- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


"Out-of-area"-Einsätze der Bundeswehr


Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich die Bundeswehr des größer gewordene Deutschland an zahlreichen militärischen "Missionen" und Kriegen mit Mandaten der Vereinten Nationen, der NATO oder der Westeuropäischen Union (WEU) beteiligt. Die entscheidenden Diskussionen, mit denen der hiesige, damals noch "existierende Basiskonsens ... und gleichzeitig das innenpolitische Diskussionstabu" (1) gebrochen wurden, fanden im Sommer 1987 statt.
Damals griffen die USA militärisch in den "Ersten Golfkrieg" zwischen Iran und Irak im Persischen Golf ein. Daran anschließend wurde ein Minenräumverband europäischer NATO-Staaten in den Persischen Golf entsandt. Aufgrund der Tatsache, daß die europäischen Staaten in dieser Region durchaus unterschiedliche Interessen als die USA haben, wurden die europäischen Aktivitäten über die WEU koordiniert. Auch die BRD wollte und sollte sich an dieser Aktion beteiligen, doch scheiterte dies damals an der Ablehnung von FDP und SPD, die damit auch auf die öffentliche Meinung reagierten. Doch CDU und CSU hatten mit den oben genannten Diskussionen ein wichtiges Ziel erreicht: Nach und nach gaben die anderen Parteien ihre ablehnende Haltung auf, zuerst die SPD, dann die FDP. (2) Seit 1991 hat es folgende "Out-of-area"-Einsätze der Bundeswehr gegeben (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Irak (August 1991 - September 1996)
30 Soldaten des Heere wurden nach Bagdad sowie sieben Soldaten der Luftwaffe nach Bahrain entsandt, um die dortigen UNO-Inspektoren (auf der Suche nach und Vernichtung von Massenvernichtungswaffen und ihren Anlagen) im Rahmen der United Nations Special Commission (UNSCOM) zu befördern.

Kambodscha (Mai 1991 - November 1993)
142 Sanitätssoldaten der Bundeswehr wurden in Kambodscha stationiert, um dort ein Feldlazarett zu errichten und die medizinische Versorgung der United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) zu übernehmen. In Kambodscha trugen die Bundeswehr-Soldaten bereits das umstrittene blaue Barett und waren im übrigen voll in die Kommando- und Befehlsstruktur der UNO-Blauhelme eingebunden.

Somalia (August 1992 - März 1994)
Der erste große Bundeswehreinsatz "out of area": Rund 1.700 Soldaten des Heeres wurden im somalischen Belet Uen sowie 120 Soldaten der Luftwaffe in Dijbouti und Mombasa (Kenia) stationiert, dazu kamen rund 600 Soldaten der Marine. Aufgaben waren die logistische Unterstützung von UN-Truppen sowie die Beteiligung an der Luftbrücke Mombasa - Somalia im Rahmen der United Nations Operation in Somalia II (UNOSOM II).

Ruanda (Juli - Dezember 1994)
30 Luftwaffensoldaten beteiligten sich an der Luftbrücke von Nairobi und Johannisburg nach Goma und Kigali zur Versorgung ruandischer Flüchtlinge im Rahmen der United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR).

Lettland (seit Mai 1995)
Ein Stabsoffizier wurde als OSZE-Repräsentant im Rahmen der OSZE-Mission zur Überwachung des Auslaufens der Radarfrühwarnanlage in Skrunda (Lettland) entsandt.

Tschetschenien (September 1995 - August 1996)
Ein Stabsoffizier wurde als Beobachter im Rahmen der OSZE-Unterstützungsgruppe nach Tschetschenien entsandt.

Ost-Timor (Oktober 1999 - Februar 2000)
72 deutsche SoldatInnen besorgen mit zwei Transall-Flugzeugen den Transport von verwundeten Angehörigen der in Ost-Timor stationierten International Force East Timor (INTERFET) ins australische Darwin.

