kassiber 49 - Mai 2002

Mit imperialistischem Standort-Nationalismus gegen borniert-völkischen Nationalismus

Thesen zur deutschen Rechtsextremismus-Kampagne


I.

Mit ihrem "Aufstand der Anständigen" korrigiert deutsche Politik lange gültige Urteile über den Rechtsextremismus gründlich. Das ist bemerkenswert. Denn diejenigen politischen Kräfte, die heute eine rechtsextremistische oder gar neofaschistische "Bedrohung der demokratischen Kultur" entdecken und tatsächlich bekämpfen, in erster Linie also die etablierten Volksparteien, haben noch bis hin zu den Vorfällen von Rostock, Mölln oder Solingen geleugnet, daß in Deutschland je wieder ein Rechtsextremismus oder Neofaschismus von erheblichem Ausmaß und praktischer Relevanz entstehen könne. Deutschland sei, darüber waren sich die Geschäftsführer der Republik völlig einig, nach Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und einer flächendeckenden antifaschistischen Erziehung ein für allemal gefeit gegen Rassismus und Nationalismus. Für die Skinhead-Bewegung der jüngeren Zeit fand man eine dazu passende Formel: Es handele sich um jugendliche "Modernisierungsopfer", wußten Politiker sofort. Politisch ausgerichteten Rechtsextremismus oder gar Neofaschismus mochte man an den Tätern von Rostock, Mölln und Solingen nicht so recht erkennen. Falsche Verarbeitung von Problemen, die ihnen die "Risikogesellschaft" mit ihren "Individualisierungstendenzen" bereitet, aber immer. So wurden aus rassistischen, neofaschistischen Ausländerfeinden bemitleidenswerte Opfer der "Risikogesellschaft", die beim Abfackeln von "Kanaken" angeblich nur ihren Frust über die fehlende Lehrstelle, fehlende Arbeit, fehlende Jugendarbeit und fehlende Familienwärme herausließen. Täter mutierten zu Opfern, an der die Gesellschaft selbstkritisch Betreuungs-, Integrierungs- und Normierungsmängel feststellte. Die Konsequenzen, die Politiker, Sozialpädagogen und Justiz aus den Befunden zogen, entsprachen dem Bild, das man sich von den rechtsradikalen Schlägern zurechtgelegt hatte: Verurteilt wurden allein "rohe Gewalttaten", deren politische Motivation trat in den Hintergrund - was angesichts der offiziellen Hetze der demokratischen Ausländerpolitik damals nicht verwundern konnte. Sozialpädagogen erfanden die "akzeptierende Jugendarbeit", mittels derer ausgesuchte Rechtsextreme gerade unter Ausblendung ihrer Ausländerfeindlichkeit als hilflose Gesellschaftsopfer "akzeptiert" und wieder in die Gesellschaft "integriert" werden sollten. (1)

