kassiber 49 - Mai 2002

Politische Prozesse / Gefangene

Kurzmeldungen



129/129a-Verfahren in Hamburg

Gegen zwei Männer aus dem ehemaligen Radikal-Verfahren von 1995 wird erneut nach §129a (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) ermittelt. Hintergrund des Verfahrens sind zum einen Aktionen gegen die SPAR-Handelsgesellschaft, die seit der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Juli 1997 das Verkaufsmonopol für Waren an Asylsuchende genießt. Flüchtlinge in Berlin können demzufolge mit ihren Lebensmittelgutscheinen nur bei SPAR einkaufen, und daß zu viel höheren Preisen als anderswo. Im August 1997 brannten mehrere LKW eines SPAR-Logistik-Centers in Mittenwalde (südlich von Berlin), außerdem wurden 153 Reifen zerstochen und 24 Frontscheiben beschädigt. In diesem Zusammenhang wird seit 1998 gegen eine Frau aus Berlin ein §129-Verfahren (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) geführt.

Ein ähnlicher Anschlag wird im März 1998 gegen ein SPAR Logistik-Center in Schenefeld bei Hamburg durchgeführt. Zeitgleich gehen in Hamburg-Blankenese Scheiben des Vorstandsvorsitzenden der SPAR Handels-AG zu Bruch und Farbe wird angebracht. Zum anderen taucht im Verfahren ein Brandanschlag im Kontext der Wehrmachtsausstellung im Mai 1999 auf. Der Anschlag richtete sich gegen LKW des Busunternehmers Schönherr in HH-Schenefeld, der FaschistInnen zu ihren Aufmärschen transportiert.

Seit spätestens Februar 2000 wird gegen die beiden Hamburger Ralf M. und Andreas E. wegen der Anschläge in Schenefeld nach §129a ermittelt. Im März diesen Jahres wurden ihnen Briefe der Generalbundesanwaltschaft (BAW) zugestellt, aus denen hervorgeht, daß ihre Telefone (u.a. ein Arbeitgeberanschluß) ein Jahr lang abgehört wurden. Aufgrund der Ermittlungen zu den Schenefelder Anschlägen wurde seit März 2000 gegen Ralf M. auch wegen des Anschlags in Mittenwalde ermittelt, das Verfahren aber im Februar 2002 "mangels Tatnachweises eingestellt".

Ansatzpunkte und Umfang des neuen Ermittlungsverfahrens sind bisher nicht bekannt. Für die Einsicht der Akten verlangt die BAW von den AnwältInnen die Unterschrift unter eine "Verpflichtungserklärung zur Geheimhaltung einer Verschlußsache". Grund für dieses unübliche Vorgehen sollen Teile der Akte sein, in denen "amtlich geheim gehaltene Angelegenheiten" ausgeführt sind. Es ist also davon auszugehen, daß gegen weitere Personen ermittelt wird (allein schon um eine notwendige dritte Person zur Vereinigung zu finden) und in diesem Zusammenhang auch weiterhin Observationen, Telefonüberwachungen und vielleicht auch Durchsuchungen stattfinden.

[Quelle: Soligruppe Hamburg, c/o Infoladen Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg, März 2002]



Adelheid Schulz nach 16 Jahren Haft begnadigt

Am 1. Februar 2002 wurde RAF-Gefangene Adelheid Schulz von Bundespräsident Rau begnadigt. 1982 war sie zusammen mit Brigitte Mohnhaupt an einem Erddepot der RAF in der Nähe von Frankfurt festgenommen worden.

1985 wurde sie wegen Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und der Erschießung des Bankiers Jürgen Ponto im Herbst 1977 zu dreimal lebenslanger Haft verurteilt. 1994 folgte vor dem OLG Stuttgart aufgrund von Kronzeugenaussagen von in der DDR festgenommenen RAF-Aussteigern ein weiteres "Lebenslang"-Urteil. Bereits im Oktober 1998 wurde die Haftstrafe mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand nach 16 Jahren Knast unterbrochen.

Für die 5 noch verbleibenden RAF-Gefangenen Rolf-Clemens Wagner, Eva Haule, Birgit Hogefeld, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar liegt bereits seit 1999 ein Gnadengesuch des linksliberalen Komitees für Grundrechte und Demokratie vor. Die InitiatorInnen baten den damaligen Bundespräsidenten Herzog, alle RAF-Gefangenen "kollektiv und zugleich jede Person individuell zu begnadigen". Abgesehen von seinerzeit einer Eingangsbestätigung hat sich auch der jetzige Bundespräsident Rau, der solche "Sammel-Gnadengesuche allenfalls als Anregung für individuelle Gnadengesuche" betrachten will, bisher nicht dazu geäußert.

[Quelle: die tageszeitung, 27.02.02]



Göteborger InfozentralistInnen verurteilt

Acht Personen des Infotelefons zum EU-Gipfel in Göteborg sind im Revisionsverfahren zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten und zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Damit setzte das Gericht die in erster Instanz verkündeten Strafmaße (zwischen drei und vier Jahren Haft) herunter. Begründet wurde das Urteil damit, daß die Angeklagten mit dem Versenden von SMS-Nachrichten in ihrer Tätigkeit als InfozentralistInnen Beihilfe zum schweren Landfriedensbruch geleistet hätten. Trotz des abgeschwächten Urteils stufte das Gericht das Vergehen als besonders schwerwiegend ein und bestätigte die Polizeidarstellung über die organisatorische Bedeutung der Infostruktur bei den Ausschreitungen. Im juristischen Nachspiel des EU-Gipfels gehört dies zu den härtesten Urteilen (wegen Beteiligung an Ausschreitungen lagen sie bisher bei durchschnittlich einem Jahr).

