- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Building an Enemy

Der islamische Fundamentalismus ist kein mittelalterliches Phänomen, sondern ein modernes

Wer den islamischen Fanatismus primär als religiösen begreift, hat seinen säkularen Standpunkt schon aufgegeben und ist auf die Rechtfertigungen der Islamisten hereingefallen. Zur Analyse politisch motivierter Gewalt taugt eine theologische Fragestellung nur selten. So wie für die Untersuchung neonazistischer Gewalt eine nähere Kenntnis frühgermanischer Mythologie nebensächlich ist, so lassen sich die zeitgenössischen Verbrechen mancher islamistischer Gruppen nicht durch Rekurs auf das Leben Mohammeds oder durch Hinweis auf den Koran erklären. Eine derart religiöse Deutung tendiert dazu, aktuelle Konflikte aus ihrem Entstehungskontext zu lösen, zu enthistorisieren, um sie in die ideologischen und politischen Realitäten der islamischen Frühzeit zunächst hinein- und anschließend wieder herauszuinterpretieren. Die Tatsache, daß den Islamisten oft gerade daran gelegen ist, macht dieses Verfahren nicht besser. Wer sich darauf einläßt, kann den politischen Islamismus weder verstehen noch wirksam bekämpfen.
Tatsächlich ist der islamische Fundamentalismus kein mittelalterliches Phänomen, sondern ein modernes. Er ist nicht nur eine Reaktion auf die Moderne, sondern selbst modern. Genau das macht seine Gefährlichkeit aus. Als Relikt einer vergangenen Epoche wäre er bloß ein historisches Kuriosum ohne soziale Basis und politische Sprengkraft.
Der palästinensische Wissenschaftler Azmi Bishara hat darauf hingewiesen, daß die Begriffe Fundamentalisten und Fundamentalismus nur unscharfe Sammelbezeichnungen für sehr verschiedene soziale Erscheinungen sind. Im allgemeinen westlichen Sprachgebrauch werden irreführenderweise zumindest die folgenden sozialen und politischen Phänomene damit zusammengefaßt:
* die traditionelle Theologie und ihre Gelehrten; diese sind allerdings eher konservativ und als Gruppe kaum jemals fundamentalistisch, selbst wenn sie aus politischen Gründen gelegentlich eine radikale Rhetorik verwenden. In der Regel arrangieren sie sich mit der jeweiligen Regierung.
* die Volksreligion oder Alltagsreligiosität, die nicht unbedingt viel mit der offiziellen Theologie zu tun haben muß. Lokale Bräuche und Traditionen sind hierbei besonders wichtig, werden aber oft als islamisch ausgegeben und so legitimiert.
* die politische Religiosität der Islamisten. Diese befindet sich in der Regel im Konflikt mit den traditionellen Theologen und mit der Alltagsreligiosität. Sie bindet die eigentlichen Fundamentalisten, die zwar von einer Rückbeziehung auf die islamische Frühzeit sprechen, sich diese aber selbst so erfinden, wie sie sie haben möchten.
Die beiden erstgenannten Gruppen werden hierzulande unter Fundamentalismus lediglich subsumiert, weil sie dem westlichen Betrachter ebenfalls fremd und seltsam vorkommen, nicht etwa, weil sie mit jenem besonders viel zu tun hätten. Alle drei Tendenzen widersprechen einander und bekämpfen oder ignorieren sich in der Regel.

Islamisten vs. traditionelle Theologen
Die traditionellen Theologen und die islamistischen politischen Bewegungen sind der Alltagsreligiosität gegenüber skeptisch, da diese unsystematisch und theologisch unreflektiert ist und nicht selten Lokalkolorit mit den Grundsätzen des Korans verwechselt. Die beiden ideologischen Lager sind direkte Gegner, die sich um die "Verbesserung" und Kooptierung der Volksreligiosität streiten und sich vor allem durch gegensätzliche politische Auffassungen unterscheiden.