Dieselben Taten, gelegentlich sogar dieselben Täter, vielfach dieselben Bünde und Organisationen werden heute einer gänzlich anderen politischen Bewertung unterzogen. Aus einem ausländerfeindlichen Makel auf der ansonsten blütenweißen Weste weltweiter deutscher Reputation wird nun eine Bedrohung für Deutschland selbst! Aus verirrten, orientierungslosen Jugendlichen werden nun politische Überzeugungstäter. Aus Gesellschaftsopfern werden rassistische Täter, aus desintegrierten "Modernisierungsverlierern" werden politische Feinde, die dem demokratischen System den Kampf angesagt haben. Entsprechend anders fällt der Umgang mit den neu zu Staatsfeinden deklarierten Rechtsextremen aus: Sie gehören nicht mehr sozialpädagogisch integriert, sondern aussortiert. An die Stelle von Resozialisierungsanstrengungen soll die ganze Härte des Gesetzes treten, d.h. Organisationen zerschlagen, Parteien verboten, namhafte Figuren ausgegrenzt und die bürgerliche Existenz von Gewalttätern vernichtet werden. (Woher kennt man das noch gleich?)
Offen wird auch die ehemalige Gewißheit, es handele sich beim grassierenden Rechtsextremismus um das unselige Wirken einer Minderheit, aus dem Verkehr gezogen und die Redeweise von der "Mitte der Gesellschaft", in der sich Ausländerfeindlichkeit ausbreite, eingeführt. Die Bewältigung eines nationalen Mehrheitenproblems war damit auf die Tagesordnung gesetzt. Es scheint den Beobachtern der Volksmoral irgendwie aufgefallen zu sein, daß der geistige Abstand zwischen den praktizierenden Neofaschisten und dem unauffälligen Wähler der etablierten Volksparteien zu gering ist, als daß der Volksmeinung zur Ausländerfrage und zu den selbst ernannten haarlosen Ausländereliminatoren bedingungslos getraut werden kann. Da sich die Staatspädagogen aus Politik, Öffentlichkeit und Schule jüngst erst in die Hand versprochen haben, daß eine Haiderei bei uns gar nicht erst einziehen darf, geben sie schlußendlich selbst zu verstehen, daß sie nicht rechtsradikal ausgerastete Teile einer sozial vernachlässigten Jungmannschaft - angeblich vornehmlich im frisch dazu gewonnenen deutschen Osten - zur Räson bringen müssen, sondern auch ein Problem mit der Einstellung ganzer Teile ihres bis dato so gelobten Volkes haben.


II.

Da stellen sich schon einige Fragen: Warum stellt die Republik sich auf diese Weise faktisch selber bloß? Korrigiert sie hier fundamental und ernsthaft ihr Selbstverständnis von der endgültigen Überwindung einer braunen Gefahr in, für und von Deutschland ausgehend? Schließen sich Schröder und Fischer, Stoiber und Merkel ausgerechnet jenen linken antifaschistischen Kräften an, die sie seit Jahrzehnten vom Verfassungsschutz genauestens - und zwar nicht nur - beobachten lassen?

Zumindest in einer Hinsicht läßt sich schnell Klarheit gewinnen. Denn an dem neuen offiziellen Antifaschismus der politischen Führung Deutschlands fällt sofort auf, daß er ganz ohne irgendein gesondertes Programm für den Schutz, die Betreuung, Sicherung und Absicherung der bisherigen und aller zukünftigen potentiellen Opfer, also der Ausländer und jener Inländer auskommt , die von Rechtskräften und Neofaschisten für undeutsch erklärt werden. Da werden Obdachlose erschlagen, Ausländer durch die Straßen gehetzt, beschimpft, bespuckt und getreten, da werden Schwulentreffs belagert und Räumlichkeiten linker Gruppierungen überfallen, da werden Synagogen angezündet, da werden zudem diese, leider ziemlich normal gewordenen bundesdeutschen Ungeheuerlichkeiten neuerdings sorgfältig registriert und als Beleg für die dringende Notwendigkeit staatlicher Intervention veröffentlicht - doch wer nun erwartet, daß den Politikern umgehend irgendeine erste, wenigstens prophylaktische Intervention zum Schutz der Angegriffenen einfallen müßte, wird auf der ganzen Linie enttäuscht. Der Antifaschismus der Bundesregierung und der herrschenden Parteien nimmt nicht Maß an der Menschenleben verachtenden Brutalität des Rechtsextremismus. Groß verwundern kann das nicht, da der rechtsstaatliche Umgang mit Flüchtlingen, Asylbewerbern und Einwanderern seinerseits genug an Roheiten psychischer und physischer Art produziert und selbst eine stattliche Anzahl an toten Ausländern auf seinem Konto hat. Würde es den Schröders, Merkels und Becksteins um Hilfe für bedrängte Ausländer gehen, dann müßten sie eben zu allererst ihre eigene Ausländerpolitik korrigieren und zwar radikal.


III.

