbst China schließt eine Beteiligung nicht aus. Voraussetzung sei, daß ein Militäreinsatz durch ein breites internationales Votum, etwa der Vereinten Nationen, gestützt werde, sagte Vize-Außenminister Wang Guangya in Peking. Zugleich fordert Peking die NATO vor möglichen Aktionen zu Konsultationen auf.
Terroranschläge wie in den USA rechtfertigen nach Auffassung der australischen Regierung strenge Grenzkontrollen, da illegal Eingewanderte Terrorismus mitbringen könnten. Verteidigungsminister Peter Reith sagt, die Anschläge seien ein Beweis für die Bedeutung strengen Grenzschutzes. Andernfalls könne die Einreise den Weg bereiten für den Mißbrauch Australiens als Stützpunkt für terroristische Aktivitäten. Australien steht stark in der internationalen Kritik wegen seiner Weigerung, 430 überwiegend afghanische Boots-Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn man die Tür öffne, sei dies faktisch auch eine Einladung an künftige Probleme, sagte Reith.

Afghanistan: Aus Furcht vor einem US-amerikanischen Vergeltungsschlag werden alle internationalen Flüge durch den Luftraum Afghanistans gestoppt.


14.September 2001:

USA: Der US-Senat ermächtigt Präsident Bush einstimmig, auf die Anschläge mit militärischer Gewalt zu reagieren. Außerdem stimmt der Senat "Notmitteln" in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar zu, die teils für die erwarteten Militärschläge, teils für den Wiederaufbau in New York verwendet werden sollen. Im Resolutionsentwurf für das Repräsentantenhaus heißt es: "Der Präsident ist ermächtigt, alle notwendigen und angemessenen Mittel gegen diejenigen Nationen, Organisationen und Personen einzusetzen, die nach seiner Einschätzung die Terroranschläge vom 11. September 2001 geplant, angeordnet, begangen und unterstützt haben oder die solchen Organisationen oder Personen Unterschlupf gewährt haben."
Bush ordnet die Einberufung von bis zu 50.000 Reservisten an. Kampfpiloten auf 26 inländischen Stützpunkten wurden in Alarmbereitschaft versetzt.

BRD: Unter dem Motto "Keine Macht dem Terror - Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika" versammeln sich das gesamte politische Personal (über die Parteigrenzen hinweg) sowie zehntausende BürgerInnen am Brandenburger Tor im Berlin. Worauf der "Aufstand der Anständigen" einschwören soll, erläutert Bundespräsident Rau : "Allen, die seit langem unsere Verbündeten sind und mit denen uns kulturelle und geistige Wurzeln verbinden, sichern wir die Loyalität eines treuen Freundes zu. Alles können wir erreichen, wenn wir fest zusammenstehen. Nichts erreichen wir, wenn wir gespalten und zerrissen sind."
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel schließt sich einem Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) an, für den Fall einer weiteren Zuspitzung eine Art "nationalen Sicherheitsrat" einzurichten, in dem auch die Opposition vertreten wäre. Die CDU-Vorsitzende sagt nach einer Sondersitzung des Parteipräsidiums, die Union werde sich "ihrer Verantwortung stellen". Das gelte "sowohl für die innere als auch für die äußere Sicherheit". Es seien in den vergangenen Tagen "viele Illusionen zerplatzt", was die Möglichkeiten zu einem friedlichen Zusammenleben ohne Militär angehe. Wenn "bestimmte Ereignisse eintreten", die Merkel nicht konkretisiert, "wäre es sicher stabilisierend", wenn die Opposition von der Regierung noch stärker beteiligt würde.
Im Kampf gegen radikale Islamisten fordert Bundesinnenminister Schily im Spiegel mehr Härte. Radikal-islamistische Vereinigungen sollten künftig verboten werden können.
In Hamburg gehen rund 100 BeamtInnen 300 Bürgerhinweisen auf das Umfeld der drei arabischstämmigen Männer nach, die vor ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Anschlägen in der Hansestadt lebten. Die an Bord der gekaperten Flugzeuge ums Leben gekommenen Männer sollen vor den Anschlägen Kontakt zu anderen verdächtigen Fluggästen gehabt haben. Ein tags zuvor in Hamburg festgenommener Mann kommt wieder frei. Ein Verbindungsoffizier des US-amerikanischen FBI trifft in Hamburg ein. Auch in Köln will die Polizei die islamistische Szene von neuem durchleuchten.
Nach den Terroranschlägen in den USA ist eine deutliche Mehrheit der Deutschen für militärische "Vergeltung", aber gegen eine Beteiligung der Bundeswehr. Laut Umfrage mit 1.031 Befragten im Auftrag des ZDF nennen 57 Prozent der Befragten Vergeltung richtig, 35 Prozent halten sie für nicht richtig. Bei der Frage nach einer Beteiligung Deutschlands an militärischen Vergeltungsaktionen bietet sich ein anderes Bild: Nur 37 Prozent sind für die Beteiligung der Bundeswehr, 57 Prozent sind dagegen. Ähnliche Anschläge auch in Deutschland befürchten immerhin 50 Prozent, keine Befürchtung haben 48 Prozent. Mit kriegerischen Auseinandersetzungen rechnen 65 Prozent der Befragten, 32 Prozent glauben dies nicht.
Die faschistische Deutsche Volksunion (DVU) kündigt an, im Wahlkampf in Hamburg Flugblätter zu verteilen. Diese unterstellen der "wahnsinnigen Einwanderungs-Politik", Hamburg zum "Stützpunkt der Attentäter" gemacht zu haben. Die NPD nennt in einer Pressemitteilung die Bundesregierung "Verfassungsfeinde", weil sie mit den USA und der NATO "in den Krieg zieht". Die NPD wolle verhindern, daß "deutsches Blut für fremde Interessen geopfert" werde. Gegen den NPD-Kreisverband Greifswald wird Strafanzeige wegen Billigung von Straftaten und Volksverhetzung gestellt. Der Kreisverband ist an ein Internet-Gesprächsforum angeschlossen, in dem "Freude" und "Hoffnung" nach den Anschlägen artikuliert wird. Es sei "eigentlich schade", daß noch kein Flugzeug in den Bundestag geflogen ist.
Gegen eine Palästinenserin in einer Flüchtlingsunterkunft in Bramsche bei Osnabrück wird Strafanzeige wegen Billigung eines Verbrechens erstattet, weil sie in einem Fernsehinterview des NDR Freude über die Terroranschläge in den USA geäußert habe. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen die Frau.

