kassiber 49 - Mai 2002

Bremer Extremismusbericht 2001

Von der Verteidigung der wehrhaften Demokratie


Geheimdienste abschaffen! Diese alte Forderung westdeutscher Bürgerrechtsgruppen wie auch der DDR-Bürgerbewegung hatte noch vor etwa zehn Jahren dies- und vor allem jenseits der Elbe Konjunktur. Doch fast ebenso schnell wie die Brüder und Schwestern RevolutionärInnen ihre Köpfe von Ideen emanzipatorischer, vielleicht "sozialistischer" Entwicklung ihres seither Fünf Neue Länder genannten Staates zugunsten von "Wiedervereinigung" und D-Mark freimachten, lernten sie, daß wesentliche Unterschiede zu machen seien zwischen "Stasi" und westlichen Geheimdiensten.

Die Tscheka made in GDR sei verbrecherisch, das bewiesen nicht nur die vielen Kilometer Akten, das belege schon die gängige, totalitarismustheoretisch "fundierte" Bezeichnung des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) als "Stasi" ("Staatssicherheitsdienst") - in Analogie zur faschistischen Gestapo (Geheime Staatspolizei). Der Schlapphüte des freien Westens, insbesondere der BRD-"Dienste", hingegen bedürfe es nach wie vor - zur Verteidigung der "wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie".

Nichtsdestotrotz gerieten das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Landesämter seit 1990 in eine Legitimationskrise, denn ihre hauptsächlichen Überwachungs- und Bespitzelungsobjekte wie -subjekte befanden sich in einem rasanten Auflösungsprozeß: die DDR, in der die eigentlich nur für die innerstaatliche Aufklärung zuständigen VerfassungsschützerInnen trotzdem beziehungsweise deswegen umfangreich tätig waren, die von ihr gesponserte Deutsche Kommunistische Partei (DKP) oder die Sozialistische Einheitspartei West-Berlins (SEW) ebenso wie deren zahlreiche sogenannte Umfeldorganisationen, die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), der Marxistische Studentenbund (MSB) Spartakus - einer ihrer eifrigsten Aktivisten war in den achtziger Jahren Bremens Politstaatsanwalt Uwe Picard -, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK). Parteien und Organisationen gerieten mit der "Wende" in den sich selbst als "realsozialistisch" bezeichnenden Staaten Osteuropas in die Finanz- und vor allem Sinnkrise, hatten Massenaustritte zu verzeichnen oder lösten sich gleich ganz auf.

Dennoch konnte das Kölner Bundesamt auch nach dem Herbst 1990 seine in den vorangegangenen 20 Jahren stetig gestiegene MitarbeiterInnenzahl zunächst bei den bisherigen rund 2.400 BeamtInnen halten - V-Leute werden im offiziellen Stellenplan allerdings nicht ausgewiesen. Hatte die im September 1950 gegründete Behörde doch inzwischen eine arbeitsaufwendige neue Aufgabe gefunden: Die Auswertung der in Besitz genommenen, teilweise geklauten, teilweise beschlagnahmten oder auf anderen Wegen an den Rhein gelangten Akten aus dem Ministerium für Staatssicherheit vor allem in Hinblick auf die Suche nach "DoppelagentInnen" (1).

Das Hoch im kurzen Sommer der westdeutschen Bürgerrechtsgruppen, die hofften aufgrund der Aufdeckung der MfS-Machenschaften ihrer Forderung nach Abschaffung - jetzt auch - der westdeutschen Geheimdienste zum Durchbruch zu verhelfen, verdampfte indes bald in der allerorten grassierenden "Stasimanie". Zumal sich auch die PDS diese Forderung zu eigen machte, und das war verdächtig, denn es galt PDS = SED = "Stasi". So verzichteten bald nicht nur die PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen weitgehend darauf, die Abschaffung der BRD-"Dienste" noch zu fordern - zugunsten der "Aufarbeitung" des "DDR-Unrechts" nach der fröhliche Urständ feiernden Totalitarismusdoktrin. Doch die Abgeordneten der westdeutschen Parlamente, so wollten es die Bündnisgrünen, sollten nach wie vor auf eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten, und zwar nur die der DDR, überprüft werden. In Bremen wie auch in anderen Bundesländern aber wurde daraus nichts, die anderen Parteien hatten daran (aus guten Gründen) kein Interesse. Und so beantragten die Abgeordneten der Bremer Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 10. Juni 1992 bei der "Gauck-Behörde" ihre persönliche Überprüfung auf eine etwaige Zusammenarbeit mit dem MfS (2). Über ihre Kontakte zum Staatsschutz, zum Verfassungsschutz oder zur CIA sollte nach wie vor Schweigen bewahrt werden.

Auch wenn von Auflösung kaum noch die Rede war, mehrten sich Anfang der neunziger Jahre allerdings die Stimmen bis in liberale und konservative Kreise, die den Geheimdiensten mangelnde Effizienz vorwarfen. Im letzten entsprechenden Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen von Anfang 1993 las sich eine solche Geheimdienstkritik dann folgendermaßen: Ineffektivität, zahlreiche Skandale und strukturelle Unkontrollierbarkeit. Der Verfassungsschutz habe nicht ein Attentat der RAF verhindern, der BND den Zusammenbruch des "realen Sozialismus" nicht voraussehen und der MAD die Plazierung von Spionen in Schaltstellen der Bundeswehr nicht unterbinden können.

Doch das Amt wußte sich gegen solcherlei staatstragender Anwürfe, wie immer, zu helfen. Es verwies auf den dräuenden Spionagebereich und erklärte darüber hinaus, daß Erfolge im Geheimdienstmilieu naturgemäß nur schwer darzustellen seien. Ein geschickter Kunstgriff, der es erlaubt, "stets recht zu behalten, sofern man nur das richtige Argumentationsmuster beibehält: erstens hat man alles gewußt, kann es als Geheimdienst aber leider nicht publik machen ..., oder zweitens besaß man zwar die richtigen Informationen, die allerdings von der Politik falsch interpretiert wurden ..., oder drittens hätte man ja können, wenn man nur gedurft hätte ..., oder viertens ... usw.!" (3)

Für das Jahr 2000 wies das Kölner Bundesamt noch offiziell 2.085 Bedienste aus, im Jahr zuvor waren es noch 2.136 (4), wiederum ohne nebenamtliche V-Leute und auch ohne die Beschäftigten der in den Bundesländern tätigen Landesämter für Verfassungsschutz. Berücksichtigt sind in dieser Zahl auch nicht die BeamtInnen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), das waren im Jahre 2000 nach offiziellen Angaben 1.280, sowie die des deutschen Auslandsgeheimdienstes Bundesnachrichtendienst (BND).