Ex-Jugoslawien (Juli 1992 - September 1995)
Durchschnittlich 27 Soldaten waren auf dem italienischen Luftwaffenstützpunkt Falconara zur Beteiligung an der Luftbrücke zur Versorgung der Stadt Sarajevo im jugoslawischen Sezessions- und Bürgerkrieg stationiert. Bei einem "Zwischenfall" im Februar 1993 wurde durch Beschuß einer Bundeswehr-Transall im Anflug auf Sarajevo ein Besatzungsmitglied schwer verwundet.

Bosnien-Herzegowina (März 1993 - August 1995)
Luftwaffeneinsätze mit Transall-Transportflugzeugen im Rahmen der Mission Air-Drop von Frankfurt/Main aus zur Versorgung insbesondere der Bevölkerung in Ost-Bosnien.

Ex-Jugoslawien (Juli 1992 - November 1995)
Im Rahmen der Operation Sharp Guard beteiligten sich Marine und Luftwaffe an der Überwachung des Handels- und Waffenembargos gegen Restjugoslawien in der Adria. Operationsgebiete der deutschen Truppen waren Otranto und Montenegro, einschließlich der Hoheitsgewässer Alabaniens und Montenegros. Regelmäßig waren zwei Schiffseinheiten (Zerstörer oder Fregatten), die alle vier Monate ausgetauscht wurden, sowie - von Elmas (Sardinien) aus operierend - drei Seefernaufklärer (rund 60 Soldaten) stationiert.
Das Handelsembargo wurde bereits am 22.11.1995 suspendiert. Aufgrund der Aufhebung des Waffenembargos durch die UNO wurde die Operation Sharp Guard am 19.6.1996 ausgesetzt. Für den Fall des Wiederauflebens des Handelsembargos waren eine deutsche Fregatte des Ständigen NATO-Einsatzverbandes Mittelmeer und die drei Maschinen des Marinefliegergeschwaders 3 in Nordholz bis zur endgültigen Einstellung von Sharp Guard (am 1.10.1996) in fünftägiger Bereitschaft.

Ex-Jugoslawien (April 1993 - Dezember 1995)
484 Soldaten der Luftwaffen beteiligten sich an Operation Deny Flight, mit der die NATO den Luftraum über Rest-Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina überwachte, um ein Flugverbot für jugoslawische Maschinen über Bosnien-Herzegowina durchzusetzen. Da die Deutschen immer noch nicht richtig kämpfen durften, übernahmen sie die Aufklärung in den "AWACS"-Maschinen. Deny Flight wurde mit der Indienststellung der Peace Implementation Force (IFOR) am 20. Dezember 1995 beendet.

Ex-Jugoslawien (August - Dezember 1995)
Die Bundeswehr unterstützt den Schnellen Einsatzverbandes der NATO. Ziel sei die Gewährleistung der Bewegungsfreiheit der UNPROFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina und die Erhöhung deren Durchsetzungsfähigkeit gewesen. In Trogir (Kroatien) wurden rund 530 Soldaten des Heeres zum Betrieb eines deutsch-französischen Feldlazaretts stationiert, darüber hinaus in Piacenza (Italien) ein Luftwaffenkontingent im Einsatzgeschwader 1 und den NATO-Stäben von rund 650 Soldaten, mit 14 Kampfflugzeugen vom Typ Tornado. Außerdem operierten Lufttransportkräfte mit bis zu zwölf Transall-Maschinen von deutschen Standorten aus. Zusätzlich stand das von der Marine für die Operation Sharp Guard bereitgestellte Kontingent von durchschnittlich 550 Soldaten weiterhin zur Verfügung; plus zwei Seefernaufklärer zur elektronischen Aufklärung.
Auch mußten sich die deutschen Soldaten nicht mehr von irgendwelchen anderen Staaten herumkommandieren lassen, denn die einzelnen Kontingente wurden durch das Führungskommando ihrer jeweiligen Teilstreitkraft über einen eigenen Kontingentführer/Nationalen Befehlshaber im Einsatzgebiet geführt. Die "Wahrnehmung nationaler Belange und die teilstreitkraftübergreifende Vertretung" (Bundeswehr-Homepage) wurde durch den erstmals eingerichteten Deutschen Militärischen Vertreter mit zwei Stabselementen bei den Hauptquartieren AFSOUTH in Neapel (Italien) beziehungsweise UNPF in Zagreb (Kroatien) wahrgenommen.
Die Unterstützung des Schnellen Einsatzverbandes endete mit der Übernahme der Verantwortung für die militärischen Operationen im ehemaligen Jugoslawien durch die NATO am 20.12.1995.