Europäische Union: Die Staats- und Regierungschefs der EU bekräftigen ihre Drohung vom 13. September, daß Urheber, Auftraggeber und Komplizen nach internationalem Recht "an jedem beliebigen Aufenthaltsort verfolgt" werden dürften. Nicht hinzunehmen sei es, "daß Länder auf ihrem Staatsgebiet terroristische Machenschaften dulden". Der Angriff auf die USA hat offensichtlich die Bereitschaft der EU-Mitglieder zu einer intensiveren gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verstärkt. Gab es bislang innerhalb der EU gelegentlich Zweifel über das richtige Maß ihres weltpolitischen Engagements, so heißt es jetzt, daß sie sich "vermehrt und unablässig" in die Dinge der Welt einmischen will. Um ihr Gewicht zu erhöhen, will die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik "wirklich mit einer starken und geeinten Stimme" sprechen. Die Arbeiten an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und an dem Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe sollen beschleunigt werden. Nach bisherigen Planungen soll der erste Teil der Truppe Anfang 2002 einsatzbereit sein. Auch innenpolitisch machen die Staats- und Regierungschefs Druck. Die Versuche der Innen- und Justizminister der EU, sich auf Verfahren zu einigen, sollen beschleunigt werden. Zur effektiveren Strafverfolgung forderten die EU-Chefs die Schaffung eines europäischen "Haft- und Auslieferungsbefehls" und die "gegenseitige Anerkennung von Gerichtsbeschlüssen und Urteilen".

Pakistan: Falls Luftschläge gegen Ziele in Afghanistan geführt werden, will die US-Luftwaffe den pakistanischen Luftraum ungehindert benutzen dürfen. Wie Asia Times aus Islamabad unter Berufung auf hohe Regierungskreise berichtet, stimmt Pakistan unter der Bedingung zu, daß die US-Streitkräfte die grenznahe Millionenstadt Peshawar und die umliegenden Stammesgebiete weiträumig umgehen, um die dort starken islamistischen Gruppen ruhig zu stellen. Außerdem verlangt Washington von Pakistan, die 2.500 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan zu sperren, damit Osama bin Laden das Land nicht verlassen kann. Und die finanzielle Unterstützung von Terrorgruppen habe Pakistan sofort einzustellen. Pakistans Präsident Pervez Musharraf hat sich zwar bereits am Vortag in einem Gespräch mit US-Botschafterin Wendy Chamberlin auf die Seite der USA gestellt, muß aber auf zahlreiche fundamentalistische Gruppen und Parteien in seinem Land Rücksicht nehmen, die Widerstandshandlungen angedroht haben sollen, falls die Regierung in Islamabad sich zu sehr mit Washington einläßt. Generalleutnant Mehmood Ahmed, Pakistans Unterhändler in Washington, bittet um Geduld, damit seine Regierung über die Forderungen der Bush-Regierung gründlich nachdenken könne.

Afghanistan: Die Taliban fordern Pakistan auf, den USA in keiner Weise zu helfen. Anderenfalls würden sie den Zorn der Afghanen auf sich ziehen, "der gefährlicher als alles andere ist". In Kabul fügt ein Taliban-Sprecher hinzu, seine Bewegung werde "mit anderen Mitteln" zurückschlagen, falls die USA Vergeltungsschläge gegen Afghanistan führen sollten.

Interpol: Eine Sonderkommission soll am Interpol-Sitz im französischen Lyon alle Informationen über die Anschläge sammeln. Die Organisation leitete nach eigenen Angaben bereits Informationen aus 40 der 178 Mitgliedstaaten an die USA weiter.

Türkei: Die türkischen Streitkräfte werden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Türkei besitzt nach den USA die zahlenmäßig größte Streitmacht in der NATO.

Indien, Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Turkmenistan sagen den USA Unterstützung zu.


15./16. September 2001

BRD: SPD-Abgeordnete denken laut über den Bundeswehreinsatz im Innern nach: Während Bundesinnenminister Schily bereits am Vortag angedeutet hatte, daß die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt werden könnte, ohne dafür das Grundgesetzes ändern zu müssen, bevorzugt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Helmut Wieczorek (SPD), die Einrichtung einer Nationalgarde. Diese solle sich aus Spezialeinheiten der Bundeswehr, Experten des Katastrophenschutzes sowie Mitgliedern der Anti-Terror-Einheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes zusammensetzen.
Auf einer Pressekonferenz faßt Generalbundesanwalt Kay Nehm den Stand der Ermittlungen zusammen. Demnach agiere in Deutschland eine "terroristische islamisch-fundamentalistische Vereinigung", zu der unter anderen drei der Selbstmordattentäter gehörten. Alle drei lebten und studierten zeitweilig in Hamburg. Es handele sich um wahrscheinlich aus Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Libanon stammende Männer. Einem von ihnen seien die Ermittler auf die Spur gekommen, als er von seiner in Bochum lebenden Freundin als vermißt gemeldet wurde. Bei zwei Wohnungsdurchsuchungen in Bochum finden die BeamtInnen dessen Koffer mit "flugzeugbezogenen" Unterlagen. Die Funde würden noch ausgewertet, Nehm räumt aber ein, daß bisher "keine wesentlichen Beweismittel" gefunden wurden. Bislang gebe es noch keine Hinweise, daß die drei Personen Verbindungen zu Osama bin Laden unterhalten hätten. Auch Verbindungen zwischen den dreien und den im Verfassungsschutzbericht genannten 13 islamisch-fundamentalistischen Organisationen in Deutschland seien laut Nehm gegenwärtig nicht zu erkennen.
Bundesinnenminister Schily will das so genannte Religionsprivileg beim Vereinsrecht abschaffen. Damit könnten extremistische Gruppen, die sich mit einer Religion tarnten, in Zukunft leichter verboten werden. Schily sieht auch bessere Chancen für den Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD, die den Terror gutheiße.
Bei einer Trauerdemonstration in Stralsund verbrennen Neonazis eine US-Flagge. In der Nacht zum Sonntag wird die KZ-Gedenkstätte Dachau bei München mit antiamerikanischen und antisemitischen Parolen beschmiert. Bei einer Münchner Moschee zünden Unbekannte am 16. September einen Brandsatz.