Das haben deutsche Ausländerpolitiker nun wirklich nicht vor, wenngleich das neue Bekenntnis, Deutschland sei ein "Einwanderungsland", gleichfalls alle alten Befunde vom "vollen Boot" über den Haufen wirft. Denn diese "Kehrtwende" läßt sich kaum als Einladung an alle Verfolgten und Verelendeten mißverstehen. Im Gegenteil: Ab sofort wird aus dem berechnenden Instrumentalismus der nationalen Ausländerpolitik kein Hehl mehr macht. Ausländer, so heißt die mit der Green-Card-Kampagne eingeleitete Politik, sollen nicht mehr bedingungslos und nur weil sie Ausländer sind, abgeschoben werden, sondern nur, wenn sie keinen Beitrag zum nationalen Wohl leisten; wobei das jeweilige Nutzenkriterium selbstverständlich allein die zuständigen staatlichen Stellen festlegen.

Entsprechend sieht die Feindschaftserklärung gegen den Rechtsextremismus von Glatzen, der NPD und "in der Mitte" des Volkes aus: Dem rein völkischen Nationalismus der neuen Rechten wird ein Nationalismus entgegengesetzt, der Maß nimmt an den Anliegen der nationalen Sache, wie sie von der aktuellen demokratischen Politik verkörpert wird. Die angebliche Systemfeindschaft zwischen Rechtsextremismus und Demokratie erweist sich folglich als nichts anderes denn als politische Konkurrenz um das richtige Konzept für die nationalen Fragen der Ausländerpolitik, also als Konkurrenz um den zu Deutschland im Jahre 2000ff passenden Nationalismus; und daran ändert der Umstand nichts, daß als politische und juristische Eliminierung von Rechtsextremen durchgeführt wird, was seinem politischen Gehalt nach ein Konzeptstreit unter erklärten Deutschlandfreunden ist.

Zur imperialistischen Standortpolitik gehört ein entsprechender Standortnationalismus, der bornierte völkische Nationalismus stört dagegen - heißt das Credo der Kampagne. Folglich erklären ihn die Wächter über die nationale Gesinnung des deutschen Volkes zur unerwünschten nationalistischen Alternative, deklarieren deren Speerspitze als eine akute Bedrohung für Deutschland und kündigen ihr den Kampf an. Anders formuliert: Die radikale politische Ausländerausgrenzung, die noch während der Asyldebatte die herrschende Maxime der Politiker darstellte und von den Deutschen verstanden wurde, ohne daß sie groß umlernen mußten, wird nun offiziell aus dem Verkehr gezogen und gilt ab sofort ihrerseits als "undeutsch". Nun gibt es nicht nur "schädliche" Ausländer, sondern jetzt gibt es auch unter guten deutschen Nationalisten, unter Bürgern, die bis in die Haarwurzeln der nationalen Sache verpflichtet sind, "störende Elemente" und "Volksschädlinge".


IV.

Der "Aufstand der Anständigen" gegen den Rechtsextremismus will also im Volk allererst den zur deutschen imperialistischen Offensive passenden nationalistischen Anstand verfestigen. Die Kampagne gegen Glatzen und die NPD ist folglich zugleich eine Volksumerziehungskampagne. Und hat ihre heiklen Seiten: Denn wo solche im Prinzip gut erzogenen, streng deutsch denkenden Bürger das deutsche Nachkriegsprojekt - erst zur kapitalistischen Wirtschaftsmacht avanciert, dann wiedervereinigt, schließlich als führende Europamacht konsolidiert, die die Welt gegen die Amis neu aufmischen soll - nicht etwa wegen deutscher Weltmachtambitionen, sondern allein wegen der dafür benutzten Erfolgswege für ziemlich undeutsch oder gar für eine Art Verrat an der nationalen Sache erklären, da ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß sie einige von der deutschen Führung verbuchten imperialistischen Erfolge nicht als solche begreifen, sondern als Ausverkauf der deutschen Sache nehmen. Die Schaffung des Euro, der Beschluß zur europäischen Osterweiterung, die Verabredung von Schengen, die Harmonisierungen in der Haushalts-, Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik sind für gestandene Euro-Politiker für sich bereits Schritte auf ihrem Weg zu einer Großmacht Europa, die für Deutschland so einiges abwirft. Doch der völkisch gestrickte Bürger reimt sich dies alles umgekehrt zusammen - und sieht sich dabei von Politikern gelegentlich ins Recht gesetzt: Die Schaffung des Euro ist für ihn die Preisgabe der starken DM - die dieser Bürger Zeit seines Lebens mehr angebetet als verdient hat - an schwache Konkurrenten, die Osterweiterung deutet er als Einladung an Ostvölker, sich "bei uns" zu bedienen, und der Vertrag von Schengen funktioniert für ihn nicht, weil "die Itakker" es eben allein nicht schaffen, ihre Grenzen gegenüber den "Asylanten" aus dem Balkan dicht zu machen usw.