Wie ihre islamistischen Konkurrenten bilden auch die traditionellen Theologen keine homogene Gruppe. Sie als insgesamt konservativ zu bezeichnen bedeutet nicht, daß sich unter ihnen nicht auch modern-liberale Strömungen finden ließen. Sie laufen der Modernisierung (und Verwestlichung) ihrer Länder nur widerwillig hinterher, kommen also als Träger einer gesellschaftlichen Modernisierung nicht in Frage, stellen andererseits für sie aber auch nur selten ein ernsthaftes Hindernis dar. Wann immer möglich, binden sie sich an die politischen und ökonomischen Machteliten, und trotz ihrer skeptischen Grundhaltung unterstützen sie deren Politiken auch dann, wenn sie auf Verwestlichung und Modernisierung zielen. Typischerweise stellt diese soziale Klasse fatwas (islamische Rechtsgutachten) für ihre Regierungen bereit, wenn diese sich ideologisch gegen mögliche Kritik religiöser Eiferer absichern wollen. Fundamentalismus kann man dies kaum nennen.
Die Islamisten sind Gegenspieler der traditionellen Theologen und - im Gegensatz zu dem, was auch hierzulande über sie verbreitet wird - meist gerade nicht die Vertreter der marginalisierten Bevölkerung in den Slums oder auf dem Land, sondern die der deklassierten Mittelschichten. Genauer gesagt handelt es sich bei den islamistischen Kadern häufig um Söhne ländlicher Familien, die in den Städten (oder sogar im westlichen Ausland) Universitäten absolviert haben - und dann mit ihrer "modernen" Bildung aufgrund der sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Bedingungen ihres Heimatlandes kaum etwas anfangen können. Oft handelt es sich um Leute, die zur Integration in die westliche Variante der Moderne bereit waren, aber von dieser (kulturell, über den Arbeitsmarkt oder auf andere Weise) zurückgewiesen wurden. Der Anteil von Ärzten, Rechtsanwälten, Ingenieuren, Lehrern in der ersten Generation der islamistischen Kader ist beträchtlich. Ihre Radikalisierung ist keineswegs durch prinzipielle Ablehnung einer westlich geprägten Moderne motiviert worden, sondern durch die Frustration über deren Scheitern in der eigenen Gesellschaft. Nicht die Modernität als solche wird bekämpft, sondern ihre Monopolisierung durch den Westen und ihr Fehlschlag im eigenen Land. In vielen Fällen erweist sich der Islamismus als ausgesprochen technik- und wissenschaftsfixiert und wütend gerade darüber, daß ihm diese Instrumente des Fortschritts durch die imperiale Politik des Westens vorenthalten werden. Da also, so schlußfolgern die Islamisten, der Liberalismus weder Fortschritt noch Entwicklung gebracht habe, der arabische Nationalismus mitsamt dem arabischen Sozialismus eben an diesem Defizit gescheitert sei, gelte es nun, sich auf die eigenen Wurzeln rückzubesinnen und durch eigene Anstrengung zu erreichen, was durch ideologische Importe nicht zu schaffen war. Der Islam gewinnt seine Attraktivität vor allem durch das offensichtliche Scheitern seiner säkularen Alternativen.
Die Basis des islamischen Fundamentalismus ist politisch und nicht religiös.

Antiwestliche Tendenzen
Ohne das Scheitern westlicher Entwicklungskonzepte und ehemaliger osteuropäisch-staatssozialistischer Vorstellungen gäbe es ihn nur als historische und politische Marginalie. In der Regel sind die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens durch das Zusammentreffen dreier grundlegender Faktoren geprägt: durch das Scheitern der wirtschaftlichen Entwicklung mit entsprechenden sozialen Folgen (z.B. einer Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent); durch einen zugleich diktatorischen und bürokratisch-inkompetenten Staatsapparat, der für die wirtschaftliche Misere (mit)verantwortlich gemacht wird; durch die Existenz imperialer, äußerer Mächte, die nur an den Ressourcen der Region interessiert zu sein scheinen und die lokalen Diktaturen stützen. Der Westen (oder im Afghanistan der 80er Jahre die Sowjetunion) wird mit den lokalen Diktaturen und der Wirtschaftskatastrophe identifiziert und letztlich für beides verantwortlich gemacht.