USA: Die USA stehen nach Angaben von Präsident Bush vor einem "umfassenden Angriff" auf den internationalen Terrorismus und seine staatlichen Helfer. "Wir befinden uns im Krieg", sagt Bush. Er spricht von einem "breit angelegten Feldzug" gegen die "Feinde, die sich für unsichtbar halten". Die USA würden die Terroristen "aus ihren Löchern treiben". Nach dem Senat ermächtigt auch das Repräsentantenhaus Bush zu Vergeltungsschlägen. Er ruft den nationalen Notstand aus und läßt zunächst 35.000 Reservisten mobilisieren. Der Präsident schließe den Einsatz von Bodentruppen nicht aus, sagt Regierungssprecher Ari Fleischer. Bin Laden werde mit allen Mitteln gejagt werden, betont Vizepräsident Dick Cheney. Er nennt Afghanistan als wahrscheinliches Ziel für einen Militärschlag.
Im US-Staat Arizona wird ein Inder erschossen, weil er für einen Muslim gehalten wird.
In Japan hat das erste US-Kriegsschiff, der Kreuzer "Cowpens", seine Marinebasis in bislang noch unbekannte Richtung verlassen. Insgesamt sind in Japan etwa 47.000 US-Soldaten stationiert - und gerüstet, an "Vergeltungsschlägen" teilzunehmen.

Pakistan, das neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als einziges Land das afghanische Taliban-Regime anerkennt, sichert Washington seine volle Unterstützung zu. Pakistans Außenminister Abdul Sattar kündigte an, sein Land werde allen UN-Resolutionen folgen. Pakistan plane nicht, sich an Militäraktionen außerhalb seiner Grenzen zu beteiligen.

Afghanistan: Die Taliban drohen allen Helfern der USA. "Sollte ein Land den US-Streitkräften Land- und Luftwege zur Verfügung stellen, dann sehen wir uns zu einem Gegenangriff genötigt", sagte Außenminister Wakil Mutawakil. Aus Angst vor US-Angriffen hat in Afghanistan eine Fluchtbewegung begonnen. Hunderte versuchen nach Agenturangaben, das Land zu verlassen. Iran schließt die Übergänge nach Afghanistan.

Russland versetzt seine 201. Armeedivision in Tadschikistan an der Grenze zu Afghanistan in Gefechtsbereitschaft, will aber nicht an Militärschlägen teilnehmen.


Montag, 17.September 2001:

USA: US-Präsident Bush bemüht sich weiterhin, seine Landsleute auf einen "langen Kreuzzug" gegen den Terrorismus einzustimmen. Bei der Begrüßung seiner Mitarbeiter im Weißen Haus beschwört Bush die US-Amerikaner, der Welt zu zeigen, daß sie sich "nicht vom Terrorismus einschüchtern lassen".
Als Reaktion auf die Terroranschläge in den USA sollen die Befugnisse der Geheimdienste und der Polizei ausgebaut werden. US-Justizminister Ashcroft will den Ermittlern der Bundespolizei FBI größere Befugnisse im Inland gewähren. So soll insbesondere das Abhören von Telefongesprächen und das Überwachen von Computern erleichtert werden.

BRD: Deutsche NGOs warnen vor einer militärischen Vergeltung der Terroranschläge in den USA und einer Beteiligung deutscher Soldaten daran. Der Arbeitskreis Darmstädter Signal, ein Zusammenschluß kritischer Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr, rät davon ab, "daß sich die Bundesrepublik in dieser Situation an kriegerischen Handlungen beteiligt". Der Arbeitskreis glaubt, der "unter fragwürdiger Berufung auf das Völkerrecht und die UN-Charta" geplante Gegenschlag führe "zu einer neuen Gewaltspirale". Bei aller Trauer und Verachtung für die Angriffe gelte es, die Ursachen für Terrorismus zu erkennen: "Globalisierung, wirtschaftliche Ungerechtigkeit und politische Überheblichkeit". Die USA und ihre Verbündeten übersähen, daß diese Ursachen "auch in ihrer eigenen Politik" lägen. Auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie befürchtet, die Terrorakte könnten "in ihren Folgen noch schlimmer wirken". Die NATO-Staaten würden mit "Vorverurteilungen" und "riskanten militärischen Antworten" den Toten nicht gerecht: "Im Gegenteil: Sie funktionieren diesen 11. September und seine Toten um." Dasselbe täten deutsche Spitzenpolitiker, die nun restriktivere Regelungen bei innerer Sicherheit und Einwanderungspolitik propagierten. Das Komitee appelliert an alle Soldaten, "an den schrecklichen Kriegsspielen nicht mitzuwirken".

IWF/Weltbank: Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in New York und Washington sagen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ihr für den 29./ 30. September geplantes Jahrestreffen in der US-Hauptstadt ab. Das Programm der ursprünglich auf eine Woche angelegten Konferenz war wegen befürchteter Proteste von Globalisierungsgegnern ohnehin auf zwei Tage zusammengestrichen worden. Dagegen steht nach Angaben aus EU-Kreisen fest, daß das Treffen der Finanzminister der sieben wichtigsten Industriestaaten (G 7) wie vorgesehen Ende des Monats stattfindet. Die Politiker würden sich aber nicht wie geplant in Washington treffen, sondern in Italien.

