- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Vor der Ampel warten Panzer

Nach den Anschlägen in den USA nutzen Sicherheitsfanatiker und Anhänger militärischer Eingriffe die Gunst der Stunde

Während in New York die Menschen versuchen, so bald wie möglich zu einem normalen Leben zurückzukehren und den Ausnahmezustand zu beenden, findet in Deutschland ein Ideenwettbewerb statt, wie der Ausnahmezustand zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht werden könnte. Kein Vorschlag bleibt undiskutiert, und sei er noch so abwegig. Vor allem seit bekannt ist, daß mehrere der mutmaßlichen Selbstmordattentäter von Manhattan bzw. Washington zeitweise in Hamburg und Bochum gelebt haben, kennen deutsche Sicherheitsfanatiker kein Halten mehr. Allein was Bundesinnenminister Otto Schily derzeit in Erwägung zieht, läßt den Diskurs über die Innere Sicherheit der vergangenen Jahre wie ein Märchen aus einer anderen Zeit erscheinen.
Die Sicherheitsmaßnahmen müßten "erheblich aufgestockt" werden, verkündete Schily am vergangenen Freitag. Langfristig könne er sich eine Beteiligung der Bundeswehr an der Terrorismusbekämpfung vorstellen - im Inland. "Es kann sein, daß wir polizeiliche Ziele auch mit militärischen Mitteln zu erreichen suchen." Das würde zwar momentan noch gegen das Grundgesetz verstoßen, doch die CDU dürfte sich einer Verfassungsänderung nicht verschließen. Schily forderte bessere Zugriffsmöglichkeiten der Polizei auf Daten. Außerdem würde es "niemandem schaden, wenn es nicht nur ein Foto gäbe im Paß, sondern auch einen Fingerabdruck", meint er.
Zudem will Schily für die Innere Sicherheit mehr Geld aus dem Bundeshaushalt. Vor allem die Budgets des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) sollen vergrößert werden. Auch seinen durchaus sinnvollen Plan, radikalen islamischen Texte und Vorträge Vereinigungen das Religionsprivileg abzuerkennen, um sie leichter verbieten zu können, unterbreitete Schily aufs Neue. Eine entsprechende Gesetzesinitiative hatte er schon vor den Anschlägen in den USA in Aussicht gestellt.
Schilys Forderungen fanden Zustimmung bei der konservativen Opposition oder wurden noch überboten. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) behauptete, die vorhandenen Polizeikräfte reichten nicht aus für die Sicherung von Flughäfen und den Schutz besonderer Einrichtungen. "Wir brauchen daher auch Bundeswehr und Bundesgrenzschutz für solche Sicherungsaufgaben im Inneren", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Darüberhinaus forderte er mehr Mittel und Personal für den Verfassungsschutz und schlug die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates vor. Selbst die Teilhabe an einer "Großen Koalition der Vernunft", wie sie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Bosbach, vorgeschlagen hat, kann Stoiber sich vorstellen.
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) dagegen hatte die Idee, visumspflichtigen Ausländern, die nach Deutschland einreisen wollen, in Zukunft Fingerabdrücke abzunehmen. Seine Herzensangelegenheit ist die Verschärfung des Ausländerrechts. Er will künftig die politische Zuverlässigkeit aller Zuwanderer mit Hilfe einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz prüfen lassen. In Bayern werde das längst praktiziert, um sicher zu gehen, daß nur eingebürgert werde, wer sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt.
Der vorliegenden Fassung des Zuwanderungsgesetzes, das eigentlich Ende September im Bundestag verabschiedet werden sollte, gibt derzeit kaum noch jemand eine Chance. Jetzt, da die SPD seine Verabschiedung vertagen will, beklagt die CDU-Vorsitzende Angela Merkel auf einmal die Verzögerung, wohl weil sie glaubt, in der aktuellen Situation einige Verschärfungen durchsetzen zu können. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Peter Struck, kündigte bereits an, in der Zuwanderungsdebatte alles zu überdenken, "was wir in den letzten Jahren getan haben".