Diese Differenz zwischen dem Standort-Nationalismus von oben und dem völkischen von unten ist es, die anläßlich der öffentlich registrierten Brutalitäten der Rechtsextremisten der politischen Klasse in Deutschland Sorge bereitet. Es ist nicht nur so, daß ihr eine Haiderei in Europa reicht. Eine unbrauchbare ausländerfeindliche Einstellung innerhalb der Bürgerschaft kann durchaus die Produktivkraft des Volksgehorsams, an die sich deutsche Politik so sehr gewöhnt hat, in Mitleidenschaft ziehen. Es ist nämlich der Alltag dieser Bürger, der ihrem Befund, daß die Deutschen nicht mehr Herr über ihr Deutschland sind, ständig Material liefert. Es sind diese deutschen Bürger, die - in Zivil oder in Uniform - mit "nützlichen" Ausländern im Betrieb, im Büro oder beim Militär zusammenarbeiten oder sogar von ihnen Befehle entgegen nehmen müssen; die mit ihnen um Kindergartenplätze konkurrieren und die deren Kinder als Mitschüler ihrer deutschen Kinder zu akzeptierten haben; die ihnen beim Arbeitsamt und bei der Sozialhilfe begegnen oder erfahren, daß die ausländischen Spitzenkräfte zu den "Spitzenverdienern" im Betrieb gehören; die mit ihnen auf dem großen Binnenmarkt konkurrieren und dies als rechtmäßig begreifen sollen; die die Oder-Neiße-Grenze nicht als letztes Bollwerk gegen das Slawentum, sondern als historisch obsolete Markierung einordnen und die sie legal passierenden "nützlichen" Polen als gleichberechtigte Arbeitskräfte zu behandeln haben.

Da liegt es schon ziemlich nahe, daß sich solche Bürger dann weniger bei der SPD, den Grünen oder den C-Parteien als bei der NPD aufgehoben fühlen.


V.

Die gehört deswegen verboten. Und schon tobt die Debatte, wie man der zugelassenen Partei verfassungskonform den Garaus machen kann. Dabei stellt das Verbotsbegehren die Regierung durchaus vor ein Problem. Denn mit dem politischen Befund über die Verbotswürdigkeit der NPD ist das Rechtsurteil des Bundesverfassungsgerichts noch nicht gefällt, sondern erst eingeleitet und überdies in seinem Ausgang durchaus nicht gewiß. Das stört Schily & Co. Die sind mit ihrem Urteil längst fertig und "leiden" nicht etwa daran, daß sie zu einem "an sich" demokratiefeindlichen Mittel greifen - wie Idealisten der Demokratie wähnen -, sondern sie leiden an der Demokratie, genauer: an der demokratischen Rechtsstaatlichkeit, der sie sich verschrieben haben. Die gesamte politische Debatte über den Verbotsantrag wird nämlich beherrscht von der Frage, ob die von Regierung und Parlamenten mit dem Antrag vorgelegten Beweismittel dem Bundesverfassungsgericht für ein Verbot ausreichen. Es kann also sein, argwöhnen die Antragsteller, daß unsere politischen Gründe von der obersten Gerichtsbarkeit nicht anerkannt werden, daß unser politischer Befund von Verfassungsrichtern ausgehebelt wird.