Afghanistan: Der Rundfunksender der Taliban, Radio Schariat, meldet, daß ein Gremium hoher Geistlicher der Taliban über die Auslieferung Osama bin Ladens an die USA entscheiden soll. Etwa tausend Stammesführer und Geistliche wurden nach Kabul gerufen, um eine Fatwa (islamrechtliches Gutachten) zu verabschieden, das für den Fall eines Angriffs die USA und alle Staaten, die ihnen helfen, zu Feinden Afghanistans erklärt. Zugleich schließt Afghanistan seinen Luftraum und läßt an der Grenze zur Atommacht Pakistan Militär aufmarschieren.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR teilt mit, daß 100.000 Menschen allein aus Kandahar auf der Flucht sind. Pakistan, wo bereits mehr als drei Millionen afghanische Flüchtlinge, und Iran, wo zwei Millionen Flüchtlinge leben, haben in Erwartung weiterer Flüchtlinge ihre Grenzen zu Afghanistan geschlossen. Iran will Fliehende in Pufferzonen entlang seiner Ostgrenze abfangen. Im vergangenen Jahr haben 400.000 Menschen Afghanistan verlassen und sind nach Iran oder Pakistan geflohen. Doch im Gegensatz zu jenen afghanischen Flüchtlingen, die während der sowjetischen Besetzung ihr Land verließen, sind diese Elendsflüchtlinge (das Land ist nicht nur von 15 Jahren Bürgerkrieg zerstört, obendrein fielen vier Mal in Folge fielen die Ernten mangels Niederschlägen teilweise oder ganz aus, was zu einer der schlimmsten Hungersnöte der jüngeren Zeit führte) in den Nachbarstaaten nicht mehr willkommen. In den Zeiten des Kalten Kriegs nämlich floß die finanzielle Unterstützung. Westliche Hilfswerke kamen in Scharen nach Peshawar, bauten Flüchtlingslager und Krankenhäuser, sammelten in der Heimat Geld, mit denen Schulen eingerichtet und Lebensmittel für die Flüchtlinge gekauft wurden. Die Zustände in Jalozai, dem heutigen Hauptlager für afghanische Flüchtlinge in Pakistan, sind heute katastrophal. Zehntausende Flüchtlinge leben auf engstem Raum in improvisierten Zelten, es fehlt an sanitären Anlagen und medizinischer Versorgung.

Pakistan: In Pakistan drohen mehr als 30 pakistanische Islamistenparteien der Regierung in Islamabad für den Fall einer Zusammenarbeit mit den USA mit einem Bürgerkrieg. Der Rat für die Verteidigung von Afghanistan und Pakistan kündigt landesweite Proteste und Streiks an. Bei einem Treffen in Lahore betonen die Mitglieder, jeder US-Angriff auf Afghanistan würde von ihnen als Angriff auf Pakistan gesehen.

Großbritannien: "Zehnfach gestiegen" ist vergangene Woche die Zahl der Übergriffe gegen britische Moslems, vermeldet der Vorsitzende der Islamischen Menschenrechts-Kommission im Königreich, Masoud Shadjareh. Beschimpfungen und tätliche Angriffe hätten beträchtlich zugenommen: Graffiti an einer Moschee im südenglischen Southend; zerschlagene Scheiben an einer Gebetsstätte in Belfast; Bombendrohungen und erzwungene Evakuierungen in der großen Moschee im Londoner Regents Park; Exkremente durch Briefschlitze in Birmingham. In Swindon wurde am Wochenende eine 19jährige Asiatin von zwei weißen Männern mit Baseball-Schlägern mißhandelt; die Polizei geht von Racheakten und rassistischen Motiven aus. In Schottland sprangen Ordnungshüter Moslems bei, die sich in einer Moschee verbarrikadiert hatten, nachdem sie mit Steinen beworfen worden waren.


Dienstag, 18.9.2001

USA: Ermittler in den USA behaupten eine konkrete Verbindung zwischen den Attentätern und bin Laden. Zwei der Luftpiraten hätten Verbindungen zu einem Mann gehabt, der im Dienste bin Ladens zur Jahrtausendwende Anschläge in Jordanien plante, berichtet die New York Times. Der Bostoner Taxifahrer Rajed Hidschasi ist im September in Jordanien zum Tode verurteilt worden. Er hatte angeblich gestanden, Kontakte zu bin Laden unterhalten zu haben.

BRD: Nach den Vorstellungen der Innenministerkonferenz (IMK) sollen Visa-Anträge von AusländerInnen künftig Besuchszweck und eine Adresse in Deutschland beinhalten. Ferner fordert die IMK, rechtliche Grundlagen für "Identifizierungsmaßnahmen und die Datenübermittlung an die Sicherheitsbehörden" zu veranlassen. Die Innenminister setzen sich überdies dafür ein, "Raster zum Erkennen potenzieller islamischer Terroristen, die Deutschland als Ruheraum oder logistische Basis nutzen oder in Deutschland angeworben worden sind", zu entwerfen. Weiter soll auf einen "verstärkten Einsatz der Bundeswehr zum Schutz militärischer Einrichtungen einschließlich der Einrichtungen der NATO-Verbündeten" hingewirkt werden.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung verstärkt Polizei und Verfassungsschutz personell und finanziell.
Das Thema "Terrorismus" soll nach Angaben der Verleger einen größeren Stellenwert in den Schulbüchern erhalten. Bereits von der kommenden Woche an könnten, so der Sprecher des VDS Bildungswesen in Frankfurt a. M, Andreas Baer, Materialien zum Terrorismus auf den Internetseiten deutscher Verlage als Unterrichtsbasis zur Verfügung stehen.
Unter dem Titel "Wir sind nicht im Krieg" mahnen Friedensforscher nach den Terroranschlägen in den USA zu Besonnenheit und fordern die Bundesregierung und alle NATO-Staaten auf, andere als militärische Konsequenzen zu ziehen. Wer von Krieg rede, mache sich "die Sprachregelung der Attentäter zu eigen und geht damit in ihre Falle", schreiben die Friedensorganisationen Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC), Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung sowie das Institut für Entwicklung und Frieden mit Blick auf die bevorstehende Sondersitzung des Bundestags am 18. September. Bundesweit formulieren Vertreter der Friedensbewegung ähnliche Mahnungen und Forderungen. So warnt das Forum Ziviler Friedensdienst: "Eine Militarisierung der Weltpolitik kann keinen Frieden schaffen, aber Freiheit ersticken."
Rund 5.000 Schülerinnen und Schüler aller weiterführenden Marburger Schulen demonstrieren "gegen Terrorismus, Krieg und Gewalt und für politische Lösungen" in der Universitätsstadt.