Politischer Rückhalt

Das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz führte lange Jahre eher ein Schattendasein. Bis in die späten achtziger Jahre residierte es im vorderen Schwachhausen, zwar nicht durch Klingelschilder ausgewiesen, doch war der Standort "interessierten", potentiell von dort ausgespähten Kreisen durchaus bekannt. Danach schien das Amt von der Bildfläche verschwunden. Ein Teil der Belegschaft war nun im Gebäude des Innensenators an der Contrescarpe untergebracht, der Rest an unbekanntem Ort (5).

Im Sommer 1996 änderte sich dies. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, stellte der damalige Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU) die neuen Räumlichkeiten an der Flughafenallee 23 der lokalen Presse vor, sogar Fotos waren erlaubt - nur der kassiber wurde wieder nicht eingeladen. Bremens Landesamt hatte damit als letztes im Bundesgebiet seine Postfach- gegen eine offizielle Adresse eingetauscht, ein Bremer Verfassungsschutzbericht wurde aber nach wie vor nicht veröffentlicht.

Zwar war in der Hansestadt im Vergleich zu den Vorjahren kaum noch etwas los - die DKP auf etwa fünf Prozent, die Autonomen auf rund ein Viertel ihrer "Mitglieder" geschrumpft und die PKK mit innerparteilichen Zwistigkeiten beschäftigt -, aber Borttscheller nutzte den Anlaß, vor den Spitzeln markige Reden zu schwingen: "Die Zeiten, in denen der Arbeit Ihres Amtes nicht selten der politische Rückhalt fehlte, sind vorbei." (6) Doch dieser medienwirksame Auftritt blieb Borttschellers einziges öffentliches Engagement in Sachen Verfassungsschutz in seiner bis 1999 dauernden Amtszeit. Seine Vorgänger hatten - so war es jahrelange, sozialdemokratisch geprägte Bremer Tradition - um die Tätigkeit des Verfassungsschutzes nie viel Aufhebens gemacht. (7)

Bis Mitte der neunziger Jahre, bis also der neue Innensenator Borttscheller ihm einen Maulkorb verpaßte, war es der stellvertretender Verfassungsschutzchef Lothar Jachmann, der die Öffentlichkeitsarbeit der Bremer Schlapphüte besorgte. Jachmann durfte sich vor allem in der hiesigen Regionalausgabe der tageszeitung (taz) in regelmäßigen Abständen über alles ausbreiten, was das Amt über "extremistische Bestrebungen" in Bremen beziehungsweise den internen Reformprozeß zu sagen hatte. Das mag nicht immer alles zur Freude des jeweiligen Innensenators gewesen sein, als Publicrelations dafür, daß der Verfassungsschutz weiterhin "notwendig" und "zeitgemäß" sei, aber höchst erfolgreich.

Sozialdemokrat Jachmann, auch Vorsitzender der Fachkommission "Verfassungsschutz" in der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und Coautor der "Thesen zur Entmythologisierug des Verfassungsschutzes", hatte in der taz immer wieder die ausstehende "radikale Reform" der Dienste anzumahnen: Denn so wie die Anfang der neunziger Jahre verfaßt gewesen seien, könnten sie nur als "Teil eines verkürzten Demokratieverständnisses" begriffen werden. Wer aber die Geheimdienste abschaffen wolle, müsse davon ausgehen, daß sich die Polizeibehörden dann der nachrichtendienstlichen Mittel bemächtigten. Schon jetzt, so Jachmann 1992, müßten die Verfassungsschützer der Polizei "auf die Finger klopfen", damit sie in diesem Bereich nicht tätig werde. (8)

Der Schlapphut also als Hüter antifaschistischer Auflagen in der Verfassung. Die Alliierten Militärgouverneure machten nämlich 1949 ihre Genehmigung des Grundgesetzes von der Anerkennung des "Trennungsgebotes" von Geheimdiensten und Polizei abhängig, wie es im sogenannten Polizeibrief vom 8. Februar 1949 festgeschrieben wurde. Damit sollte ein Apparat wie die faschistische Gestapo verhindert werden, der sich aller geheimdienstlichen und polizeilichen Mittel bedienen konnte. Lassen wir einmal Staatsschutzverfahren, kleine und große Lauschangriffe, Videoüberwachungen, V-Leute sowie andere Mittel und Maßnahmen des inzwischen "präventiven Sicherheitsstaates" außer acht, steht zumindest auf dem Papier die strikte Trennung von Geheimdiensten und Polizeien. Erstere sollen demnach "verfassungsfeindliche Bestrebungen" beobachten und Parlamenten sowie Regierungen ihre Schlußfolgerungen mitteilen, dürfen dabei aber keine polizeilichen Mittel - Festnahmen, Durchsuchungen etc. - anwenden. Und die Polizeien sollen eigentlich keine geheimdienstlichen Mittel anwenden dürfen.

Von Trennung könne auch in Bremen zunehmend weniger die Rede sein, bemängelte Ende der achtziger Jahre der sozialdemokratische Bürgerschaftsabgeordnete Horst Isola: Der Staatsschutz, also die politischen Kommissariate der Kriminalpolizei, übernähme "immer mehr die Aufgaben und Kompetenzen des Verfassungsschutzes" (9). Jachmann indes bestritt dies, in Bremen sei die Trennung "sauber geregelt". Ein "Krebsschaden" aber sei es, daß die Ausbildung von StaatschützerInnen und GeheimdienstlerInnen nicht getrennt sei, das Personal deshalb zwischen beiden Behörden häufig hin- und her wechseln könne. (10)

Wobei es Isola, zugleich Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ), keineswegs um die Abschaffung der Geheimdienste ging, sondern um deren Kontrolle durch die zuständigen parlamentarischen Gremien - aber bei der politischen Polizei sei eben "die PKK nicht am Ball" (11). Um Mißverständnissen vorzubeugen: Diese PKK hat nichts mit der Arbeiterpartei Kurdistans zu tun, bei der Verfassungs- und Staatsschutz immer am Ball sind. Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) soll vielmehr die Geheimdienste kontrollieren, hat aber für den Staatsschutz keinerlei Befugnisse. Wie gut das klappt, bilanzierte der Bürgerschaftsabgeordnete Martin Thomas, der 1987 bundesweit als erster Grüner in ein solches Gremium gewählt wurde, am Ende seiner vierjährigen Amtszeit: Oftmals hatte die von der Bürgerschaft gewählte PKK, die nur einmal im Vierteljahr zusammentritt, ihrer "Kontrolltätigkeit" bereits nach 15 Minuten genüge getan. (12)


