kassiber 49 - Mai 2002

Verwaltungsgericht Bremen weist Klage gegen Rasterfahndung ab

Kein Widerspruch gegen neuen Totalitarismus


Das Verwaltungsgericht Bremen hat am 28. März die Klage eines marokkanischen Studenten gegen die Rasterfahndung abgewiesen. Bundesweit wurden seit Herbst letzten Jahres rund 20.000 arabische Studierende aufgrund ihrer Herkunft pauschal des Terrorismus verdächtigt und deshalb gerastert. Gegen 27 Personen laufen zur Zeit Ermittlungsverfahren, von denen einige Rasterdaten als Grundlage haben sollen. Außer dem Bremer Gericht haben in den vergangenen Monaten noch andere Gericht die Klagen von betroffenen Studenten abgewiesen.

Hingegen wurde in den Bundesländern Niedersachsen, Hessen und Berlin die Rasterfahndung aufgrund von Landgerichtsentscheiden gestoppt, in der Hauptstadt ist sie allerdings seit Mitte April wieder zulässig.

Das Ziel der Klage des marokkanischen Studenten war, seine Daten löschen zu lassen und sich gegen die Pauschalverdächtigung zu wehren, er könnte aufgrund "arabischer Herkunft" "islamistische" Anschläge in der BRD planen. Ziel der UnterstützerInnen und Aktionsgruppen gegen die Rasterfahndung war es, die Bremer Bürgerschaft per Gerichtsurteil zu zwingen, die besonders grenzenlose bremische Gesetzesformulierung in die Richtung zu ändern, daß eine Rasterfahndung nicht (wie seit der Neufassung des Bremer Polizeigesetzes vom 25. Oktober 2001) bei jeder beliebigen "Gefahr"angewandt werden kann. Ziel war also, der Polizei und dem Innensenator beim Durchmarsch in den Überwachungsstaat Steine in den Weg zu legen. Im Unterschied zu anderen Bundesländern gibt es in Bremen keinen sogenannten Richtervorbehalt. Hier wird die Rasterfahndung also nicht per Gericht angeordnet, sondern der Bremer Innensenator kann eine Rasterfahndung losschlagen, ohne daß eine konkrete, "gegenwärtige Gefahr" gegeben sein muß (vgl. kassiber 48, März 2002, S. 15).


Verwaltungsgericht scheut Konflikt

Die Klage des Bremer Studenten war unter Berücksichtigung derjenigen in fünf anderen Bundesländern gut vorbereitet worden. Gefordert wurde die Löschung der Daten des Klägers, der Stopp der weiteren Auswertung aller Daten und schließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Gesetzesformulierung.

Doch die zuständige Verwaltungsgerichtskammer scheute sich offenbar, mit Innensenator Böse - und seinem Polizeigesetz - in Konflikt zu treten, obwohl sie dafür eigentlich zuständig ist. Das Verwaltungsgericht ging in seiner zwölfseitigen Urteilsbegründung kaum auf die vorgebrachten juristischen Details ein und berief sich auf die allgemeine Gefahrenlage. Denn die vom Gesetz geforderte "Gefahr" besteht nach Ansicht der Richter immer noch. Anders lautende Äußerungen der Bundesregierung verfolgten "vorrangig die Zwecke der Beruhigung (...) der Bevölkerung sowie einer von Hektik befreiten Koordination antiterroristischer Maßnahmen". Also, so Rechtsanwalt Günther Werner sinngemäß, Datenschutz sei ja ganz gut und schön, aber seit dem 11. September sei alles anders und das verlange neue Optionen des Staates. Auch findet das Verwaltungsgericht das Bremer Polizeigesetz präzise genug formuliert, ebenso sei ein "Richtervorbehalt" nicht erforderlich. Die im Gesetz vorgesehene (spätere) Information des Landesdatenschutzbeauftragten und die Berichterstattung an den dafür vorgesehenen Bürgerschaftsausschuß sei völlig ausreichend.