Afghanistan: Das von der Taliban-Führung einberufene Treffen von rund 1.000 Religionsgelehrten in Kabul wird um 24 Stunden verschoben, weil nicht alle Teilnehmer rechtzeitig eingetroffen seien. Für eine Auslieferung bin Ladens haben die Taliban etliche Forderungen gestellt, dazu zählen die Aufhebung der UN-Sanktionen gegen Afghanistan, mehr Wirtschaftshilfe sowie der Stopp der westlichen Unterstützung und Waffenlieferungen an die Opposition im Land. Zudem müsse bin Laden in einem neutralen Land vor Gericht gestellt werden. Schließlich verlangen die Taliban Beweise für die Schuld bin Ladens. US-Verteidigungsminister Rumsfeld betonte, eine Auslieferung bin Ladens wäre für die Regierung in Washington noch nicht ausreichend: "Das Problem ist viel größer als bin Laden."

Pakistan: In Pakistan demonstrieren mehr als 3.000 Menschen gegen einen möglichen Vergeltungsangriff der USA auf Afghanistan. Der Zorn der Teilnehmer richtete sich erstmals auch gegen Pakistans Militärmachthaber General Pervez Musharaf, den sie vor einer Zusammenarbeit mit Washington warnten. Die USA forderten alle Amerikaner auf, Pakistan zu verlassen. Ihre Sicherheit sei dort nicht mehr gewährleistet.

Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse teilt den USA seine Bereitschaft mit, sein Land für "Vergeltungsoperationen" zur Verfügung zu stellen.


Mittwoch, 19.September:

USA: Die USA verlangen erneut bin Ladens Auslieferung. Die Botschaft von Präsident Bush an die Taliban sei "sehr einfach", heißt es aus dem Weißen Haus: "Es ist jetzt Zeit zu handeln, nicht zu verhandeln." US-Verteidigungsminister Rumsfeld betont, die USA hätten mehrere Länder im Visier, die Terroristen beherbergen. "Die Beweislage ist sehr klar", sagt er, ohne einzelne Länder zu nennen. Auch der UN-Sicherheitsrat in New York fordert die Taliban auf, bin Laden auszuliefern. Dies habe "sofort und bedingungslos" zu geschehen. Das Gremium bezieht sich dabei auf eine UN-Resolution vom Dezember 2000. Darin fordert der Sicherheitsrat die Taliban auf, bin Laden an die Justiz der Länder auszuliefern, die ihn mehrerer Verbrechen beschuldigen.
Der Flugzeugträger "Theodore Roosevelt" verläßt den Hafen von Norfolk (Virginia) und steuert nun nach Angaben der US-Marine gemeinsam mit insgesamt 75 Begleitschiffen, darunter Raketenträger, Zerstörer und U-Boote, das Mittelmeer an.
Auch mehr als eine Woche nach Beginn der größten Fahndung in der Geschichte des FBI weiß man über die Hintermänner der Terrorkommandos so gut wie nichts. Trotzdem seien sich Terrorismus-Experten darin einig, daß die Anschläge die "Handschrift" des in Afghanistan vermuteten Osama bin Ladens tragen. Als mögliche Schlüsselfiguren bei der Suche nach Hintermännern gelten nun vier Personen, die das FBI inzwischen als "physische Zeugen" festhält. Die Behörden vermuten, daß zwei von ihnen einem weiteren Terrorkommando angehört haben könnten. Allerdings räumt Justizminister Ashcroft ein, daß diese These auch eine Woche nach der Festnahme des Duos nicht erwiesen sei. Ohne eine Kooperation von tatsächlichen Mitverschwörern aber könnte die Suche nach den Hintermännern und erst recht die Beweisführung gegen sie äußerst schwierig werden.