Kleine Skandalgeschichte

Thomas selbst war es, der im Mittelpunkt des letzten bekannt gewordenen Bremer Verfassungsschutz-"Skandals" stand. Im Frühjahr 1989 war nämlich ein Dossier - "Member of the Bremen Greens Assigned to Parlamentary Control Commission" - bekannt geworden, daß der Sicherheitsbeauftragte der US-Kaserne Rheinberg, SFC Flaig, über Martin Thomas und seine Zuverlässigkeit als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission angelegt hatte. Die Frage war, woher Flaig die Kenntnisse für sein "Confidential Working Paper" hatte, woher er wußte, daß "leading officials of Bremen State Protection are concerned about recent developments". Zwar dementierte Bremens Verfassungsschutzchef Walter Wilhelm in der PKK ebenso wie der damalige Innensenator Peter Sakuth (SPD) für den Staatschutz, damit irgendetwas zu tun zu haben, doch das war schlichtweg gelogen - und sagte einiges über die Kontrollmöglichkeiten des Dienstes durch das parlamentarische Gremium. Nach Angaben von Lothar Jachmann hatte der Verbindungsmann für die US-amerikanischen Geheimdienste für Bremen "natürlich über solche Sachen Gespräche" mit Wilhelm, ihm selbst, dem Staatsschutz und anderen mehr geführt. (13)

Diese Zusammenarbeit beziehungsweise Zuarbeit eines Landesamtes für Verfassungsschutz für die US-amerikanischen Geheimdienste war allerdings zumindest bis Ende der achtziger Jahre nichts Ungewöhnliches (und dürfte spätestens seit dem 11. September 2001 wieder ähnliche Ausmaße erreicht haben). Die Grünen waren damals nämlich noch nicht Kriegspartei, sondern galten den USA aufgrund ihrer, so das Dossier über Thomas, "ausgeprägten Anti-US-Haltung" als verdächtig. Und zumindest bis 1988 hatte Bremens Verfassungsschutz auch seine monatlichen internen Berichte über "verfassungsfeindliche Bestrebungen" regelmäßig US-amerikanischen als auch britischen und niederländischen Geheimdiensten zur Verfügung gestellt.

Während dies alles durchaus übliche Praxis der Landesämter für Verfassungsschutz beziehungsweise der Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizei war, hatte die Observation einer Wohngemeinschaft in der Graudenzer Straße im Jahre 1981 in einem völligen Fiasko geendet. Schräg gegenüber hatten sich die Schlapphüte eine Wohnung in der oberen Etage angemietet, um die WG mit Fernrohren, Videokameras und anderem mehr auszuspähen. Allerdings waren sie beim Hereintragen des Überwachungsgeräts in zahllosen Aluminiumkisten nicht unbeobachtet geblieben und auch bei der täglichen Arbeit gaben sie sich nicht allzu viel Mühe, die großen Objektive hinter den Gardinen zu verbergen. In der Nacht zum 1. Juli 1981 bekamen die VerfassungsschützerInnen daraufhin unangemeldeten Besuch von fünf Aktivisten. Die gesamte Technik - Kameras, Mikrophone etc. - flog aus dem Fenster, die beiden VerfassungsschützerInnen konnten fliehen. Allerdings mußten sie Notizbücher und andere Unterlagen zurücklassen, aus denen nicht nur Namen und Telefonnummern der beiden dort eingesetzten Observationstrupps hervorgingen, darunter befand sich auch eine Liste mit den Namen von mehreren hundert überwachten BremerInnen und denen der auf sie angesetzten AgentInnen - und diese Liste wurde öffentlich gemacht. (14)

Ansonsten ist der Verfassungsschutz natürlich bemüht, seine Observationsarbeit - außer es geht um die gezielte Verunsicherung bestimmter Personen - möglichst vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. (Das Problem mit den Alukisten konnte aber immer noch nicht gelöst werden: So wurden vor nicht allzu langer Zeit mehrere Schlapphüte beim Kistenschleppen beobachtet, um sich gegenüber den beiden kurdischen Vereinen in der Westerstraße einzunisten.) Da es in Bremen an Bürgerrechts- oder Anti-Repressionsgruppen, die sich mit der Arbeit von Polizeien und Geheimdiensten auseinandersetzen, fast völlig fehlt, bleibt es dem institutionalisierten Datenschutz überlassen, sich über manches Gebaren der "Dienste" zu mokieren.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz kann sich dann zum Beispiel "erschrocken" darüber geben, daß die Daten von 106.000 BremerInnen (1990) aufgrund "erkennungsdienstlicher Behandlungen" - also mit Fingerabdrücken und Fotos - bei der Polizei gespeichert sind. Oder daß sich die Daten von über tausend BremerInnen (1990) in der Staatsschutzdatei "APIS" beim Bundeskriminalamt befinden, und zwar zumeist nicht wegen Staatsschutzdelikten, sondern wegen irgendwelchen Demonstrationsteilnahmen, der Zerstörung von Wahlplakaten und anderen Bagatellen. Oder daß der Verfassungsschutz nicht nur die Daten von Verdächtigen speichert, sondern auch derer, die sie denunziert haben. Oder daß Bremens Schlapphüte, bundesweit einzigartig, in den neunziger Jahren immer noch Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die einer "linksextremen Partei oder einer ihr zugerechneten Organisation angehören", an das Bundesamt in Köln melden.

Doch Bremens VerfassungsschützerInnen können auch anders. Anfang der neunziger Jahre übten sie sich zumindest zweimal in gezielten Indiskretionen. In den Hochzeiten der Bremer autonomen Linken wurde der Bremer taz im Frühjahr 1991 vom Verfassungsschutz eine Liste von 16 Personen - darunter langjährige PolitaktivistInnen wie studentische Peaceniks - zugespielt, die einige Wochen zuvor bei einer Anti-Golfkriegsaktion vor der Bremer Wertpapierbörse festgenommen worden waren. Da der Verfassungsschutz über vier oder fünf der Beteiligten ohnehin schon "Erkenntnisse" gehabt hätte, war ihm vom Staatsschutz gleich die ganze Liste zugefaxt worden. Dieses Verfahren und seine tagelang Aufbereitung in der Bremer taz blieb nicht ohne den gewünschten Erfolg: Manch eine/r der KriegsgegnerInnen wird sich so seine/ihre Gedanken gemacht haben, wenn schon das Herumstehen mit bestimmten Leuten nicht nur eine überfallartige Festnahme, sondern auch noch weitere Konsequenzen nach sich ziehen kann. Denn die Schlapphüte am Hals zu haben, erscheint doch noch deutlich unangenehmer als es "nur" mit Polizei und Staatschutz zu tun zu haben. ...