Auf die genaue Argumentation des Klägers wurde nicht eingegangen, stattdessen Bezug genommen auf einen Spiegel-Artikel und auf Urteile der Verwaltungsgerichte Hamburg und Mainz, die ebenfalls Klagen abgewiesen hatten. Hingegen hatten Landgerichte in Berlin und Hessen die dortige Rasterfahndung für rechtswidrig erklärt und die vollständige oder teilweise Löschung der Daten verlangt. Die überraschend schnelle Urteilsverkündung am Donnerstag vor Ostern werten die Aktionsgruppen gegen die Rasterfahndung überdies als eine bewußte Umgehung von direkten Protesten, die nach Semesterbeginn stattgefunden hätten.


Klagen oder nicht klagen ...

Sicherlich ist eine Klage grundsätzlich zu überlegen. Ein paar UnterstützerInnen sahen Aussicht auf Erfolg, andere nicht. Angesichts der Massenvorladungen "arabisch-islamischer" Studenten in Hamburg erschien uns ein solches Vorgehen jedoch notwendig. Das Gericht stand vor der Wahl, entweder das Polizeigesetz nach Wortlaut zu kritisieren oder aber einer "Terrorgefahr" das Wort zu reden. Mit der Abweisung der Klage bezieht es eindeutig Position für den Polizeistaat, mit der Konsequenz der Selbstentmachtung der Judikative (in Bremen). Dem neuen Totalitarismus, der im Namen der Grundrechte selbige abschafft, wird nicht widersprochen. Das Polizeigesetz ist in der Neufassung besonders entrechtend formuliert - und es ist auch offensichtlich besonders schwer, dagegen zu klagen.

Die unter Pauschalverdacht gestellten Studierenden reagierten mit Zurückhaltung, äußerten jedoch individuell Empörung. Eine im November an der Universität Bremen organisierten Veranstaltung hatte viel Interesse und Sympathie für Gegenaktionen und Veranstaltungen gezeugt, ähnlich war es in Oldenburg und in anderen Städten. Allerdings waren viele verunsichert oder sahen sich nicht in der Lage, bei unklaren Folgen für sie selbst gegen die Polizei vorzugehen. In Diskussion wurde angedeutet, daß mensch aus der Heimat politische Justiz, Verfolgung und Repression kenne - ohne die Möglichkeit dagegen vorzugehen.


Blockierungen

Die Bremer Universität tat jedoch alles, um eine Diskussion über die Rasterfahndung zu verhindern. Rektor Timm schrieb die Betroffenen nicht an, im Gegenteil, er schrieb einen Rundbrief an HochschullehrerInnen: Jede Thematisierung der Rasterfahndung, insbesondere die Kritik an ihr, schüre die Ängste.

Erstaunlicherweise taten auch zwei der drei AStA-Koalitionsfraktionen alles, um Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema zu unterbinden. So konnte der AStA auch zu der von den kommerziellen Massenmedien groß besuchten Pressekonferenz am 26. Februar keine eigene Erklärung abgeben - obwohl es sich um ein eindeutig studentisches Problem handelt. Einen Tag vorher war der geschriebene Entwurf blockiert worden. Die Durchführung der Rasterfahndung, so Teile des AStA-Vorstands, liege voll und ganz auf der Linie der geltenden Gesetzte des bürgerlichen Staates. Das sei normal. Mit dieser Feststellung wurde der haltlose Vorwurf verbunden, die AktivistInnen wollten ja nur "systemimmanent" die geltenden Gesetze und damit das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft verbessern, statt die Verhältnisse in Frage zu stellen. Die Politik bestehe aus Aufklärungen über die Logik des Staates und Kapitals und nicht aus solchen dummen Aktionen. Diese Rhetorikstrategie richtet sich gegen das eigentliche Vorantreiben der Kämpfe und attackiert das subjektive Selbstverständnis von radikalisierten AktivistInnen. Wir halten dagegen: Subversive Kämpfe selbst sind konstitutiv für das Erkennen der Herrschafts- und Gewaltverhältnisse.


Interkulturelle Neustädter Initiative und Rasterfahndungsaktionskreis der Hochschule

(redaktionell stark überarbeitet)
 


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kombo(p) - 25.07.2002