BRD: Mit 565 von 611 Stimmen sagt der Bundestag den USA auch militärische Hilfe zu. 40 ParlamentarierInnen stimmen mit Nein, davon die 35 von der PDS. Die übrigen fünf Gegenstimmen kommen aus der rot-grünen Koalition. Um zusätzliche Ausgaben für Verteidigung und Innere Sicherheit in Höhe von drei Milliarden Mark zu finanzieren, sollen die Tabaksteuer und die Versicherungssteuer ab dem 1. Januar 2002 erhöht werden.
Die Bundesregierung beschließt eine Ergänzung des Gesinnungsparagraphen 129a StGB um den § 129b, der internationale "terroristische Vereinigungen" und deren "Unterstützung" ins Visier nimmt. Ein weitere Kabinettsbeschluß betrifft die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht, weil sich damit terroristische Gruppen tarnen könnten. Über beide Pläne muß der Bundestag noch entscheiden. Per Verordnung kann die Regierung ihren Beschluß zur Sicherheit an den Flughäfen umsetzen. Danach wird das Personal von Flughäfen und Airlines, soweit es in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeitet, intensiver überprüft. Dafür gebe es nun nicht nur Abfragen bei Polizei und Verfassungsschutz, sondern auch bei anderen Geheimdiensten sowie Justizbehörden, beim Ausländerzentralregister und der Stasi-Unterlagenbehörde, teilt Verkehrsminister Bodewig mit.
Verteidigungsminister Scharping sagt, er wolle "die Reaktionsfähigkeit der Bundeswehr im Zusammenhang mit solchen Krisen verbessern". Innenminister Schily kündigt Verbesserungen für den Bundesgrenzschutz, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik an. Das bisherige Sparprogramm beim Verfassungsschutz werde nicht wie geplant fortgesetzt. Schily kann dabei auf die Unterstützung der Union zählen. Im Parlament bedankt er sich bei CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz, der die jüngsten Regierungsentscheidungen "nur einen Anfang" genannt und ein "umfassendes Sicherheitspaket" gefordert hatte.
Der Bundesinnenminister kündigt in diesen Tagen gravierende Vorhaben an. Unter anderem geht es um das Ausländer- und Asylrecht. In der Zeit schlägt er vor, extremistische oder kriminelle Ausländer sollten in "andere Weltgegenden" abgeschoben werden dürfen, wenn sie wegen einer Gefährdung von Leib und Leben nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden könnten. In einer Pressekonferenz spricht Schily von einer engeren Verzahnung von Militär und Polizei. Er wolle zwar keinen weiteren Einsatz von Bundeswehr-Soldaten im Inland als das Verfassungsgericht erlaubt habe. Aber er sehe sehr wohl, "daß sich die Weltlage so entwickelt, daß wir von einer Verschränkung polizeilicher und militärischer Strategien sprechen müssen".
Unabhängig von den Plänen der Bundesregierung entschließen sich auch die Bundesländer dazu, Millionenbeträge in die Stärkung der inneren Sicherheit zu stecken. Allein die Hauptstadt Berlin will zusätzlich 13 Millionen Mark ausgeben. Hamburgs Innensenator Scholz (SPD) ordnet die Rasterfahndung an. In Nordrhein-Westfalen schlägt laut Innenminister Behrens (SPD) "die Stunde der Geheimdienste und des polizeilichen Staatsschutzes". In Niedersachsen suchen die Sicherheitsbehörden vor allem neue Mitarbeiter mit arabischen Sprachkenntnissen. Die Landesregierung hatte Anfang der Woche bereits Ausgaben für zusätzliches Personal beschlossen, um Islamisten-Gruppen stärker überwachen zu können. In Bremen fordert Innensenator Böse (CDU) ebenfalls zusätzliche Mittel für die Sicherheitsdienste.
Gewerkschaften müßten angesichts der internationalen Entwicklung nach den Anschlägen in den USA "zur Friedensbewegung werden", so der Landesbezirksvorstand Baden-Württemberg der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. In einem Diskussionspapier formuliert die Gewerkschaftsspitze eine klare Absage an militärische Gegenschläge. Die Anteilnahme von Gewerkschaftern am Tod so vieler Opfer verpflichte sie "nicht zur blinden Gefolgschaft einer Politik der Vergeltung, die den Frieden weltweit aufs Spiel setzt und weiteres sinnloses Sterben zur Folge haben wird". Eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung sei am ehesten zur Eindämmung des Terrorismus in der Lage. Deutliche Kritik übt das Papier auch an der Berliner Politik, die bereits "die Kriegsrhetorik, Bugwelle kriegerischer Auseinandersetzungen", verwende. Schließlich heißt es: "Wenn es dabei bleibt, daß die Parlamentsparteien, von CSU bis zu den Grünen, sich nur noch darin unterscheiden, ob sie das Szenario der Vergeltung aktiv unterstützen oder es mit Fatalismus geschehen lassen wollen, wird den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle in der außerparlamentarischen Opposition gegen eine militärische Eskalation zufallen."
Der Verband deutscher Schriftsteller protestiert gegen Kriegstreiberei: "Ein pauschaler militärischer Gegenschlag gegen Afghanistan würde die Not der dort lebenden Bevölkerung nur noch vergrößern und den antiamerikanischen Haß im Nahen und Mittleren Osten auf die Spitze treiben." Der Verband warnt davor, die Begriffe Krieg und Terrorismus miteinander zu verwechseln. Weiterhin heißt es: "Wir protestieren entschieden gegen den NATO-Beschluss, die Anschläge in den USA als Bündnisfall zu behandeln, der die militärische Unterstützung der Bundesrepublik erfordert." Krieg gegen Afghanistan oder große Teile der islamischen Welt sei nicht die richtige Antwort auf die Terroraktion einiger fanatisierter Gruppen, deren nationale und politische Herkunft bislang nicht einmal eindeutig festgestellt werden konnte. Zugleich wird gewarnt "vor jeder schleichenden Aushöhlung des Datenschutzes und dem pauschalen Verbot islamistischer Vereinigungen".
In Sachsen stehen drei Lehrerinnen im Verdacht, die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten vor ihren SchülerInnen gerechtfertigt zu haben. Alle drei Pädagoginnen dürfen deshalb vorerst nicht mehr unterrichten. Die Lehrerin eines Gymnasiums in Hohenstein-Ernstthal (Erzgebirge) soll nach den Angriffen in New York und Washington gesagt haben, die USA hätten endlich einen Denkzettel bekommen. Warum würden sie sich auch überall einmischen. Eine Grundschulpädagogin in Radebeul bei Dresden soll Verständnis für die Anschläge geäußert haben. In einem weiteren Fall prüft das Regionalschulamt Dresden zur Zeit entsprechende Hinweise.

Afghanistan: In einer Botschaft, die zu Beginn des Treffens der Islam-Gelehrten verlesen wird, wirft Taliban-Führer Omar den USA vor, sie benutzten bin Laden als Vorwand. In Wirklichkeit gehe es ihnen darum, das von den Taliban in Afghanistan errichtete islamische System zu zerstören. Zugleich ruft er die USA zu Geduld auf und forderte Beweise für die Schuld bin Ladens.

Pakistan: Eine Allianz islamistischer Gruppen warnt die Regierung vor einem Bürgerkrieg, wenn sie den USA bei der Jagd nach bin Laden hilft. "Die pakistanische Armee wird das Ziel der öffentlichen Wut und des Hasses, wenn die Militärregierung amerikanischen Soldaten im Land erlaubt, unsere islamischen Nachbarn anzugreifen", erklärt Bündnissprecher Maulana Samiul Haq. Hunderte radikale Moslems verbrennen in Karatschi US-Flaggen und Bilder von Bush.

Rußland: Das Parlament spricht sich für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus aus. Eine militärische Unterstützung für geplante Vergeltungsaktionen der USA schließt Generalstabschef Anatoli Kwaschnin jedoch aus. Zurückgewiesen wird ein Antrag, in dem die Pläne für eine Militäraktion der USA verurteilt werden.


Donnerstag, 20.September 2001:

BRD: In einer gemeinsamen Erklärung verurteilen die globalisierungskritischen Organisationen Attac und Weed die "wahnwitzigen Terroranschläge" in New York und Washington. Nach der Zerstörung des World Trade Centers sei "völlig klar", daß sich Attac mit Aktionen gegen solche Symbole jetzt zurückhalten werde, so Sprecher Felix Kolb. Flugblätter mit einer Hochhaus-Karikatur, die vor dem 11. September entworfen worden seien, habe man einstampfen lassen. Da aber die inhaltliche Kritik "natürlich weiterhin berechtigt" sei, werde Attac die Arbeit fortsetzen, "vielleicht mit veränderten Strategien und Mitteln". Kolb bedauert, daß "die Diskussionen, die wir angestoßen haben, jetzt erst mal lahm gelegt sind". Auch Weed-Sprecher Peter Wahl meint: "Wir rutschen auf der Tagesordnung dramatisch nach unten mit unseren Themen. Die Tobin-Steuer - das interessiert ja jetzt kein Schwein mehr." Mehr Sorge bereitet Wahl allerdings der künftige Umgang mit oppositionellen Gruppen in Deutschland. Diese hätten es ohnehin immer schwer "in Zeiten, in denen in Kategorien wie Krieg nachgedacht wird". Formulierungen wie die vom angekündigten Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei jagten ihm kalte Schauer über den Rücken. Attac-Sprecher Kolb teilt die Befürchtung, daß Politiker, "die schon immer eine härtere Agenda hatten", gegen Globalisierungskritiker nun stärker durchgreifen könnten. Die Auswirkungen der Terrorakte auf das innenpolitische Klima der Bundesrepublik Deutschland seien noch nicht abzusehen.