Noch einen drauf legte der stellvertretende Verfassungsschutzchef Jachmann im Jahre 1992 bei seiner Aussage vor dem hiesigen Verwaltungsgericht. Geklagt hatten Bewohner einer Wohngemeinschaft in Bremen-Nord, weil ihr Telefon sowie die Post im Frühjahr 1989 mehrere Wochen lang vom Verfassungsschutz überwacht worden waren. Die Schlapphüte hatten die WG verdächtigt, für einen Sprengstoffanschlag am 9. Oktober 1988 auf die mit Rüstungsforschung beschäftigte AEG-Marinetechnik in Vegesack verantwortlich gewesen zu sein, zu dem sich eine "autonome Zelle ‚Steve Biko'" bekannt hatte. Die Konstruktion des Verfassungsschutzes ging so: Einer der WG-Bewohner war aufgrund seiner Kontakte zum "terroristischen Umfeld" in Bremen beim Verfassungsschutz registriert, außerdem sei er durch "seinen Haß auf das imperialistische Schweinesystem" aufgefallen. Über die anderen drei lagen keine Erkenntnisse vor. Diese Unverdächtigkeit wiederum machte die Wohngemeinschaft gerade verdächtig, denn diese Konstellation sei typisch für eine "autonome Zelle". Also besorgte sich der Verfassungsschutz (ausnahmsweise?) die bei Maßnahmen gegen die in Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses erforderliche Genehmigung der G-10-Kommission und legte los. Nach einigen Wochen aber stellte sich heraus, daß an diesem Verdacht nun wirklich nichts dran war, und so wurden die Überwachungsmaßnahmen wieder eingestellt.

Vielleicht lag es an einer damaligen Sensibilisierung aufgrund der "Stasi"-Diskussion, vielleicht am unermüdlichen Engagement des Verfassungsschutzreformers Martin Thomas, jedenfalls teilte die von der Parlamentarischen Kontrollkommission eingesetzte G-10-Kommission den Betroffenen, wie es das Gesetz vorschreibt, anderthalb Jahre später mit, das sie überwacht worden waren. Natürlich müssen die nur informiert werden, heißt es im Gesetz, wenn der Zweck der Maßnahme durch die Mitteilung nicht gefährdet wird - und können überhaupt nur benachrichtigt werden, wenn die G-10-Kommission von den Maßnahmen erfährt. Nach Angaben des Vorsitzenden der auch in ihrer Zusammensetzung höchst geheimen, beim Landesamt für Verfassungsschutz tagenden G-10-Kommission - alles honorige BürgerInnen, die von den Bürgerschaftsfraktionen nach Parteienproporz nominiert werden -, des Bremerhavener Rechtsanwalts Hans-Georg Barwech, jedenfalls hatte man von 1988 bis 1992 "nie einen Lauschangriff billigen müssen, außer diesen einen". Eigentlich sei es bei den Sitzungen mehr darum gegangen, ob frühere Überwachungsmaßnahmen aufgedeckt werden. Zweimal habe man schließlich die Betroffenen informiert, aber nur die WG in Bremen-Nord habe geklagt, in dem anderen Fall sei nichts passiert. Barwech - "an meinem Telefon hat es in den Jahren 1983 bis 1987 ständig geknackt" - nahm es eh locker. Auch von der Polizei "wird auf Deubel komm raus" gelauscht und hatte einen guten Tip: "Man darf nicht so furchtbar viel am Telefon erzählen." (15) (Das belegen auch die aktuellen Zahlen: Im Jahre 2001 wurden nach Angaben des Justizressorts 328 Telefone in 67 polizeilichen Ermittlungsverfahren mit richterlicher Genehmigung abgehört. Betroffen waren darüber hinaus unzählige weitere Personen: MitbewohnerInnen und alle diejenigen, die mit den belauschten Anschlüssen telefoniert haben.)

Das Verwaltungsgericht jedenfalls beschied den beiden klagenden WG-Bewohnern am 9. Juli 1992, daß ihre Überwachung "unrechtmäßig" war, da angesichts des schwerwiegenden Eingriffs gegen die Grundrechte "weder substantiiert noch nachprüfbar" begründet. Für den Verfassungsschutz nicht weiter schlimm, erhielt er doch mit dem Urteil eine detaillierte Handlungsanweisung, wie solche Begründungen zukünftig formal korrekt auszusehen hatten. Man hat daraus gelernt: Seither ist keine Mitteilung der G-10-Kommission über Telefon- und Postüberwachungen mehr bekannt geworden.

Lothar Jachmann jedenfalls wußte den Prozeß zu nutzen, um die ganze Szene in Unruhe zu versetzen. Zwei V-Leute hielten den Kontakt zu den Autonomen, so Jachmann damals, vor allem über das Sielwallhaus und das besetzte Haus am Buntentorsteinweg. Die beiden würden sich nicht kennen und seien schon lange zuverlässig für den Verfassungsschutz tätig, ihre Berichte würden sie dort mündlich abliefern. Mitgeteilt hätten sie im verhandelten Fall unter anderem so bedeutsame "Erkenntnisse", wie daß die Szene sich in kleinsten Einheiten als Wohngemeinschaften organisiert habe und daß der beim Amt bekannte WG-Bewohner an einer Palästina- sowie an einer Solidaritätsdemonstration für die hungerstreikenden RAF-Mitglieder 1989 teilgenommen hatte.


Aufgestockt und wieder arbeitsfähig

"Mitarbeit im Geheimschutz, im Bereich der Aufgaben nach dem G-10-Gesetz, Vorbereitung von Kfz-Beschaffungen/Veräußerungen, Technik, Pflege, Wartung und Observation, Bereitschaft zur nachrichtendienstlichen Beschaffung im Außendienst auch außerhalb der normalen Dienstzeit" - beim Landesamt für Verfassungsschutz ist derzeit ein Arbeitsplatz (Bes.Gr. A 8 bzw. Verg.Gr. Vc BAT) wiederzubesetzen.

Demnächst werden sogar 13 neue Stellen geschaffen. Das Amt ist, wie auch Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafjustiz, für die nächsten Jahre vom Personalentwicklungsplan, das heißt von Personaleinsparungen, ausgenommen. Damit soll der Verfassungsschutz, den man, so Innensenator Kuno Böse (CDU), "in Bremen schon fast abgeschrieben hatte, aufgestockt und wieder arbeitsfähig gemacht werden" (16). Das allerdings hat nichts mit dem neuen Innensenator zu tun, sondern ist eine Folge der nach dem 11. September vergangenen Jahres bewußt erzeugten Sicherheitspanik. Am 27. September bewilligte die Bürgerschaft fünf Millionen zusätzliche Mark für Polizei und Verfassungsschutz, eine "Trendwende für den Stellenwert der Inneren Sicherheit im Lande Bremen", so Böse damals (17). Für den Geheimdienst bedeute dies "konkret eine Verbesserung nachrichtendienstlicher Aufgaben, die Bereitstellung von Observationskräften und Fachleuten zur Auswertung extremistischer Erkenntnisse sowie eine modernere technische Ausstattung" (18). Bereits am 20. September hatte die Innenbehörde verkündet, daß die Staatsschutz-Abteilung der Kriminalpolizei personell aufgestockt wurde.