Das ist nicht selten übertrieben, weil dabei die Bedeutung sowohl örtlicher als auch globaler Faktoren unterschätzt und auf Verschwörungstheorien zurückgegriffen wird, dennoch ist diese Position nicht völlig falsch. Sie führt zur antiwestlichen (in früheren Jahren auch antisowjetischen) Tendenz islamistischer Bewegungen, deren Anliegen also alles andere als religiös oder theologische ist, gleichwohl aber nach einer Ideologie verlangt, die ihre antiimperiale Ausrichtung reflektiert. Vor ihrem Scheitern konnten der arabische Nationalismus oder lokale Spielformen des Marxismus-Leninismus als antiwestlich durchgehen. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, daß der arabische Nationalismus an der Macht zu eben den repressiv-inkompetenten Staatsapparaten geführt hat, die heute das Problem sind, wobei er sich oft als prowestlich (seltener als prosowjetisch) entpuppte. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist nun der Vorrat an glaubwürdigen ideologischen Alternativen zum längst nicht mehr attraktiven Westen ausgegangen. Was bleibt, ist ein romantisierender Rückgriff auf die eigene Kultur, Geschichte und Tradition, auf den Islam.
Dieser Islam aber will weder zurück ins Mittelalter noch in die Zeit des Propheten, das 7. Jahrhundert. Derartige Bestrebungen würden die Überlegenheit des verhaßten Westens nur zementieren. Der Islam der Islamisten ist im Gegensatz zu dem der konservativen Theologen und der Alltagsreligiosität eine Utopie, allerdings eine rückwärtsgewandte. Durch kreative, an Fakten nicht sonderlich interessierte Geschichtsinterpretation und Theologie versuchen viele Islamisten, ihre Vorstellungen zukünftiger gesellschaftlicher Modernisierung durch historische Ableitungen zu legitimieren. Natürlich können diese Bemühungen die Widersprüchlichkeit und Heterogenität der islamistischen Strömungen nicht verdecken. Einzelne positive Versatzstücke, etwa ein tendenzieller Antinationalismus und Antitribalismus oder ein starker antidiktatorischer Impuls verbinden sich mit Ideologieelementen, die durchaus an den europäischen Faschismus erinnern, zumindest strikt antidemokratisch sein können.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund
Die Beziehung vieler Islamisten zum Westen ist die einer Art Haßliebe. Unerreichtes Vorbild für technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Reichtum, ist er zugleich der Hauptfeind, der dem eigenen Kulturkreis diese historischen Errungenschaften verweigert. Der Westen aber hat den islamischen Fundamentalismus in der Vergangenheit keineswegs prinzipiell abgelehnt. Trotz der gegenwärtigen Tendenz, ihn als neuen Hauptfeind zu begreifen ("Islamisten auf dem Weg nach Europa - Zittern vor Allahs Kriegern", titelte der Focus Anfang Februar 1995), hat es Fälle enger Zusammenarbeit gegeben. Drei Beispiele:
1. In den siebziger und achtziger Jahren förderte die israelische Regierung in den besetzten Gebieten die Moslembruderschaft (und deren Ableger Hamas, vgl. dazu "The Middle East", Konkret 2/93). Die US-Zeitschrift Newsweek - antiwestlicher oder antiisraelischer Tendenzen vollkommen unverdächtig - erklärt das unter der Überschrift "Building an Enemy" : "Jahrelang schienen die arabischen Fundamentalisten zuverlässige Bauern in Stellvertreterkonflikten mit hohem Einsatz zu sein. Sie widersetzten sich massiv den wichtigsten Feinden des Westens, dem Kommunismus und seinen regionalen Verbündeten, dem linken arabischen Nationalismus. Da sie der PLO feindlich gegenüberstanden, schienen sie für die israelische 'Teile und Herrsche'-Strategie genau zu passen. Und sie waren ideologisch mit dem wichtigen Verbündeten und Öllieferanten des Westens, Saudi-Arabien, auf einer Wellenlänge.