Tadschikistan: Die Armee erhält den Befehl, die Grenzen zu Afghanistan zu schließen. Tadschikistan und Usbekistan dementierten einen Berichte, demzufolge sie die Stationierung von US-Kampfjets im Land erlaubt hätten.

Bangladesch: Mehrere Parteien protestieren gegen die Entscheidung der Regierung, den USA den Luftraum des Landes zur Verfügung zu stellen. "Dies ist ein Ausverkauf unserer Souveränität", hieß es in einer Erklärung.

Europäische Union: Die Innen- und Justizminister der EU-Staaten einigen sich auf ihrer Sondersitzung im Prinzip auf die Einführung eines europaweit gültigen Straftatbestandes "Terrorismus". Um eine nahtlose Strafverfolgung zu garantieren, soll ein "europäischer Haftbefehl" geschaffen werden, der in allen Mitgliedsländern gilt. Terroristen würden damit künftig nicht mehr von einem Staat an den anderen ausgeliefert, sondern auf Basis des Haftbefehls überstellt. Bis Dezember sollen diese Beschlüsse in eine rechtlich korrekte Form gegossen und den Mitgliedsländern zur Übernahme empfohlen werden. Des weiteren soll bis Ende dieses Jahres die polizeiliche Zusammenarbeit deutlich verstärkt und das längst beschlossene "Eurojust", die staatsanwaltschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern, in die Gänge gebracht werden. Europol wird dabei eine zentrale Rolle zugewiesen. Dort wird eine Antiterror-Einheit geschaffen, bei der die polizeilichen Stränge zusammenlaufen sollen. Europol, bislang nicht mit aktiver Polizeiarbeit betraut, soll die Kooperation mit den US-Sicherheitsbehörden organisieren. Zugleich plädierten die Minister für eine Vernetzung der nationalen Visa-Dateien und für eine Öffnung der "Eurodac", eine Fingerabdruckdatei, die bislang nur in Asylverfahren eingesetzt wird für die Polizei. Polizei und Staatsanwaltschaften sollen des weiteren vollen Zugriff auf das "Schengener Informations System" bekommen, in dem polizeirelevante Daten über EU-Bürger enthalten sind. Zudem ist angedacht, eine europäische Rasterfahndung zu ermöglichen.

Afghanistan: Auszüge der Abschlußerklärung der Ulema (islamische Theologen und Rechtsgelehrte): "Die Ulema Afghanistans sind traurig über die Verluste in den Vereinigten Staaten und hoffen, daß die Vereinigten Staaten keinen Angriff gegen Afghanistan führen, sondern Geduld und Flexibilität beweisen werden und sich Zeit für eine sorgfältige Untersuchung der Vorfälle nehmen. Die afghanischen Ulema fordern die Vereinten Nationen und die OIC (Organisation der Islamischen Konferenz) auf, die Vorfälle in den Vereinigten Staaten zu untersuchen, um zu erfahren, wer hinter den Vorfällen steckt, und die Tötung unschuldiger Menschen in der Zukunft zu verhindern. Die Vereinten Nationen und die OIC sollten die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten zur Kenntnis nehmen, der gesagt hat, daß der Krieg ein Kreuzzug sein wird. Diese Bemerkungen haben die Gefühle der muslimischen Gemeinschaft verletzt und stellen eine ernsthafte Gefahr für die Welt dar. Um solche Vorfälle zu verhindern und sicherzustellen, daß es in der Zukunft keine Mißverständnisse gibt, fordert der Rat der Ulema die Islamische Herrschaft (Emirat) Afghanistan auf, Osama bin Laden dazu zu bewegen, Afghanistan zu verlassen und sich einen neuen Platz zu suchen, wann immer das möglich ist. Wenn die Vereinigten Staaten nach diesen Vorschlägen Afghanistan angreifen, verstößt dies gegen das heilige islamische Recht. Es wäre ein gegen den Islam gerichteter Akt. Die islamische Rechtsprechung ist sich nach dem Koran, den Lehren des Propheten und allen juristischen Lehrbüchern einig darin, daß der Heilige Krieg (Dschihad) unausweichlich ist, wenn Nichtmoslems ein muslimisches Land angreifen." Der Führer des in Afghanistan herrschenden Taliban-Regimes, Mohammad Omar, will bin Laden nach Angaben eines hohen Taliban-Vertreters zum Verlassen des Landes auffordern. Das Regime teilt mit, es werde aber etwas dauern, bin Laden davon zu überzeugen.