Diese Maßnahmen seien notwendig, um die neue Bedrohungslage nach den Anschlägen in New York und Washington bewältigen zu können. Zwar könne man "über Einzelheiten der Arbeit der Sicherheitsbehörden naturgemäß nicht berichten", doch soviel sei gesagt: Von den rund 40 000 Personen islamischen Glaubens in Bremen werden vom Verfassungsschutz etwa 1.100 als "islamistisch" eingeschätzt und von daher "in unterschiedlicher Intensität beobachtet" (19). Und natürlich haben die neuen Sicherheitsgesetze dem Landesamt einen Batzen zusätzlicher Arbeit eingebracht, unter anderem die obligatorische Überprüfung von Besuchern aus bestimmter Staaten.

Das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz befindet sich damit wieder im Aufwind. In den letzten Jahren hatten die Schlapphüte massive Stelleneinsparungen hinnehmen müssen. Zunächst von 70 bis 80 Stellen (20) Ende der achtziger Jahre um rund ein Drittel auf 51 Anfang der neunziger Jahre (21) - der Niedergang der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und ihrer "Umfeldorganisationen" schlug voll durch in den Stellenplan. Und danach wurde der Verfassungsschutz - ja, ja, Bremen mußte auch hier sparen - voll dem Personalentwicklungsplan unterworfen, durch Pensionierung oder ähnliches freiwerdende Stellen wurden nicht wiederbesetzt. Gerade noch 36 VerfassungsschützerInnen soll es derzeit in Bremen geben (22), nebenberufliche V-Leute sind in dieser Zahl nicht berücksichtigt. Was deren Anzahl und Tätigkeit angeht, hält sich das Amt bedeckt. Die einzige Zahlenangabe ist mehr als zehn Jahre alt. "Unter 30" seien in Bremen im Einsatz, erklärte Bremens Verfassungsschutzchef Walter Wilhelm Ende 1991 (23).

Aber so schlecht kann es um die Sicherheitslage trotzdem nicht bestellt gewesen sein, denn "nicht zuletzt Dank der hervorragenden Arbeit der Sicherheitsbehörden ist es politischen Extremisten im Land Bremen auch im Jahr 2001 nicht gelungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage zu stellen", bilanzierte Böse anläßlich der Vorstellung des Extremismusbericht 2001 am 13. März. Wobei, das mit der "hervorragenden Arbeit der Sicherheitsbehörden" ist so eine Sache. Nicht nur bei den Autonomen ("Früher wollte ich die Welt verändern, jetzt verändere ich mich selbst") hat es zweifelsohne nichts mit Überwachung und Repression, sondern vor allem mit der eigenen Verfaßtheit zu tun, daß sie wie auch andere "Rechts- und Linksextremisten an keiner Stelle die demokratischen Institutionen und Willensbildungsprozesse in Bremen und Bremerhaven [haben] ernsthaft gefährden oder nennenswerte Teile der Bevölkerung für sich gewinnen können" (24).

In Bremen wurde damit erst zum zweiten Mal ein "Extremismusbericht" veröffentlicht (25). Daß der nicht wie in Bund und den anderen Ländern üblich "Verfassungsschutzbericht" heißt, könnte daran liegen, daß ihm der übliche "Spionage"-Teil fehlt - schon seit Jahren ist es den Bremer Schlapphüten nicht mehr gelungen, AgentInnen gegnerischer Dienste aufzuspüren. Vielleicht ist die Namensgebung aber auch ein Zugeständnis an die AutorInnen, soll heißen: die illegale Verwobenheit von Verfassungsschutz und politischer Polizei. Während im Extremismusbericht 2000 jegliche Angaben darüber fehlen, deutet im neuen Bericht ein dreiseitiger Vorspann "Verfassungsschutz im Lande Bremen" diesen als Verfasser an, der Anhang bietet Statistiken auf Grundlage des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität" des Staatsschutzes.

Während Bund und andere Länder gebundene Hochglanzbroschüren herausgegeben, macht der Bremer Bericht (36 Seiten nebst sechs Seiten Anhang) eher den Eindruck einer studentischen Hausarbeit. Auch im inneren: Das meiste, was das Bremer Amt zu den aufgeführten Organisationen zu sagen hat, beschreibt höchst allgemeine, bundesweite Entwicklungen und ist aus anderen Quellen abgeschrieben, wurde aber mit einigen eigenen "Erkenntnissen" gewürzt.

Schenkten wir dem Extremismusbericht Glauben, weiß der Verfassungsschutz zum Beispiel über den "Rechtsextremismus" in Bremen eher noch weniger als antifaschistisch interessierte Linke. Beobachtet würden im Bundesland Bremen die NPD (etwa 60 Mitglieder), die DVU (230), "Die Republikaner" (15) sowie die "Kameradschaft Bremen" (20-30). Weiterhin habe man in jüngster Zeit im Bremer Umland, in Schwanewede, Brinkum, Seckenhausen, Achim-Oyten, Weyhe-Leeste und Lilienthal, "Zusammenschlüsse junger Männer mit Skinhead-Vorlauf" festgestellt, die sich "neonazistisch gerieren" und Kontakt zur "Kameradschaft Bremen" suchten.

Jede Partei, Organisation oder Gruppierung, egal ob rechts-, links- oder "ausländerextremistisch", wird im Bericht zunächst unter den Kategorien "Mitglieder", "Publikationen", "Organisation/Struktur", "Politische Ziele/Agitationsschwerpunkte", "Letztes Wahlergebnis" und "Aktuelle Themen" stichpunktartig abgehandelt, anschließend folgt eine kurze Einschätzung "Entwicklung und Tendenz". Der Informationsgehalt ist dünn, aber aus dem Vorspann wissen wir ja, daß der Verfassungsschutz zwar "nachrichtendienstliche Mittel", zum Beispiel V-Leute, Observation oder geheimes Fotografieren, einsetzen "darf", gleichwohl "die meisten Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen (Parteiprogramme, Flugblätter, Publikationen, öffentliche Veranstaltungen)" gewinnt.

