- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Inoffizielle Stellungnahme aus der War Resisters League (USA)

Diese Erklärung wurde von New York City aus verfaßt. Jeder hier ist von den Ereignissen am Dienstag zutiefst betroffen worden. Das International Action Center bekundet seine herzliche Anteilnahme allen, die liebe Angehörige verloren haben, wie auch den Tausenden von Arbeitern, die heute im unteren Manhattan waren.
Während in diesem Augenblick Tausende von Familien um Tod und Wunden ihrer Lieben trauern, ist die Bush-Regierung schon dabei, aus den tragischen menschlichen Verlusten ihren Vorteil zu schlagen, um die Kräfte der Repression aufzurüsten und gleichzeitig den Kriegskurs des Pentagon, besonders im Nahen Osten, zu intensivieren.
Arabische und muslimische Menschen in den Vereinigten Staaten berichten, daß sie in ihren Wohngemeinden, am Arbeitsplatz und in Moscheen rassistischen Belästigungen ausgesetzt sind. Der anti-arabische Rassismus ist ein Gift, das entschieden zurückgewiesen werden sollte. Wir rufen alle dem Rassismus Widerstand leistenden Menschen dazu auf, mit der arabisch-amerikanischen Gemeinde angesichts dieser reaktionären Raserei Schulter an Schulter zu stehen.
Nach der Bombardierung des Bundesgebäudes in Oklahoma City 1995 waren die US-Regierung und die Medien schnell bei der Hand, über die Verantwortung arabischer und muslimischer Organisationen zu spekulieren; tatsächlich war, wie jeder weiß, der rechtsextreme Armeeveteran Timothy McVeigh dafür verantwortlich zu machen.
Das International Action Center beschwört alle Kriegsgegner und fortschrittlichen Menschen, äußerst wachsam zu sein im Widerstand gegen die Pläne der Bush-Regierung und des Pentagon, diese Krise als Sprungbrett für eine neue Runde der Aggression gegen die Dritte Welt, insbesondere gegen die Menschen des Nahen Ostens, auszunutzen.
Im August 1998 richtete das Pentagon mörderische Cruise-Missile-Luftschläge gegen eine pharmazeutische Fabrik im Sudan ohne irgendwelche Beweise, angeblich zur Vergeltung für die Bombardierung der US-Botschaft in Kenia. Die Cruise Missiles zerstörten die Al-Shifa-Arzneimittelfabrik, die den Großteil des Sudan mit Medikamenten versorgte. Tausende afrikanische Menschen gingen als direkte Folge der Bombardierungen des Pentagon zugrunde.
Präsident Ronald Reagan befahl die Invasion in Grenada in der Karibik, kurz nachdem eine Lastwagenbombe in der Nähe eines US-Marinestützpunktes im Libanon 1983 explodierte. Unter Bush senior wurden 2.000 Einwohner Panamas mitten in der Weihnachtsnacht 1989 unter dem Vorwand des Krieges gegen Drogen getötet. Wegen einer Explosion in einer Diskothek in Deutschland 1986, für die zunächst auf Syrien, Iran und einige palästinensische Organisationen gezeigt wurde, bombardierten US-Flugzeuge Tripolis und Bengasi in Libyen. Hunderte von Zivilpersonen, darunter Kinder, starben im Schlaf, als die US-Luftwaffe diesen heimtückischen nächtlichen Überfall ausführte.
Wir bitten Aktivisten und Menschen dieses Landes, sich für Proteste gegen neue Pentagon-Aggressionsakte im bevorstehenden Zeitabschnitt bereit zu halten. Die Bush-Regierung will die gegenwärtige Krise ausnutzen, um eine weitere Erhöhung des Kriegshaushalts des Pentagon zu rechtfertigen, und zwar zu Lasten der Mittel für Wohnung, Erziehung, Gesundheit, Arbeitsbeschaffung und andere menschliche Bedürfnisse.
Landesweit riegeln nun Militär, FBI und örtliche Polizei weite städtische Gebiete ab, blockieren Brücken, Tunnel und Straßen und mobilisieren eine massive Präsenz von Polizei und Nationalgarde. All dies zeigt ein fortgeschrittenes Stadium der Planung für innenpolitische Repression, die gegen fortschrittliche Bewegungen und Arbeitskämpfe sowie gegen die Bevölkerung der Schwarzen, Latinos, Asiaten, Araber und andere unterdrückte Gemeinschaften eingesetzt werden kann.
Um so mehr besteht Grund zum Widerstand gegen die derzeitigen Anstrengungen, unter dem Deckmantel der laufenden Krise die polizeilichen Maßnahmen zu verschärfen.
Die Menschen von New York City und des ganzen Landes dürfen der Bush-Regierung und dem Pentagon nicht gestatten, mit den echten Gefühlen des Schocks und Zweifels ihr Spiel zu treiben, um reaktionäres Verhalten aufzustacheln und die Kräfte der Repression zu stärken. Damit ist nicht den arbeitenden und unterdrückten Menschen dieses Landes oder irgendeines Landes geholfen.
Die einzige Antwort auf die Ereignisse besteht darin, den Familien und Freunden derer, die im World Trade Center und Pentagon zugrunde gingen oder verwundet wurden, Solidarität zu erweisen, globale Solidarität mit Menschen zu schaffen, die weltweit gegen Krieg, Armut und Ausbeutung kämpfen, und die Bewegung des Protestes gegen neue Aggressionsakte des Pentagon zu vertiefen.