Deswegen stellt sich angesichts der entschiedenen öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit des NPD-Verbots auch eine ganz andere Frage: Warum haben die Verfassungshüter, die sich jetzt mit dem Verbot etwas schwer tun, der NPD eigentlich die Lizenz als eine Partei, die innerhalb des demokratischen Spektrums zu tolerieren ist, erteilt? Warum haben die Hüter der parlamentarischen Demokratie eine Partei erst zugelassen, von der sie nun behaupten, daß sie "neonazistisches Gedankengut und Gewalt fördert", die also dem demokratischen Selbstverständnis zufolge mit allen geheiligten Grundsätzen der Nachkriegsordnung brechen will? Sollte der Staat, als ihm das Programm zur Begutachtung vorlag, nicht erkannt haben, daß in der Partei "die verfassungswidrigen Bestrebungen deutlich überwiegen"? Sollte er dem Parteiprogramm nicht entnommen haben, daß sich die Partei gegen die FdGO wendet? War er unfähig, aus den "Ideen" die "Handlungen" abzuleiten? Konnte er aus der Programmatik etwa nicht auf die "aggressiv-kämpferische Haltung" seiner Mitglieder schließen? Hat man den politischen Grundsätzen der NPD nicht entnehmen können, daß sich hier eine neofaschistische Partei aufstellt?

Der politischen Sache nach stehen die Antragsteller in der Tat vor dem Dilemma, daß vielleicht gar nicht als durchgesetzter Parteistandpunkt nachgewiesen werden kann, was nach demokratischen Grundsätzen überhaupt erst zum Verbot der NPD reicht. Oder, so wähnen sie, es könnte der ärgerliche Fall eintreten, daß alles, was der Partei - "nach Parteiprogramm, Erklärungen und Verhalten der Mitglieder"(s.o.) - nachgewiesen werden kann, gar nicht ausreicht, um der Partei die Verfassungsfeindlichkeit zu bescheinigen.

Das Bedenken der Berliner Politiker, das höchste deutsche Gericht könnte an der NPD nichts Verfassungsfeindliches entdecken, hat also folgenden harten Kern: An dem von der NPD vorgetragenen Nationalismus entdecken Demokraten nichts Verbotenes, weil sie ihn von ihrem eigenen Nationalismus gar nicht unterscheiden können. In den Differenzen - die es gibt (2) - erkennen sie nur Positionen, die im Spektrum der anerkannten demokratischen Parteien fast wortgleich vertreten werden und die sie schon deshalb nicht als Angriff auf die nationale Sache werten. Ja, wenn in der Programmatik offen die Errichtung von KZs, das Verbot aller demokratischen Volksparteien, die Vorbereitung auf einen Weltkrieg, Antisemitismus und Euthanasie propagiert würden, dann hätten unsere demokratischen Berufsnationalisten keine Probleme mit der Identifizierung der NPD als Nachfolgeorganisation des Hitler-Vereins. Wo aber davon nicht die Rede ist, statt dessen die "deutsche Familie als Grundlage des deutschen Volkes", die Sicherung der "deutschen Souveränität", die Erhaltung "der Natur als allgemeiner Lebensgrundlage" und die Sicherung der "nationalen Grundlagen der Wehrpolitik" gefordert wird, entdecken sie in den Grundsätzen dieser Partei nichts, was nicht mit der FdGO verträglich wäre.

Es kann deshalb nicht verwundern, daß der Beweis eher umgekehrt geführt wird: Jetzt, wo der Verbotsantrag der NPD wegen Verfassungsfeindlichkeit auf dem Tisch liegt, handelt es sich um ein Programm, das faschistische Forderungen enthalten muß. Erst die politisch gewünschte Ausschaltung der NPD diskriminiert ihre Grundsätze. Für sich sind sie für demokratische Politiker nicht zu beanstanden. Nur deswegen ist eine Rede Schröders oder Stoibers bei den Vertriebenenverbänden, in der das Recht der Deutschen auf sudetendeutschen Boden bekräftigt wird, nicht faschistisch, sondern berechtigt; wird sie doch von einem Demokraten gehalten. Verkündet dies die NPD, wird das Hakenkreuz mitgedacht, und schon handelt es sich bei ihr um eine chauvinistische Organisation. Und nur aus diesem Grund gehen die Bedenken von Stoiber, ob Deutschland nicht zuviel Kompetenzen an Brüssel abtritt, in Ordnung: Er ist eben Demokrat. Dasselbe aus dem Mund eines NPD-Funktionärs wäre verboten, denn der ruft gelegentlich ,Heil Hitler'! So einfach ist das letztlich. Und nur so funktioniert die Deklaration der Verfassungsfeindlichkeit der NPD: Denn die NPD wegen ihres offensiven Nationalismus zu verbieten, hieße sämtliche demokratischen Parteien, deren Repräsentanten sich neuerdings in Bekenntnissen zu Deutschland zu übertrumpfen versuchen, gleich mit zu verbieten. Aber das soll nun wohl doch nicht sein.