Ex-Jugoslawien (Dezember 1995 - Dezember 1996 ff.)
Mit fast 4.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte war die Bundeswehr an der Peace Implementation Force (IFOR) der NATO im ehemaligen Jugoslawien beteiligt. Damit sollte nach NATO-Darstellung der Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien auf der Basis des Dayton-Abkommens und der entsprechenden Operationspläne der NATO nachhaltig und wirkungsvoll unterstützt werden. Mit einer Personalstärke von durchschnittlich rund 2.600 Soldaten des Heeres wurden mit dem Schwerpunkt Versorgungsaufträge die IFOR-Truppen unterstützt. Knapp 500 Luftwaffensoldaten waren auf den Flugplätzen in Vicenza (Nationaler Befehlshaber) und Piacenza (Einsatzgeschwader 1) in Italien eingesetzt. Hauptaufgaben des Luftwaffenkontingentes waren die Überwachung der Inter Entity Boundary Lines (IEBL), von Waffensammellagern und der bekannten Massengräber sowie der Schutz der dafür eingesetzten Kräfte sowie Lufttransporte. Je ein bis zwei Fregatten der Marine führten bis zum 19.6.1996 (Aufhebung der Embargomaßnahmen durch die UNO) im Rahmen der Operation Sharp Guard und der IFOR-Operation Decisive Enhancement die Überwachung der Seetransporte und die Kontrolle von Handelsschiffen in der Adria durch. Nach der Einstellung von Sharp Guard beteiligte sich die Marine an IFOR mit jeweils einer Fregatte im Rahmen des Ständigen NATO-Einsatzverbandes Mittelmeer (STANAVFORMED) auf Anforderung. Die Marine-Seefernaufklärer flogen von ihrem Heimatflughafen Nordholz ins Einsatzgebiet Adria. Zusätzlich unterstützte die Marine das deutsche Einsatzgeschwader 1 der Luftwaffe durch den Einsatz Breguet Atlantic mit SIGINT-Flügen. In den integrierten IFOR-Hauptquartieren Kroatien/Bosnien-Herzegowina und Italien waren insgesamt ca. 260 deutschen Soldaten aller Teilstreitkräfte tätig.
Der IFOR-Einsatz endete am 20.12. 1996; er wurde mit dem neuen SFOR-Mandat fortgesetzt. Daran beteiligte sich die Bundeswehr mit rund 3.000 Soldaten.

Ex-Jugoslawien (März 1999 - heute)
Die Bundeswehr beteiligt sich am NATO-Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (vgl. kassiber-Sonderausgabe zum Krieg, Mai 1999). Am 1. Juni 2001 wurde das Mandat der seit dem Angriffskrieg im Kosovo stationierten Bundeswehr-Truppen vom Bundestag erweitert und verlängert.

Mazedonien (August 2001 - heute)
Die Bundeswehr beteiligt sich am Einmarsch der NATO-Truppen in Mazedonien. Grundlage seien Hilfeersuchen der beteiligten Bürgerkriegsparteien gewesen.


Willi Leow

(1) Randolph Nikuta, Bundeswehr out of area. Stationen einer Fehlentwicklung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 8, 1992, S. 934ff.
(2) (2) Zur innenpolitischen Diskussion Anfang der achtziger und Ende der neunziger Jahre vgl.: W. Leow/Olga K., "Out of area"-Einsätze: Restore Hope für Deutschland, in: kassiber 22, August 1993, S. 30ff.


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kombo(p) - 27.09.2001