In diesen Minuten, in denen wir das hier schreiben, herrscht in den Straßen das Gefühl eines Belagerungszustandes: Alle Brücken, Tunnel und U-Bahnen sind geschlossen und Zehntausende gehen langsam die Straßen hinauf Richtung Norden, fort aus Lower Manhattan. Während wir im Büro der War Resisters League (Liga der Kriegsgegner) sitzen, sind unsere unmittelbaren Gedanken bei den Hunderten, wenn nicht Tausenden New Yorkern, die ihr Leben im zusammenbrechenden World Trade Center verloren. Der Tag ist klar, der Himmel blau, aber große Wolken türmen sich über den Ruinen, in denen so viele den Tod gefunden haben, einschließlich einer großen Zahl von Helfern, die am Ort waren, als die Türme endgültig in sich zusammenfielen.
Wir wissen natürlich, daß unsere Freunde und Mitarbeiter in Washington D.C. ähnliche Sorgen um die Menschen haben, die in dem Teil des Pentagons gefangen sind, der ebenfalls von einem Jet getroffen wurde. Und wir denken an jene unschuldigen Passagiere, die in den gekaperten Maschinen saßen und mit in den Untergang gerissen wurden.
Wir wissen noch nicht, wer die Anschläge begangen hat. Wir wissen aber, daß Yassir Arafat sie verurteilt hat. Wir zögern, eine ausgedehnte Analyse vorzunehmen - solange, bis nicht mehr Informationen zur Verfügung stehen, aber einige Dinge sind klar: Für die Bush-Regierung bedeuten diese Ereignisse, daß Hunderte Milliarden US-Dollar für das Star-Wars-Programm auszugeben nichts als ein Vorwand ist, wenn Terrorismus so leicht die Routinevorkehrungen durchbrechen kann.
Wir fordern den Kongreß und George Bush auf, daß - wie auch immer die Antwort ist, die die Vereinigten Staaten entwickeln - klar sein muß, daß diese Nation nicht länger zivile Ziele angreift und jede Politik, egal von welchem Staat, die zivile Ziele angreift, nicht länger akzeptiert. Das bedeutet ein Ende der Sanktionen gegen den Irak, die Hunderttausende Zivilisten das Leben gekostet haben. Das würde nicht nur die Verurteilung des palästinensischen Terrorismus bedeuten, sondern auch der israelischen Politik der Morde gegen die palästinensische Führung und die gnadenlose Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung sowie der andauernden Besetzung der West Bank und des Gaza-Streifens.
Die militaristische Politik der Vereinigten Staaten hat Millionen Tote gekostet, von der historischen Tragödie des Indochina-Krieges über die Finanzierung von Todesschwadronen in Mittelamerika und Kolumbien bis zu den Sanktionen und Luftschlägen gegen den Irak. Diese Nation ist der größte Lieferant "konventioneller Waffen" in der Welt - und diese Waffen heizen die schlimmsten Formen von Terrorismus an, von Indonesien bis Afrika. Die frühere Politik der Unterstützung des bewaffneten Widerstandes in Afghanistan hat zum Sieg der Taliban geführt - und Osama Bin Laden hervorgebracht.
Andere Regierungen haben eine ähnliche Politik verfolgt. Wir haben in den vergangenen Jahren die Aktionen der russischen Regierung in solchen Gebieten wie Tschetschenien verurteilt, ebenso wie die Gewalt beider Seiten im Nahen Osten und auf dem Balkan. Aber unsere Nation muß die Verantwortung für ihre eigenen Taten übernehmen. Bisher haben wir uns in unseren Grenzen sicher gefühlt. An einem klaren, kühlen Tag aufzuwachen und unsere größte Stadt im Belagerungszustand vorzufinden, erinnert uns daran, daß in einer Welt voller Gewalt niemand sicher ist.
Laßt uns ein Ende des Militarismus suchen, der dieses Land seit Jahrzehnten charakterisiert hat; laßt uns eine Welt suchen, in der Sicherheit durch Abrüstung, internationale Zusammenarbeit und soziale Gerechtigkeit erreicht wird - und nicht durch Eskalation und Zurückschlagen. Wir verurteilen ohne Vorbehalt Angriffe wie den heutigen, die Tausende Zivilisten treffen - mögen diese tiefen Tragödien uns an die Auswirkungen erinnern, die die US-Politik auf andere Zivilisten in anderen Ländern hat. Wir sind uns besonders der Angst bewußt, die Menschen mit Herkunft aus dem Nahen Osten haben mögen, die in diesem Land leben, und rufen auf, die Sorgen dieser Gemeinschaft ernst zu nehmen.
Wir leben in einer Welt. Wir werden entweder in Angst und Terror leben oder wir suchen friedliche Alternativen, Konflikte zu lösen, und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen der Welt. Während wir um die Vielen trauern, die ihr Leben ließen, verlangen unsere Herzen Versöhnung, nicht Rache.

Dies ist keine offizielle Stellungnahme der War Resisters League, sondern wurde unmittelbar nach den tragischen Ereignissen (am 13. September 2001) von den Angestellten im Bundesbüro und dem Exekutivkommitee der War Resisters League entworfen.


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kombo(p) - 27.09.2001