Doch natürlich ist es nicht Aufgabe und Absicht von Verfassungsschutzberichten, mitzuteilen, was die Behörden wirklich wissen. Gleichwohl dürfte man im hiesigen Landesamt erleichtert gewesen, daß die Enthüllungswelle "V-Leute in der NPD" vor einigen Monaten stoppte, bevor sie auch nach Bremen überschwappte. In der Lokalpresse, vor allem in der taz, wären solcherlei "Enthüllungen" wahrscheinlich unter dem Thema "Finanzierung der Bremer NPD durch V-Leute-Honorare" bis heute plattgewalzt worden. So beschränkt sich das im Bericht veröffentlichte geheime Wissen über die NPD größtenteils auf Abschriften aus anderen Verfassungsschutzberichten (bzw. dem eigenen aus dem Vorjahr) sowie darauf, daß im Frühjahr in Bremen zwei Demonstrationen stattgefunden haben, die von NPD und "Kameradschaft" gemeinsam organisiert wurden. Nichts neues auch von der DVU und den "Republikanern". Den rechtsextremistischen Parteien - NPD, DVU und "Republikaner" - gehe es echt nicht gut, die "desaströsen Wahlergebnisse" bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg hätten sich "zusätzlich depressiv" ausgewirkt. Problematischer erscheint den Schlapphüten derzeit die neonazistische "Kameradschaft Bremen" - vielleicht, weil aufgrund ihrer (fehlenden) Organisationsstruktur schwerer zu überwachen -, ihre Verbindung zu anderen "Freien Nationalisten" im norddeutschen Raum ("evident") sowie deren gemeinsame ideologische Schulungen, um eine einheitliche "Marschrichtung" sicherzustellen. Einen guten Teil der oft unaufgeklärt gebliebenen rechtsextremistischen Straftaten schreibt das Amt dem Kameradschaftsspektrum zu.


Ein bißchen Staatsschutzstatistik

182 hat der Staatsschutz im vergangenen Jahr insgesamt registriert (2000: 207), davon seien 123 sogenannte Propagandadelikte gewesen (hiervon 41 Fälle von Hakenkreuzschmierereien). 40 Straftaten, die der Staatsschutz dem "Themenfeld ‚Haßkriminalität'" zuordnete, hätten einen "fremdenfeindlichen", sieben einen "antisemitischen" sowie acht einen "fremdenfeindlichen und antisemitischen" Hintergrund gehabt, dreimal sei "Rassismus" und je einmal die "sexuelle Orientierung" beziehungsweise "Behinderung" Motivation gewesen (26). Bei vier dieser Delikte habe es sich um "Gewalttaten" gehandelt (drei davon wurden aufgeklärt): zweimal um Landfriedensbruch bei Demonstrationen und zweimal um Körperverletzungen, hiervon einmal um "Haßkriminalität/fremdenfeindlich", eine Tat wird nicht weiter ausgewiesen.

Während nun aber bei den rechtsextremistischen Straftaten ein leichter Rückgang zu verzeichnen war, weist die Staatsschutzstatistik im Bereich Links- und "Ausländerextremismus" deutliche Steigerungsraten aus. Ein Jahr haben die "Linksextremisten" gebraucht, um von 51 (2000) auf 99 zu kommen. Die Erklärung dafür ist relativ einfach: Allein 32 der 42 "aufgrund demonstrativer Ereignisse" festgestellten Straftaten verzeichnete der Staatsschutz während den antifaschistischen Aktivitäten anläßlich der beiden Naziaufmärsche im März und Juni in Bremen-Nord - im Jahre 2000 gab es in Bremen keine vergleichbaren Ereignisse. Bei 25 der 99 statistisch erfaßten "linksextremistischen" Delikte habe es sich um Gewalttaten gehandelt, 15 davon seien bei Demonstrationen begangen worden, es habe sich vor allem um Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt gehandelt. Außerdem wurden zwei Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge registriert: Einer im Juli, als unbekannte Täter Brandmittel auf den Reifen von Polizeiautos ablegten und diese damit beschädigten - diese Aktion sei "im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Genua zu sehen". Im Dezember wurde ein Brandanschlag auf einen Kleintransporter einer Bremer Chemiefirma verübt. Aufgrund von Graffiti am Firmengebäude ordnete der Staatsschutz ihn der "Animal Liberation Front" zu. Wie in diesen beiden Fällen ist die Aufklärungsquote insgesamt bei den "linksextremistischen Straftaten" ziemlich dürftig: Nur 43 der 99 Fälle konnten (bisher) an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.

Während nun aber deutsche Männer und Frauen nach den Kategorien links- beziehungsweise rechtsextremistisch sortiert werden, ergibt sich die "Gefährlichkeit" von "extremistischen" Nicht-Deutschen aufgrund eines einzigen - rassistischen - Kriteriums, nämlich ihrer Eigenschaft als "Ausländer". Und also werden unter der Rubrik "politisch motivierte Ausländerkriminalität" Delikte von Linken wie Faschisten aus allen möglichen Ländern subsummiert. 33 Straftaten seien hier im Jahr 2001 festgestellt worden, allein 26 wurden der kurdischen PKK zugeordnet, wenngleich die Statistik insgesamt nur 21 aufgeklärte Fälle verzeichnet.


Verfolgungsdruck

Der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wird im Bericht mit knapp vier Seiten der meiste Platz für eine einzelne Organisation gewidmet. Während aber im quasi Staatsschutzprozeß um die Tötung zweier KurdInnen vor dem Landgericht die Partei als einigermaßen destrukturiert und verlottert erschien, schneidet sie im Extremismusbericht relativ gut ab. Im Bundesland Bremen habe die PKK rund 300 Mitglieder, könne aber etwa 600 Personen mobilisieren. Der "Friedenskurs" werde von den hiesigen Mitgliedern weitgehend mitgetragen, eine innerparteiliche Oppositionsgruppe wurde zwar registriert, sei bisher aber weitgehend inaktiv geblieben. Von den bundesweit rund 40.000 Selbstanzeigen der Kampagne "Auch ich bin PKK" wurden immerhin 4.700 den Staatsanwaltschaften im Land Bremen übergeben. Wenngleich es bei den PKK-Demonstrationen im vergangenen Jahr doch einigermaßen gehapert habe, zeichne sich bei der alljährlichen Spendenkampagne ein "positiver Verlauf" für die PKK ab.

Zweifelsohne haben die hiesigen rund 30 AktivistInnen der nach eigenen Angaben einzig verbliebenen "revolutionären Kraft" in der Türkei, der Revolutionären Volksbefreiungs-Front (DHKP-C), derzeit schwerer unter dem "Verfolgungsdruck" der deutschen Sicherheitsbehörden zu leiden. Zahlreiche Verfahren und Verurteilungen von FunktionärInnen und einfachen Mitgliedern hätten dazu geführt, daß auch im Land Bremen die Mitgliederzahl erheblich zurückgegangen sei und die seit 1998 in Deutschland verbotene Partei sich deshalb in einer miserablen finanziellen Situation befinde - deshalb habe das Bremer "Imece-Kulturzentrum" geschlossen werden müssen. Ansonsten werden nur noch zwei weitere linke nicht-deutsche Organisationen im Bericht aufgeführt: Die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML), allerdings aufgrund ihrer wenigen AnhängerInnen in Bremen "faktisch bedeutungslos", sowie die "Sympathisanten der ‚Volksmodjahedin Iran-Organisation'" , die im Bundesland aber auch nur über Einzelmitglieder verfügten.