Nachtrag aus ziemlich aktuellen Anlaß

Wer gemeint hatte, nach dieser Kampagne und dem von allen politischen Kräften und Verfassungsorganen getragenen Verbotsantrag sei das Verbot der NPD selbst nur noch eine Form-, allenfalls eine Zeitsache, sah sich getäuscht. Der hatte die Rechnung ohne den Rechtsstaat und sein oberstes Organ, das Bundesverfasssungsgericht, gemacht. Dieses sah im Verbotsantrag und in dem Material, mit welchem er begründet wurde, ein Problem. Nicht, dass die obersten Bundesrichter unter den roten noch braune Roben tragen würden und juristische Pferdefüße zur Abschmetterung des Verbotsantrags gesucht und gefunden hätten - wie dies in einigen linken Gazetten schnell gemutmaßt wurde. Nein, darum ging es nicht. Das Verbot, immerhin das angeblich letzte und heikelste Mittel der Demokratie, mit ihren Feinden fertig zu werden, sollte nur auf jeden Fall rechtsstaatlich sauber über die Bühne gehen. Und da hatten die Verfassungsrichter etwas zu beanstanden, was weder den Antragstellern noch ihren Zuarbeitern von den Sicherheitsdiensten vorher als Problem aufgestoßen war: Unter den Zeugen, die die Verfassungsfeindlichkeit der NPD belegen sollten, befand sich ein ganzer Haufen von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes mit oder ohne aktuell gültiges NPD-Parteibuch. Folglich war der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass der eine oder andere NPDler im Dienste des Verfassungsschutzes die Beweise nicht nur zusammengetragen, sondern als Agent provocateur in der Partei selbst erst lanciert hatte.

Angesichts dieser "Schlampigkeit" des Innenministers geriet die Nation in eine ziemliche Aufregung. Da warfen die einen dem Schily vor, dass doch in dieser Sache angesichts "unserer Vergangenheit" höchste Sorgfalt geboten gewesen wäre, man sich als Deutscher nun geradezu schämen müsse; andere mutmaßten, dass es ihm vielleicht doch nicht so ernst gewesen sei; und wieder andere - vornehmlich welche von der Opposition, die sich die Chance nicht entgehen lassen wollte, sich als der effektivere Schützer der Demokratie vor Extremisten jeder Art zu profilieren - überlegten öffentlich, ob der Antrag nicht zurückzuziehen und dann vielleicht nach einem Regierungswechsel von ihnen noch einmal, diesmal aber rechtsstaatlich sauber geschnürt, vorzulegen sei. Dass das Verbot sein muß, dass die Demokratie ihre Feinde so oder so aus dem Verkehr zu ziehen hat, dass es die Demokraten also in dieser Hinsicht wie ihre bis 1945 im Amt befindlichen Vorgänger halten, daran wurde weiterhin kein Anstoß genommen. Deswegen ist die ganze Aufregung auch ziemlich "ungerecht".