Während Stoiber die Grenzkontrollen in Europa und das Schengener Abkommen neu diskutieren will, plädiert der Hamburger Innensenator Olaf Scholz (SPD), der sich im Endspurt des Wahlkampfs befindet, für die Einführung einer bundesweiten Rasterfahndung, mit deren Hilfe unauffällig in Deutschland lebende Ausländer erfaßt werden sollen. Es fehlt eigentlich nur noch, daß der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) angesichts der Anschläge fordert, die doppelte Staatsbürgerschaft neu zu überdenken. Was er wahrscheinlich bis zum Erscheinen dieser Zeitung schon getan hat.
Großen Protest erregen all diese Vorschläge zum Umbau des Landes in einen riesigen Überwachungsraum nicht. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, sagte der Berliner Zeitung: "Ich warne davor, jetzt vorschnell in Deutschland Bürger- und Freiheitsrechte einzuschränken". Sie bezeichnete es als "politische Trittbrettfahrerei", wenn die Union "nun im Windschatten der Tragödie ihre lange bekannten Forderungen wieder auf die Tagesordnung bringt".
Einige ihrer Parteikollegen allerdings stimmen den Plänen Otto Schilys zu und befürworten ein hartes Vorgehen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, forderte den Aufbau eines effizienteren militärischen Sicherheitsapparates zur Bekämpfung des Terrorismus. Er sagte der Bremer Zeitung Kurier am Sonntag: "Man muß den Kopf ausschalten und systematisch die einzelnen Strukturen zerschlagen." Man müsse das "soziale und kulturelle Umfeld austrocknen".
Für diese Trockenlegung könnte von den Verbündeten die Bundeswehr angefordert werden. Denn die NATO stellte in der vergangenen Woche zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall fest, was bedeutet, daß die Bundesrepublik Deutschland den USA Beistand leisten müssen. Der Bündnisfall erlaubt es den deutschen Behörden bereits jetzt, so genannte Sicherstellungsgesetze anzuwenden, die den Eingriff in die Verkehrsplanung oder die gewerbliche Wirtschaft ermöglichen, um die Versorgung der Zivilbevölkerung oder der Streitkräfte beispielsweise mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten.
Mit der Feststellung des Bündnisfalles werden die Anschläge vom 11. September als kriegerischer Angriff bewertet und nicht als terroristischer. Für die Grünen ist das kein allzu großes Problem. Der Parteirat erklärte am vergangenen Donnerstag: "Angesichts der terroristischen Angriffe auf US-Bürgerinnen und Bürger können wir der Inanspruchnahme des Bündnisfalles nicht widersprechen." Nur drei ihrer Bundestagsabgeordneten protestierten bisher: Annelie Buntenbach, Windfried Hermann und Hans-Christian Ströbele. Sie warnten in einer Erklärung vor einem unverhältnismäßigen Vorgehen der NATO: "Rache und Vergeltung schaffen keinen Frieden. Im Gegenteil: sie provozieren weitere Gewalt. Sie bergen die Gefahr, daß der Terrorismus statt notwendiger Ächtung eher noch Solidarität erfährt."
Doch es zeichnet sich bereits ab, daß bei der nötigen Abstimmung zum nächsten Auslandseinsatz der Bundeswehr, womöglich im Rahmen einer NATO-Vergeltungsaktion, die Opposition im Bundestag noch kleiner sein wird als bei den Entscheidungen zum Kosovo-Krieg und zum Einsatz in Mazedonien. Renate Rennebach, eine der Abweichlerinnen in der SPD, die nicht für das deutsche Engagement in Mazedonien gestimmt haben, kündigte bereits an: "Ich bin Pazifistin. Aber das kann ich in dieser Situation nicht mehr sein."
Der Einsatz, der nun möglicherweise auf die Bundeswehr zukommt, dürfte eine andere Qualität haben als alle anderen Einsätze zuvor. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte am vergangenen Freitag in der ARD, er müsse vermutlich eine der folgenreichsten Entscheidungen treffen, die er je zu treffen hatte.
Das Springerblatt Die Welt gab schon mal die Richtlinie vor, die bei der Entscheidungsfindung helfen soll: "Die Politik, auch in Deutschland, muß mit dem militärischen Unernst aufhören. Und sie muß zugleich den Bürgern wieder das Gefühl geben, daß es auch noch eine andere Sicherheit gibt als die soziale." In Deutschland scheint man sich einig zu sein: Die zivile Gesellschaft, die in Manhattan angegriffen wurde, kann nur verteidigt werden, indem man sie abschafft.


Stefan Wirner

Aus: Jungle World, Nr. 39/2001, 19. September 2001


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kombo(p) - 27.09.2001