Dienten dem Verfassungsschutz in den letzten Jahren vor allem die NPD und andere deutsche Nazis zur publikumswirksamen Begründung seiner weiterhin bestehenden Notwendigkeit, sind es seit dem 11. September die "Islamisten". Entsprechende Dossiers lanciert auch das Bremer Amt gern einmal an die Presse, vor allem in der Bremen-Ausgabe der Welt sind sie regelmäßig in Auszügen nachzulesen.

Wenngleich der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse über "in Bremen aufhältliche" Personen hat, die an den Anschlägen beteiligt waren oder die Täter unterstützten. Doch gehe das Amt aktuell "Hinweisen aus der Bevölkerung" auf Personen nach, "bei denen Merkmale vorliegen, die sie in einen terroristischen Zusammenhang rücken könnten". Der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görus" (IGMG) könne in diesem Zusammenhang aber nichts nachgesagt werden, wenngleich die bundesweit wie auch in Bremen "größte extremistische Ausländerorganisation" ihre Anhänger weiterhin gegen das "freiheitlich-demokratische Gesellschaftssystem der Bundesrepublik" indoktriniere. An der Weser habe die IGMG rund 900 Mitglieder, ein Geflecht von Vereinen, Instituten sowie acht Moscheen wird ihr zugeordnet, darunter Norddeutschlands größte, die Fatih-Moschee in Gröpelingen, sowie die Kuba-Moschee in Hemelingen. Doch während Bürgermeister Henning Hat-Euch-alle-lieb seit Jahren seine schützenden Hände über die Fatih-Moschee hält, verweist der Verfassungsschutz auf die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Milli Görus mit türkischen Kindern und Jugendlichen, die tatsächlich das Ziel habe, diese vom "Einfluß der westlichen Gesellschaft" fernzuhalten. Und auf die "schroff antisemitische Ausrichtung" der IGMG. Die hierzulande seit dem 11. September auch über Milli Görus geführte Verbotsdiskussion habe aber zu einer "Verunsicherung" der Gemeindemitglieder sowie zu zentralen Weisungen geführt, sich insbesondere während der Freitagsgebete "angreifbarer Äußerungen zu enthalten" und in Moscheen ausliegende fundamentalistische Schriften einzuziehen.

Der "Kalifstaat" (ICCB) war im vergangenen Dezember die erste Organisation, die aufgrund der neuen Sicherheitsgesetze (u.a. Streichung des "Religionsprivilegs" im neuen Vereinsgesetz) verboten wurde. In Bremen hatte sich der "Kalifstaat" aber schon im Mai 2001 aufgrund finanzieller Probleme aufgelöst und seine Muhammed-Moschee aufgegeben. Die rund 20 Mitglieder versuchten derzeit, ihre "fanatisch fundamentalistische Ausrichtung" in die IGMG hineinzutragen. Demgegenüber seien bei der faschistischen "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa" (ADÜTDF) im vergangenen Jahr keine "eindeutig extremistischen oder sicherheitsgefährdenden Aktivitäten" erkannt worden. Die besser als "Graue Wölfe" bekannte ADÜTDF, die in Bremen als "Türkische Familien Union in Bremen und Umgebung" (200 Mitglieder) firmiert und ihren Sitz in der Waller Heerstraße 34 hat, habe sich vor allem mit vereinsinternen Schulungen und Selbstverteidigungskursen aufgrund befürchteter Überfälle politischer Gegner (PKK oder Nazis) beschäftigt.


Größte Aufmerksamkeit

Und steht da was über uns drin? Wahrscheinlich nicht, denn auch in punkto "Linksextremismus" gibt der Bericht nur spärliche Informationen. Die Mitglieder-Charts bei den hier beobachten Parteien und Organisationen führt nach wie vor die PDS an (190), dann folgt schon die "letztmalig 1999 in Erscheinung getretene" Rote Hilfe (110) und auf Platz drei die DKP (70), allerdings hoffnungslos "überaltert" und in "desolatem" Zustand. Für die "Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union" (FAU) verzeichnet der Verfassungsschutz lediglich 15 Mitglieder, bei der Sozialistischen Alternative Voran (SAV) gar nur deren zehn. Letztere habe seit Mai vergangenen Jahres bei den Vorbereitungen von Antiglobalisierungskampagnen der autonomen Linken "eine Führungsrolle mit der von ihr initiierten ‚gewaltfreien Initiative' ‚widerstand international' (wi)" angestrebt, sei dann aber nach den "Krawallen in Genua" Attac-Deutschland beigetreten. Ebenso haben die Schlapphüte FAU-AktivistInnen während der Antiglobalisierungskampagne sowie Protestveranstaltungen gegen den Krieg festgestellt, wenngleich auch deren Identifizierung aufgrund Selbstmarkierung per organisationseigener Fahnen eine der leichtesten Übungen gewesen sein dürfte. Am Schwarzen Meer hingegen fand wohl schon länger keine Überprüfung mehr statt, denn hier vertreibe die FAU in ihrem "Lokal" noch immer die eigenen "Pamphlete".

Weiterhin warten wir auf den Aufschrei der PDS sowie der demokratischen Öffentlichkeit, denn die LinkssozialdemokratInnen werden immer noch beobachtet, obwohl deren "Kommunistische Plattform" - gemeinhin Begründung für dieserlei Schnüffeleien - "im Jahre 2001 öffentlich nicht hervorgetreten und war auch bei der internen Willensbildung in Bremen nicht mehr wahrnehmbar" war. Drin ist auch noch die "Marxistische Gruppe" (MG) beziehungsweise der "Gegenstandpunkt". Obzwar große Teile der von der MG in den achtziger Jahren malträtierten Linken sich gewiß waren, daß es sich bei ihr um eine millionenschwere, straff organisierte Geheimdienstschöpfung handelte, hatte die anläßlich ihrer offiziellen Auflösung Anfang der neunziger Jahre beteuert, nunmehr der andauernden Repression der Schlapphüte unterlegen zu sein, und sich daher auflösen zu müssen. Wie dem auch sei: Das Amt interessiert sich auch für die "Gegenstandpunkt"-Veranstaltungen im Bürgerhaus Weserterrassen. An denen nähmen bis zu 250 Personen teil, überwiegend "ehemalige MG'ler, die politische Problembereiche unter Anlegung ihrer marxistischen Exegese analysieren". Ja, auch beim Verfassungsschutz gibt es studierte SchwätzerInnen.