Man ist fast versucht, den Schily und seine übereifrigen Agenten vor den Anwürfen in Schutz zu nehmen. Denn was sollen die Politiker auch machen, die wild entschlossen sind, sich diese politische Konkurrenz von rechtsaußen vom Halse zu schaffen, bevor es dazu kommt, dass auch hier die Bürger die Demokratie "mißbrauchen" und einfach wie in Österreich oder jüngst in Frankreich ganz frei die "Falschen" wählen; was also sollen sie machen, wenn sie doch einerseits mit ihrem tatsächlichen politischen Verbotsgrund beim Bundesverfassungsgericht gar nicht erst anzutanzen brauchen, es ihnen aber andererseits schwer fällt, in dieser rechten Konkurrenz jenen Faschismus beweiskräftig zu entdecken, den sie für den Antrag brauchen. Es tun sich diese Demokraten also schlicht mit dem Beweisen der Verfassungsfeindlichkeit der NPD schwer, weil sie - wie gezeigt - in dem aktuellen Nationalismus der Faschisten immer nur ihre eigene Programmatik, aber kaum etwas von dem entdecken, was bei ihnen unter Faschismus fällt. Wenn die NPD nun heute so gestrickt ist, dass sie nicht jede Versammlung mit "Heil Hitler" beginnt, nicht den endgültigen Holocaust in ihrem Programm führt und auch nicht den deutschen Endsieg gegen den Rest der Welt in einem dritten Weltkrieg vorbereiten will, dann tun sich regierende und opponierende Verbieter eben mit dem Beweisen hart. Wer kann es folglich dem Schily oder Beckstein verdenken, dass sie nach dem Muster vorgehen, dass der politische Wille sich eben seine Beweismittel schafft, wo doch die Sache, das NPD-Verbot, mit dem hierzulande immer noch bedeutendsten Stempel politischer Hochanständigkeit versehen ist, mit dem des Antifaschismus!

Nun hat das so nicht geklappt. Das Verfassungsgericht ist eben keine politische Partei, sondern das oberste Organ, das die Politik daraufhin überprüft, ob sie sich auch an ihre eigenen Prinzipien hält. Folglich müssen Schily und Co. etwas nachsitzen und den Antrag so begründen, dass der Verdacht selbst verfertigter Beweise entkräftet ist. Dieser Arbeit unterziehen sie sich folgsam, wenngleich nicht ohne Murren und Knurren. Die Einwände des Gerichts halten sie nämlich politisch für derart überzogen und unsachlich, dass sie - obgleich in der Regel selbst der Zunft der Rechtsausleger zugehörig - schon mal öffentlich leichte Zweifel an dem Gütesiegel der Demokratie, der Gewaltenteilung, äußern. Umständlich, zeitraubend und manchmal sogar kontraproduktiv sei sie und behindere effektives Regieren. Doch mögen sie deswegen weder die Gewaltenteilung abschaffen noch die "falschen" Verfassungsrichter aus dem Amt jagen. Letztlich wissen die Politiker eben schon, was sie an dieser Einrichtung haben: Die bescheinigt ihnen nämlich entweder die Übereinstimmung ihrer Politik mit den in der Verfassung festgelegten höchsten Werten der Zivilisation oder sie gibt ihnen Hinweise darauf, wo diese moralischen Grundfesten der Politik mal eben umzuformulieren sind, damit sie wieder zu den aktuellen Zwecken der Politik passen. Übrigens könnte den Bürgern, die immerhin jede verfassungskonforme Politik auszubaden haben, an der zweiten Leistung einiges auffallen - wenn sie nicht so in die erste Leistung verliebt wären.


Freerk Huisken


Die vorliegenden Thesen stellen die Zusammenfassung eines Teils der Analyse der deutschen Rechtsextremismus-Kampagne dar, die ich in: "Brandstifter als Feuerwehr: Die Rechtsextremismus-Kampagne. Nichts als Nationalismus 2, Hamburg (VSA) 2001" vorgelegt habe.


Anmerkungen:
(1) Vgl. dazu F. Huisken, Deutsche Lehren aus Rostock und Mölln. Nichts als Nationalismus 1, Hamburg 1993 (Neuauflage 2001).
(2) Vgl. dazu den ausführlichen Nachweis in Kapitel 7, S. 70ff von: Brandstifter als Feuerwehr... a.a.O.
 


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kombo(p) - 25.07.2002