... In den siebziger Jahren begann Israel, die Moslembruderschaft als Gegengewicht zur PLO aufzubauen - und setzte das sogar noch fort, als israelische Truppen im Libanon mit schiitischen Radikalen zu kämpfen begannen." ("Newsweek", 15.2.93).
2. Während der gesamten achtziger Jahre und obwohl der Konflikt mit dem schiitischen Iran trotz dessen antisowjetischer Ausrichtung bereits scharfe Formen angenommen hatte, unterstützte der Westen massiv und systematisch islamistische Gruppen gegen die Sowjetunion: in Afghanistan. Die Unterstützung der Mudschahedin mit Waffen und Material wurde zur größten und vielleicht erfolgreichsten Operation des US-Auslandsgeheimdienstes, der CIA - zumindest sah sie selbst das so. Die "Freiheitskämpfer" erhielten Waffen und logistische Unterstützung im Wert von schätzungsweise 3,5 Milliarden Dollar von der CIA, und zwar ohne Rücksicht auf ihre politischen Vorstellungen. Auf diese Weise erhielt ausgerechnet die radikalste islamistische Gruppe - die Partei des Gulbuddin Hekmatyar - über Jahre zwei Drittel der amerikanischen Hilfe. Dabei schien es die USA nicht zu stören, das Hekmatyars Banden sich nicht nur antisowjetisch, sondern auch antiamerikanisch gerierten, daß sie für zahlreiche Massaker und Folterungen verantwortlich waren und nebenbei in großem Stil Heroinhandel betrieben. Wenn es je einen Fundamentalistenführer aus dem Horror-Bilderbuch westlicher Ängste gegeben hat - dann ist dies schon damals Hekmatyar gewesen. Trotzdem gab es keinerlei Berührungsängste, sondern jede Menge Waffen und Geld aus Washington: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Schließlich war Hekmatyars Killertruppe von allen afghanischen Mudschahedingruppen am besten organisiert und militärisch am schlagkräftigsten - der geborene Partner also für den antisowjetischen Feldzug. Erst nachdem sich die UdSSR aus Afghanistan zurückgezogen hatte, ja eigentlich erst während der engen Kooperation zwischen USA und Sowjetunion im Vorfeld des zweiten Golfkrieges rückten die USA von Hekmatyar ab. Es war sicher kein Zufall, daß dies zu einer Zeit geschah, als der Fundamentalistenführer im Golfkonflikt offen Partei für Saddam Hussein bezogen hatte. Erst jetzt beliebte man seine lange bekannten Verbrechen zur Kenntnis zu nehmen, die Unterstützung zu reduzieren und schließlich einzustellen.
3. Auch Saudi-Arabien ist ein Beispiel für den flexiblen Umgang des Westens mit islamistischen Regimen. Das Herrschaftssystem dieses Landes ist - stärker noch als das des Iran - von religiöser Intoleranz geprägt. Im Iran haben Christen und Juden eigene Sitze im Parlament - in Saudi-Arabien ist es nicht einmal erlaubt, eine Kirche zu bauen. Wenn es so etwas wie einen verknöcherten Fundamentalistenstaat gibt, dann ist das Saudi-Arabien. Die Elite des Landes befleißigt sich Praktiken, die unter anderen Umständen vom Westen sehr übel genommen werden: Ihre religiösen Führer haben schon in den siebziger Jahren einen ausländischen Dissidenten zum Tode verurteilt. Allerdings handelte es sich bei ihm nicht um einen Mann mit westlichem Paß, wie etwa Salman Rushdie, sondern um eine im Westen eher unbeliebte Persönlichkeit: um Muammar El Gaddafi. Dennoch bleibt die westliche Toleranz gegenüber der saudischen Führung bemerkenswert, bemüht die sich doch traditionell um den Export ihres Fundamentalismusmodells und hat beispielsweise die radikalen Islamisten im Sudan finanziell gepäppelt. Selbst antisemitische Tendenzen saudischer Politik wurden und werden in Washington, London oder Bonn nicht weiter übelgenommen: Das Land steht schließlich fest im westlichen Lager. Religiöse Flausen sind da nur Privatsache seiner Herrscher. So konnte es kaum überraschen, daß der säkulare Westen das fundamentalistische Saudi-Arabien militärisch gegen den säkularen Irak verteidigte. Es geht am Golf eben nicht so sehr um Religion, sondern um Macht und strategische Interessen. Und prowestliche Fundamentalisten kommen da nun mal sehr viel gelegener als ein nationalistisches und durch den Westen nicht kontrollierbares Technokratenregime. Auch Newsweek ist dieser Punkt nicht entgangen: "Die USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien, Kuwait - und selbst Israel - haben alle eine lange Geschichte komplexer Verbindungen mit islamischen Gruppen, die sie jetzt als 'terroristisch' verurteilen. ... Die westlichen Nationen hatten nichts gegen den Extremismus, solange er in die richtige Richtung kanalisiert werden konnte."