[Quelle: gipfelsoli1, 1.02.2002, www.indymedia.de]



EU-Gipfel in Brüssel: Urteilsverkündung gegen Bremer erst im Mai

Auf der Großdemonstration gegen den EU-Gipfel in Brüssel wurden 3 Bremer von Zivilpolizisten verhaftet und mißhandelt (s. Kassiber Nr. 48). In dem seit Februar in Brüssel laufenden Schnellverfahren wird ihnen vorgeworfen, mit Steinen auf Polizisten geworfen und bei der Verhaftung Widerstand geleistet zu haben.

Bei den bisherigen Verhandlungsterminen wurde allerdings die Vorverurteilung der Angeklagten bereits durch die Prozeßführung mehr als deutlich. So ließ der Richter praktisch keine Zeit für eine vernünftige Übersetzung des Prozeßes und machte offensichtliche Unterschiede in der Vernehmung von Polizeibeamten, deren Meinung er sich trotz augenscheinlich widersprüchlicher Aussagen anschloß, und den Entlastungszeugen, die er wiederholt auf die strafrechtlichen Konsequenzen einer Falschaussage hinwies. Für eigene Stellungnahmen wurde den Angeklagten kein Raum gegeben. Der letzte Verhandlungstag ist am 13.05.2002.

[Quellen: Brüssel-Prozess-Information-III]



Repressionswelle in Spanien

Bereits seit August letzten Jahres rollt in verschiedenen Regionen des Spanischen Staates unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Terrorismus eine Offensive gegen Personen aus politisch arbeitenden Gruppen und Bewegungen (HausbesetzerInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, Autonome, ...), die der Mitgliedschaft in der baskischen Organisation ETA bzw. deren Unterstützung bezichtigt werden.

Im Zuge des "war on terrorism" hatte Spanien auf die Ende 2001 von der Europäischen Union veröffentlichten Liste angeblich terroristischer Organisationen auch mehrere legale Organisationen als "Unterstützerinnen" der verbotenen ETA setzen lassen. Ebenso wurden die baskische Antirepressionsgruppe Gestoras pro Amnistia und die kurz zuvor gegründete französisch-baskische Organisation Askatasuna verboten.

Elf Personen, die im Baskenland aufgrund angeblicher Mitgliedschaft im "Comando Barcelona" festgenommen wurden, berichten von massiver Folter durch die Guardia Civil. In der nach dem Antiterrorgesetz fünftägigen Isolationshaft wurden ihnen bei den Verhören u.a. Plastiktüten über den Kopf gestülpt, Haarbüschel ausgerissen und Stromstöße zugeführt.

In der bislang größten staatlichen Verhaftungswelle wurden mindestens 41 Personen festgenommen. In diesem Zusammenhang wurde im Januar 2002 zum ersten Mal Eurojust, die Koordinationsstelle von Staatsanwaltschaften der EU-Mitgliedsstaaten, aktiv, und ließ einen Hausbesetzer, dem Kontakte zur ETA vorgeworfen werden, von einem niederländischen Spezialkommando verhaften.

Ebenso neu ist in Spanien, daß das Antiterrorgesetz auch gegen die StudentenInnenbewegung angewandt wird. Zu der Kriminalisierungswelle war es im Zusammenhang mit Protesten in Sevilla gegen den neoliberalen Umbau der Universitäten gekommen. Bisher wurden 14 Studenten und ein Rechtsanwalt verhaftet.

[Quelle: Rote Hilfe Zeitung, 1/2002; www.indymedia.de, 14./16.02.2002]



DB gewinnt Klage gegen Provider wegen Link zur radikal

Ein niederländisches Gericht verurteilte den Internet-Provider XS4ALL dazu, sämtliche Online-Ausgaben der Zeitschrift radikal von seinen Servern zu löschen. Die Richter entschieden für die Position der Deutschen Bahn, da zwar die radikal in den Niederlanden nie verboten, das Material aber auch nach niederländischem Recht illegal sei. Das, bereits seit 1996 von der Deutschen Bahn AG gegen deutsche Provider angestrebte Verfahren zur Sperrung des XS4ALL-Zugangs, wurde im Juni 2000 von der Bundesanwaltschaft gegen eine geringe Geldbuße eingestellt.

Die Bahn AG rechtfertigt ihr Vorgehen gegen die radikal mit dort abgedruckten Sabotageanleitungen. Vor allem im Zusammenhang mit Castor-Transporten sei der Deutschen Bahn hoher Schaden durch Anschläge auf Gleise und Oberleitungen entstanden.

Zwar werden als Reaktion auf derartige Zensurversuche meist Website-Spiegel der entsprechenden Dokumente erstellt, doch ermöglicht das Urteil, Betreiber von Suchmaschinen unter Druck zu setzen, nicht nur die verbotenen Dokumente selbst, sondern auch jegliche Hinweise auf Adressen, unter denen sie legal zugänglich sind, zu löschen. Die Deutsche Bahn hat deshalb nun auch die Suchmaschinen Google, Yahoo und Altavista abgemahnt. Indymedia-Niederlande, ebenfalls aufgefordert eine Internetseite zu entfernen, weigert sich indes, dem Gesuch der Bahn AG nachzukommen.

[Quellen: telepolis, 17.04.2002; die tageszeitung, 25.04.02, www.indymedia.de]
 


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kombo(p) - 25.07.2002