Doch "die größte Aufmerksamkeit" verdienten "nach wie vor die militanten Autonomen". (27) Die würden zwar in Bremen im Gegensatz zu anderen Großstädten "keine klandestine Gruppengewalt" ausüben, stellten aber "ausschließlich das linksextremistische Gewaltpotential dar". Sämtliche der vom Staatsschutz im Bereich "Linksextremismus" verzeichneten Straftaten gingen daher auf das Autonomen-Konto. Die seien vor allem im aktuell "primären Aktionsfeld" "‚Faschismuskampf'" (sic!) durch Angriffe auf Nazis und deren Eigentum begangen worden. Ebenfalls "primär" sei die "sog. ‚Antirassismusarbeit'" - von den Aktionen gegen Abschiebungen bis hin zu Bedrohungen gegen das Personal des Ausländeramts - und im Sommer seien die Antiglobalisierungskampagnen zu den Gipfeln in Göteborg und Genua die "zündenden Themen" gewesen, die dazu beigetragen hätten, den Autonomen aus ihrem 2000er Tief herauszuhelfen und "ein erhebliches Potential" der Szene zu mobilisieren.

Das ist aber Schnee von gestern und auch der Anti-Kriegsprotest - oder gar Ansätze zu etwas tiefgründigeren Analysen - interessiert in der Linken, und gerade auch bei den Autonomen, schon lange kaum eine/n mehr, doch zumindest der Extremismusbericht gibt ihm bei der "Bewertung der aktuellen Situation des Linksextremismus" Gewicht. Aber durch die hier wie zum Beispiel auch beim Antirassismus von den Autonomen "zunehmend betriebene Aktionseinheit mit einem zahlenmäßig weit größeren nichtextremistischen Protestpotential" werde "eine differenzierte Beurteilung zunehmend schwieriger". Denn daß die Szene über "keine strukturierten Organisationen" und "kein ideologisches Konzept", sondern allenfalls über "verschwommene anarchistische und anarcho-kommunistische Vorstellungen" verfügt, macht nicht nur zum Beispiel dem Autoren dieses Artikels das Leben schwer, sondern auch den Schlapphüten. Wenngleich die sich zu helfen wissen, versprechen sie sich doch immerhin eine "Erkenntnisgewinnung aus diesem unstrukturierten Spektrum" durch den Einsatz "nachrichtendienstlicher Mittel".


Willi Leow


Anmerkungen:
(1) Vgl. Jelpke/Maurer/Schröder (Hg.), Die Eroberung der Akten. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz: Entstehung/Folgen. Analysen/Dokumente, Mainz: Podium Progressiv, 1992.
(2) Dem Abgeordneten Walter Ruffler muß zugute gehalten werden, das nicht mitgemacht zu haben.
(3) Otto Diederichs, Prosit auf die Sicherheit!, in: taz vom 27.9.1991.
(4) Bundessamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2000.
(5) Die Ende der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre mit 397 beginnenden Telefonnummern könnten als Indiz für einen Standort im Bremer Westen interpretiert werden.
(6) Weser-Kurier vom 13.8.1996.
(7) Genauso wenig wie um die des Staatsschutzes: Größere Politverfahren hat es in Bremen in den letzten 20 Jahren nicht gegeben, entsprechende Ermittlungen wurden nur auf Ersuchen der Bundesanwaltschaft geführt. Das ist zweifelsohne politische Strategie, auch um Eskalationen und Mobilisierungen anhand solcher Prozesse zu vermeiden. Zusammengenommen mit dem bremischen Wir-können-ja-über-alles-Reden-"Liberalismus" sowie sozialfürsorgerischen Maßnahmen und Alimentationen war man damit - bei den Autonomen - mindestens ebenso erfolgreich wie die Landesregierungen, die auf mehr oder weniger harte Repression setzten.
(8) taz vom 30.3.1992.
(9) Auf der Veranstaltung "Verfassungsschutz-Skandal in Berlin - in Bremen unmöglich?" am 3.3.1989 in Bremen; zitiert nach taz Bremen vom 6.3.1989.
(10) Ebd.
(11) Ebd.
(12) taz Bremen vom 20.9.1991.
(13) taz Bremen vom 27.2.1989, 6.3.1989 und 7.3.1989.
(14) Nicht verschwiegen werden soll, daß diese gelungene Aktion für die angeblich Beteiligten eine Reihe von Verfahren und Verurteilungen nach sich zog.
(15) kassiber 20, September 1992, S. 20f; taz Bremen vom 21.7.1992.
(16) Die Welt (Bremen-Ausgabe) vom 10.12.2001.
(17) Presseerklärung des Innensenators vom 27.9.2001.
(18) Ebd.
(19) Presseerklärung des Innensenators vom 20.9.2001.
(20) Zahlenangabe des stellvertretenden Verfassungsschutzchefs Lothar Jachmann auf der Veranstaltung "Verfassungsschutz-Skandal in Berlin - in Bremen unmöglich?" am 3.3.1989 in Bremen.
(21) So zumindest hatte es Bremens damaliger Innensenator Peter Sakuth am 19.2.1990 verkündet und steht es - als vollzogen - im Koalitionsvertrag des Bremer Ampelsenats (SPD/Grüne/FDP) vom Frühjahr 1991. Bremens Verfassungschef Walter Wilhelm sprach gegenüber der taz von früher 72 Stellen, im Herbst 1991 seien es noch 56 gewesen, Zielzahl sei 51; taz Bremen vom 20.9.1991.
(22) So die über Staats- und Verfassungsschutz immer gut informierte Welt am Sonntag vom 29.9.2001. Walter Wilhelm hatte gegenüber dem Weser-Kurier vom 24.8.2000 von damals 38 VerfassungsschützerInnen gesprochen, von denen sich 20 mit dem "Rechtsextremismus" beschäftigen würden, die anderen vor allem mit der kurdischen PKK und militanten Autonomen.
(23) taz Bremen vom 20.9.1991.
(24) Presseerklärung des Innensenators vom 13.3.2002.
(25) Der "Bericht des Senators für Inneres, Kultur und Sport über den Extremismus im Land Bremen (Stand: 31.12.2001)" kann als Pdf-Datei von der Homepage des Innensenators (www.bremen.de/innensenator) heruntergeladen werden. Die folgenden Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, diesem Bericht entnommen.
(26) Wir merken, der Staatsschutz hat's nicht so mit der Mathematik. Die hier summierte "Haßkriminalität" ergibt 60 Delikte, die anderen Statistiken weisen nur deren 59 aus.
(27) Gruppennamen werden im Gegensatz zu Vorjahr nicht genannt, nur die der Publikationen. Da findet sich der kassiber eingequetscht zwischen "Bambule" und "Alhambra". Das haben wir nicht verdient.
 


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kombo(p) - 25.07.2002