USA: Es sei nicht genug, wenn bin Laden zum freiwilligen Verlassen Afghanistans aufgefordert werde, erklärt dazu der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer. Es gehe nicht darum, "daß bin Laden von einem sicheren Hafen in den nächsten reise". US-Präsident Bush habe eindeutig gefordert, daß bin Laden und andere führende Terroristen den "zuständigen Behörden" ausgeliefert werden müßten.
Die US-Armee erhält den Marschbefehl für die sogenannte Anti-Terror-Operation "Infinite Justice" (Grenzenlose Gerechtigkeit, besser: grenzenloser Richter). Beteiligt sollen alle Arten von Heeresverbänden einschließlich speziell ausgebildeter Sondertruppen sein. Die Streitkräfte seien laut Heeresminister Thomas White auf "ausgedehnte Bodengefechtsoperationen" vorbereitet. Truppenstärke und Angriffsziele werden nicht bekannt gegeben. Am Nachmittag bereiten sich 2.200 Elitesoldaten der US-Marines auf ihren Einsatz in der Golf-Region vor. Sie sollen von Morehead City im US-Bundesstaat North Carolina an Bord von drei Amphibienschiffe gehen, teilt ein Militärsprecher mit. Des weiteren sollen Dutzende Kampfflugzeuge vom Typ F-15 und F-16 in den Golf geschickt werden. Gleichzeitig sollen auch so genannte Tarnkappenbomber vom Typ B-2 und Stealth Fighter F-117, die beide von feindlichem Radar nicht erfaßt werden können, Kurs auf den Nahen Osten nehmen. Zu dem Aufgebot sollen zudem schwere Bomber vom Typ B-52 gehören, die seit 1952 im Einsatz sind und Marschflugkörper transportieren können. Außerdem werden Tankflugzeuge vom Typ KC-135, die Kampfjets im Fluge mit Sprit versorgen, Awacs-Aufklärungsmaschinen und B-1-Langstreckenbomber zu dem Kontingent gehören.
In Saudi-Arabien wächst der Ärger über die Berichterstattung in den US-Medien nach den Terroranschlägen der vergangenen Woche. Mehrere Männer beklagen sich bei saudi-arabischen Tageszeitungen, sie seien als Verdächtige genannt worden, obwohl sie sich zum Zeitpunkt der Anschläge gar nicht in den USA aufhielten. Auch Washington Post und Chicago Tribune melden, mindestens fünf Personen, die angeblich zu den Flugzeugentführern gehören, seien noch am Leben. Das bringt FBI-Fahnder auf die Idee, daß zumindest ein Teil der Terroristen - möglicherweise sogar alle - mit gestohlenen oder gefälschten Pässen gearbeitet haben könnten.
Die katholischen Bischöfe in den USA betonen das "moralische" Recht, nach den Terroranschlägen militärisch reagieren zu dürfen. Allerdings müßten Vergeltungsaktionen auf den Prinzipien eines "gerechten Krieges" basieren. Zu den Prinzipien des "gerechten Krieges" zählt für den Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz der USA, Bischof Joseph A. Fiorenza, an erster Stelle "eine begründete Aussicht auf Erfolg".
Mit derlei Segen christlicher Fundamentalisten ausgestattet hält Bush seine mit Spannung erwartete Rede am Abend (Ortszeit), in der er implizit allen Staaten den Krieg erklärt, die sich gegen den Antiterror-Feldzug der USA stellen. "[...] Wir sind ein Land, das durch die Gefahr wachgerüttelt wurde und aufgerufen ist, die Freiheit zu verteidigen. [...] Die USA achten das afghanische Volk. Schließlich sind wir sein größter Geber humanitärer Hilfe. Aber wir verurteilen das Taliban-Regime. Es unterdrückt nicht nur sein eigenes Volk. Es bedroht Menschen überall, indem es Terroristen unterstützt, ihnen Schutz gewährt und ihnen Nachschub liefert. Durch die Unterstützung und die Förderung von Mord wird das Taliban-Regime selbst zum Mörder. Und heute Nacht fordern die Vereinigten Staaten von Amerika Folgendes von den Taliban: Liefern Sie den Behörden der Vereinigten Staaten alle Führer von Al Qaida aus, die sich in Ihrem Land verstecken. Lassen sie alle Ausländer frei, einschließlich amerikanischer Staatsbürger, die Sie ungerechterweise eingesperrt haben. Schützen Sie ausländische Journalisten, Diplomaten und Helfer in Ihrem Land. Schließen Sie sofort und für immer jedes Ausbildungslager für Terroristen in Afghanistan, und liefern Sie jeden Terroristen und jede Person in deren Umfeld den zuständigen Behörden aus. Diese Forderungen sind nicht verhandelbar oder diskutierbar. Die Taliban müssen handeln, und zwar sofort handeln. Sie werden die Terroristen ausliefern oder ihr Schicksal teilen. [...] Wir werden jedes Mittel in unserer Macht einsetzen - jedes Mittel der Diplomatie, jede Möglichkeit der Geheimdienste, jedes Instrument der Strafverfolgung, jeden finanziellen Einfluß und jede notwendige Waffe des Krieges -, um das globale Netzwerk des Terrors zu zerstören und zu besiegen. Unsere Antwort beinhaltet mehr als einen sofortigen Gegenschlag und einzelne Angriffe. Amerikaner sollten nicht eine einzige Schlacht erwarten, sondern einen langen Feldzug, wie wir ihn bisher noch nicht erlebt haben. [...] Jede Nation, in jeder Region, muß sich nun entscheiden: Entweder sind Sie mit uns oder mit den Terroristen. Von diesem Tag an werden die Vereinigten Staaten jede Nation, die weiterhin Terroristen beherbergt oder unterstützt, als feindliches Regime betrachten. Unser Land wurde wachgerüttelt: Wir sind gegen Angriffe nicht immun. [...] Daher verkünde ich heute die Einrichtung einer Institution mit Kabinettsrang, die mir direkt untersteht - das Amt für Heimatschutz. [...] Das ist allerdings nicht nur Amerikas Kampf. Und nicht nur Amerikas Freiheit steht auf dem Spiel. Das ist der Kampf der Welt. Das ist der Kampf der Zivilisation. [...] Die zivilisierte Welt schließt sich Amerika an. [...] Einige sprechen von einem Zeitalter des Terrors. Ich weiß, es liegen Schwierigkeiten vor uns, und wir müssen Gefahren entgegensehen. [...] Solange die Vereinigten Staaten von Amerika entschlossen und stark sind, wird dies kein Zeitalter des Terrors sein. Dies wird ein Zeitalter der Freiheit sein, hier und überall auf der Welt."
Das ist das Ultimatum, die Uhr tickt. Das Taliban-Regime in Afghanistan weist Bushs Forderung sofort zurück. Der Taliban-Botschafter in Pakistan, Abdul Salam Zaeef, erklärt, sein Land sei bereit, bin Laden vor Gericht zu stellen, wenn die USA Beweise gegen ihn vorbrächten. Ausliefern werde es bin Laden aber nicht.

Quelle: www.fr-aktuell.de/fr/spezial/terror/


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kombo(p) - 27.09.2001