Westlicher Fundamentalismus
Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus veränderte sich die Wahrnehmung des Islam bzw. des Islamismus. Sie wird nun nicht länger mehr dadurch gemildert, daß es einen noch schlimmeren ideologischen Gegner gibt. Weder Kommunismus noch arabischer Nationalismus stellen heute eine ernsthafte Bedrohung westlicher Interessen dar. Damit geraten Islam und Islamismus stärker in die Schußlinie, werden oft sogar an die Stelle des alten Feindbildes gesetzt. Ein deutscher Oberstleutnant formulierte das in einem Gespräch mit dem Verfasser eher beiläufig so: "Der Islam ist der neue Kommunismus." Und das New York Times Magazine vom 31.5.92 stellte zutreffend fest: "Der Westen tendiert dazu, die wachsende politische Beliebtheit des Islams als gefährlich, monolithisch und neu zu betrachten. ... Der Aufstieg des militanten Islam hat eine heftige Debatte darüber ausgelöst, ob und was der Westen dagegen unternehmen sollte. Einige amerikanische Beamte und Kommentatoren haben den militanten Islam schon dazu ausersehen, zum neuen Feind des Westens zu werden, der genauso 'eingedämmt' werden muß wie der Kommunismus während des Kalten Krieges."
Nicht nur auf der Straße, im Wiederaufleben von Nationalismus und rassistischer Politik, haben somit neue Freund-Feind-Zurechnungen Hochkonjunktur und treffen neue Identitätsdefinitionen auf große Nachfrage, sondern auch im politischen und politikwissenschaftlichen Diskurs. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington beispielsweise hat seinen auch hierzulande viel beredeten Aufsatz über den "Kampf der Zivilisation" genau in diese Marktlücke hineingeschrieben. Er preist die westlichen Ideen als Substanz westlicher Politik: "Individualismus, Liberalismus, Verfassungsmäßigkeit, Menschenrechte, Gleichheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, der Freie Markt, die Trennung von Kirche und Staat" (Foreign Affairs, Sommer 1993). Weil dieses Begriffssammelsurium Gegenkonzepte zur islamischen Zivilisation enthalten soll, spricht Huntington damit dem islamischen Kulturkreis generell eine Orientierung an Demokratie, Freiheit usw. ab. An dieser Stelle trifft er sich zwar keineswegs mit der Mehrheit der Muslime, immerhin aber mit den Scholl-Latours und Konzelmännern der westlichen Welt - und mit den Fundamentalisten. Auch die nämlich halten Demokratie bloß für ein westliches und ihnen daher feindliches Exportprodukt.

Jochen Hippler

Aus: Konkret 3/95 [Bereits vor rund sechs Jahren in kassiber 26 (Juli 1995) abgedruckt; redaktionell stark gekürzt; Zwischenüberschriften hinzugefügt]


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kombo(p) - 27.09.2001